Liebe Freunde des OSM,
die differenzierte Betrachtung von Werken, die mit dem didaktischen Anspruch geschaffen werden, Kindern und Jugendlichen historisches Wissen auf spielerische Weise nahe zu bringen, legt die Messlatte für Rezensionen generell recht hoch an. Da der Rezensent – in diesem Fall meine Wenigkeit – nun einmal dem Kindheitsalter ziemlich lange entwachsen ist und die Leser dieser Rezension dasselbe Schicksal teilen, muss man die Betrachtung gleichsam in zwei Abschnitte teilen.
Abschnitt 1 ist der historische Blick für die erwachsenen Leser und sollte sinnvollerweise gewisse Monita der Darstellung nicht verschweigen. Abschnitt 2 zielt dagegen auf die Beantwortung der Frage: Ist das Werk alterskonform und geeignet für den intendierten Zweck?
Es ist offensichtlich, dass beide Teile der Rezension unterschiedlich ausfallen können. Weshalb? Weil man bei Kindern und jugendlichen Lesern einfach nicht so viel an detailliertem historischem Vorwissen erwarten kann und die Didaktiker, die die Texte solcher Werke konzipieren, dies selbstverständlich in ihr Kalkül einbeziehen. Außerdem soll das Buch ja darüber hinaus auch noch unterhaltsam, originell und kurzweilig sein, möglichst auch noch mit ansprechenden Illustrationen verziert, um das Interesse der Kinder wachzuhalten.
Wenn ich also im Folgenden gewisse Schwächen der „Zeitung“ von heute andeute, so solltet ihr das nicht zu stark gewichten. Der Grundeindruck war ein durchaus positiver. Es gibt Ausgaben dieser Schriftenreihe, die deutlich weniger schmeichelhafte Besprechungen abbekamen.
Also brechen wir gemeinsam auf ins Jahr 793 nach Christus, wo unsere Geschichte beginnt …
Die Wikinger-Zeitung
(OT: The Viking News)
von Rachel Wright
Kinderbuchverlag (kbv) Luzern
36 Seiten, gebunden (2000)
Übersetzt von Christa Holtei
ISBN 3-276-00202-7
Manchmal macht man schon wirklich originelle Funde, wenn man Prospekte durchschaut. Solch einen Zufallsfund machte ich, als ich im JOKERS-Prospekt vor einigen Wochen zufällig über die unglaubliche Anzeige einer „Wikinger-Zeitung“ stolperte. Der Anzeige zufolge sollte sie „spannende Reportagen über die Raubzüge der Wikingerflotte, fesselnde Berichte von der Waljagd, aktuelle Interviews und Anzeigen“ enthalten, „kurz: alles, was die nordischen Seefahrer von einer modernen Zeitung erwartet hätten.“
Ich war gespannt, der Preis erschien mir vertretbar, und ich konnte mir ein Schmunzeln einfach nicht verkneifen. Also bestellte ich sie, erhielt sie heute und war im Nu mit der Lektüre fertig. 32 Seiten Text mit ziemlich großformatigen Bildern sind wirklich geschwind „verschlungen“.
Was bietet und dieses Buch außer „Raub und Mord!“ (das ist groß und breit unter plündernden Wikingern auf dem Cover zu erkennen)? Informationen über Schiffsbau: „Das Erste, was ein Schiff braucht, ist ein starker Kiel … für den Kiel eines Langschiffes benutze ich nur die besten geraden Stämme von freistehenden Eichen …“, sagt der Schiffsbauer beispielsweise. Nun ja (aber die Bilder sind gut). Wir erfahren einiges über die Jagd: „Wenn Sie glauben, Waljagd oder Rentierjagd sei gefährlich, dann hören Sie mal zu! Ich lebe auf den Shetlandinseln, wo Möwen, Lummen und Papageientaucher ihre Eier auf die Klippen hoch über dem Wasser legen … Und bei kaltem, peitschenden Wind an einer tückischen, bröckelnden Klippe herumzuklettern, mit einem Seil als einzigem Halt, ist nicht jedermanns Sache!“
Es wird zudem einiges über Mode erzählt („Helga Schönbein erklärt uns, warum sie Trägerröcke immer noch für das Beste hält“), man erhält Tipps für stilvolles Ausrichten von Festen („Vergewissern Sie sich vorher, dass kein Angehöriger Ihres Haushaltes einen dieser Gäste beleidigt hat. Sie wollen ja keine Kämpfe auf dem Fest!“) und kann das originale Wikingerspiel Hnefatafl erlernen, was dank der Abbildungen und verständlichen Regeln gut möglich ist.
Ob indes eine Antwort auf die Chiffre-Anzeigen nutzbringend ist, mag bezweifelt werden. Zweifellos wäre es hilfreich, die verlorene große Silberfibel für einen Männerumhang wieder vorbeizubringen, aber da sie vor wenigstens 900 Jahren verloren wurde, ist unwahrscheinlich, dass auf die Chiffre 9320 noch jemand antwortet …
An vielen Stellen entbehren die Artikel auch nicht einer gewissen Komik. Wenn beispielsweise im Modeteil zum Thema Bärte gesagt wird: „Ein Bart sollte immer gepflegt sein und nicht wild wuchern. Aber auch in einem schön geformten Bart sollten keine Läuse herumkrabbeln. Kämmen Sie ihn regelmäßig. Wir Frauen mögen keine verlausten Bärte“, so rangiert diese Auskunft wohl unter den zeitlosen Anstandsregel, löst indes dennoch Gekicher aus …
Wenn man den Band – wie ich – für knapp 5 Euro erwerben kann, womöglich Kinder oder Neffen, Nichten, Enkel oder dergleichen hat, die geschichtlich ein wenig interessiert und so im Alter zwischen fünf und zehn Jahren sind, dann ist das hier sicherlich ein wenig humorvolles Basiswissen, das ein paar aufregende, vergnüglichen Stunden mit den Kleinen ermöglicht.
Für Erwachsene ist dieses Buch indes dann doch etwas zu wenig anspruchsvoll, insbesondere für mich als Historiker. Ich weiß einfach zu viel über die Zeit, und mir fallen die Halbheiten zu stark auf. Als designiertes Kinderbuch, das dem Nachwuchs Interesse an der Geschichte nahebringen möchte, ist es allerdings durchaus geeignet, nicht zuletzt durch die gelungene grafische Untermalung.
Übrigens sind auch noch Die griechische Zeitung, Die römische Zeitung, Die ägyptische Zeitung, Die aztekische Zeitung, Die Entdecker-Zeitung und Die Steinzeit-Nachrichten im gleichen Verlag erhältlich.
© 2003/2005 by Uwe Lammers
Wer hier einwenden möchte, dass diese Rezension doch schon sehr angestaubt sei – weniger des Themas wegen als vielmehr, weil die Rezension selbst schon so alt ist – hat fraglos recht. Aber möglicherweise ist sie ja gleichwohl immer noch interessant und erschließt euch ein eventuell noch antiquarisch erhältliches Geschenkbuch.
In der kommenden Woche kümmern wir uns um einen wirklichen Altmeister der Science Fiction mit einem ebenfalls alten Werk seines OEuvre. Von wem ist die Rede? Na, da lasst euch mal überraschen!
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.