Liebe Freunde des OSM,
heute machen wir mal eine wirklich ordentliche Zeitreise in mehreren Etappen. Fangen wir die Geschichte mal langsam an. Ich bleibe mal in der Realzeit.
Wir schreiben den August des Jahres 1984, als in meinem Verstand eine neue OSM-Serie aufblüht und bald sehr kuriose Blüten zu treiben beginnt. Die Rede ist von KONFLIKT 18 „Kampf gegen TOTAMS Dämonen und Schergen“ (KGTDUS). Sie ist – wie schon die strukturelle Vorgängerserie KONFLIKT 13 „Oki Stanwer Horror“ (OSH) eine Serie, die auf einem vertrauten planetaren Schauplatz ausgetragen wird, nämlich auf der Erde des Jahres 2034. Wie in der OSH-Serie hat sich die Menschheit mehrheitlich vom Weltraum abgewandt, um die irdischen Probleme verstärkt anzugehen. Die sozialistischen Staaten haben das 20. Jahrhundert überlebt und existieren weiter, die Polarisierung der Welt hat zugenommen.
Soweit klingt das alles vertraut. Dann wird es seltsam, und zwar sehr schnell: Oki Stanwer, der designierte Vorkämpfer für die Sieben Lichtmächte, lebt ahnungslos in London und erhält im Sommer 2034 ein rätselhaftes Päckchen aus Alaska. Und direkt darauf wird er Ziel einer dämonischen Attacke von bizarren Eiswesen.
Als er in die Enge getrieben wird, kommt ihm überraschend ein junger, dynamischer Mann mit einem eigentümlichen Stab zu Hilfe, der diese dämonischen Wesen, so genannte „Eismörder“ des Dämons Maaraan, kurzerhand zerschmilzt.
Auftritt Gerd Kartland.
Das magische Artefakt, das er zum Einsatz bringt, ist ein mehrere tausend Jahre altes Gebilde, das man den „Babylonischen Stab“ nennt und der sich im Laufe der Serie als atemberaubend machtvolles magisches Instrument erweist, dessen Kern direkt vom Dämonenplaneten TOTAM stammt.
Als die Serie im Frühjahr 1989 abgeschlossen wird, bleibt in mir der Gedanke des Babylonischen Stabes weiterhin haften. Ich wusste aus der Serienhandlung, wann und von wem er erschaffen wurde … aber wie um alles in der Welt war er in Gerd Kartlands Hände geraten?
No Idea.
Dennoch dauerte es bis August des Jahres 2012, bis in meinem Verstand – während der Digitalisierung des KONFLIKTS 18 – Bilder entstanden, die mir Indizien aufzeigten, wie dieser Stab in Kartlands Hände gefallen war … und ich muss zugeben, die Bilder gefielen mir wirklich gar nicht.
Gleichwohl waren sie unaufhaltsam.
Also begann ich im August 2012 damit, diese Geschichte zu entwickeln. Und sie führte weit zurück. Genau genommen beginnt sie im antiken Babylon im 16. Jahrhundert vor Christus … als der unheimliche Dämonenschmied von Babylon den Babylonischen Stab schmiedet.
Dann verschwindet er für Jahrtausende im Dämmer der Geschichte und wird in einem Grab nahe Babylon verborgen. Im Jahre 2022 sind hier zwei Grabräuber zugange, die just jene Gruft ausfindig machen und sie öffnen, um Schätze auszugraben und später auf dem Antikenschwarzmarkt zu verhökern.
Dabei treffen der junge Razul und sein älterer, erfahrener Onkel Ali, auf das Schicksal selbst, könnte man sagen. Und für sie endet die Geschichte folgendermaßen:
Razul meinte, irgendein Wispern gehört zu haben, und verwirrt schüttelte er den Kopf. Es klang auch zu absurd. Hier war niemand außer ihnen, und Geister gab es nicht. Vielleicht war er mit dem Fuß an irgendetwas geraten und hatte selbst ein Geräusch erzeugt, das wie ein Wispern klang.
Dennoch … irgendetwas zog ihn geradezu magisch zur linken Seite.
Er hockte sich hin und schob Krüge beiseite, die direkt an der Wand der Grabkammer standen. Seltsam eigentlich, denn dort gab es doch überhaupt nichts … nichts … Interessantes …
Sein Onkel merkte nichts von alledem, er war noch mit dem Ernten des Goldschmucks beschäftigt und hatte gerade den knöchernen Hals der toten Edeldame um ein etwas verstaubtes, aber immer noch funkelndes Amulett aus Gold, Türkis und Amethyst erleichtert, das ihm nun zwischen den Fingern zerfiel. Die Schnüre, die die einzelnen Teile zusammengehalten hatten, waren natürlich porös geworden und zerbröselten unter seinem Zugriff.
Er fluchte halblaut und rückte die Lampe zurecht, um zwischen den Knochen der Toten nun die Einzelteile des Amuletts wieder zu finden. So ein verdammter Mist aber auch …
Razul bekam davon nichts mit.
Seine Finger machten sich einfach selbständig, als würden sie ferngelenkt.
Hinter den Krügen gab es eine Fuge der Wandverkleidung der Grabkammer, die seltsam aussah und die man leicht übersehen konnte. Der junge Beduine zückte sein Messer und schob es in die Fuge, hebelte mit einer ungewöhnlich konzentrierten, kräftigen Bewegung einen der Steine aus der Wand und tastete dann mit der Hand vorsichtig in den dunklen Spalt hinein. Jeder andere Gedanke entschwand aus seinem Verstand.
Seine Finger glitten über etwas Kantiges.
Offensichtlich gab es hier eine Art geheimes Fach, in dem sich ein Kasten oder dergleichen befand. Und von einem Moment zum nächsten ging Razul aller Bedenken und jedweder Furcht verlustig. Er packte, das Messer weglegend, den nächsten Stein an und zerrte ihn keuchend aus seiner Fassung.
Dann versuchte er, mit schon schweißbedecktem Gesicht, den Kasten, den er nun deutlich ertasten konnte – mehr als armlang – , herauszuholen. Aber er erwies sich als zu hoch. Er polterte nur dumpf gegen die Umfassung seines Verstecks. Der Kasten war ganz klar noch vollkommen massiv, kein bisschen brüchig. Der junge Beduine begriff, dass er erst noch die unteren beiden Steine lösen musste, um die Öffnung groß genug zu machen. Der Kasten musste zur Gänze herausgeholt werden.
Stumm und verbissen nahm Razul sein Messer wieder auf und kratzte den trockenen, porösen Mörtel aus den Fugen der umliegenden Wandsteine. Schließlich trat er dann gegen die Steine und lockerte sie damit endgültig. Gleich … gleich würde die Öffnung groß genug sein, um den Kasten hervorzuziehen …
„Was machst du denn da?“, fragte sein Onkel, nun registrierend, dass hier etwas geschah, was ungewöhnlich war.
Razul antwortete nicht. Er warf den dritten Stein beiseite, dann den vierten, und er achtete nicht darauf, dass er dabei ein Salbengefäß zertrümmerte. Er hatte nur noch Blicke für den Kasten, den er in der dunklen Nische mehr ertasten denn sehen konnte.
Er war in der Tat gut armlang und besaß einen leicht gewölbten Deckel. Er bestand scheinbar aus stabilem Eibenholz, fast schwarz angelaufen vor Alter, die Beschläge schienen aus Kupfer zu sein und waren völlig grün korrodiert. Der Kasten wog sicherlich zehn Kilogramm, eher deutlich mehr, aber Razul spürte das Gewicht nicht. Es war ihm auch vollkommen gleichgültig. Er zerrte ihn aus seinem Versteck, in dem er seit ewigen Zeiten geruht hatte.
„Ha, das ist wohl der Hauptgewinn“, schätzte sein Onkel Ali, der sich nun triumphierend neben ihn hockte. Das sah doch wirklich nach einem tollen Fund aus! Extra versteckte Schätze in Grabkammern waren stets besonders wertvoll. „Gut gemacht, Razul. Nun lass mich doch mal schauen, was da drin …“
Der rüde Ellenbogenstoß seines Neffen kam so schnell und unerwartet, dass Ali überrumpelt zurückgeworfen wurde und über einen der Ziegel stolperte. Nur mit Mühe konnte der alte Beduine und Grabräuber verhindern, dass er beim Sturz mit dem Kopf gegen eine der steinernen Bettlager prallte und sich schwer verletzte. Aber auch so brauchte er Sekunden, bis er sich wieder aufrappeln konnte.
„Was fällt dir ein, du dummer Bengel?“, fluchte er zornig. Das war ja wohl eine verdammte Unverschämtheit! „Bist du eigentlich verrückt geworden? Ich bin dein Onkel! Ich habe diese verfluchte Grabkammer gefunden … was bildest du dir eigentlich …?“
Er sprach nicht zu Ende.
Razul hatte den Kasten geöffnet und hob nun das, was darin lag, ins Licht der Lampe.
Ali verschlug es die Sprache.
Der junge Beduine hielt einen unterarmlangen Stab ins Licht. Der Stab selbst bestand wohl aus Bronze, war aber in keiner Weise oxidiert, sondern glühte in einem mattgoldenen Schimmer. Gekrönt wurde der Stab von einer offensichtlich fest daran verankerten Kugel, die aus reinem Gold zu bestehen schien. Und nun, im Licht der Lampe, sah es beinahe so aus, als sprühe diese Kugel goldene und rötliche Funken. In dieser Beleuchtung war deutlich zu sehen, dass die Kugel graviert war und feine Ziselierungen besaß.
Sie sah unglaublich kostbar aus.
Der gesamte Stab war ein phantastischer, einmaliger Kunstgegenstand und übertraf an Schönheit alles, was Ali jemals aus Gräbern geraubt hatte – auf dem schwarzen Antiquitätenmarkt bekam er für dieses Ding ein Vermögen!
„Razul! Das ist phantastisch …“, sagte er heiser. Sein Zorn von eben hatte sich verflüchtigt. „Hast du eine Vorstellung davon, was wir für so ein Stück verlangen können? Das bringt uns ein Vermögen ein …“
Sein Neffe drehte sich zu ihm um, den Stab in der Hand. Sein Gesicht war vollkommen ausdruckslos, jedenfalls für einen Augenblick, geradezu Furcht einflößend emotionslos. Razuls Augen waren schwarz wie die Nacht.
Dann verzog sich sein Mund zu einem Lächeln, einem für diesen jungen Mann völlig unbegreiflichen, unüblichen Lächeln, das geradezu grausam und triumphierend wirkte. Razuls Augen schienen noch finsterer als bisher zu sein. Düster wie der Tod selbst, und ebenso gnadenlos.
Ali merkte jäh, wie sich eisige Furcht seiner bemächtigte.
„Razul … was ist los? Was soll das?“
Der junge Beduine stand ruhig und schweigend auf, soweit die Höhe der Grabkammer das zuließ, immer noch grausam grinsend. Er hob den schweren bronzenen Stab mit einer klaren, mörderischen Absicht.
„Nein!“, schrie Ali ungläubig auf. Er hob voller Entsetzen abwehrend seine Arme. „Nein, Razul, nein …!“
Es war nutzlos.
Razul schlug gnadenlos zu, zehnmal, zwanzigmal, und kein Schrei, kein Wimmern, keine abwehrende Bewegung konnte ihn aufhalten. Er hörte erst auf, als die Wände der Grabkammer mit Blutflecken gesprenkelt waren und sein Onkel leblos zwischen den verwitterten Gerippen dalag. Er wischte den blutigen Schatz an dem Burnus seines Opfers sauber, ohne jedes Gefühl. Seine Miene war wie Stein, völlig unmenschlich.
Dann nahm der junge Mann den Beutel mit den Schmuckstücken und die Lampe, und er verließ die Grabkammer ohne jedes Gefühl der Reue oder des Bedauerns. Auf dem Gang hielt er noch einmal kurz inne und drehte sich um. Nach einem Moment, in dem ihn seltsame Gedanken zu erfüllen schienen, tippte der junge Beduine mit dem fremdartigen Stab gegen die eigentlich sehr solide Lehmziegelmauer.
Die Berührung reichte – die gesamte Grabkammer stürzte donnernd wie ein Kartenhaus in sich zusammen und zermalmte den Leichnam seines Onkels.
Razul aber stieg seelenruhig und ohne noch einen Gedanken an den eben ermordeten Verwandten zu verschwenden, hinaus aus der Grabanlage. Als er ans Licht des dämmernden Morgens kletterte, streichelte er den fremdartigen, uralten Stab wie eine sanftmütige Geliebte. Und der Stab, getroffen vom Licht der verblassenden Sterne, sang lautlos in seinem Geist von vergangener Größe und erzählte uralte Geschichten, als sei er ein lebendiges Wesen.
Zugleich ging Razul ein Gedanke durch den Kopf, der nicht der seine war: ‚Nun ist es an der Zeit. Jetzt beginnt alles.’
Dass er nur ein Werkzeug war, ahnte der junge Razul nicht …
Damit betritt der Babylonische Stab die Bildfläche. Und er bringt ausschließlich Unheil, wie sich rasch herausstellt. Denn wer auch immer ihn benutzt, dem folgt eine Schleppe von Mord, Totschlag, Verrat und Zerstörung.
Im unruhigen, von Bürgerkriegen zerrissenen Irak – der Nahe Osten ist im Zuge der Dekolonisierungsbewegungen schon sehr viel früher als in unserer Welt politisch instabil geworden, was auch beispielsweise Ägypten betrifft – verschwindet der Stab erneut.
Im April des Jahres 2034 versucht der junge Wissenschaftler Gerd Kartland, der der Organisation WEOP angehört (Weltgemeinschaft zur Erforschung Okkulter Phänomene), deren Sitz in Rom ist, das nach außen weitgehend politisch abgeschottete Ägypten zu bereisen. Sein Ziel ist ein legendärer britischer Forscher, Dr. Henry Cavendish, den er nach okkulten Relikten befragen möchte.
Doch Kartlands Reise steht unter einem Unstern. Als er Dendera House erreicht, ist der Manager des Hotels völlig aufgelöst und fassungslos. In der Erwartung, Kartland (der Deutsche wird von ihm für einen Briten gehalten) könne ihm helfen, bringt er ihn zu Cavendishs Suite. Und hier wird dem Deutschen klar, dass Cavendish keine Fragen mehr beantworten wird:
Es war ihm geschickter erschienen, als Mitarbeiter des Britischen Museums in London aufzutreten und den Kontakt zu Cavendish zu suchen …
… und nun war das alles vergebens.
„Grundgütiger Gott!“, flüsterte er nun wie betäubt, als er im Arbeitszimmer des Archäologen stand und endlich sah, was den Hotelmanager Rasheed so in seiner Fassung aufgelöst hatte.
Auf einmal verstand er, dass die Probleme gerade erst begonnen hatten.
Richtige Probleme!
Cavendish würde keinerlei Fragen mehr beantworten.
Er saß zusammengesunken an seinem Schreibtisch, eine Hand zu dem aufgeschlagenen Notizbuch ausgestreckt, über dem ein Block lag. Darauf stand Kartlands Name und die Terminnotierung für heute früh, zusammen mit seiner Telefonnummer im Hotel, in dem er abgestiegen war.
„Deshalb, Sir … deshalb habe ich zuerst Sie angerufen … ich meine … das war doch sicher richtig, oder? Bitte, Sir, sagen Sie mir, dass das richtig war …!“
Das war die nervöse, dünne Stimme des ganz aufgelösten Managers hinter ihm. Sie klang fast wie ein ängstlicher Ruf aus einer anderen Welt – denn Gerd Kartland hatte das betäubende Gefühl, auf einmal in jene Sphäre der Märchen und Legenden entrückt worden zu sein, an deren Allgegenwart viele spirituell überzeugte Ägypter immer noch glaubten.
Kartland starrte den Toten in seinem Rattansessel weiterhin wie betäubt an – er konnte den Anblick noch nicht restlos verarbeiten, verstehen sowieso nicht – und antwortete darum eher automatisch: „Ja, natürlich … ja, Mr. Rasheed, das war ganz richtig so. Das haben Sie gut gemacht.“
„Und was … was TUN wir jetzt? Bitte … ich habe so etwas noch nie erlebt! Bitte sagen Sie mir, was wir denn nur tun können … sind meine Frau, meine Kinder oder ich … sind wir jetzt auch in Gefahr?“, wimmerte der mollige Ägypter weiter, dessen Fassung unaufhörlich weiter erodierte. Er war schon den Tränen nah.
Kartland riss sich mühsam zusammen und drehte sich zu ihm um. Panik war das Allerletzte, was er jetzt zulassen durfte, auch wenn er selbst ebenfalls dicht davor stand, hysterisch zu werden. Er wandte sich um, fasste den schlotternden Manager an den Schultern und sagte, so fest es ihm möglich war: „Mr. Rasheed! Reißen Sie sich bitte etwas zusammen! Und tun Sie sich und uns allen bitte einen Gefallen – verlieren Sie nicht die Nerven! Es war GUT, dass Sie mich angerufen haben, und das sollte vorerst auch Ihr einziger Anruf sein, haben Sie mich verstanden?“
„Ich … ich … ja!“, brachte Rasheed mühsam hervor.
Seinem deutlich blasser werdenden Gesicht war anzusehen, dass er durchaus nicht verstand. Aber er richtete sich nur zu gerne nach Kartlands Order, weil er jetzt irgendetwas brauchte, irgendjemand, der ihm Orientierung gab. Zweifellos war Mr. Rasheed in seiner Militärdienstzeit nicht sehr hoch aufgestiegen. Er gehörte zu den subalternen Personen, die bei unerwarteten, zumal grässlichen Ereignissen sofort einknickten und ängstlich Zuflucht bei Autoritäten suchten. Gerd war für diese Entdeckung sehr dankbar und nutzte den Umstand sofort aus. Das mochte die einzige Chance sein, aus diesem verdammten Mist mit heiler Haut zu entkommen.
Denn dass er augenblicklich in Lebensgefahr schwebte, konnte als sicher gelten. Er musste jetzt schnell, beherzt und konzentriert handeln.
„Kommen Sie bitte mit!“ Kartland führte den Ägypter zur Tür der Suite und redete leise auf ihn ein: „Weiß sonst noch jemand von diesem Vorfall …? Nein? Gut so! Dann belassen Sie es bitte auch dabei. Tun Sie nach außen hin bitte so, als wäre nichts Dramatisches vorgefallen … ja, ich weiß, Dr. Cavendish verhält sich gerade etwas … seltsam. Nun, dann sagen Sie einfach, er fühle sich derzeit nicht wohl und habe Sie benachrichtigt, dass er heute viel Ruhe bräuchte und von den üblichen Plänen für den Tag abgehe. Er möchte erst einmal nicht gestört werden … sehen Sie, seine Frau …“
Rasheeds Augen weiteten sich. Er nickte hastig und begann zu verstehen. Sein bislang panischer Verstand lief wieder an. „Ja … ja … sicher … seine Frau … große Trauer … ich verstehe … natürlich … er wird ganz ungestört bleiben, wirklich, ganz bestimmt …“
„Gut so, mein Freund. Und ich werde mir das jetzt etwas genauer ansehen und Sie informieren, was wir anschließend machen. Beizeiten werden natürlich die Behörden informiert werden müssen, aber das schieben wir jetzt noch etwas hinaus. Die Angelegenheit ist … etwas heikel.“
„Ja! Ja! Natürlich!“ Der Manager des Hotels zeigte sich unendlich erleichtert darüber, dass ihm jemand wie Kartland das Denken abnahm, dass er ihm klare WEISUNGEN gab, damit er wusste, wie er sich verhalten sollte. Es kam ihm in seiner desolaten Gefühlslage nicht in den Sinn, gescheite Rückfragen zu stellen. Subalterne Militärsoldaten – Rasheed war definitiv nicht sehr weit in der Rangfolge des Militärs aufgestiegen, als er gedient hatte.
Gerd Kartland tat es zwar in der Seele weh, den armen, braven Kerl so in die Irre führen zu müssen, aber es ging einfach nicht anders. Als Abdul Rasheed wenige Minuten später nach unten verschwand, um die Tarnung aufzurichten, dass der hoch verehrte Dr. Cavendish sich derzeit nicht wohl fühle und von einem akuten Schub äußerst verständlicher Melancholie befallen worden sei, ausgelöst durch die Erinnerung an seine jüngst verstorbene Frau, da schloss Gerd Kartland die Tür fest, verriegelte sie von innen und lehnte sich dann dagegen.
„Puh!“, schnaufte er und wischte sich die schweißnasse Stirn ab. „Das war verdammt knapp!“
Als sich seine Fassung wieder hinreichend stabilisiert hatte, ging er langsam wieder zum Schreibtisch zurück und sah auf Dr. Cavendishs Leiche hinab. Denn eine Leiche war er, unzweifelhaft. Er würde den Gesprächstermin gewiss nicht mehr einhalten.
„Das hier würde mir niemand glauben“, murmelte er und zog seine kleine Automatikkamera, die er immer mit dabei hatte, um eine Serie von Fotos zu schießen.
Dr. Cavendish, von Natur aus ein Hüne von Gestalt, war wettergegerbt und besaß schulterkurzes, schlohweißes Haar. Aber man konnte vollkommen sicher sein, dass er vor heute früh noch keine MUMIE gewesen war.
Nun aber hing er in seinem Sessel, nur noch aus Haut und Knochen bestehend, das Gesicht zu einer irrwitzigen Karikatur einer Pharaonenmumie verzerrt, die Zähne bleckend, wobei ein paar Goldkronen scheußlich im Morgenlicht funkelten. Allein die mürben Leinenbinden fehlten, um den Eindruck zu vervollständigen, dass sich der britische Gelehrte über Nacht auf entsetzliche Weise den alten Pharaonenherrschern angeglichen hatte, die zu erforschen seine Profession gewesen war. Genau so sah er nämlich leider aus.
Irgendetwas oder irgendjemand hatte Cavendish in der Nacht oder den frühen Morgenstunden ermordet … vermutlich bald nach Mitternacht. Und die Intention war offenbar gewesen, sein Zusammentreffen mit Kartland zu vereiteln, aus welchem Grund auch immer.
Von der Art dieses tödlichen Anschlags konnte sich Kartland allerdings keine Vorstellung machen. Wenn er über Cavendishs Aussehen nachdachte, konnte er selbst fast anfangen, an Dämonenzauber zu glauben. Aber wie der Forscher auch immer ums Leben gekommen sein mochte – die Tat wirkte in diesem Land zweifellos ausgezeichnet auf die armen, abergläubischen Teufel. Er wollte sich lieber nicht vorstellen, was Cavendishs rätselhafter Tod mit den internationalen Beziehungen Ägyptens anstellte …
Der WEOP-Mann tat also, was er tun musste – in Windeseile durchsuchte er den Schreibtisch und die Schränke des verstorbenen Ägyptologen, wobei er zahlreiche weitere Dokumente ablichtete. Den interessantesten Fund machte Gerd Kartland allerdings in dem Notizbuch unter Cavendishs Händen. Es enthielt seitenweise Namen und Telefonnummern, und ein kleiner Zettel war herausgeflattert und am Boden gelandet.
Vorsichtig hob er ihn auf.
Er zeigte eine faszinierende Skizze eines Kunstgegenstands: offensichtlich eine Art von Zeremonialzepter mit runder Grundfläche, möglicherweise unterarmlang oder etwas größer. Es gab leider keinen Anhaltspunkt für die Größenschätzung. An der oberen Seite des Objekts befand sich ein kugelförmiger Aufsatz mit angedeuteten Gravuren.
Gerd Kartland erschauerte, als er das Objekt sah. Die Skizze war leider nur recht flüchtig. Dennoch … ein ganz seltsamer Eindruck wurde durch dieses Objekt erzeugt. Und als er den kleinen Zettel umdrehte und die Kurzschriftzeichen Cavendishs darauf erkannte, war ihm klar, dass es sich dabei um ein Artefakt handeln musste, von dem er noch nicht sehr lange Kenntnis hatte.
Der WEOP-Mann hätte dieses Blatt wie alle anderen hier lassen und es einfach ablichten können, aber spontan entschied er sich dafür, es einzustecken. Die Kurzschriftzeichen waren nur mit Bleistift angebracht – genau mit jenem Bleistift, der neben Cavendishs verdorrten Fingern lag! – , und es würde vermutlich eine ganze Weile an Zeit kosten, diese Notizen zu entziffern.
Zeit, die er nun nicht mehr hatte. Nicht vor Ort jedenfalls.
Cavendish war ein berühmter, in Ägypten sehr angesehener Mann … und Kartland erinnerte sich bestens der mahnenden Worte von Mohamed Singh, was den Aberglauben anging. Wenn Abdul Rasheed irgendwelche Zweifel an seiner Identität bekam, war es von dort bis zu der Befürchtung, Gerd Kartland sei verantwortlich für Cavendishs Tod, nur noch ein Katzensprung. Und sobald herauskam, dass Kartland unter falschem Namen in Ägypten arbeitete und in Wahrheit gar kein Engländer war …
Nun, Gerd Kartland muss Ägypten hastig verlassen. Aber zuvor gelingt es ihm noch, die Notizen zu entschlüsseln, die darauf hinweisen, dass das Artefakt auf der Skizze – der Babylonische Stab – im Irak gefunden worden sein muss und sich wohl noch dort befindet.
So begibt er sich, weitgehend ohne Rückendeckung, inkognito in das chaotische Bürgerkriegsland und versucht dieses Relikt ausfindig zu machen.
Die Details dieser Passagen habe ich noch nicht gesehen und konnte sie folgerichtig nicht niederschreiben. Aber allein das, was schon an weitgehend ausgearbeiteten Szenenblenden und Skizzen existiert, umfasst inzwischen 34 Textseiten. Es ist also durchaus davon auszugehen, dass diese Geschichte wenigstens eine Novelle wird, vielleicht sogar ein Roman vom Format des Romans „Das Geheimnis von Church Island“.
In gewisser Weise gibt es hierzu noch eine strukturelle Ähnlichkeit – denn wie dieser Roman ein Scharnier darstellt zwischen den E-Books „DER CLOGGATH-KONFLIKT 1: Vorbeben“ und „DER CLOGGATH-KONFLIKT 2: Monstererwachen“ verhält es sich mit obigem Werk „Spurensuche in Babylon“. Es ist gewisser ein Prequel zur KGTDUS-Serie. Denn wie oben dargelegt, ist Gerd Kartland ja am Anfang der Serie im Besitz des Babylonischen Stabes.
Es kann noch geraume Zeit dauern, bis ich die restlichen noch fehlenden Puzzleteile dieser Geschichte ausfindig gemacht und in passende Reihenfolge gebracht habe. Aber was ich bis jetzt schon sehen kann, ergibt eine phantastische und farbenprächtige Story.
Wichtig ist, dass hier ein konsistentes World-Building greift. Das ist bei der seltsamen KGTDUS-Welt gar nicht so einfach. Ich habe allerdings einen ganz entscheidenden Vorteil, vielleicht sogar mehrere: Da der KONFLIKT 18 noch in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts geschrieben wurde, ist er (negativ gewendet) höchst rudimentär. Personencharakterisierungen existieren selbst für Hauptprotagonisten nur recht schlicht und holzschnittartig. Da dort so vieles noch gar nicht ausdefiniert wurde, ist das ein klarer Vorteil für mich. Wenn ich für die Babylon-Geschichte einen World-Building-Background entwickle, kann ich ihn nachher auch für die gesamte Welt anwenden, sobald ich daran denke, KONFLIKT 18 zu überarbeiten.
Der zweite Vorteil, den es gibt ist dieser: Das Digitalisat „18Neu“ dieses KONFLIKTS wurde im Juni 2018 abgeschlossen. Ich kann also einen raschen Zugriff auf die Fakten der Serie sicherstellen – etwas, was vor zwanzig Jahren beispielsweise kaum möglich war. Noch schöner wäre es natürlich, wenn auch schon das Glossar und das Begriffsregister zu KONFLIKT 18 fertig wäre. Doch sind das leider noch Baustellen.
Aber wie bei allen Langzeitprojekten kennt ihr das von mir – es sind aus genau solchen Gründen Langzeitprojekte, und es dauert, bis sie fertig sind. Doch da sich in diesem Projekt Archäologie und OSM-Grundwissen treffen, bin ich relativ zuversichtlich, dass „Spurensuche in Babylon“ 2024 weitergeschrieben werden wird. Aber wann sie fertig ist, wage ich nicht zu prognostizieren …
In der nächsten Woche kehren wir in die Artikelreihe „Aus den Annalen der Ewigkeit“ zurück und machen dort ebenfalls eine kleine Zeitreise in die jüngere Vergangenheit.
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.