Liebe Freunde des OSM,
es gibt solche und solche Bücher … manche sind kurz und ziehen sich dennoch endlos hin, weil sie schwerfällig geschrieben, umständlich formuliert oder komplexen Inhalts sind oder all dies zusammen. Und dann gibt es jene meist nicht minder kurzen Werke wie dieses, das ich mühelos an einem Tag weglas, geradezu inhalierte … und dabei mitunter Tränen lachte.
Ist das ein Qualitätsurteil? Nun, das kommt ganz darauf an. Die Republikaner in den Vereinigten Staaten, deren Gesichter vermutlich verbissen verfinstert würden, wenn sie das Buch überhaupt anfassten, sähen es vermutlich am liebsten auf einem Scheiterhaufen verbrennen. Und dies, obwohl es nur – wenn auch in Bonmotform zugespitzt, durchaus satirisch, die ganze verbale Beschränktheit des damaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika anno 2001 (übersetzt dann 2003) offenlegt.
Ich gebe zu, ich habe George W. Bush jr., um den es hier geht, nie leiden können, und seine bisweilen völkerrechtswidrigen Angriffshandlungen gegen den Irak und Afghanistan, die die Region leider bis heute destabilisiert haben, waren unbestreitbar verbrecherisch. Dennoch, oder vielleicht auch gerade deshalb, habe ich dieses Buch so genossen.
Wie ich am Schluss der Rezension schrieb: Wenn du deine Feinde nicht besiegen kannst, lache sie aus. Deshalb finde ich, ist dieses Buch auch mit einem zeitlichen Abstand von über 20 Jahren eine überaus kurzweilige, amüsante Lektüre. Und da es in unseren aktuell so finsteren Zeiten (Corona, Taliban in Afghanistan, immer noch andauernder Syrien-Krieg, wahnwitziger russischer Angriffskrieg gegen die Ukraine, Flüchtlingselend, wohin man auch schauen mag … um nur ein paar der Problemfelder der Gegenwart zu benennen) schon so viele Hiobsbotschaften gibt, ist doch vielleicht ein wenig Gekicher eine schöne Abwechslung.
Dies ist die Einladung zum Mitkichern:
Voll daneben, Mr. President!
Wahre Worte von George W. Bush
(OT: George W. Bushisms. The Slate Book of the Accidental Wit
and Wisdom of Our Forty-third President
und
More George W. Bushisms.
More of Slate’s Accidental Wit and Wisdom of Our Forty-third
President)
von Jacob Weisberg (Hg.)
rororo 61619, 128 Seiten, TB
6.00 Euro, 2003
Übersetzt von Gerhard Henschel und Kathrin Passig
ISBN 3-499-61619-X
Zweifellos ist George W. Bush jr. zur Zeit einer der prominentesten Männer auf der Welt. Man mag sich darüber streiten, ob er das wohl zu Recht ist. Manche halten ihn für selbstherrlich, quasi-diktatorisch, unter Verfolgungswahn leidend, engstirnig, nationalistisch … die Liste der manchmal diffamierenden Zusätze, mit denen man Bush in Verbindung bringt, ließe sich gewiss problemlos vermehren.
Aber Hand aufs Herz: wissen wir wirklich, was das für ein Mensch ist? Was wissen wir denn von ihm außer den paar Informationspixeln in Nachrichtensendungen, den meist aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten von Interviews? Was wissen wir denn von Bush jr., dem Pragmatiker etwa? Dem Philosophen und Historiker gar? Was sagt er denn, wenn er den Ökonom gibt oder den Familienfreund? Wenn er der Hellhörige ist, der Optimist, der unbequeme Mahner und so weiter?
Wir brauchen nicht mehr länger im Dunkeln zu tappen und uns ständig blaue Flecken zu holen – es gibt dieses aufschlussreiche, lesenswerte Buch. Jacob Weisberg, der politische Chefkorrespondent des Magazins „Slate“ in den Vereinigten Staaten ist schon lange dem Phänomen Bush auf der Spur. Bereits 1992 prägte er, damals noch mehr mit Blick auf den amtierenden Präsidenten Bush sr., das Wort „Bushism“.
Im Wesentlichen handelt es sich dabei um Sprachausfälle, die offenbar erblich sind. Der Sohn ist ähnlich geprägt. Die Psycho-Journalistin Gail Sheehy verbreitete schließlich die klinische Diagnose, insbesondere Bush jr. leide unter „undiagnostizierter Dyslexie“, im Grunde genommen also unter Leseschwäche.
Ein paar Stunden nach der Veröffentlichung dieses Artikels in der Zeitschrift „Vanity Fair“ antwortete Bush prompt: „Die Frau, die behauptet, ich hätte Dyslexie – die habe ich nie interviewt.“ Da war er schon wieder, ein Aussetzer. Wann interviewen Präsidenten Journalistinnen …? War das nur ein schrulliger Scherz?
„Wer dieses Zitat in der Zeitung las, konnte glauben, der Gouverneur von Texas habe einen Witz gemacht“, erzählt der Herausgeber Weisberg, und er ergänzt fast verzweifelt: „Reporter wie ich, die ihn auf einem Rollfeld in Kalifornien umringten, als er diese Bemerkung machten, wußten, dass es ihm leider ernst war.“
Die USA haben also ein Problem.
Das Problem besteht weniger darin, dass George W. Bush jr. nicht lesen kann. Das Problem liegt in jenen Momenten, in denen er ohne Skript spricht. In Talkshows. Wenn er – was er gerne tut – frei improvisiert. Dann werden Worte erfunden. Dann wird gestottert und gestammelt, dass der Sinn auf der Strecke bleibt. Dann ebnet Bush die Geschichte ein, entdeckt neue Länder auf dem Globus, erklärt die USA vorab zu Verlierern im Kampf gegen den globalen Terrorismus oder mahnt, dass im Nahen Osten immer Krieg herrschen wird (obgleich er eigentlich vom Frieden spricht).
Das Buch versammelt unter durchaus ironisch bis satirischen Überschriften zahlreiche Zitate des texanischen Gouverneurs und nachmaligen Präsidenten, die an vielen Stellen so unglaublich sind, dass man nur noch hilflos kichern kann. Ein paar Beispiele sollen das untermauern. Aber vorab noch eine Bemerkung des Herausgebers zur Auswahl selbst:
„Bald stellte ich fest, dass ich Bushismen verzieh, die man als bloße Eigenheiten des West-Texas-Dialekts durchgehen lassen konnte wie ‘nucular’ statt ‘nuclear’, ‘tireously’ statt ‘tirelessly’, ‘explayed’ statt ‘displayed’ und das wie ein Tex-Mex-Omlette klingende ‘Infitada“ statt ‘Intifada’.1 Ich verlor kein Wort darüber als Bush Stevie Wonder bei einem Konzert zuwinkte – ein visueller Bushismus; man muß dabei gewesen sein, um ihn richtig zu würdigen.“2
Die Konsequenz daraus? Alles ist noch viel, viel schlimmer, als in diesem Buch dargestellt. Kommen hier doch nur die „Highlights“ zum Vorschein und das, was Weisberg zugetragen wurde.
Erst mal also einen Kommentar zum Aufwärmen. Am 21. August 2000 stellte der Präsidentschaftskandidat Bush sehr entschieden fest: „Ich weiß nicht, ob ich gewinne oder nicht. Ich glaube schon. Ich weiß jedenfalls, dass ich bereit bin. Und wenn nicht, dann eben nicht.“
Ökonomisch hat er einiges drauf: „Ich kenne mich aus mit dem Wachstum kleiner Unternehmen. Ich war auch mal eines“, bekannte er der New York Daily News am 19. Februar 2000.
Ein Tierfreund ist Doubleyou ebenfalls: „Ich weiß, dass Mensch und Fisch friedlich zusammenleben können.“ Jedenfalls glaubte er das noch am 29. September 2001 bei einer Rede in Michigan. Vielleicht hat sich sein Sinn inzwischen gewandelt wie im Falle des Umweltschutzes …
Ein paar Tage zuvor war er in Kalifornien Schöpfer eines neuen Wortes: „Man hat mich als Führer verschätzt.“ („They have miscalculated me as a leader.“). Im November gleichen Jahres verstärkte er das bei einer Rede in Arkansas: „Man hat mich verunterschätzt.“ („They misunderestimated me.“)
Wie weiland der bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber geht auch Bush jr. gerne in die „Stolperfalle“. Etwa am 24. Oktober 2000 in Illinois, wo er die gloriosen Worte sprach: „Das ist ein Kapitel, das letzte Kapitel des zwanzigsten, einundzwanzigsten Jahrhunderts, das viele am liebsten vergessen wollen. Das letzte Kapitel des zwanzigsten Jahrhunderts. Das ist das erste Kapitel des einundzwanzigsten Jahrhunderts.“
Das ist noch harmlos gegen einen Auftritt, den er ein halbes Jahr zuvor in der „News Hour with Jim Lehrer“ absolvierte:
Bush: „Ich habe mit meinem kleinen Bruder Jeb geredet – das habe ich nicht vielen Leuten erzählt. Aber er ist der Gouverneur von – ich sollte ihn nicht meinen kleinen Bruder nennen – mein Bruder Jeb, der große Gouverneur von Texas.“3
Jim Lehrer: „Florida.“
Bush: „Florida. Der Staat des Floridas.“
Auch anderthalb Jahre später hat er die Ausfälle nicht im Griff. Als der Mitchell-Report über Frieden im Nahen Osten im August 2001 publiziert wird, ist der Präsident sichtlich aufgeregt: „Diese terroristischen Handlungen und, also, die Reaktionen darauf müssen aufhören, wenn wir das Grundgerüst – die Grundlagen – nicht das Grundgerüst, die Grundlagen für ein Grundgerüst für den Frieden diskutieren sollen, die Grundlagen legen … genau.“
Die Krönung dieser Beispiele stellt aber wohl sein Rechenexempel vom 9. April 2002 aus Bridgeport, Connecticut, dar, das man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen sollte:
„Und deshalb habe ich in meiner Lage der – meiner Lage der Nation – oder Lage – meiner Rede an die Nation, wie man das auch nennen will, Rede an die Nation – ich habe die Amerikaner gebeten, 4000 Jahre – 4000 Stunden in den nächsten – den Rest ihres Lebens – in den Dienst Amerikas zu stellen. Darum habe ich gebeten – 4000 Stunden.“
Auch als Pädagoge versucht er sich, etwa am 21. Februar 2001: „Man bringt einem Kind das Lesen bei, und dann kann es oder sie einen Lese-Rechtschreib-Test bestehen.“ („You teach a child to read, and he or her will be able to pass a literacy test.“)
Japst da irgendwer „Genug! Genug!“?
Oh nein, es ist niemals genug.
Doch habe ich ein Einsehen mit meinen gestressten Mitbürgern und Lesern. Das Buch ist eine Fundgrube an unbeschreiblich absurden Bonmots. Manche rufen freilich unangenehme Vorstellungen hervor, etwa Bushs Äußerung vom 18. Dezember 2001, wo er in Washington, D. C., ganz öffentlich erklärte: „Wenn wir eine Diktatur hätten, wäre alles weiß Gott viel einfacher, solange ich der Diktator bin.“
Wollen wir wohl solch einen Diktator? Müssen wir dann nicht um eine neue Volksseuche bangen, für die man nicht mal Lachgas benötigt: Humoritis? Oder ist die Zukunft, die Bush am 4. Januar 2002 in Austin, Texas, andeutete, nicht möglicherweise die bessere Prognose? Wie drückte er sich doch aus?
„Ich möchte Ihnen danken, dass Sie sich die Zeit genommen haben, herzukommen und zuzusehen, wie ich aufgehängt werde.“ („I want to thank you taking time out of your day to come and witness my hanging.“)
Wie, ein Selbstmörder? Aber er ist doch noch da!
Es wurde auch nur ein aufgehängtes Portrait von ihm eingeweiht. Aber wer weiß … Bush sieht ja doch vielleicht die Zukunft voraus, wenigstens seine eigene. Hm.
Bis dahin heißt es: wenn du deine Feinde nicht bekämpfen kannst, so lache sie aus. Und bei Bush jr. lohnt es sich wahrlich …
© 2004 by Uwe Lammers
In der kommenden Woche kehren wir wieder in Lauren Rowes seltsam klein dimensionierten erotischen Intrigenkosmos um den „Club“ zurück, der eine unerwartete Erweiterung erfuhr.
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.
1 Letzteres impliziert dann doch eine nicht unerhebliche Bedeutungsverschiebung in Richtung Verharmlosung. Obwohl … vielleicht können ja auch Tex-Mex-Omlette tödlich sein …?!
2 Oder eben wissen, dass der Sänger Stevie Wonder blind ist.
3 Er ist SELBST der Gouverneur von Texas.