Liebe Freunde des OSM,
vor zwei Wochen an dieser Stelle erzählte ich, dass ich von dem Romanzweiteiler von Deanna Lee versehentlich den zweiten Teil zuerst las und später dann, als ich zu dem nächsten Roman von ihr griff, mit Verwirrung, dann langsam sich erhellendem Verständnis zu begreifen begann, was eigentlich passiert war. Dummerweise hatte ich da zum zuerst gelesenen zweiten Teil („Bodyguard“) schon eine nicht wirklich verständnisvolle und recht kritische Rezension verfasst.
Ihr erlebt hier also, weil ich es durchaus erhellend finde, so etwas mal zu tun, einen etwas ratlosen und leicht frustrierten Rezensenten, der 2019 von dem Folgeband von „Galerie der Leidenschaften“ nicht wirklich angetan war.
Well, Fortsetzungsromane zeichnen sich mehrheitlich dadurch aus, dass sie schon vertraute Personen und Settings voraussetzen können – was Lee hier auch getan hat. Wer aber als Leser dann in eine solche Geschichte ohne Vorkenntnisse einsteigt, dem wird eine gesteigerte Kombinationsbereitschaft abgefordert, die nicht immer zu leisten ist. Leserfrust ist die fast unvermeidliche Konsequenz.
Die etwas barschen und verständnislosen Worte in meiner damaligen Rezension bitte ich darum zu entschuldigen. Im Lichte der später gewonnenen Vorkenntnisse würde ich nicht mehr ganz so harsch urteilen. Gleichwohl fände ich auch heute noch, dass der englische wie deutsche Titel recht unpassend gewählt ist.
Was das genau bedeuten soll? Da schlage ich vor, lest doch einfach mal weiter, der Nebel wird sich lichten:
Bodyguard
(OT: Barenaked Jane)
Von Deanna Lee
rororo 24856
304 Seiten, TB (2008)
ISBN 978-3-499-24856-6
Aus dem Englischen von Meike Wolff
Es gibt schon kuriose Bücher, aber das hier ist eines von der Sorte, das nun wirklich in keiner Weise hält, was der Titel verspricht. Wer hier insgeheim denkt, der Handlungsstoff des gleichnamigen Films mit Whitney Houston und Kevin Costner sei in einen erotischen Roman umgegossen worden, der wird sich gründlich umorientieren müssen.
Warum?
Weil es in dem Roman keinen Bodyguard gibt (obwohl die weibliche Hauptperson gut einen solchen gebrauchen könnte, wie sich schließlich herausstellt). Gleichwohl ist das sinnliche Cover ebenso reizvoll wie der Inhalt, und damit sei dem Verlag dann die Rosstäuschung verziehen. Ich gebe ja zu – es wäre einigermaßen schwierig gewesen, ihn gescheit zu betiteln. Mit weitem Abstand am passendsten wäre vermutlich gewesen, ihn „Die Ex-Polizistin und Galerie-Angestellte, in die sich ihr Sicherheitschef verguckt“ zu nennen … aber es ist offenkundig, dass das kein wirklich zugkräftiger Titel ist.
Worum geht es also in Wahrheit, wenn schon der Titel in die Irre führt? Um Folgendes:
Jane Tilwell ist Ex-Polizistin aus dem Süden der USA, die nach Boston gezogen ist, als sie aus anfangs noch unklaren Gründen nicht mehr in ihrem angestammten Beruf arbeiten konnte. Sie hat wirklich völlig umgesattelt und ist Kunsthändlerin geworden, die in einer renommierten Bostoner Galerie unter dem Leiter James Brooks angefangen hat. Dass der jedoch nahezu nie in Erscheinung tritt und seiner leitenden Angestellten Mercy Rothell das Feld überlässt, die als ihre Chefin fungiert und alsbald zu ihrer engen Freundin wird, macht die Geschichte noch etwas undurchsichtiger. Als Leser braucht man eine ganze Weile, um die miteinander verflochtenen und stets nur angedeuteten Biografien zu entwirren. Sie sehen dann etwa so aus:
Mercy hat in ihrer jüngsten Vergangenheit eine Vergewaltigung zu verarbeiten, mit der sie noch nicht ganz zu Rande gekommen ist. Die zentrale Künstlerin Lisa Carlson, die in der Galerie ausstellt, steckt gerade in einem Scheidungsprozess von ihrem brutalen Ex-Mann, der ihr stalkermäßig nachsteigt.
Und Jane Tilwell, die Hauptperson, hat buchstäblich Leichen in ihrer Vergangenheit liegen, deren Schatten sie bis heute immer noch verfolgen – während ihre beiden Brüder im Süden Cops geblieben sind, ist sie auf einem Streifendienst Seite an Seite mit ihrem Kollegen mit einem durchdrehenden Autofahrer konfrontiert worden. Der unmotivierte Streit endete so, dass Janes Kollege erschossen wurde, sie bekam zwei Kugeln ab und ballerte ihr Magazin auf den Amokläufer leer und leidet seither unter einem ausgesprochenen Trauma.
Da tut es ihrem Ego enorm gut, von der Distanz zum Tatort ganz zu schweigen, dass sie sich in der Galerie beweisen kann. Und um die Sache noch toller zu machen, wird ihr der Auftrag überantwortet, eine Reihe extrem seltener Kunstwerke eines exzentrischen Künstlers in der Galerie ausstellen zu können. Aber damit fangen auch die Probleme an.
Denn ohne dass sie es weiß, hat ihre Vorgesetzte einen Sicherheitscheck der Galerie veranlasst … und als Jane eines Abends wie so oft Überstunden macht, stößt sie in der dunklen Galerie auf einen Eindringling … und wird überwältigt. Natürlich hält sie ihn für einen Angreifer. Zu ihrem Glück ist er keiner, sondern ein ebenholzschwarzer, hünenhafter Ex-Marine namens Mathias Montgomery, der die Sicherheitsvorkehrungen testen sollte.
Das Testergebnis fällt indes höchst blamabel aus, und er muss konstatieren, dass die Galerie dringend ein massives technisches und auch personelles Update seiner Sicherheitsfirma benötigt. Er bekommt den Auftrag tatsächlich und bringt Janes Programmplanung anschließend gründlich durcheinander.
Noch mehr durcheinander bringt er allerdings ihr Gefühlsleben.
Denn Mathias erweist sich als ein unwiderstehlich attraktiver, einfühlsamer und zudem hochintelligenter Liebhaber. Jane, die sich mit dem Anwalt Charlie Wallace einen „Schwanz auf Abruf“ leistet, mit dem sie seit rund einem Jahr vögelt, wann sie es halt mal braucht, hat in ihrem Leben im Grunde genommen keinen Platz für einen dauerhaften Mann (das hat mit ihrer zerrütteten Familiengeschichte zu tun, zu der ich hier nichts weiter ausführen will). Aber sie bekommt Mathias nicht mehr aus dem Kopf. Umgekehrt geht es ihm ebenso.
Mathias hat ein Rezept dagegen, wie er sagt. Er beschließt, sie zu überraschen und, wie er sich ausdrückt, dem Problem dadurch zu begegnen, dass sie sich ein Wochenende lang „die Gefühle aus dem Leib vögeln“, um danach eine normale Arbeitsbeziehung einzugehen. Dummerweise klappt das nicht einmal ansatzweise, sondern verschlimmert nur die suchtähnliche Abhängigkeit der beiden voneinander.
Und dann taucht der nervige Charlie auf, der offenkundig sehr viel mehr von Jane möchte als nur ein unverbindlicher Sexpartner auf Zeit zu sein. Als sie diese Avancen abweist, zeigt der Anwalt auf einmal ein völlig anderes Gesicht …
So heißblütig die erotischen Szenen auch sein mögen und so sympathisch die zentralen Charaktere auch gezeichnet werden – ich hatte nicht nur des Titels wegen ein wenig Schwierigkeiten mit dem Roman. Man liest ihn mühelos in drei Tagen weg und sieht auch geflissentlich über peinliche Übersetzungsfehler wie den „9. September 2001“ (sic!) hinweg. Irgendwie hatte ich, als ich das Buch auslas, das dumme Gefühl, nur die Hälfte der Geschichte vor mir zu haben.
Warum dies?
Nun, eigentlich glaubte ich doch, weil soviel Raum darauf verwendet wurde, dass es zentral um die Kunstwerkausstellung und den Schutz selbiger vor eventuellen Dieben gehen würde. Aber während die Sicherheitsvorkehrungen immer perfekter werden, verliert sich die Autorin in der Dreierkonstellation Jane – Charlie – Mathias, wo zwar schlussendlich eine Quintessenz hergestellt wird. Aber die Ausstellung wird darüber vollkommen vergessen. Statt „Bodyguard“ hätte man also auch titeln können „Die fatale Dreierbeziehung der Galeristin Jane Tilwell“ oder so. Denn darum geht es in Wahrheit. Wer denkt, es würde jetzt noch wenigstens die Ausstellungseröffnung oder eine fatale Krise rings um die Kunstwerke einsetzen, sieht sich völlig getäuscht. Deshalb dachte ich mir: fehlen am Roman jetzt nicht noch 100 Seiten, um die Story abzurunden? Offensichtlich doch. Ich kann mich nicht entsinnen, jemals eine so unvollständige Storyline in einem etablierten Verlagsroman entdeckt zu haben. Echt nicht.
Also, ein seltsames Werk. Wenn man nur auf hitzige Erotik und durchaus witzige Dialoge aus ist und das Buch lediglich zur Entspannung und ohne eingeschalteten Verstand lesen möchte, kann man das Werk akzeptieren. Aber sonst ist es doch recht merkwürdig geraten.
Es gibt allenfalls eine recht eingeschränkte Leseempfehlung von meiner Seite.
© 2019 by Uwe Lammers
Soviel für den Moment von der Belletristik-Front. In der kommenden Woche tauchen wir ein wenig in die Zeitgeschichte ab und machen (wieder mal) eine Stippvisite bei Adolf Hitler.
Bis dann, Freunde, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.
PS: Nachtrag vom 16. November 2021 – sorry, dass ich den Blogartikel vom Sonntag nur als Entwurf speicherte und heute dann verspätet veröffentlicht habe. Solche dummen Dinge geschehen. Dafür gibt es den Rezensions-Blog von morgen heute schon vorab, da ich dann auf einer Beerdigung bin und nicht sagen kann, wann ich hierfür Zeit fände.