Liebe Freunde des OSM,
heute haben wir mal wieder den Fall einer kritischen Rezension meinerseits, die sich mit dem Abstand von rund 18 Jahren beinahe ein wenig karikierend liest. Ich meinte damals aber so ziemlich alles, was ich schrieb, recht ernst. Gut, am Schluss konnte ich mir dann eine ironische Spitze echt nicht verkneifen (und da ihr diese Rezension im Dezember des Jahres 2019 lest, ist offenkundig, dass Hancock und die hypertroph ventilierte Hysterie aus Maya-Zeiten bezüglich des Weltendes im Jahre 2012 erkennbar nicht unsere Welt getroffen hat, sondern allenfalls eine Parallelwelt).
Im Grunde genommen habe ich aber schon während der Lektüre, die ich mit hoher Erwartungshaltung begann, arge Zweifel an ihrem Inhalt und ihrer Beweisführung gehegt, und die Rezension ist denn auch sehr skeptisch ausgefallen. Warum ich das Buch dennoch hier vorstelle, wiewohl die Besprechung beinahe einem Verriss gleichkommt, hat folgenden Grund: Graham Hancock arbeitet mit sehr interessanten historischen Informationen, die er durchaus ansprechend zusammengestellt hat. Die Schlussfolgerungen, die er daraus zieht, trage ich definitiv nicht und halte sie auch nicht wirklich für tragfähig, eben gerade weil sie, wie ich damals schrieb, in „esoterischen Quatsch“ münden.
Die Folgerungen entwerten aber die Fakten, auf die er rekurriert, eben gerade nicht. Und wer sich grundsätzlich für das Thema der frühen Hochzivilisationen und ihrer potenziellen Verbindungen untereinander interessiert (dass es solche gegeben haben könnte, gilt beispielsweise heutzutage für die vorderasiatischen Kulturen von Catal Hüyük bis zur Spitze der Arabischen Halbinsel als verifiziert, ebenso, dass die asiatische Seidenstraße schon seit den Hochzeiten der Indus-Kultur sehr ausgeprägte Vorläufer besaß), der kann die Grundlagen von Hancocks Buch immer noch als interessante Materialiensammlung behandeln und von dort ausgehend und mit anderen wissenschaftlichen Gewährsmännern in anderer Sekundärliteratur zu vermutlich zutreffenderen und weniger ideologischen Schlussfolgerungen kommen.
Wenn man sich an die Lektüre des unten vorgestellten Buches macht, sollte man ferner wissen, dass Graham Hancock sich relativ ungeniert in die Reihe von Esoterikern, Präastronautikern, UFO-Gläubigen und anderen verläuft, die einen bisweilen engen Schulterschluss zu Verschwörungstheoretikern aufweisen. Dass da eher schlicht argumentiert, plausible Alternativen ausgeblendet und stetig mit Suggestivfragen gearbeitet wird, wie man sehr deutlich in der Fernsehreihe „Ancient Aliens“ sehen kann (in denen Hancock auch gern seinen Senf dazugibt, auf sehr „gläubige“ Weise, wie seufzend zugegeben werden muss), muss man einfach im Hinterkopf behalten.
Mit dieser kritischen und vorsichtigen Haltung im Hinterkopf solltet ihr meine folgenden Rezensionszeilen lesen. Ich wünsche euch dennoch dabei viel Vergnügen:
Die Spur der Götter
(OT: Fingerprints of the Gods. A Quest for the Beginning and the End)
von Graham Hancock
Gustav Lübbe Verlag
610 Seiten, geb., 1995
Übersetzt von Xenia Osthelder und Heike Rosbach
Im Jahre 1960 wendet sich der amerikanische Professor Charles Hapgood an die kartographische Abteilung der US Air Force, um Daten einer Karte zu verifizieren, die Umrisse der Antarktis und topographische Details der Landfläche zeigen. Oberstleutnant Ohlmeyer ist die Verblüffung deutlich anzumerken, als er dem Historiker Hapgood gestehen muss, dass die Küstenlinie auf der Karte exakt diejenige ist, die erst im Jahre 1949 durch eine britische Expedition durch das zum Teil kilometerdicke Eis hindurch entdeckt werden konnte. Die überprüfte Karte allerdings stammt aus dem Jahre 1513 und wird Admiral Piri Reis zugeschrieben.
Da die Antarktis erst im Jahre 1818 gefunden wurde, ist also absolut unerklärlich, wie der Admiral diese Karte hat zeichnen können, zumal die Antarktis seit Menschengedenken als vereist und vergletschert gilt, somit als unerforschbar für Menschen vor dem Ende des 19. Jahrhunderts.
In Bolivien und vielen anderen südamerikanischen Regionen gibt es seit alters her den Mythos von Riesen. Es existieren zahlreiche Gräber von sogenannten Giganten, die auch anderswo auf der Welt ihre Spuren hinterlassen haben – man erinnere sich an den legendären Goliath aus der Bibel oder an die Zyklopen in Homers Dichtungen. Gebäude, die wie von Titanen angelegt scheinen, kann man ebenfalls an vielen Orten der Welt entdecken, von Tiahuanaco und Teotihuacan auf dem amerikanischen Doppelkontinent bis hin zu Baalbek im Libanon und den Megalithbauten auf Malta und zahlreichen anderen Inseln im Mittelmeerraum.
Soweit man weiß, hat es keine Riesen gegeben, genetisch ist das nicht möglich. Aber die Gebäude bestehen, zum Teil mit abstrusen Maßen (riesenhaften Stufenabständen, gebaut aus gigantischen Felsblöcken, die selbst heute kaum bewegt werden können usw.). Wer soll sie erbaut haben, wenn nicht eben Riesen? Und zu welchem Zweck?
In Mittelamerika lebt die Erinnerung fort an den mythischen Quetzalcoatl, einen Wissensbringer und Gott der grauen Vorzeit, der einstmals vom Himmel herabstieg – beziehungsweise über das Meer kam – , um den Menschen Wissen zu geben: er lehrte sie den Anbau von Früchten, gab ihnen Kenntnis der Zeitrechnung und der astronomischen Gegebenheiten.
Quetzalcoatl ähnelt auf bemerkenswerte Weise dem Gott Viracocha in Südamerika, der ebenfalls über das Meer kam und Wissen vermittelte. Wie Viracocha auch soll er hellhäutig und groß gewachsen gewesen sein. Ein Riese? Einer jener mythischen Riesen, die jene mächtigen Steinbauten zu rätselhaften Zwecken errichteten?
Gab es nur einen von ihnen und sind Viracocha und Quetzalcoatl identisch? Oder handelte es sich, wie die Überlieferungen allmählich zu Tage bringen, jeweils um Anführer einer Gruppe, die von einem gemeinsamen Ursprung aufgebrochen waren, um eine rätselhafte Mission zu erfüllen?
Folgt man den Spuren der Götter, dann stößt man unweigerlich auf das Mysterium der Sintflut und verwandter Mythen, die kulturübergreifend offensichtlich in allen bekannten alten Hochkulturen und z. T. heute noch in den Legenden der Völker fortleben. Selbst Kulturen im andinen Hochland verfügen erstaunlicherweise über Sintflutmythen, gepaart mit Erdbeben und dem Niedergang des gesamten Menschengeschlechts.
Und dann kommen die Götter, die die Überlebenden um sich zu scharen verstehen, ihnen wieder Ziel und Sinn geben, eine göttliche Aufgabe zuweisen und neue Kulturen installieren.
Götter …?
Wie viel Wahrheit enthalten Mythen? Wie kann man altes Wissen aus Mythen destillieren, wenn sie denn solches enthalten? Und ist es möglich, dieses destillierte Wissen gegebenenfalls auf eine wissenschaftlich-empirische Basis zu stellen, damit man die Zeit bestimmen kann, zu der jene offenbar hochbegabten „Götter“ gelebt haben?
Graham Hancock ist der festen Überzeugung, dass das möglich ist.
Seine Suche, die zunächst von unerklärlich scheinenden Landkarten ausgeht, führt den Wissenschaftler und Schriftsteller Hancock über Süd- und Mittelamerika schließlich nach Ägypten. Hancock, der schon das sehr inspirierende Buch „Die Wächter des heiligen Siegels“ (ebenfalls bei Lübbe, 1992) über die Suche nach der legendären Bundeslade schrieb, hat eine Theorie, woher jene „Götter“, auf deren Spuren er wandelt, gekommen sein können. Und er sucht Indizien dafür, dass er recht hat.
Kurz gesagt ist seine Behauptung folgende: vor etwa 12.500 Jahren existierte eine hochgebildete, wissenschaftlich außerordentlich entwickelte Kultur, die an einem noch zu lokalisierenden Punkt der Erde ihr Zentrum besaß (oh, ER lokalisiert den Ort sehr genau!). Dieses Zentrum wurde durch eine beispiellose Katastrophe vernichtet, die globale Auswirkungen hatte und in Sintflut- und Endzeitmythen von Bolivien bis nach Norwegen, von Mesopotamien bis nach Nordamerika ihre Spuren hinterließen. Überlebende Wissenschaftler und Gelehrte jener Kultur errichteten später einen Brückenkopf und versuchten von dort aus, dem Rest der zerstreuten Menschheit, die kollektiv in die Barbarei zurückgefallen war, die Schrift und den Ackerbau nahezubringen, astronomische Kenntnisse zu vermitteln und zugleich eine Spur zu legen, die die fernen Nachkommen der Zukunft einstmals auf ihre Existenz aufmerksam machen würde.
Aus Altruismus? Keineswegs, sagt Hancock. Diese sehr irdischen „Götter“ hatten ein sehr dringliches Anliegen, das sie der fernen Zukunft unbedingt mitteilen mussten. Eine Warnung vor einer bevorstehenden kosmischen Katastrophe …
Nachdem ich schon „Die Wächter des heiligen Siegels“ mit Begeisterung 1992 gelesen hatte (was zahlreiche Spuren in meinen Geschichten hinterließ), war ich hellauf erfreut, als ich diesen Hancock nach Jahren endlich bekam und anfangen konnte zu lesen. Allerdings zog sich die Lektüre ab einem bestimmten Punkt des Buches (etwa in der Mitte) hin, weil mir dort erste skeptische Zweifel an der Richtigkeit oder besser: an der Begründung von Hancocks Theorie kamen.
Erst in den vergangenen Wochen las ich das Buch zu Ende, und die Zweifel verdichteten sich und kondensierten in Form zahlreicher Bleistiftanmerkungen auf den letzten Seiten des Buches. Was anfangs als höchst spannendes Werk mit zahlreichen interessanten und anregenden Querverweisen und Verbindungen begann, versumpfte schließlich – um es mal drastisch auszudrücken – in esoterischem Quark. Das finde ich sehr schade.
Hancocks Indizienführung, insbesondere in Bezug auf die Pyramiden und die Taltempel, die Pyramidentexte und Verbindungen zu Südamerika und einer uralten Hochkultur sind durchaus schlüssig.
Wenn er auch mit Fotomaterial dokumentiert, wie ähnlich die Taltempel der Pyramiden von Gizeh beispielsweise den Megalithbauten auf Malta oder den inkaischen Festungen sind, dann ist das einfach verstörend. Wenn er nachweist, auf wie dünnem Eis sich die Ägyptologen bewegen, wenn sie Bauwerke, die keinerlei Inschriften (!) aufweisen und bautechnisch völlig anders, quasi archaischer sind als alles, was man aus dieser Epoche kennt, trotzdem in jene Epoche datieren, nur weil man ein paar Tonscherben oder Figuren (die man auch hineingetragen haben kann) dort finden, dann verdient das uneingeschränkte Aufmerksamkeit.
Spätestens dann jedoch, wenn Hancock sich in das Gebiet der Kontinentalplattendrift und der Eiszeiten verirrt, wird es etwas … hm … unseriös. Wenn er astronomische Daten anführt und den Code der Präzession als Grundstruktur jahrtausendealter Überlieferung in Stellung bringt, dann hat das durchaus Hand und Fuß, nur leider vergisst er dann, dass die STERNBILDER zwar schier ewig gleich bleiben (die Wandlung ist im Laufe von Jahrtausenden minimal), aber die dazugehörigen STERNZEICHEN kulturellen Kontexten unterliegen.
In einem Gedankenspiel versucht er beispielsweise, zu hinterfragen, wie WIR einer zukünftigen Generation in etwa 10.000 Jahren nahe bringen wollten, wann wir gelebt hätten. Er agiert dann munter mit der Bemerkung, man könne doch leicht herausfinden, wann die Sterne im „Zeichen des Fisches“ gestanden hätten usw., vergisst nur, wie gesagt, dass das Sternzeichen des Fisches dann durchaus unbekannt sein kann und mit tradiert werden muss, anderenfalls seine schönen astronomischen Daten jeden Sinn verlieren.
Man versuche sich mal zu vergegenwärtigen, was eine zukünftige Kultur, die nur mündlich tradiert wird, mit einer Bemerkung wie „xy ist der Schlüssel zu Shakespeares Hamlet“ anfangen mag. Wenn man weder Shakespeare kennt noch Hamlet, sondern gerade mal weiß, was ein Schlüssel ist, dann wird man wohl annehmen, dass Hamlet ein Haus ist, das einem Mann namens Shakespeare gehört hat …
Der Leser merkt manchmal genervt, dass Hancock gegen Ende zwar durchaus diskutierenswerte Fakten auflistet und hinterfragt, aber gar zu oft alternative Erklärungen nicht mal anspricht. Das ist eine suggestive Gedankenführung, die meines Erachtens bei schlichten oder wenig informierten Gemütern zu einer Verfestigung falscher Überzeugungen beitragen kann. Dass Hancock weiterhin fast sklavisch an manchen zitierten Quellen hängt (Hapgood, griechische Historiker der Antike, die bekannterweise notorisch übertrieben, Rand Flem-Ath, der ins Esoterik-Lager gerechnet werden muss usw.), nur zu geringem Teil damit rechnet, dass diverse antike Autoren voneinander abgeschrieben haben oder voneinander beeinflusst waren und zum Schluss sogar noch Leute als Gewährsmänner für seine Katastrophentheorie anführt, die er besser nicht erwähnt hätte (beispielsweise die Zeugen Jehovas!), das diskreditiert einen guten Teil des ansonsten wirklich lesenswerten Buches.
Ich denke, es steckt eine Menge Wahrheit dahinter, insbesondere über jene geheimnisvolle Hochkultur VOR der ägyptischen, gelegen auf einem „verlorenen Kontinent“, der nach Hancocks Worten auf … hm … interessante Weise verlorengegangen ist und durchaus NICHT unter den Weltmeeren verborgen liegt wie das mythische versunkene Atlantis (!). Die Art und Weise aber, wie er diese Theorie schlussendlich zu beweisen versucht, wirkt ziemlich einseitig, verkrampft und schadet seiner Sache sehr.
Wer sich für versunkene Hochkulturen und interkulturelle Geschichte interessiert, wird aus „Die Spur der Götter“ eine Menge Stoff zum Nachdenken ziehen. Dem hinteren Drittel des Buches hingegen sollte man mit wachsender Skepsis begegnen.
Nun, vielleicht bekommen wir ja am 23. Dezember 2012 heraus, ob Hancock (und die Mythen) WIRKLICH recht gehabt haben …
© 2001/2006 by Uwe Lammers
Autsch, kann man sagen, das ist eine ziemliche Backpfeife gewesen … ja, zugegeben. Aber nur auf der einen Seite. Auf der anderen Seite, ich sagte es einleitend, stellt uns Hancock auch eine Menge sehr interessanter historischer Rätsel vor, die der weiteren Betrachtung wert sind. Selbst wenn ihr das Buch lest und den Kopf über Hancocks Schlussfolgerungen schüttelt, verwerft nicht alle Informationen des Bandes. Ich weiß schon, warum das Buch auch 18 Jahre nach Lektüre immer noch in meinem Regal steht.
Nächste Woche könnt ihr euch dann wieder entspannter geben, dann behandle ich ein sehr viel angenehmeres und bekömmlicheres Thema. Vertraut mir!
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.