Liebe Freunde des OSM,
als ich das vorliegende Buch vor zehn Jahren las, zählte ich mich durchaus zu den Robert E. Howard-Fans, das ist nicht zu leugnen. Dass ich dennoch nach abgeschlossener Lektüre sehr kritische Töne anschlug, gibt infolgedessen schon zu denken. Ich erkläre mir das heute folgendermaßen: Fansein ist nicht nur eine Haltung, die naiv-unkritische Einstellung kultiviert, sondern die durchaus einen gewissen Skeptizismus am Leben erhält. Das hat seine Gründe.
Wer sich an meine Rezensionen zu Peter F. Hamilton oder Clive Cussler erinnert, der wird ebenfalls wissen, dass ich bei diesen beiden Autoren, die ich sehr schätze, gleichfalls gelegentlich sehr kritische und einschränkende Bemerkungen machte. Das liegt durchaus nahe, denn Autoren sind eben keine Top-Bestseller-Schreibmaschinen, sondern Menschen, die natürlich auch mal schwache Werke abliefern.
Warum sollte das einem im Wesentlichen so talentierten und brillanten Stilisten wie Howard nicht auch mal so ergehen? Speziell Werke aus dem Nachlass muss man diesbezüglich mit Vorsicht genießen. Der Verfasser hielt sie nicht ohne Grund zurück, und ich legte damals schon durchaus den Finger auf die Wunde.
Gewiss, eingefleischte Howard-Fans wird das eher nicht kümmern. Aber für alle jene von euch, die ihn wirklich lieb gewinnen wollen, empfehle ich diese Anthologie NICHT zum Einstieg. Diejenigen, die aber gern alle Howard-Werke, die auf Deutsch erschienen sind, ins Regal stellen möchten, werden auch an diesem Buch nicht vorbeigehen können.
Und das erwartet euch:
Der Schatz der Tataren
(OT: Swords of Sharahzar)
von Robert E. Howard
Terra Fantasy 80
Rastatt 1980
162 Seiten
Aus dem Amerikanischen von Martin Thau
Mit diesem Buch liegt der nächste Kurzgeschichtenband des 1936 verstorbenen amerikanischen Fantasy-Autors Robert Howard vor, und die Linie, die schon in Terra Fantasy 77 „Im Land der Messer“ eingeschlagen wurde (vgl. Rezensions-Blog 208 vom 20. März 2019), wird hier fortgesetzt. Statt um klassische Fantasy-Helden geht es in diesen Geschichten mehr um Abenteurertypen, die man eher in der Nähe von Indiana Jones ansiedeln würde, wobei sie – ein Charakteristikum Howards – sehr viel blutiger agieren als dieser.
War in TF 77 noch Francis Xavier Gordon („El Borak“ genannt) die Hauptperson, so verteilen sich die Geschichten dieser Anthologie auf verschiedene „Heldenfiguren“, wie man sie mal verkürzt nennen kann. Den Großteil davon – drei der fünf Stories – bestreitet hier ein irischer Abenteurer namens Kirby O’Donnell, der große Ähnlichkeit mit Gordon aufweist und natürlich auch mit seinem Schöpfer Howard, als dessen verlängerter Arm er fungiert.
Wie Gordon ist auch O’Donnell, den man „El Shirkuh“ nennt, den Berglöwen, inkognito in der wilden Bergwelt Afghanistans am Anfang des 20. Jahrhunderts unterwegs. Es fällt dabei allerdings an einer Stelle recht deutlich auf, dass Howard offensichtlich die tief verwurzelte Feindschaft der Iren mit den Briten nicht richtig realisiert hatte, was dann O’Donnells Handlungsmuster in einer Geschichte doch sehr schief erscheinen lässt. Es wird darauf an gegebener Stelle verwiesen werden.
„Der Fluch des roten Gottes“ ist eine posthum erschienene Story, die erst 1976 der Öffentlichkeit aus dem Nachlass Howards zugänglich gemacht wurde. Sie beginnt in einer Location, die schon aus TF 77 bekannt ist: in El Harami, der „Stadt der Diebe“. Hier ist der vermeintliche Kurde El Shirkuh (auch verwirrenderweise manchmal als Ali el Gazi bezeichnet) auf der Suche nach den Räubern einer Schatzkarte, die ihm entwendet wurde, als er jählings in eine Auseinandersetzung zwischen Fremden hineingerät und unerwartet einem Unbekannten das Leben rettet. Dieser erweist sich dann als ungemein hilfreich, denn mit seiner Hilfe gelingt es ihm, den Pfad zu dem Schatz wieder zu finden – zu einem diabolischen Idol mit roten Edelsteinen, das in einem verborgenen, halb vergessenen Bergtempel auf seinen Finder wartet. Und auf den Finder selbst wartet der Tod …
„Der Schatz der Tataren“ ist eine der beiden Stories aus dieser Anthologie, die zu Howards Lebzeiten noch publiziert wurde, und zwar im Januar 1935 im Magazin „Thrilling Adventures“. Das ist deshalb unglücklich gewesen, weil die darauf folgende Story „Die Schwerter von Sharahzar“, bereits im Oktober 1934 im Magazin „Top Notch“ erschien. Damit wurde die Handlungsreihenfolge leider auf den Kopf gestellt, die erst in diesem Taschenbuch korrekt wieder hergestellt werden konnte. Zweifellos haben die Leser im Oktober 1934 nur bedingt begriffen, worum es in der Geschichte ging und die Vorgeschichte vermisst, die in „Der Schatz der Tataren“ zu lesen ist.
In dieser Geschichte, die recht ähnlich beginnt wie die zuerst oben behandelte, rettet O’Donnell einem Turkmenen in einem Kampf in der Stadt Sharahzar das Leben. Einem der Angreifer, den er tötet, kann er dabei ein Amulett vom Hals reißen, was ihm aber erst später aufgeht. Dieses Amulett ist nun ein wichtiges Ding – nämlich ein Erkennungszeichen, das die Hüter des Schatzes von Sharahzar auszeichnet, des legendären Schatzes der Tataren, der O’Donnell erst in diese Stadt gelockt hat. Indem er sich nun als Schatzwächter ausgibt, gelangt er in die stark bewachte Festung und steht schließlich dem Schatz selbst gegenüber, der weitaus unermesslicher ist, als er sich das ausmalte.
Aber er gerät zugleich in Bedrängnis: Nicht nur wird er enttarnt und muss um sein Leben kämpfen, sondern Sharahzar selbst wird kurze Zeit später belagert, und O’Donnell hat eine höchst pragmatische Entscheidung zu fällen, die seinen ursprünglichen Zielen völlig zuwider läuft …
In „Die Schwerter von Sharahzar“ wird, wie eben schon erwähnt, der Handlungsstrang aus „Der Schatz der Tataren“ fortgesetzt. O’Donnell hat sich mit den neuen Machthabern von Sharahzar angefreundet, die den Schatz suchen … aber er gerät in eine Intrige, die wahrscheinlich nur mit seinem Tode enden kann. Der Verschwörer, Suleiman Pasha, weist ihm einen Ausweg: Krieger des Stammes der Khuruk haben bei einem sterbenden Engländer Papiere gefunden, die Suleiman haben will. O’Donnell soll sie beschaffen.
Doch als O’Donnell und seine Eskorte die Stadt Khuruk erreichen, laufen sie in eine Falle – denn die Männer, denen sie in Bedrängnis helfen, sind durchaus nicht die, als die sie sich ausgeben …
In der Story „Der bronzene Pfau“, die ebenfalls aus Howards Nachlass erscheint, begegnet der Leser dem Abenteurer Erich Girtmann, der sich – wie weiland Richard Francis Burton – inkognito in das Zentrum einer fremden Religionsgemeinschaft einschleicht, diesmal handelt es sich um die Sekte der Jeziden, die angeblich einem finsteren Satanskult frönen sollen.1 Girtmann gelingt es, ihren größten Schatz zu entwenden, aber von nun an ist er auf der Flucht durch die Welt, ständig verfolgt von Meuchelmördern. Und schließlich holen sie ihn ein …
Die Geschichte „Der schwarze Lama“, die am Jangtsekiang spielt, wo der Ich-Erzähler, Black John O’Donnell, sich in das Hauptquartier eines Geheimbundes um den sinistren Yotai Yun einschleicht, weil er den Mord an einem Freund zu rächen wünscht. Dabei entdeckt er zugleich eine viel größere Gefahr, von der er nichts ahnte und hat mörderische Kämpfe durchzustehen, um diese zu entschärfen. Doch die Übermacht der Feinde ist erdrückend …
Nach der Lektüre der Geschichten ist relativ deutlich, warum die drei Stories, die während Howards Lebenszeit das Licht der Öffentlichkeit nicht erblickten, unter Verschluss blieben. Die erste Story weist eine Person namens Hawklin auf, die sich zudem noch sehr ähnlich wie eine fast gleichnamige Person in den El-Borak-Geschichten verhält.
Bei „Der bronzene Pfau“ erschwert die (unbeholfen) nach Lovecraft-Art ausufernde Nacherzählung von Girtmanns Abenteuern, die mit acht Druckseiten mehr als die Hälfte der Geschichte einnimmt, die Lektüre einigermaßen und befremdet die Leser, die von Howard eigentlich flüssige Abenteuer- und Actionhandlung gewohnt sind.
In „Der schwarze Lama“ funktionieren dann gleich mehrere Dinge nicht. Zum einen ist die Handlungsdramaturgie kindisch durchsichtig, und dies gleich ganz zu Beginn: eine Gruppe von drei Personen wird charakterisiert. Eine davon ist die Hauptperson, die zweite stirbt bald darauf, die dritte wird als grundsätzlich unsympathisch beschrieben und verschwindet … und am Schluss wird dann die Identität des „rätselhaften“ schwarzen Lama gelüftet, die selbst für halbwegs naive Leser schon lange kein Rätsel mehr darstellt.
Hier versucht sich Howard offenbar im Strickmuster der damals populären Doc Savage-Romane, ohne auch nur halbwegs diesem Maßstab gerecht zu werden.
Wirklich grotesk wird es dann aber, wenn in dieser Geschichte fiktive Personen wie Cthulhu und Yog-Sothoth eingeflochten werden, die Howard klipp und klar auf etwas naive Weise von seinem Schriftstellerkollegen Howard Phillips Lovecraft entlehnt hat … eindeutig ein Problem, das er selbst als solches erkannte und die Geschichte zweifellos für eine gründliche Überarbeitung zurückhielt. Sie würde heute wohl eher unter „Fanfiction“ rubriziert werden.
Auch El Shirkuh ist eine nur bedingt durchdachte Figur. Abgesehen davon, dass man als Leser irgendwie von einem Iren eine rothaarige, eher blasse Person erwartet, nicht jemanden, der wie O’Donnell mühelos als Kurde durchgehen kann, ist er eine recht eindeutige Kopie von Francis Xavier Gordon. Und, wie schon angedeutet wurde, verhält er sich am Ende von „Schwerter von Sharahzar“ nicht eben historisch plausibel.
Als er hier nämlich die Papiere in die Hände bekommt, stellt er fest, dass sie, in falsche Hände geratend, für die britische Vorherrschaft in Indien brandgefährlich werden könnten … und beschließt sodann, sie den Briten zu übergeben. Ich glaube, Anfang des 20. Jahrhunderts hätten das wohl nur sehr wenige militante Iren bereitwillig getan. Man denke beispielsweise daran, dass es dem deutschen Kaiserreich während des Ersten Weltkriegs noch gelang, irische Nationalisten zum Oster-Aufstand in Irland aufzustacheln mit dem klaren Ziel, die Briten durch einen inneren Konflikt als Kriegspartei auszuschalten. Solche antibritischen Ressentiments passten Howard natürlich gar nicht in diese Geschichte. Aber auf diese Weise wird die Person an sich unglaubwürdig.
Man kann darum nur konstatieren, dass diese Anthologie von Howard-Abenteuergeschichten zu den schwächeren gehört, die er jemals verfasst hat, und dummerweise versucht er das hier auch noch mit mehr Kampf, mehr Blut, mehr Grausamkeit zu kompensieren … ein Rezept, das zumindest auf mich seine Wirkung verfehlt hat. Aber wer solche Stories mag, ist hier bestimmt nicht fehl am Platz und mag sich gut unterhalten fühlen. Abenteuerlich sind die Geschichten schließlich unbedingt …, allerdings meiner Ansicht nach nur für echte Howard-Fans empfehlenswert.
© 2013 by Uwe Lammers
In der kommenden Woche kehren wir dann in die seltsame Verlängerung von Lauren Rowes „The Club“-Zyklus zurück, die ich damals wirklich nicht so ganz begreifen konnte. Heute ist allerdings recht transparent, dass sie damit ihren nächsten Romanzyklus um die Morgan-Familie vorzubereiten begann. Weswegen dort dann auch Personen aus dem „The Club“-Zyklus wieder erscheinen und nun von anderen Seiten her beleuchtet werden (ja, die Bände sind längst rezensiert und werden in Bälde für den Rezensions-Blog aufbereitet, das kann aber noch ziemlich dauern).
Soviel also für heute. Macht es gut und bis bald, Freunde!
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.
1 Wie man im Fanzine PARADISE 113 (2021) nachlesen kann, ist dieses Vorurteil, das die Jesiden/Jeziden mit einem Satanskult in Verbindung bringt, zu Howards Zeiten weit verbreitet gewesen und wurde in schnell heruntergeschriebenen Pulp-Geschichten offenbar häufiger thematisiert. Genau genommen eine klassische Sündenbock-Geschichte … ein wenig vergleichbar mit der alten Legende von jüdischen Brunnenvergiftern oder Ritualmördern, die für geheime Riten christliche Kinder entführen und töten. Nichts davon hält einer Prüfung stand, hat aber für Nazis und andere von Ethnohass erfüllte Gruppen eine beliebte Steilvorlage für Gräueltaten gebildet.