Liebe Freunde des OSM,
wie in der letzten Woche erwähnt – diesen Romanzyklus kann man offenbar entweder nur begeistert begrüßen oder schlicht verabscheuen und verdammen. Wie ihr wisst, wenn ihr meine Rezensionen zu den ersten beiden Bänden gelesen habt, gehöre ich eher zu der ersteren Fraktion.
Mir ist dabei natürlich klar, dass es sich um eine relativ schlichte Liebesgeschichte handelt und von Klischees nur so wimmelt, und dass die Darstellung weit davon entfernt ist, realistische Personen im BDSM-Milieu darzustellen. Deshalb habe ich mich aber auch, als ich die Romane las, nicht primär um diese Elemente gekümmert, die zwar konstitutives Element der Geschichte sind, aber genau genommen nur überformendes Beiwerk darstellen. Ich fand den emotionalen Tanz der beiden sehr unterschiedlichen Protagonisten einfach sympathisch, die Mails von Anastasia und Christian zum Teil wirklich urkomisch … und ja, gegen die sexuellen Zwischenspiele hatte ich auch nichts einzuwenden. Ich gehöre nicht zu der Kategorie von prüde-entsetzten Leuten, die in einen katatonischen Schockzustand verfallen, wenn sie eine entblößte weibliche Brust sehen oder von expliziten Beischlaf-Szenen lesen.
Ich meine immer noch, dass ausgelebte Sexualität, in jeweils vollkommener Übereinstimmung der Partner ausgeübt, der menschlichen Normalität entspricht. Und es ist definitiv eine Tatsache, dass es da unterschiedlichste Facetten gibt, von denen nicht wenige tabuisiert sind. Und manche davon taugen dann natürlich dazu, Vorurteile zu befeuern und Bücher in Bausch und Bogen zu verdammen (gerne, wenn man die Werke nur dem Hörensagen nach kennt und keine genauere Kenntnis hat). Ich habe damals gesagt: diesem Verdammungsquatsch schließe ich mich nicht an. Ich möchte schon gern wissen, was diesen Hype international ausgelöst hat, und ja, ich habe die Geschichte durchaus unterhaltsam gefunden.
Sehr tiefsinnig ist „Shades of Grey“ natürlich nicht, das hat die Trilogie mit zahllosen Epigonengeschichten gemein. Aber ich mag die Hauptpersonen nach wie vor und werde sicherlich beizeiten den Zyklus mal wieder aus dem Regal ziehen, wenn es Mangel an anderweitig interessanten Büchern gibt.
Hier kommt also meine damalige Abschlussrezension zu E. L. James´ Romanzyklus, und wer mag, der lese weiter:
Shades of Grey 3: Befreite Lust
(OT: Fifty Shades Freed)
Von E. L. James
Goldmann 47897
672 Seiten, TB (2012)
ISBN 978-3-442-47897-2
Aus dem Amerikanischen von Andrea Brandl und Sonja Hauser
Das Undenkbare ist passiert: Seattles begehrtester Junggeselle, der erfolgreiche Unternehmer Christian Grey, Eigentümer von Grey Enterprises, hat im Alter von nur 27 Jahren die unscheinbar wirkende Anastasia Steele, eine gerade mal 21 Jahre alte und völlig unvermögende Literaturstudentin aus Vancouver geheiratet.
Er, der im Kreise seiner Familie hinter vorgehaltener Hand immer für problematisch im Umgang mit Frauen gehalten wurde, vielleicht gar für schwul, weil man ihn niemals in weiblicher Begleitung sah, ist mental vollkommen umgeschwenkt. Seine Adoptivmutter Grace, sein Adoptivvater Carrick und seine Geschwister Mia und Elliott hat diese Wandlung sehr überrascht. Dabei ahnen sie überhaupt nicht, wie sehr Anastasia ihren attraktiven Sohn verändert hat. Denn Christian hat aus seinen ursprünglichen Neigungen immer ein Geheimnis gemacht.
Es hätte auch wirklich seltsam ausgesehen, wenn er ihnen gestanden hätte: Ich liebe es, attraktive brünette Damen mit einem Besitzvertrag und einer Verschwiegenheitserklärung zu meinem sexuellen Eigentum zu erklären und in meinem Spielzimmer zu unterwerfen, sie auszupeitschen und ihnen Leiden zuzufügen, was mich erregt. Schuld an diesen Neigungen ist zum einen Christians komplizierte, von dunklen Schleiern verhüllte Vergangenheit, zum anderen seine erste „Geliebte“, Elena Lincoln, die Anastasia abfällig und voller tiefer Abneigung „Mrs. Robinson“ nennt.
Doch das alles scheint nun weit hinter ihnen zu liegen.
Sie machen, befördert von Christians Reichtum, phantastische Flitterwochen in Europa, die die frisch Verliebten unglaublich genießen. Es gibt da natürlich einige Eintrübungen, die aus Anas Eigensinnigkeit, Christians unglaublicher Eifersucht und seinem Besitzdenken resultieren … aber ja, im Grunde genommen amüsieren sie sich hervorragend.
Die Schwierigkeiten fangen an, als sie zurückkehren müssen. Denn in der Zwischenzeit ist ein Brandanschlag auf Christians Büro verübt worden, und das ist erst der Beginn. Während Anastasia sich mit ihrem durchweg launenhaften Gatten zu arrangieren hat, dessen liebste Methode, sich von einem Streit zwischen ihnen zu erholen, immer noch in köstlichem Sex besteht – und davon kann die junge Gattin ebenso wie er nie genug bekommen – , versucht sie, das verschlossene Herz ihres Mannes zu erreichen. Seine Vergangenheit auszuleuchten. Eine schwierige Sache, um es behutsam zu formulieren, denn da ist er verschlossen wie eine Auster … und sehr verletzlich obendrein. Anastasia entdeckt mit mancherlei Schrecken Gründe für sein so Besitz ergreifendes Verhalten ihr gegenüber und muss schließlich feststellen, dass in Wahrheit nicht er, sondern sie der starke Teil ihrer Ehe ist. Was neue Schwierigkeiten mit sich bringt.
Christian hingegen verbirgt so mancherlei vor ihr, und er tut das nicht einmal aus bösen Absichten. Er will sie in Sicherheit wiegen, will sie nicht verlieren und jede Gefahr von ihr fernhalten. Dabei spürt er offenbar nicht, wie sehr er ihr den Atem zum Leben abschnürt. Dies wiederum fördert Anastasias Eigensinnigkeit und führt zu immer neuen Streitigkeiten zwischen ihnen und letztlich auch zu Gefahren.
Denn da draußen lauert irgendjemand, der ihnen schaden möchte. Sehr schaden. Jemand, der schon Christians Helikopter sabotiert und zum Absturz gebracht hat (Band 2), der sie nun nächtens zu einer schweißtreibenden Verfolgungsjagd zwingt … und dann, eines Tages, steht auf einmal eine zierliche, blasse Brünette in Anastasias Büro bei SIP Publishing: Leila Williams, die sie in Band 2 mit vorgehaltener Waffe bedroht hat.
Und dann ist da auch noch Jack Hyde, Anastasias vormaliger, sexuell übergriffiger Chef bei SIP, der sich zu einem immer größeren Problem auswächst und mit der Grey-Familie inniger verbunden ist, als man anfangs ahnen konnte. Doch wirklich dramatisch wird die Geschichte, als der Feind tatsächlich von innen heraus kommt … als Anastasia von der Tatsache überrumpelt wird, schwanger von ihrem geliebten Mann zu sein …
Der dritte Band der „Shades of Grey“-Reihe ist zwar ein ziemlicher Klotz von Roman, aber ich brauche vermutlich nur zu sagen, dass ich die Hälfte des Buches an einem Tag verschlungen habe, um eines unwiderruflich deutlich zu machen: es ist durchweg ein Lesevergnügen – wenigstens dann, möchte ich sagen, wenn man die Protagonisten Christian Grey und Anastasia Steele-Grey lieb gewonnen hat und gerne ihrem komplizierten Lebensweg folgt. Ganz so, wie ich mir das üblicherweise vorstelle – und im Gegensatz etwa zu dem Zyklus von Suzanne Frank um Chloe Kingsley und ihren Geliebten Cheftu – ist dieser Abschlussband deutlich länger als die bisherigen ersten beiden Bände. Fäden werden zusammengeführt, Geheimnisse gelüftet, Wirrungen enträtselt. Das ist das unbestreitbar Positive am Roman, das zu Beginn unbedingt genannt werden soll.
Auf dieselbe Liste gehört das, was ich den „Verdächtigenkanon“ nennen möchte. Mit Gia Matteo, der höchst attraktiven Architektin, die Christian Grey schöne Augen macht, erscheint eine weitere Person auf der Bildfläche, die über Hunderte von Seiten im Roman eingeschätzt zu werden versucht. Elliott Grey, Christians jüngerer Bruder, erhält neue, lange rätselhafte Facetten. Elena Lincoln als Schatten aus seiner Vergangenheit lauert nach wie vor. Und über das Wachpersonal, das Christian zum Schutz seiner Person und seiner frischgebackenen Gattin abgestellt hat, fällt auch ein Schatten des Verdachts – denn offensichtlich gibt es jemanden im innersten Kreis der Bekannten oder Verwandten, der dem jungen Glück alles erdenkliche Pech wünscht und sogar Anastasias Entführung plant. Es dauert durchaus lange, bis sich diese Dinge aufklären, und Verdachtsmomente und dramatische Augenblicke gibt es reichlich in diesem Buch.
Dies sind die positiven Aspekte, wie ich finde, neben der wunderbaren Schilderung der emotionalen Wandlungen, die die Hauptpersonen durchmachen und die doch sehr die Verhältnisse normalisieren.
Schwieriger ist es dann, wenn man den Gesamtroman betrachtet, dass er doch deutliche Längen aufweist. Man spürt geradezu, wie ungern E. L. James ihre Protagonisten ziehen lassen, die Geschichte abschließen möchte. Ungeachtet der emotionalen Achterbahnfahrt, die das Buch darstellt, kommt man doch nicht umhin, zu konstatieren, dass manche Aspekte völlig unterbelichtet sind, während andere krass überbelichtet erscheinen. Die Presse, beispielsweise, die sich hier aufdringlich an vielen Stellen bemerkbar macht, aber stets völlig amorph und entpersonalisiert bleibt. Der starke Fokus auf einige wenige „Hauptgegner“, möchte ich mal sagen. Das starke Harmoniebedürfnis, bei dem am Ende Mia Greys Schicksal vollkommen untergebuttert wird (hier hätte ich mir eine Auflösung schon gewünscht).
Zurück bleibt darum ein gemischter Eindruck des Romans. Speziell in den letzten hundert Seiten hat man das Gefühl, die Autorin wollte sich nur nicht von den Protagonisten trennen und mache mehr Worte als unbedingt erforderlich. Das ist süß, ohne Frage, aber es trägt nicht signifikant zur Handlung bei. Sie hat damit den Schluss leider etwas verwässert.
Die beiden Anhänge des Romans zeigen ebenfalls deutlich, dass sie sich nicht lösen konnte. Besonders den zweiten möchte ich noch kurz hervorheben, weil der dann wirklich eine neckische Offerte enthielt: er spielt am 9. Mai 2011, dem Tag, an dem Christian Grey von Anastasia für das Studentenmagazin des WSU Vancouver College of Liberal Arts interviewt wurde … diesmal wird diese schicksalhafte Begegnung aus Christians Sicht dargestellt. Und das ist wirklich pikant zu lesen, wie Anastasia in seinen Augen wirkte und was er sich dabei durchweg Unzüchtiges gedacht hat, während sie ihm stotternd ihre Interviewfragen stellte, während er nach und nach ihren Reizen erliegt und seine stillschweigende Meinung von ihr grundlegend ändert.
Genau genommen ist diese Darstellung natürlich ein raffinierter Trick, der sich in zweierlei Richtungen lesen lässt. Entweder signalisiert er den Ursprungsgedanken der Autorin, sie hätte die Geschichte auch aus Christian Greys Sicht schreiben können (was ich für ziemlich ausgeschlossen halte, wenn auch ohne Frage reizvoll, diese wenige Seiten umfassende Studie zeigt, dass das ein durchaus interessantes Vorgehen gewesen wäre), oder es ist als klare Aufforderung zu verstehen, die Trilogie nun noch einmal zu lesen, mit den Auftaktgedanken Christian Greys im Hinterkopf. Ich bin überzeugt, damit liest sich der Romanzyklus noch einmal deutlich prickelnder.
Schlussendlich ist natürlich noch auf einen vierten Band hinzuweisen, der den schlichten Namen „Grey“ trägt. Hierin hat E. L. James den Gedanken umgesetzt, Christian Greys Leben aus seiner Sicht darzustellen … ab wann das beginnt und wie weit es geht, muss ich beizeiten noch ausloten.
Für den Moment gilt es festzuhalten, dass zu meiner nicht geringen Überraschung der dritte Teil der Trilogie ein wenig gegenüber den ersten beiden Bänden abfällt und schlussendlich ein wenig banal wird – vieles darin ist zweifellos der Tatsache geschuldet, dass James während des Schreibens selbst Mutter wurde und heiratete, und zahlreiche Szenen spiegeln ohne Frage ihr eigenes frühes häusliches Glück wider. Weniger ein Traum als ein realisierter Traum … was nicht schlechter sein muss, hier aber einen deutlichen Einfluss auf Protagonisten und Text ausübt. Zugleich ein Schimmer Licht: selbst problematische Beziehungen können erfolgreich sein, wenn sich Ehrlichkeit, Mut und unerschütterliche Liebe durchsetzen.
Ein schönes Signal für einen Zyklus, der so finster mit einem scheinbar sadistischen Liebhaber und einer (scheinbar) devoten Gespielin begonnen hat. Vielleicht keine hohe Literatur, aber allemal anregende, aufregende und sehr erfolgreiche. Sie lohnt einen Blick oder auch deutlich mehr – aber, Leute, nehmt euch eine Menge Zeit, wenn ihr eintauchen wollt. Ihr werdet sie brauchen, wenn euch die Story mitreißt, ich weiß es aus eigener Erfahrung!
© 2017 by Uwe Lammers
Ja, ich war 2017 noch ziemlich tief eingetaucht in die Geschichte, man spürt es. Das empfinde ich aber nur bedingt als Nachteil – trefft einfach eure eigene Leseentscheidung aufgrund der obigen Zeilen.
Hinsichtlich der Bücher aus Christian Greys Sicht sind wir heutzutage natürlich schlauer (auch wenn es nur zwei der eigentlich drei Bücher gab, soweit ich es mitbekommen habe). Und die Verfilmungen, die sich z. T. fundamental von den Romanen unterscheiden, sind vermutlich noch etwas weichgespülter und handlungsärmer ausgefallen als die Bücher (zumal bei der Verfilmung des Abschlussbandes wurde doch sehr viel fortgelassen, was den Film sicherlich noch etwas dramatisiert hätte). Aber das ist ja bei vielen Buchverfilmungen so.
In der nächsten Woche reisen wir in den Pazifik zu einer untergegangenen Kultur. Mehr sei an dieser Stelle noch nicht verraten.
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.