Liebe Freunde des OSM,

erotische Literatur ist eine Form von Minenfeld, wer sich daran mal versucht hat, weiß das wohl bestens. Gar zu leicht kann man hier in schematische Fallen tappen, unangemessene Tun­nelblickperspektiven einnehmen, sich von den Sexszenen mit­reißen lassen und darüber die Charakterisierung und die Reali­tätsnähe der Personen vernachlässigen. Mitunter ist auch ein rosaroter Filter im Spiel, der die Realität so weichzeichnet, dass man als kritischer Leser manchmal tief Luft holen muss, um weiterlesen zu wollen.

Geschickte Autorinnen – zumeist sind es Autorinnen oder we­nigstens wird unter weiblichem Pseudonym geschrieben – ver­suchen derlei Probleme durch Humor zu kompensieren, was die Geschichten dann in Richtung von Komödien verschiebt … auch das eine nicht unproblematische Strategie, die gar zu leicht die Grenze zur Satire tangiert, was zweifelsohne meist nicht inten­diert ist.

In den vergangenen Jahren habe ich, wie ihr aus den vergange­nen Artikeln des Rezensions-Blogs wisst, eine Vielzahl erotischer Romane und Romanzyklen gelesen und bisweilen sehr differen­ziert beurteilt. Da gab es auch sehr schwache Geschichten, Sei­te an Seite mit beeindruckenden, die durch psychologische Tie­fe und schöne Charakterzeichnung auffielen.

Bei dem vorliegenden Romanzweiteiler, den ich 2019 las und in einer Sammelrezension besprach, halten sich die beiden Pole ein wenig die Waage. Charakterliche Tiefe jenseits des Schema­tismus sucht man eher vergebens, auch ist der rosarote Weich­zeichner massiv in Aktion, wie man schnell sehen kann. Das spricht tendenziell gegen diese Bücher.

Für sie ist allerdings der phantasievolle Einfallsreichtum auf der Haben-Seite des Romans zu verbuchen, ebenfalls der Humor, der hier nicht zu kurz kommt. Wer also erotische Romane mit komödienhaften Elementen und einem Happy End zu schätzen weiß und seine Anfangserwartungen auf ein realistisches Maß zurückfährt, dürfte diese Romane durchaus als angenehme Ur­laubslektüre wahrnehmen.

Wovon genau spreche ich? Von diesen Werken hier:

Der Club der verborgenen Wünsche

(kein OT im Impressum!)

Von Joan Elizabeth Lloyd

Heyne 54517 (07/2007)

368 Seiten, TB (kein OT-Datum im Impressum!)

Aus dem Amerikanischen von Eva Malsch

ISBN 978-3-453-54517-5

und

Club der Sünde

(OT: Night After Night)

Von Joan Elizabeth Lloyd

Heyne 54519 (01/2008)

368 Seiten, TB (2005)

Aus dem Amerikanischen von Eva Malsch

ISBN 978-3-453-54519-9

Es ist manchmal schon kurios, wie das Schicksal so spielt und wie es sich dann in meinen Bücherregalen widerspiegelt … es ist, denke ich, allgemein bekannt, dass sich in meiner eigenen kleinen Bibliothek unzählige noch ungelesene Werke aufhalten. Und dann und wann gehe ich an den Regalen entlang, wenn ich auf der Suche nach Lesestoff bin und ziehe mir mal diesen, mal jenen Band heraus und fange ihn zu lesen an.

Bei dem Buch „Club der Sünde“ hätte ich allerdings nur Bahnhof verstanden, es war also gut, dass ich ihn seit meinem Kauf im Februar 2008 im Regal verweilen ließ … bis ich im September 2018 den ersten Teil dieses Romanzweiteilers entdeckte und im Frühjahr 2019 entschied, es sei jetzt Zeit, beide Bände zu lesen. Eine gute Entscheidung, und ich wurde äußerst zielstrebig von allen anderen Problemen und Taten ringsum gründlich abge­lenkt, weil ich mich auf dieses Leseabenteuer einließ.

Worum geht es?

Die Zwillingsschwestern Jenna und Marcy Bryant leben in der Kleinstadt Seneca Falls im Staate New York und arbeiten beide für eine dort ansässige Übersetzungsagentur. Sie wohnen zu­sammen im Haus ihrer verstorbenen Eltern und kommen bes­tens miteinander aus. Und das, obwohl sie im Grunde genom­men vollkommen unterschiedlich sind. Wo Jenna rank und schlank und attraktiv ist, ist Marcy mit mehr als fünfzig Pfund Übergewicht drall und kommt sich stets dicklich und unattraktiv vor. Ihr Lieblingshobby besteht darin, Süßigkeiten zu vertilgen, Popcorn zu naschen und die echte, originäre Couch Potato zu sein, wie sie im Buche steht. Gleichzeitig ist Jenna die Impulsi­ve, die leicht chaotisch zu sein pflegt, und Marcy räumt ihr ge­duldig hinterher, macht akkurate Pläne und hat auch sonst or­ganisatorisch alles im Griff.

So kann es bleiben, findet zumindest die sehr standorttreue Marcy. Eigentlich denkt Jenna das auch … bis zu dem Abend, an dem ihr langjähriger Freund Glen sie zu einem eleganten Dinner einlädt und ihr dann zu ihrer Fassungslosigkeit einen Heiratsan­trag macht.

Den sie in Panik ablehnt!

Muss man das verstehen? Nein, nicht wirklich … also, nur, wenn man genauer drüber nachdenkt. Natürlich liebt Jenna Glen, ja. Aber sie denkt voraus und sieht sich in zehn, zwanzig Jahren im­mer noch im biederen, beschaulichen Seneca Falls, immer noch im gleichen Beruf, verheiratet mit dem lieben Glen, vielleicht mit Kindern, und in einem Leben eingesperrt, das an Monotonie kaum zu überbieten ist. Ist das wirklich alles, was sie sich vom Leben erhofft? Gibt es da nicht irgendwie … na ja, sie kann es auch nicht genau sagen, aber … nun ja, mehr?

Sie zieht also die Notbremse, wenn auch reuevoll. Glen ist na­türlich zutiefst verletzt, und sie kann ihm ihre Reaktion nicht wirklich recht erklären.

Da kommt ihr der Anruf ihrer alten Collegefreundin Chloe ganz recht, die sie nach Beichten ihres Problems kurzerhand zu sich nach New York einlädt, um ein wenig Abstand zu bekommen. Chloe hat von ihrer verstorbenen Tante ein mehrstöckiges Sand­steinhaus mitten in Manhattan geerbt, in dem sie nun völlig al­lein lebt.

Marcy empfindet heftigen Trennungsschmerz, als sich Jenna für die Auszeit entscheidet – sie sind noch nie in ihrem nunmehr 30 Jahre währenden Leben länger als ein paar Tage voneinander getrennt gewesen, und das ist schon eine heftige Umstellung. Sie hat allerdings keine Ahnung, wie sehr sich ihrer beider Le­ben alsbald verändern soll. Marcy ist fest überzeugt davon, dass Jenna, die ja sicherlich ganz genauso wie sie empfindet, in weni­gen Wochen tränenüberströmt heimkehren und dann bestimmt „ihren“ Glen heiraten und glücklich werden wird.

Das geht doch gar nicht anders, oder? Sie kennt doch schließ­lich ihre Schwester!

Jenna hält also Glen auf Abstand, „erst mal für ein halbes Jahr“, möchte sich aber doch lieber ganz von ihm trennen und hofft darauf, dass er sie vergisst und jemanden findet, der besser zu ihm passt. Und liebt ihn gleichzeitig doch irgendwo immer noch … Liebe kann komisch sein.

In New York angekommen verliebt sich Jenna fast vom Fleck weg in das schöne Villengebäude, das allerdings unglaublich leergeräumt ist. Nur wenige Zimmer sind noch möbliert – Chloe leidet unter notorischem Geldmangel, und es ist absehbar, dass sie bald wohl das Haus verkaufen muss. Es sei denn, sie finden eine Finanzierungsmöglichkeit. Und die gibt es tatsächlich, auch wenn sie sich eher zufällig ergibt.

Chloe, lebenslustig und sexuell experimentierfreudig, findet schnell heraus, dass Jennas Probleme mit Glen wesentlich mit seiner geringen erotischen Variationsbreite zu tun hatten und damit, dass Jenna als „Mädchen vom Lande“ wirklich von der Vielfalt des Sex kaum Ahnung hat. Sie kennt jede Menge Leute, die das zu ändern imstande sind … und schnell entdeckt Jenna, dass Chloe auch kein Problem damit hat, Leute aufzureißen und für Sex Geld zu verlangen.

Also ist sie einfach eine Prostituierte? Und sie will Jenna dazu animieren, dasselbe zu tun? Was Jenna natürlich total scho­ckiert.

Nun, ganz so einfach ist das nicht.

Was mit Jennas Assistenz beim Filmen von Liebesszenen an­fängt, verselbständigt sich sehr rasch und wird zu etwas, was ihnen über den Kopf wächst. Aber wahnsinnig Vergnügen berei­tet. Die beiden Freundinnen entschließen sich alsbald dann dazu, etwas anderes zu machen als üblich: sie gründen den „Club Fantasy“ und beginnen damit, erotische Szenarien zu ent­wickeln und so finanziell potenten Männern ordentlich Geld aus der Tasche zu ziehen. Das spricht sich schnell herum, und auf einmal ist da die charismatische Unternehmerin Erica von Cour­tesans, Inc., die Interesse daran bekundet, mit den beiden Ero­tik-Jungunternehmerinnen ins Geschäft zu kommen.

Aber da sind natürlich auch immer noch Marcy und Glen, die von Jenna über Monate nach Strich und Faden belogen werden, weil Jenna es einfach nicht übers Herz bringt, ihren beiden liebs­ten Menschen zu erklären, was sie tatsächlich in Manhattan tut.

Das geht nicht lange gut …

Im zweiten Roman „Club der Sünde“ wechselt der personale Fo­kus. Es sind ein paar Monate seit dem ersten Band vergangen, und inzwischen ist Marcy Bryant in Seneca Falls genau im Bilde darüber, was ihre Schwester in Manhattan tut – und sie ist im­mer noch völlig schockiert.

Jenna Bryant, ihre Schwester – eine Prostituierte! Sie ist völlig am Boden zerstört! Nie hätte sie das für möglich gehalten! Wie konnte ihre Schwester nur dermaßen auf Abwege geraten?

Sicher, so redet sie sich ein, ist das nur der schlechte Einfluss ihrer liederlichen Freundin Chloe und dieser geheimnisvollen Eri­ca, von der sie gelegentlich gehört hat. Irgendwie muss sie also versuchen, Jenna aus diesem Sündensumpf zu holen und zurück in den sicheren Hafen von Seneca Falls. Immerhin ist da doch Glen, der Jenna immer noch liebt … scheinbar haben sie sich versöhnt, aber wie soll das wohl funktionieren, wenn Jenna stän­dig mit fremden Männern schläft?

Marcy, ganz die planerische von den beiden Schwestern, entwi­ckelt einen Plan, den sie für raffiniert und genial hält. Als ihre Schwester eines Tages auf Kurzurlaub wieder in der Heimat weilt, enthüllt sie ihn, wenigstens vordergründig: Sie werde ei­nen Roman schreiben. Einen erotischen Roman, und zwar über den „Club Fantasy“!

Jenna ist völlig entsetzt und reagiert erst einmal komplett ab­wehrend.

Aber was sich Marcy in den Kopf gesetzt hat, das boxt sie auch durch und lässt sich nicht davon abbringen. Ihr Langzeitplan sieht schließlich so aus, dass sie mit dem Buch viel Geld verdie­nen wird, soviel, dass Jenna auf die Gelder nicht mehr angewie­sen ist, die sie in New York damit erwirtschaftet, dass sie ihren Körper verkauft. Dann wird sie nach Seneca Falls zurückkehren, und sie leben alle wieder harmonisch so wie zuvor … so ihre naive Vorstellung.

Es gibt nur ein paar klitzekleine Probleme bei dem Plan.

Das erste besteht darin, dass Jenna ihre Tätigkeit inzwischen wirklich LIEBT.

Das zweite entdeckt Marcy, als sie sich tiefer in die Materie in New York einarbeitet – Jenna verdient verdammt viel Geld mit der Inszenierung erotischer Phantasien. Das ökonomische Ele­ment steht also auf arg wackeligen Füßen.

Doch der wirkliche Hemmschuh ist Problem Nummer 3: Marcy, die sich aufgrund ihres Übergewichts immerzu in recht unförmi­ge Kleidung zwängt und die ganzen Jahre im Schatten ihrer at­traktiveren Schwester stand, hat nahezu keine sexuellen Erfah­rungen, von Orgasmen ganz zu schweigen. Wer will schon mit einem dicken Mädchen schlafen? Sie würde es ja selbst nicht tun.

Und wie soll man über sexuell ausgefallene Erfahrungen schrei­ben, wenn man sie gar nicht aus eigener Anschauung kennt?

Also, Probleme über Probleme. Aber Marcy ist immer noch fest entschlossen, ihren Plan umzusetzen. Sie muss doch ihre Missi­on realisieren: rette die in Sünde gefallene Schwester, koste es, was es wolle!

Und dann kommt Problem Nummer 4 unvermittelt hinzu: der at­traktive Zack, den Jenna ihr empfiehlt, damit Marcy mit etwas Informationsinput versorgt wird, was den Roman angeht. Zu­gleich warnt sie Marcy: Sie solle auf gar keinen Fall etwas mit Zack anfangen, denn immerhin sei er ein Angestellter des „Club Fantasy“ und somit ein Callboy, also genau die Art von Mann, die Frauen Lust vorspiele und bereite. Er sei nicht die Art von Mann, mit der Marcy glücklich werden könne.

Zu dumm nur, dass Marcy bald mehr für Zack zu empfinden be­ginnt …

Es ist schon echt interessant und durchweg vergnüglich gewe­sen, dem kurvenreichen Lebensweg der beiden Schwestern zu folgen, die, wiewohl Zwillinge von Geburt her, doch charakter­lich sehr verschieden sind und sich in zunehmend komplizierte­ren erotischen Wirrnissen wieder finden. Während die Überset­zung von Eva Malsch sich ausgezeichnet liest, wird meiner Überzeugung nach die Problematik insgesamt etwas unterbe­lichtet dargestellt. Gar zu leicht kann man zu der Überzeugung kommen, in beiden Romanen würde käuflicher Sex bagatellisiert und zu einer Art aufregendem Privatvergnügen verkürzt, mit dem man rasch viel Geld machen kann. Das ist doch wenigstens sehr romantisch simplifiziert.

Es klingt zwar in beiden Romanen gelegentlich an, dass gewerb­liche Prostitution, zumal im Staate New York, kriminalisiert und vom Gesetz verfolgt wird, aber von dieser Seite her gibt es in beiden Werken überhaupt keinen Moment lang Probleme. Es gibt keine Schwierigkeiten mit Drogen, mit Verrat und Erpres­sung, mit brutalen Klienten oder stalkenden Psychopathen (was es alles ohne Zweifel gibt), von ausbeuterischen Methoden oder dergleichen mal ganz zu schweigen. Es reicht im Roman völlig hin, den hünenhaften (und natürlich dominanten) Rock da zu haben, der alles bald unter Kontrolle hat. Und selbstverständlich hat auch die Unternehmerin Erica von Courtesans, Inc., nur die allerbesten Absichten.

Genau genommen leben wir hier als Leser also in einer Art rosa­rotem Wunderland der erotischen Phantasien, die inszeniert werden – und gar nicht mal so unintelligent, vielfach äußerst aufreizend – , doch mit der Realitätsnähe hapert es mächtig.

Außerdem ist Lloyd erkennbar eine Romantikerin reinsten Was­sers, will heißen: die Protagonistinnen müssen natürlich schluss­endlich in den erfüllenden Hafen einer glücklichen Ehe einlau­fen. Der Weg dahin ist vergnüglich, oftmals sehr aufregend, aber von eigentlicher Dramatik kann keine Rede sein.

Wer also dramatische Romane sucht, etwa a la „Trinity“ (Audrey Carlan) oder „Hard“ (Meredith Wild), der wird erfolglos bleiben. Joan Elizabeth Lloyd spielt dann eher in der vergnüglichen Liga einer Jessica Clare („Perfect Passion“, „Perfect Touch“ usw.). Wenn man sich als Leser dort zuhause fühlt, kann man mit den beiden vorliegenden Romanen – so seltsam und unvollkommen der erste auch bibliografisch im Impressum erfasst ist – ein paar sehr angenehme Unterhaltungsstunden verbringen.

Mit der erwähnten Einschränkung sind die Bücher aber durch­aus lesenswert.

© 2019 by Uwe Lammers

Einleitend sagte ich ja, man solle als potenzieller Leser seine Er­wartungshaltung etwas drosseln. Das war vermutlich eine gute Vorwarnung – aber ich könnte mir vorstellen, dass die Rezension doch neugierig gemacht hat.

In der kommenden Woche streife ich mal wieder die Untiefen des Infotainments, würde man wohl sagen können, insofern, als ich eine Rezension ausgegraben habe, die historische Informationen jugendgerecht im Buchformat aufzubereiten suchte. Ob das gelungen ist und worum genau es sich handelt, erfahrt ihr beim nächsten Mal an dieser Stelle.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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