Liebe Freunde des OSM,
auch an dieser Stelle möchte ich euch willkommen im neuen Jahr 2024 heißen. Denn es kann ja sein, dass ihr Connaisseurs seid oder Leckermäulchen, die nicht regelmäßig meinem Blog folgen. Möglicherweise pickt ihr euch auch die Rosinen heraus nach den Vorabinfos in der ESPost, um nur punktuell meinem Blog zu folgen … es spielt letztlich keine Rolle, entscheidend ist, dass diese Zeilen gelesen werden und die darin kommunizierten Gedanken auf fruchtbaren Boden fallen.
So verfahre ich auch traditionell bei Gesprächen mit Freunden und neuen Bekannten. Denn wenngleich ich dieses Projekt derzeit aus beruflicher Beanspruchung heraus auf Sparflamme betreibe, heißt es keineswegs, dass sich hier nichts tut. Oder dass ich irgendwie einroste.
Der Gedanke des Autoren-Nachlassarchiv-Projekts ist, wie ich jüngst meinem Arbeitskollegen Özgür entwickelte, einer von der Art, die nicht einfach von der Agenda verschwinden kann, wenn man nur wenig Zeit hat, sich darum zu widmen. Er hat sehr viel mehr von einer immer wieder aufbrechenden Wunde an sich … man weiß, dafür ist jetzt wirklich kein geeigneter Zeitpunkt, dennoch muss man sich darum einfach kümmern.
Und Impulse für solche wieder aufflammenden Gedanken gibt es, zumal zum Jahresbeginn, leider reichlich. Ich gebe dazu nur mal zwei kurze aktuelle Inputs:
Ich habe den digitalen Newsletter des Börsenblatts des deutschen Buchhandels abonniert, der in der Regel zweimal täglich eintrifft (Wochenenden ausgenommen). Und obgleich ich da immer mit der Lektüre hinterherhinke, gibt es doch Meldungen, die mich so elektrisieren, dass ich da gleich weiterlesen muss.
Eine solche Meldung war jüngst der Nekrolog, der in Kurzform alle die Leute auflistete, die die Buchbranche im vergangenen Jahr verloren hat, kalendarisch von Januar bis Dezember aufgereiht … ich dachte, diese Auflistung von Autoren, Übersetzern, Verlegern, Buchhändlern, Influencern usw. hört gar nicht mehr auf, es waren Aberdutzende!
Und das war lediglich ein einziges Jahr, das Jahr 2023.
Ich mag mir gar nicht vorstellen, was speziell die Autoren darin – durchaus so prominent, dass ihrer an dieser Stelle erinnert wurde, also wohl keine potenziellen Aspiranten für mein Projekt – , noch an angefangenen, nicht vollendeten Projekten „auf Halde“ liegen hatten. Was für Werke wegen ihres Ablebens nicht mehr realisiert werden konnten. Und was davon vielleicht für immer dem Vergessen anheimfallen wird, weil sich niemand berufen fühlt, diese Texte für die Nachwelt zu bewahren und für jenen Zeitpunkt zu erhalten, wo sie vielleicht das Licht der Öffentlichkeit erblicken können.
Zu sagen, dass ich schockiert war, wäre eigentlich Tiefstapelei. Ich merkte hieran jedenfalls unmissverständlich, wie aktuell und drängend das Thema ist, um das ich mich im Projekt zu kümmern gedenke. Wie ich Özgür sagte: „Das Thema verschwindet nicht von der Agenda, und es wird auch nicht unwichtiger, sondern immer größer und drängender.“
Das ist meine Überzeugung, die sich leicht auch durch meinen zweiten Punkt bestärken lässt.
Ich scanne quasi routinemäßig wöchentlich den Nekrolog der WIKIPEDIA. Man mag von WIKIPEDIA halten, was man mag … in diesem Punkt ist die Seite durchaus aktuell und hat in der Regel traurige Nachrichten parat. Dabei fokussiere ich favorisiert auf Autoren, wie man sich denken kann. Hier tauchen viele Personen auf, die ich entweder nicht auf dem Schirm habe oder die außerhalb der WIKIPEDIA-Community keine hohen Wellen schlagen. Gerade die Autoren der SF-Community, die hier vermeldet werden, erzeugen in der Regel kaum Widerhall. Das gilt umso mehr, wenn es sich um Verfasser handelt, deren Werke a) phantastischen Inhalts sind und die b) selten bis gar nicht ins Deutsche übersetzt worden sind. Ich habe auf diese Weise in den letzten Monaten schon mehrere angloamerikanische Autoren mit einer durchaus beeindruckenden Backlist gesehen, die jüngst hoch betagt verstarben und die ich noch nie zur Kenntnis genommen hatte.
Gestorben wird immer, das ist eine Binsenweisheit … aber in diesem Fall demonstriert mir das genau das, was ich oben andeutete: Das Problem des Wegsterbens der – in diesem Fall: phantastischen – Autoren (prüft das ruhig in der WIKIPEDIA mal für 2023 nach) wird nicht kleiner, es wird größer. Denn immer mehr von ihnen kommen, und da bin ich natürlich auch keine Ausnahme, in ein Alter, in dem sinnbildlich „die Einschläge näher kommen“.
Was im Zweifelsfall bedeutet: Die Frage, was mit den Hinterlassenschaften dieser kreativen Geister geschieht, stellt sich von Jahr zu Jahr mit größerer Dringlichkeit. Es wäre albern, dies in Abrede zu stellen.
Natürlich bedeutet das auch im Jahr 2024 nicht, dass es einfacher geworden wäre, die zentralen Schwierigkeiten bei der Realisierung des Projekts zu managen. Sie sind dieselben wie von Anfang an. Um nur ein paar davon zu verbalisieren: Wie finanziert man so ein Projekt? Wie soll es physisch aussehen? Sammeln wir analog oder digital oder (wenigstens im Anfang) auf beiden Schienen? Wie regelt man die rechtlichen Fragen im Kontext mit dem Urheberrecht, mit den Tantiemen, den Verlagen? Was für eine juristische Form soll das Archiv letztlich haben? Wie sieht es mit dem kontrollierten Zugang zu den gesammelten Materialien aus?
Als ich jüngst mit Özgür diesen für ihn völlig fremdartigen Gedanken entwickelte, merkte er schon nach sehr kurzer Zeit, wie hochkomplex das Thema ist. Das stellte ich auch nicht in Abrede.
Natürlich, gab ich bereitwillig zu, sei die Realisierung dieses Projekts ein „Bohren dicker Bretter“, weil manch einer, dem ich davon berichtete, ängstlich-nervös ob der Größe der Aufgabe zurückschreckte. Andere waren von einem entnervenden Pragmatismus erfüllt: „Was ich schreibe, veröffentliche ich. Was ich nicht zu veröffentlichen schaffe, tja, das ist eben perdu.“ Eine in meinen Augen nicht eben praktikable oder der Problematik angemessene Individuallösung, die wohl nur den wenigsten helfen wird, die sich beizeiten wegen dieses Themas an mich wenden werden.
Unnötig zu betonen, dass beide Haltung nicht eben konstruktiv sind, was den Projektgedanken angeht. Es sind klare Ausweichstrategien, die getroffen werden, um an dem Thema selbst besser nicht zu rühren, für das man keine Lösung sieht. Der Tod ist eben immer noch ein Tabuthema, das schimmert hier deutlich durch.
Ist nicht meine Herangehensweise.
Ihr merkt vielleicht an den obigen Zeilen: Ich bin nach wie vor am Thema dran und lote derzeit Möglichkeiten aus, die gerade den Punkt der Finanzierung vielleicht klären helfen … aber dazu kann ich im Augenblick noch nichts weiter sagen. In diesem Jahr stehen noch mehrere dieser Artikel auf meiner Agenda, und da werde ich euch zum einen mehr über meine 2022 begonnenen Aktivitäten erzählen können, zum anderen auf aktuelle Ereignisse wie oben eingehen. Und dann gibt es da einige Fragen, die mir in diesem Zusammenhang schon lange auf der Seele liegen. Eine davon thematisiere ich im nächsten Beitrag dieser Artikelreihe.
Ich danke euch für eure Aufmerksamkeit und schließe für den Moment diesen Beitrag. In der kommenden Woche stelle ich vor, was ich im Mai 2023 kreativ „gebacken“ bekommen habe.
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.