Liebe Freunde des OSM,
wie ich schon in der vergangenen Woche sagte, ist die Aufbereitung historischer Stoffe für jugendliche Leser, zumal dann, wenn sie massiv visuell unterstützt werden soll, immer eine schwierige Gratwanderung. Manches Mal ging das auch schon in Werken, die ich las, gründlich daneben.
Diesmal war ich im Jahre 2011, als ich das heute vorzustellende Buch entdeckte (!) und geradewegs verschlang, äußerst positiv überrascht, wie ihr sehen werdet. Falls es dieses Buch also noch irgendwo antiquarisch gibt und ihr darauf neugierig geworden sein solltet, was ich sehr gut verstehen könnte, dann greift unbedingt zu.
Ich weiß, manchmal ist es von ausgesprochenem Nachteil, wenn ich so alte Werke rezensiere, die dann möglicherweise kaum mehr greifbar sind … aber der unbestreitbare Vorteil einer gut sortierten eigenen Bibliothek besteht halt darin, auch auf solche Bücher zurückgreifen zu können. Und bei meinem Rezensionsfundus verhält es sich natürlich sehr ähnlich. Die Aberhunderte von Rezensionen, die ich in den zurückliegenden gut 30 realen Schreibjahren verfasst habe, sind erst zu einem kleinen Teil in den Rezensions-Blog eingeflossen. Und es entstehen ja ständig weitere, wenn ich auf interessante Lektüre stoße und sie lesend vereinnahme.
Nach dieser kurzen Vorrede möchte ich euch aber nicht länger von dem Abenteuer abhalten, das mich damals in das Reich der alten Maya auf höchst farbenprächtige und unterhaltsame Weise führte.
Vorhang auf für:
Entdecker der vergessenen Stadt
(OT: Fast Forward – Lost Cities)
von Nicholas Harris (Text)
& Peter Dennis (Illustrationen)
Aus dem Englischen von Salah Naoura
Meyers Lexikonverlag
Mannheim 2003
28 Seiten
ISBN 3-411-07232-6
Ich denke, wenn man Kinder für die menschliche Geschichte begeistern möchte, geht wirklich nichts über eine zünftige, faszinierende Zeitreise mit zahlreichen Überraschungen. Sie muss in eine Zeit und Weltgegend gehen, die nicht unbedingt alltäglich ist und um die Ecke liegt, das ist wohl die erste Voraussetzung, die Texte in einem solchen Buch müssen zudem leicht verständlich sein und die Illustrationen am besten auch noch gespickt mit Details, die die Neugierde der Kinder aufs Entdecken generell anstacheln und sie länger auf den Seiten verharren lassen.
Ein solches Buch, das ich als Kind gern gelesen hätte – damals gab es so was aber offenkundig noch nicht, schon gar nicht so neckisch didaktisch aufbereitet und kostengünstig erhältlich – , das liegt hier vor, und es liest sich wirklich äußerst zügig. Mein Vergnügen dauerte höchstens eine Stunde … aber natürlich, ich bin ja auch ein gestandener Leser im mittleren Alter. Kinder in der Altersstufe von 9-12, für die das Werk vermutlich geschaffen wurde, haben bekanntlich ein ganz anderes Lesetempo und setzen andere Prioritäten, lassen sich leichter ablenken und so weiter. Sie werden darum entsprechend mehr von dem Buch haben.
Diesmal unternehmen wir, wenn wir das vorliegende Werk aufschlagen, eine sehr kurzweilige Zeitreise in das Reich der alten Maya und verfolgen auf den 28 Seiten, die zudem ein kurzes Begriffsglossar und ein Stichwortregister beinhalten, in 12 Etappen den Aufstieg, Untergang und die Wiederentdeckung einer „vergessenen Stadt“. Im Grunde genommen bezieht sich der englische wie der deutsche Titel darum also nur auf die letzten vier Kapitel, was aber nicht bedeutet, dass der Anfang uninteressant wäre, ganz im Gegenteil.
Auf farbenprächtigen Doppelseiten sieht man, von einer Blende abgesehen, aus der Vogelperspektive breite Panoramen vor seinen Augen ausgebreitet. Beginnend im Jahre 1000 vor Christus – hier noch als Dorf bestehend – entwickelt sich die namenlose Metropole der Maya zu einer großen Stadt mit hohen Tempelpyramiden, vor denen und auf denen sich das Alltagsleben ausbreitet. Wir sehen Bauarbeiter, Steinmetze und Maler bei der Arbeit (plus zahlreiche Arbeitsunfälle und häusliche Katastrophen, die wirklich für diverses Gekicher sorgen), es wird gekocht, gewebt, Körbe geflochten, Markt gehalten, Tiere eingefangen und vieles mehr. Auf den Bildern, die bisweilen fünfzig oder noch mehr akkurat gezeichnete Personen darbieten, gibt es wirklich eine Menge zu entdecken.
Die Blende des Jahres 910 nach Christus, die in die Niedergangszeit der Maya-Kultur fällt, erinnerte mich beunruhigend an die Forschungen der Archäologen in der Maya-Stadt Aguateca, die zur Zeit ihrer Besiedelung in der Spätphase sehr ähnlich ausgesehen haben muss.1 Die Zeichnungen sind insgesamt exzellent ausgeführt, und auf der Rückseite der Daumenleiste, wo die Jahreszahlen aufgetragen sind, finden wir weitere Informationen zur Kultur der Maya, die man beim ersten Mal fast über-sieht. Genaues Hinsehen lohnt sich als in jedem Falle.
Gewiss, mit manchen Argumentationen bin ich nicht recht einverstanden, beispielsweise mit der Behauptung, niemand wisse genau, warum die Mayakultur zugrunde ging (S. 21). Es gibt heutzutage ein paar sehr plausible Modelle, die gut erklären können, warum die Mayazivilisation in Etappen unterging. Krieg ist zweifellos ein wesentlicher Faktor, aber den größeren Anteil hatten Naturkatastrophen einer völlig ausgepowerten Natur, in der die Bewohner der Region unpassende Hanglagen besiedelten und zu viel Waldland zerstörten, was das Mikroklima der Region dramatisch verschlechterte, Erosion, Missernten, Hungersnöte und Seuchen auslöste. Das ist inzwischen recht gut erforscht.2
Gleichermaßen ist die Aussage wohl überholt, dass bis heute nur ein Teil der Schriftzeichen der Maya entziffert werden konnte (S. 20). Hier sollte auf die Forschungsresultate des Wissenschaftlers Michael D. Coe verwiesen werden.3
Sonst hingegen habe ich gegen das vorliegende Werk keine signifikanten Einwände. Mit Dr. Elizabeth Graham vom Archäologischen Institut des University College in London stand unübersehbar fachlicher Rat den Arbeiten am Buch zur Seite, und das merkt man dem Text und den Illustrationen auch an – von den obigen Einwänden mal abgesehen.
Gleichfalls ist für die Kompletterstellung des Buches in Singapur und Malaysia zu konstatieren, dass man keine offensichtlichen Schreibfehler entdecken kann, wie es früher bei „ausgelagerten“ Produktionen häufig vorkam. Möglicherweise wurden Texte und Bilder als Datei nach Fernost transferiert und dann wirklich nur noch gedruckt. In jedem Fall ist so ein sehr ansehnliches Buch entstanden, das als Einstieg in die Geschichte der Mayakultur für Kinder des genannten Alters uneingeschränkt empfohlen werden kann.
© 2011 by Uwe Lammers
Ja, das ist doch mal ein deutlicher Unterschied in der Bewertung eines Rezensionsbuches, wenn man es an der Vorstellung der letzten Woche misst. Und man sollte dabei ausdrücklich berücksichtigen, dass ich vor gut 10 Jahren ja noch näher an meinem historischen Studium war, zahlreiche historisch-biografiegeschichtliche Artikel verfasst und veröffentlicht hatte und generell mehr im historischen Forschungsfeld verankert war, als das aktuell der Fall ist.
Auch im Roman der kommenden Woche – das ist dann die Fortsetzung von Rezensions-Blog 349 – bleiben wir im Feld der zeithistorischen Forschung, diesmal aber im Rahmen einer Zeitreise, die ich extrem spannend fand. Am Schluss gibt es einen herben Wermutstropfen, aber dazu sage ich dann nächste Woche Genaueres.
Für den Moment freut euch einfach auf die nächste Buchvorstellung.
Bis bald, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.
1 Vgl. dazu den Artikel zur Maya-Stadt Aguateca im NATIONAL GEOGRAPHIC DEUTSCHLAND 5/2003.
2 Vgl. dazu Jared Diamond: „Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen“, Frankfurt am Main 2005.
3 Vgl. Michael D. Coe: „Das Geheimnis der Maya-Schrift. Ein Code wird entschlüsselt“, Reinbek bei Hamburg 1995.