Liebe Freunde des OSM,
es ist immer ein Abenteuer, wenn im Nachlass von Schriftstellern Fragmente gefunden werden oder entsprechende Notizideen für weitere Romane und Geschichten, die dann mangels Lebenszeit nicht mehr ausgeführt werden konnten. Ich denke, es muss nicht verblüffen, dass der Reiz, Fragmente von bekannten Autoren zu vollenden und sich so als Epigone ein kleines bisschen von dem Glanz des ursprünglichen Verfassers anzueignen, allgemein sehr weit verbreitet ist.
Man könnte denken, dies sei ein Phänomen der Neuzeit, und man wäre imstande, da auf diverse Autoren zu verweisen, die das Zeitliche segneten und ihre hungrige Fangemeinde erschrocken und darbend zurückließen. Nennen wir einfach ein paar Namen: Robert Ludlum, Stieg Larsson, Tom Clancy … und das sind nur die, die mir spontan einfallen. Alle diese Autoren sind über ihre Epigonen, die alte Fragmente der Verstorbenen ausführen oder deren Ideen fortsetzen, immer noch in den Buchhandlungen, z. T. in den Bestsellerlisten vertreten.
Üblicherweise muss aber auch konstatiert werden, dass die solcherart entstandenen Geschichten eher Verwässerungen des originalen Stoffes darstellen. Dass das nicht zwingend so sein muss, beweisen etwa die Epigonen von Sir Arthur Conan Doyle, die sich seines Detektivs Sherlock Holmes mit viel Erfolg angenommen haben.
Auch Robert E. Howard, der 1936 früh durch eigene Hand verstorbene Fantasy-Autor, hinterließ eine Vielzahl von Fragmenten. Es ist den Howard-Fans aus dem Dunstkreis des Ersten Deutschen Fantasy-Clubs (EDFC) zu danken, dass viele dieser Fragmente in deren Fanzine MAGIRA dem deutschen Publikum zugänglich gemacht wurden. Und natürlich hat Howard Epigonen, die sich bemüßigt fühlten, Geschichten von ihm zu Ende zu führen. Ramsey Campbell war einer davon, und der vorliegende Band enthält entsprechende fertig gestellte Collaborations.
War er erfolgreicher in meinen kritischen Leseraugen, als es viele Krimi-Epigonen der Jetztzeit sind? Schaut euch einfach mal an, wie ich das anno 2007 sah, als ich die folgende Rezension verfasste:
Die Krieger von Assur
(OT: The Children of Asshur and other Stories)
von Robert E. Howard & Ramsey Campbell
Terra Fantasy 93
Pabel-Verlag, Januar 1982
162 Seiten, Taschenbuch
Aus dem Englischen und Amerikanischen von Lore Strassl & Helmut Pesch
Robert E. Howard ist ein Heroe der klassischen Fantasy-Literatur, und niemand, der sich ernsthaft für die Genese der Fantasy in der Frühzeit des 20. Jahrhunderts interessiert, kommt an ihm vorbei. Manch einer pflegt zu sagen, wenn Howard (der 1936 durch Suizid aus dem Leben schied) länger gelebt hätte, wären große literarische Würfe von ihm zu erwarten gewesen. Das mag sein, aber dies ist nicht der Zeitpunkt oder Ort, darüber zu schwadronieren.
Howard arbeitete nicht ausschließlich in fiktiven Welten, wie der Kundige weiß. Er schrieb sowohl reine Fantasy wie die Conan– und King-Kull-Stories, doch zugleich verfasste er, inspiriert durch seine starken historischen Neigungen, auch Werke für solche exotischen Genres wie die des damals noch recht unbekannten historischen Romans, er begeisterte sich für Piratengeschichten und dergleichen. Aus diesem Teil seines umfangreichen Oeuvres stammt das Material, von dem dieser Band zehrt.
Der 93. Band der seit langem eingestellten Terra Fantasy-Reihe (auf ihre Weise heute eine Legende wie Howard selbst, was schon ein wenig kurios anmutet) enthält vier Geschichten und ein Gedicht. Die erste Story – „Die Straße Azraels“ – stammt aus Howards Kreuzzugszeit, deren andere Geschichten in dem TF-Band 37 „Horde aus dem Morgenland“ viele Jahre zuvor publiziert worden waren. Die restlichen vier Werke spielen einige Jahrhunderte später und haben den puritanischen Streiter Solomon Kane als Protagonisten, der im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert unterwegs ist. Teilweise gibt es hier vage Überschneidungen mit Howards karibischen Piratengeschichten.
In „Die Straße Azraels“, die etwa im Jahre 1109 christlicher Zeitrechnung spielt – die Datierung geht aus den genannten Zeiträumen der Geschichte selbst hervor – , hat als Protagonist den jungen muslimischen Tschagatai Kosru Malik, der während einer Flucht durch die Wüste unvermittelt mit jenem Frankenritter zusammenstößt, der ihm einst bei der Erstürmung von Jerusalem (1099) das Leben rettete. Nach dem Moralkodex jener Zeit ist er deshalb in seiner Schuld und schließt sich, wiewohl das schierer Selbstmord scheint, dem Franken Sir Eric Cogan an, der seine jungfräuliche Nichte Ettaire de Brose aus den Händen verräterischer Moslems retten möchte. Zwar gelingt dies, aber dafür finden sich die drei auf einmal zwischen den Fronten zweier machtlüsterner Potentaten und deren Heere wieder – und, schlimmer noch, einer der beiden, Muhammad Khan, ist wie verrückt nach dem blonden Mädchen und lässt bei der Verfolgung jede Vernunft fahren …
„Die Burg des Teufels“ ist ein düsteres Gemäuer, in dessen Bann der puritanische, düstere Soldat Christi Solomon Kane gerät, als er gerade einen hilflosen Jungen vom Galgen geschnitten hat. Zusammen mit seinem zufälligen Weggenossen John Silent besucht er die unheildrohende Burg des Barons von Staler, hinter deren Mauern sich ein wahrhaftig tödliches Geheimnis verbirgt, das nur mit Blut gelöscht werden kann. Mit viel Blut …
„Die Stadt des Mondgottes“ entdeckt Solomon Kane irgendwann gegen Ende des 16. Jahrhunderts – noch zu Regierungszeit der Königin Elizabeth I. – , als er mitten im afrikanischen Dschungel einen Seefahrergefährten entdeckt, der völlig zerschlissen ausschaut und seltsam „einheimisch“ gewandet ist. Es handelt sich um Jeremy Hawk, und er wird von einer Horde Schwarzer verfolgt … und von anderen Männern, die weit eher semitisch wirken und in einer seltsamen Stadt im Urwald leben, die wie von einem fremden Stern herabgefallen zu sein scheint: eine Inselmetropole namens Basti.
Als Hawk mit Kanes Hilfe nach der Herrschaft dieser Stadt greift, geschehen unheimliche, grausame Dinge, und rasch wird dem Puritaner klar, dass er das Falscheste getan hat, was er nur tun konnte …
Mit den „Kriegern von Assur“ bekommt es Solomon Kane, ebenfalls noch in Afrika, zu tun, als er zu Gast in einem Dorf der Schwarzen ist, das fast komplett niedergemetzelt wird. Er findet sich verletzt unter lauter Leichen wieder und zudem völlig ausgeplündert. Also verfolgt er seine Angreifer und gelangt auf eine Hochebene über der Savanne, wo sich ein wahres Märchenreich ausbreitet – eine Hochkultur, die einstmals aus dem Zweistromland hierher flüchtete und nun ein unerbittliches Regiment über die Anrainer ausübt. Und hier wird Kane als Orakel in einem grausamen Machtkampf verwendet …
Zum Gedicht wird hier und jetzt nichts gesagt.
Die Ausflüge Robert Howards in die historische Fantasy, in der es durchaus von Zauberern und übernatürlichen Ereignissen wimmelt, lesen sich, wie das bei Howard oft so ist, flüssig, zügig und angenehm. Langeweile kommt hier nicht auf, denn man steckt übergangslos sofort in der actiongeladenen Handlung. Howard beweist zudem faszinierendes historisches Hintergrundwissen, was den historisch geschulten Leser beifällig nicken lässt.
Man muss sich freilich auch mit ein paar freundlichen Ungenauigkeiten anfreunden, es bleibt nichts anderes übrig. Das Titelbild zeigt etwa kämpfende Nordmänner im Schnee … die man im Buch definitiv vergebens sucht. Aber Titelbilder sind immer schon so eine Sache gewesen.
Etwas ärgerlicher ist es dann, Kosru Malik vom „Fluss Oxus“ reden zu hören. Warum? Weil dies ein definitiv griechischer Name ist und der Fluss im Arabischen natürlich anders heißt. Warum sollte ein Moslem hier einen Fluss mit dem Namen nennen, den seine FEINDE ihm gegeben haben? Es ist evident, dass sich Howard hier an amerikanische Historiker hielt, die ihrerseits die griechisch-byzantinische Bezeichnung des Flusses verwendeten und des Arabischen unkundig waren. Dies zu übernehmen, ist zumindest ungeschickt, fällt aber wohl den wenigsten Lesern jemals auf.
In gewisser Weise vergnüglich ist es dann schon, im tiefen schwarzen Afrika bei einer Kultur, die niemals zuvor Kontakt mit Europa hatte, „Weizenfelder“ vorzufinden. Da hat der Autor mangels Wissen über afrikanische Landwirtschaft definitiv improvisiert und sich Anleihen beim ländlichen Amerika geholt, ebenso, wie er die Stadt Basti an Tenochtitlan angelehnt hat, das ist deutlich zu erkennen.
Überhaupt sind die Anleihen an antike Kulturen recht ausgeprägt, doch ist dies einfach ein Zug der Zeit – Edgar Rice Burroughs tut es, Henry Rider Haggard tut es ihm gleich, ebenso das Autorenteam mit dem Sammelpseudonym „Kenneth Robeson“, das die Abenteuer des Bronzemanns Doc Savage beschreibt. Überall werden in unterentwickelten Weltregionen, die kein amerikanischer Leser so schnell erkunden würde, plötzlich archaische Kulturen entdeckt, die Züge des Zweistromlandes, des alten Israel, der Römer oder keltischer Staaten trugen. Man kann Howard allerdings attestieren, diese Anleihen geschickter als die meisten anderen Autoren gemacht zu haben.
Es bleibt ein zweiter Minuspunkt in dieser Publikation, der ausgesprochen werden sollte: Alle Geschichten bis auf die zuerst genannte sind Fragmente gewesen, die der britische Schriftsteller Ramsey Campbell 1978 vollendet hat. Wiewohl er sich rechtschaffen bemüht hat, Howards Diktion einzufangen, kann man doch bei genauerem Hinsehen nicht bestreiten, dass die Enden der drei Geschichten relativ einfallslos und ziemlich strukturgleich sind: mehr oder minder ein wildes Hauen und Stechen, aus dem der Protagonist mit mehr oder weniger starken Blessuren siegreich hervorgeht.
Meiner Vermutung nach hatte Howard andere Enden im Sinn und spürte instinktiv, dass diese – naheliegenden – Enden alles andere als befriedigend sein würden. Deshalb blieben die Geschichten Fragmente. Campbell hat also höchstwahrscheinlich die schlechtest mögliche Lösung realisiert. Ein wahrer Howard-Fan wäre mit den Fragmenten besser bedient gewesen, das ist ziemlich gewiss.
Abgesehen von diesen leichten Eintrübungen der Lektüre ist der Band dennoch dem Interessierten durchaus zu empfehlen, zumal dann, wenn man bei Howard auf den Geschmack gekommen ist. Man bekommt das Buch allerdings nur noch antiquarisch.
© 2007 by Uwe Lammers
Na, das klingt nicht so wirklich überzeugt, nicht wahr? Aber für einen echten Howard-Fan ist, denke ich, das Buch dennoch ein „Must-Have“, an dem er nicht vorbeikommt.
In der kommenden Woche stürzen wir uns erneut in ein maritimes Abenteuer von Clive Cussler, das diesmal eindeutige Science Fiction-Züge trägt.
Warum das? Nun, um das herauszufinden, solltet ihr in sieben Tagen wieder hierher schauen. Ich meine, das lohnt sich.
Bis bald, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.