Rezensions-Blog 361: Götter, Gnomen und Giganten

Posted Juli 20th, 2022 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

Fantasy rezensiere ich heutzutage quasi gar nicht mehr, dann schon eher – wenn es sich ergibt – Werke, die man nicht so ganz dem realistischen Erzählbereich zuordnen, sondern in das vage Terrain der Phantastik eingemeinden müsste. Darunter fällt etwa Weird Fiction, die der Fantasy eng benachbart ist. Vor rund 20 Jahren gab es aber in meinem Leseportfolio noch gelegent­lich Fantasy-Werke, namentlich Storysammlungen der Reihe „Terra Fantasy“. Eine solche Rezension habe ich jetzt wieder ausgegraben und führe euch mit, zugegeben, etwas launigen Worten an drei erfahrene Autoren des Genres heran. Meine Be­wertung fällt durchwachsen aus, aber das seht ihr, wenn ihr weiterlest:

Götter, Gnomen und Giganten

Terra Fantasy Band 26

Herausgegeben von Lin Carter

Pabel-Verlag

144 Seiten, Oktober 1976

Fantasy, so pflege ich oft zu sagen, ist weniger eine Literatur­form denn eine Art des schriftstellerischen Smalltalks. Fast im­mer weiß man, wenn man eine Story anfängt und deren Grund­züge durchschaut, worauf sie hinausläuft, meistens sind die Plots recht transparent und die Rollen fest verteilt. So nimmt es kaum Wunder, wenn man auch in dieser Storysammlung über „die üblichen Verdächtigen“ stolpert, als da wären: Muskelstrot­zende, meist eher weniger intelligente Barbaren, hübsch anzu­schauende Mädchen, denen die Hauptrolle des fleischlichen Lohns des Heroen zufällt sowie – natürlich meist missgestaltete bzw. kleinwüchsige – Zauberer.

Liest man Fantasy zum Zeitvertreib, ist das manchmal recht un­terhaltsam, und das lässt sich auch von zwei der drei Geschich­ten dieses Bandes sagen. Hohe intellektuelle Erwartungen, tief­schürfende Dialoge oder welterschütternde Wahrheiten respek­tive Erweiterungen des eigenen Horizontes sollte man besser nicht suchen, man wird sie ohnehin nicht finden.

Mit Lyon Sprague de Camp, Lin Carter und John Jakes wurden drei renommierte Fantasyerzähler verpflichtet, um den Leser zu unterhalten, und was sie bieten, lässt sich geschwind zusam­menfassen:

Der fliegende Teppich von Lyon Sprague de Camp macht uns bekannt mit dem „Zauberer auf der Flucht“ Gezun, seiner Frau Ro und den drei kleinen Kindern, die recht vorlaute Gören abge­ben. Gezun, immerzu vor irgendwelchen Zauberern auf der Flucht, die er – meist mit seiner Faust – betrogen hat, möchte eigentlich nur einen widerrechtlich angeeigneten Teppich veräu­ßern. Er überlegt es sich aber anders, als er plötzlich auf einen totgeglaubten Rivalen trifft, der auch noch in der Magiergilde eine bedeutende Position inne hat.

Stattdessen tut er sich mit ihm zusammen und beschließt, eine Fabrikation von fliegenden Teppichen aus dem Boden zu stamp­fen. Dafür muss er natürlich den Regenten überzeugen. Und dann sind da auch noch die Gilden … Aber warum er sich dann auf einmal, in einen Stier verwandelt, in einer Stierkampfarena wiederfindet, das muss man selbst gelesen haben. Eine sehr le­bendige, amüsante Geschichte.

Der Halbgott von Lin Carter enthüllt uns einen Teil der Lebens­geschichte des Halbgottes Amalric, der seit Tausenden von Jah­ren auf seiner Welt wandelt und im Auftrage seiner halb verges­senen und deswegen recht kraftlosen Götter Heldentaten voll­bringt. Natürlich ein muskelstrotzender Barbar, der von seinen Göttern immer wieder (meist vergebens) dazu ermahnt wird, mehr von seinem Verstand Gebrauch zu machen als von seinen Körperkräften. Die Götter mögen kein Geschwafel, aber wenn sie selbst mal am Reden sind … nun, jedenfalls wird Amalric, nachdem via Fettverbrennung (!) seine göttlichen Kräfte wieder zurückgekehrt sind („Das Gift der Erschöpfung hat sich um die Radiogene in deinen Körperzellen angesammelt, und deine Ar­terien sind mit Cholesterin durchdrungen …“ – doch, ohne Witz, das steht da!), macht er gemäß der Prophezeiungen Be­kanntschaft mit dem kleinen, alten Zauberer Ubonidus und schließlich auch mit religiösen Fanatikern in der Tempelstadt Oolimar. Sein eigentliches Reiseziel erreicht er mit dieser Story nicht mehr, aber was ihm zwischendurch so widerfährt, ist höchst amüsant.

Den Schluss macht die Geschichte Der Garten des Zauberers von John Jakes. Er nimmt sich wieder mal seines Barbaren Brak an, der unterwegs ins goldene Khurdisan ist. Er stößt in einem Wald auf einen sehr hungrigen Hexenbaum, befreit einen Glau­bensfanatiker von der Nestorianer-Sekte und ein ausnehmend hübsches Mädchen aus dessen Klauen und erfährt davon, dass die junge Shana meint, von einem begierigen, lüsternen Zaube­rer verfolgt zu werden. Das ist natürlich auch wirklich der Fall, und erwartungsgemäß kommt es zu einem reichlich humorlosen Kampf. Womit diese Geschichte passenderweise den End- und Tiefpunkt der Storysammlung darstellt.

Insgesamt betrachtet, ganz nette Unterhaltung, aber eben auch nicht mehr. Wenigstens, und das erleichterte mich doch ein we­nig, findet man hier nicht unbedingt König Artus-Geschichten oder dergleichen, wie es gegenwärtig in zig Auflagen zyklenar­tig die Fantasyliteratur durchsetzt. Dabei sind das alles eigent­lich nur Metastasen von Marion Zimmer-Bradleys „Nebeln von Avalon“. Ich bin der Auffassung, es gibt intelligentere Geschich­ten, spannendere Personen als etwa Brak den Barbar oder den Zauberer Merlin. Und Humor muss schon dabei sein, ohne in Klamauk umzuschlagen. Diesen Balanceakt schaffen die ersten beiden Geschichten dieses Bandes ohne weiteres.

© 2003 by Uwe Lammers

Wie ihr merkt, ist das eher so eine Art von Pflichtrezension, die ich verfasste, weil ich die ersten beiden Stories mit einigem Amüsement gelesen hatte. Auf die dritte, die dann leider etwas sehr stumpfsinnig daherkommt, hätte ich gut verzichten kön­nen.

Es ist sehr gut möglich, dass ich beizeiten noch andere Terra Fantasy-Romane hier für den Rezensions-Blog ausgrabe, denn speziell zwischen 1987 und 1994 habe ich noch einige bespro­chen, die in inzwischen lange eingestellten Fanzines abgedruckt wurden. Da es diese Werke nur im analogen Format gibt, muss ich sie noch abschreiben … das kann dauern. Dann erfahrt ihr mehr zu Klassikern etwa von Abraham Merritt wie „Dwellers in the Mirage“ und „Ship of Ishtar“. Für heute muss ich es bei der Andeutung belassen.

In der kommenden Woche kehren wir zu Meredith Wild zurück.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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