Liebe Freunde des OSM,
das ist jetzt gewissermaßen das absolute Kontrastprogramm zur Buchvorstellung der vergangenen Woche. Vorausgesetzt werden muss natürlich – und das kann ich vermutlich nur bei LeserInnen des Blogs – , dass eine gewisse Neigung zu romantischen Romanen, Großfamilien und Love-Happy-Ends existiert. Wer aber die bisherigen Romane von Samantha Youngs „Edinburgh Love Stories“-Zyklus mit Vergnügen gelesen hat, der wird beim vorliegenden Roman voll auf seine Kosten kommen. Das ging mir bei der Lektüre ganz genauso, ihr werdet es merken.
Mit einer zeitlichen Distanz von vier Jahren zur Rezension fällt mir übrigens auf, dass diese Neigung zur Bildung von Großfamilien nicht allein auf Samantha Young beschränkt ist. Ihr findet das auch bei Lauren Rowe im Fortgang ihres „The Club“-Zyklus und besonders ausgeprägt dann bei Layla Hagens Romanzyklus „Diamonds for Love“, den ich kürzlich auslas und dessen anschließend verfasste Rezensionen ich beizeiten hier präsentieren werde.
Erst mal geht es zurück nach Edinburgh, und da lohnt es sich, an den Rezensions-Blog 424 und vorherige zu diesem Zyklus zu denken. Sonst könnte es personell rasch zuviel werden.
Aber schaut einfach erst mal:
Scotland Street – Sinnliches Versprechen
(OT: Echoes of Scotland Street)
von Samantha Young
Ullstein 28693
384 Seiten, TB
Januar 2015, 9.99 Euro
Aus dem Englischen von Nina Bader
ISBN 978-3-548-28693-8
Shannon MacLeod wohnt eigentlich mit ihren Eltern und Geschwistern in Glasgow, aber sie flüchtet sich recht gern zu ihrer Großmutter in die Scotland Street nach Edinburgh, weil sie sich im Elternhaus unverstanden fühlt. Sie ist fünfzehn, als sie kurz vor dem Abholen durch ihren damaligen Freund Ewan während des Wartens Kontakt zu einem deutlich größeren, aber gleichaltrigen Jungen bekommt und mit ihm ein wenig plaudert.
Sein Name ist Cole Walker, und ganz offensichtlich haben sie mindestens denselben Musikgeschmack. In den wenigen Minuten, die sie miteinander haben, fühlen sie sich vollkommen auf derselben Wellenlänge. Dann taucht Ewan auf, und sie verlieren sich aus den Augen. Und Shannons Leben geht in der Folgezeit fast vollständig den Bach herunter. Denn sie verguckt sich in den nächsten Jahren notorisch in die falschen Kerle und macht eine harte Zeit durch.
Neun Jahre später ist sie wieder in Edinburgh, älter und reifer und durch zahlreiche biografische Katastrophen sowohl mental wie finanziell beinahe völlig am Boden. Sie hat ihre Familie hinter sich gelassen und viele Dinge, über die sie nicht reden will. Und jetzt möchte sie sich nur noch ein eigenes Leben aufbauen. Erster Punkt auf der Agenda: einen Job ergattern. Denn ohne Job klappt auch Punkt 2 auf der Agenda nicht: ein gescheites Dach über dem Kopf.
Da sie in Glasgow über ein Jahr in einem Tattoostudio gearbeitet hat, sucht sie zielsicher auch hier nach einem neuen Job und findet so INKarnate, das Studio des sehr bekannten Tätowierers Stuart Motherwell. Er sucht eine Bürokraft, um seine chaotische Buchführung und Ablage zu ordnen. Hier macht sie, die aufgrund ihrer geringen Körpergröße von dem hünenhaften Stuart sofort als „kleine Elfe“ eingestuft wird, sehr schnell Bekanntschaft mit den meisten Mitarbeitern des Studios, die sie anfangs als etwas … nun … seltsam einstuft. Da ist die herrische und einschüchternde Rae mit ihrem lockeren Mundwerk und der Neigung, oft und innig zu fluchen. Und dann ist da Simon, ein muskelbepackter und tätowierter Kerl, der bei Shannon alle Alarmglocken schrillen lässt … bis sie hört, dass er stockschwul und in einer festen Beziehung ist.
Also … vielleicht ist es ja doch nicht unmöglich, hier zu arbeiten? Am besten wird es sein, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. Im Nu hat sie den Job und kann mit der Arbeit anfangen, die ihr leichter von der Hand geht, als sie geglaubt hat.
Schnell erkennt sie, dass sowohl Stuart eine Seele von Mensch ist, und dass sich hinter Raes oft schroffem Verhalten ein echtes Herz aus Gold versteckt – dass sie aber auch keinen Hehl aus ihrer Meinung sagt, zum Teufel noch mal, was die Welt dazu sagt. Das muss Shannon dann erst mal schlucken. Und auch Simon erweist sich als wirklich netter Kerl.
Und dann ist da noch Stuarts Manager – denn Stuart zieht sich allmählich aus dem Geschäft zurück und überlässt seinem Manager, den Shannon am ersten Tag nicht trifft, zunehmend das Feld.
Das ist ein inzwischen hünenhafter, muskelbepackter und tätowierter Mann, der auf den Namen Cole Walker hört. Sie trifft fast der Schlag, als sie das entdeckt. Und obgleich neun Jahre vergangen sind und sie sich beide stark verändert haben, erinnert er sich auf verrückte Weise immer noch an sie – ebenso wie sie selbst auch.
Shannon gibt indes zum Selbstschutz vor, sich nicht mehr zu entsinnen und versucht, Abstand zu halten. Sie hat wirklich in der Vergangenheit genug Ärger mit Beziehungen gehabt, die entweder Musiker oder tätowierte Muskelberge beinhalteten, und jeder einzelne davon hat sich als egozentrischer, treuloser Mistkerl entpuppt. Als Cole sie nun auch ungeniert angräbt, schiebt sie ihn unweigerlich sofort in dieselbe Schublade und verletzt ihn schließlich so verbal sehr hässlich.
Daraufhin verändert sich das Arbeitsklima in der kleinen Firma drastisch, und die „Eiszeit“, die nun zwischen den beiden einsetzt, stört empfindlich die Arbeitsatmosphäre. Da Shannon inzwischen bei Rae eingezogen ist, die sich als sehr gute Freundin von Cole versteht, entkommt die Glasgowerin auch in den eigenen vier Wänden dem von ihr ausgelösten Stress nicht. Es dauert indes geraume Zeit, während sich das Klima mit ihren neuen Freunden zunehmend verschlechtert, bis Shannon endlich aufgeht, dass sie Cole offenkundig vorschnell verurteilt und zugleich völlig falsch eingeschätzt hat.
Da aber ist sie bereits zwischen zwei Polen hin und her gerissen. Zwischen ihrer Familie in Glasgow, ihrem im Gefängnis sitzenden Bruder Logan (der ihretwegen im Gefängnis sitzt!) und Cole sowie dessen weitläufiger und zumeist nicht blutsverwandter Familie, die von Coles bester Freundin Hannah (!) ironisch „der Clan“ genannt wird.
Es dauert, bis sie wenigstens einer Person in ihrem Umfeld ein wenig mehr von ihrer geheim gehaltenen, schmerzhaften Vergangenheit erzählen und so ihre Haltung wenigstens im Ansatz verständlich machen kann. Als sie dann aber ihre Eigeneinschätzung Coles wiedergibt, erntet sie nur ungläubiges Gelächter – und den guten Rat, sie solle sich wirklich nicht soviel mit Vorurteilen befassen, sondern mal über ihren Schatten springen.
Doch dieser Schatten beinhaltet auch ihre eigene Familie – und der Versuch, sowohl Cole wie auch ihre Familie zufrieden zu stellen, mündet letztendlich in einer tränenreichen Katastrophe. Und es scheint für alles zu spät zu sein …
Es ist schon eine schöne Entdeckung, wenn man mehrere Monate lang nicht in Samantha Youngs „Edinburgh Love Stories“-Kosmos zu Gast war, und dann dennoch im ersten Anlauf 267 Seiten verschlingt. So ging es mir, und wäre der Tag nicht zu kurz gewesen, hätte ich den Rest auch gleich noch geschmökert. So wurden zwei Tage daraus.
Ungeachtet also der Tatsache, dass eine neue Übersetzerin am Werke war, erweist sich der fünfte Band des Zyklus „Edinburgh Love Stories“ als ein warmherziger, emotional notwendig holpriger Roman, in dem es zentral einmal mehr um eine schwer startende Liebesgeschichte geht. Wieder einmal steht sich die Protagonistin eigentlich primär selbst im Weg mit mangelndem Selbstbewusstsein und verkehrten, will sagen: voreiligen Einschätzungen des Gegenübers.
Cole Walker kennen wir bislang aus dem Zyklus als kleinen Jungen und Teenager, hier erleben wir ihn nun als gereiften Mann, der nichtsdestotrotz auch gegen eigene tief vergrabene Komplexe anzukämpfen hat. Das merkt man im hinteren Drittel der Geschichte. Shannon MacLeod dagegen ist ein interessanter und talentierter Neuzugang mit einer schönen, wenn auch weitgehend verschütteten und verleugneten Ader fürs Zeichnen und Malen. Und es ist einfach nur schön zu sehen, wie die beiden, allen Widerständen zum Trotz (die sie mehrheitlich selbst aufbauen, muss man eingestehen) dann zusammenkommen. Denn das müssen sie, schließlich ist das ein Liebesroman, der allen Widrigkeiten zum Trotz schlussendlich auf ein Happy End zusteuert. Gute-Laune-Lektüre eben, wie ich das zu nennen pflege. Seicht möglicherweise, aber sehr gefällig.
Ebenfalls schön war das Wiedersehen mit all den anderen Protagonisten der Vorgängerromane. Ich deute nur mal an, dass man es hier wieder mit Braden und Jocelyn zu tun bekommt, deren Lebensspuren hier interessant weiter entwickelt werden, ferner mit Ellie, Elodie, Clarke, Marco, Hannah und Olivia sowie all den inzwischen aufgesprossenen Nachkömmlingen. Hier von einem „Clan“ zu reden, ist absolut nicht übertrieben. Ich habe an manchen Stellen echt überlegt: Also, wessen Tochter ist Sophia jetzt noch einmal? Und dieses Kind und jenes Kind …? Und wer ist jetzt bitte wie alt und mit wem verwandt …? Man hat mitunter so ein wenig das amüsante Gefühl, diese Großfamilie schafft sich ihren eigenen Kindergarten. Da ist einiges vergnügliche Chaos programmiert.
Wer aber diese ganze Bande lieb gewonnen hat und gern noch etwas mehr von ihnen lesen will, der ist hier goldrichtig. Spektakuläre neue Innovationen finden natürlich nicht statt, aber darum geht es eigentlich ja auch gar nicht. Es geht um die Irrungen und Wirrungen der Herzen, um stürmische erotische Leidenschaft, wenn es denn dann endlich (nach über 100 Seiten) zur Sache geht.
Und wer sich zwischenzeitlich den Band „Edinburgh Love Stories“ gekauft haben sollte, in dem zusätzliche Novellen zu dem Zyklus zusammengefasst sind, der kann im Anschluss an den vorliegenden Roman die Novelle „Valentine Day“ lesen. Vorher macht das keinen Sinn, weil das Baby Jarrod im obigen Roman gerade geboren wird und in „Valentine Day“ schon ein halbes Jahr alt ist.
Der Roman ist jedenfalls eindeutig was für Samantha Young-Fans und solche, die es werden möchten. Romantisches must-have-Lesefutter.
© 2019 by Uwe Lammers
Tja, ich sagte ja: Kontrastprogramm zur Vorwoche. Und weil das so schön ist, machen wir in der nächsten Woche eine Inselreise und besuchen ein legendäres Eiland.
Neugierig bleiben!
Bis bald, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.