Liebe Freunde des OSM,

heute spreche ich mal über einen legendären Schauplatz, der nun wirklich zum OSM-Urgestein schlechthin zählt. Ein Ort, den ich wahrhaftig seit 40 Jahren ken­ne und an den ich immer wieder gern zurückkehre, weil er einfach unfassbar ist, so vielgestaltig und gigantisch und rätselhaft, selbst dann, wenn er ein Wrack ist, eine halbe Ruine, und man sich in seinen ungeheuerlichen Ausmaßen schier verläuft. Und weil das so ist und ich bereits so viel darüber geschrieben habe, wird dieser Beitrag entsprechend viele Zitate erhalten und wohl ziemlich aus dem Teig gehen.

Nein, das ist jetzt kein Grund, zu erschrecken, Freunde … ich bin ziemlich sicher, dass der Funke der Faszination, der mich dazu getrieben hat, hieran zu arbei­ten, auch recht bald auf euch überspringen wird. Und ich sehne den Tag herbei, da ich euch in Form eines oder besser wohl mehrerer E-Books an diesen Ort mitnehmen kann.

Folgt mir zunächst mal in die Frühzeit meines Schreibens, also etwa in den Herbst des Jahres 1978 oder das Frühjahr 1979 (ich habe damals leider nicht wirklich Buch geführt, wann ich was geschrieben habe, darum bin ich hier auf Mutmaßungen angewiesen). Wir befinden uns, das sollte ich wahrscheinlich noch dazu sagen, damit ihr den Background versteht, kurz nach dem Jahre 2400 irdischer Zeitrechnung. Eine kleine versprengte Gruppe von Menschen hat es nach jahrhundertelanger Unterjochung der Erde durch robotische Invasoren ge­schafft, wieder in den Weltraum zu flüchten und erlebt dort Abenteuer.

Bei diesen Abenteuern und in Verfolgung ihrer robotischen Nemesis, die sie „Bumerangs“ nennen, stoßen sie unvermittelt auf einen Pulk fremder Raum­schiffe. Und dann kommt es zu einem Erstkontakt, der sich folgendermaßen an­lässt1:

Im Flaggschiff des Raumerpulks saß Oki Stanwer, Kaiser der Okis, mit ihrer gigantischen Tech­nik. Er ließ funken: „Hier ist Oki Stanwer, Kaiser der Vereinigten Oki-Weltreiche. Wer spricht dort?“

Hier spricht Ben, Kommandeur der letzten Menschenstaffel. Der Rest wurde von den Bume­rangs zerstört. Woher könnt Ihr so gut Terranisch?“

Ich bin selbst einmal Terraner gewesen“, erwiderte Oki. „Ist die Erde zerstört worden?“

Ja“, erwiderte Ben erneut, „wollt Ihr uns helfen? Wollt Ihr die Bumerangs zerstören?“

Oki willigte ein.

Dann aber gerieten sie in den Anziehungsbereich der Okiraumer. Noch dazu hielt sie ein Trak­torstrahl fest.

Was soll das? Wohin fliegen wir?“, wollte Ben wissen.

Zu meinem Planeten“, erwiderte Oki und schaltete den Funk ab.

Nach einer Viertelstunde waren sie da. Ben schaltete den Bildfunk ein. Sie sahen einen Pla­neten aus Metall. Ein künstlicher Planet von diesen Ausmaßen übertraf alles, was Ben bisher gesehen hatte.

Das ist ein technisches Wunderwerk“, rief Vultejus.

Okis Raumer landeten auf der Tausende von Kilometern langen Rollbahn. Dabei war das noch die kleinste Rollbahn. Es war so, als ob der Mount Everest einen Kratzer hatte. Der Pla­net war (man glaubt es nicht) 12 Lichtjahre groß, und die Orbitalstationen 200.000 Kilometer lang …2

Soweit die früheste Erwähnung des Okiplaneten, damals natürlich noch mit reichlich abstrusen Maßvorstellungen, wie ich grundsätzlich maßlos war und mich in Zahlengigantomanie verlor … aber bedenkt bitte, Freunde, wir reden hier über mein Alter von 12 Jahren. Ich denke, in dieser Lebenszeit sind irreale Vorstellungen dieser und ähnlicher Art bei Jungs etwas völlig Normales.

Ihr merkt, der Okiplanet ist schon sehr alt. Mir war damals vieles noch nicht präsent. So beispielsweise, dass diese Welt, die durchaus frappierend dem To­desstern aus Star Wars ähnelt, ein Bauwerk der Rasse der Baumeister war, ein so genannter ZYNEEGHAR. Das wurde mir erst klarer, als ich ab 1985 allmählich ein System in den OSM zu bringen begann, die aufeinander folgenden Univer­sen (aka: Ebenen, aka: Serien) des Oki Stanwer Mythos entwickelte.

Aber schon zu diesem Zeitpunkt war der Okiplanet eine Legende.

In den „Gedankenspielen“ mit meinem Bruder, die meinem Roman „Der stäh­lerne Tod“ vorangegangen waren und auch noch eine Weile fortdauerten, bilde­te der Okiplanet so etwas wie den Kondensationskern des Machtpotenzials Oki Stanwers. Die Galaxis Milchstraße bildete damals mit der Galaxis Andromeda den Kern eines Zweigalaxien-Vielvölker-Imperiums (das, wie ich später entde­cken sollte, gewissermaßen die Spiegelung des INSEL-Imperiums aus KONFLIKT 4 war, wobei ich dorthin erst im November 2004 vorstieß). Tausende von mond­großen mobilen Kampfsternen, die Oki-Kampfsterne, verteidigten die Grenzen des Reiches, das zentral vom Okiplaneten gelenkt wurde.

Der Okiplanet selbst wurde von dem künstlichen Gehirn BURTSON kontrolliert, der eine myriadenfach replizierte Kaste von menschenähnlichen Robotern er­schuf, die Okis, die absolut loyal zu Oki Stanwer waren und überall im Reich zivi­le und militärische Aufgaben erfüllten.

Man darf ja nicht vergessen: Oki Stanwers Auftrag war es, sein Imperium, das okische Sternenreich, gegen den zu erwartenden Aufmarsch der Macht TOTAM und ihrer Truppen zu befestigen. Und mit dem Okiplaneten als Zentrum erreich­te dieses Reich letzten Endes auch eine chronologische Kontinuität von rund 9.000 Jahren, ehe es dann letztlich unter dem Feindansturm zerbrach und un­terging.

Ja, damit „starb“ auch der Okiplanet, könnte man sagen. Aber ihr kennt den OSM inzwischen gut genug, um euch zu fragen: war das alles? Nein, natürlich nicht. Dazu komme ich gleich in der Weiterung. Zuvor aber ist es vielleicht klug, einmal einen Schritt zurück zu gehen. Ein Schritt, der mir selbst schwer fiel.

Ich fragte mich nämlich 1983 schon: Wie hat das eigentlich angefangen? Wie kam Oki Stanwer in die Milchstraße, wie hat er das okische Imperium aufge­baut? Ich wusste einiges über das Ende und zahlreiche Episoden aus der Glanz­zeit, aber der Anfang war völlig dunkel.

In den Jahren 1983-1990 unternahm ich in der Serie „Der Kaiser der Okis“ den etwas kläglich verlaufenden Versuch, die Geschichte von Anbeginn an aufzurol­len. Aber ich kam nicht mal bis in die Milchstraße, nicht einmal innerhalb von sieben Arbeitsjahren. Es war ganz offensichtlich hierfür zu früh, so, wie es auch 1984 zu zeitig war, mich mit dem Terrorimperium der Troohns zu befassen (was ich ernsthaft versuchte und woran ich ebenfalls scheiterte – es sollte bis 2003 dauern, ehe ich einen zweiten und, wie ihr in der E-Book-Serie lesen könnt, sehr viel erfolgreicheren Anfang dafür fand).

Also ließ ich diese Idee ruhen und kümmerte mich um andere Welten.

Und am 3. Januar 2011 startete ich dann mit der neuen Serie „Oki Stanwer – Der Kaiser der Okis“ neu durch. Direkt in der Milchstraße, mit turbulenten Space Opera-Abenteuern, knorrigen Figuren, witzigen Dialogen und ausführli­chen Beschreibungen.

Oki Stanwer, der die in Zwisten zerrissene Galaxis Milchstraße aufsucht, ist dar­um bemüht, Hilfe zu finden, um die von den Sieben Lichtmächten anbefohlene Einheit der Milchstraße herbeizuführen. Ihm wird dabei rasch klar, dass keine der zankenden galaktischen Mächte dafür aus eigenen Kräften hilfreich sein wird. Zu sehr sind sie in Rivalitätsdünkel verstrickt, in Intrigen und Kleinkriege, Rassismus und Ähnliches. Also sucht er anderweitig Unterstützung. Sein Ziel sind, wen wundert es, die Baumeister. Ihr kennt sie inzwischen ein wenig.

Die Baumeister als kosmisch agierende Wesen, die von Galaxiencluster zu Gala­xiencluster unterwegs sind und über eine unglaubliche Supertechnik verfügen, können die technischen Hilfsmittel bereitstellen, um Oki Stanwer beim Aufbau eines Machtpols zu helfen. Aber wie soll er sie kontaktieren? Sie sind wirklich extrem rar im Universum.

Nun, er hat Glück: Er kann ein Hilfsvolk der Baumeister kontaktieren, das in der Milchstraße unterwegs ist, schwarze Zwergenwesen aus dem Volk der Schrottis. Und die erzählen ihm dann: Ja, in einer Begleitgalaxis der Milchstraße, die man die „Geisterwolken“ nennt, ist ein ZYNEEGHAR der Baumeister stationiert, und sie kennen dessen Position. Sie können Oki und seine Crew des Raumschiffs STERNENFLUG dorthin mitnehmen und tun dies auch.

So kommt Oki Stanwer in die Magellanschen Wolken und zum ZYNEEGHAR 11, dem späteren Okiplaneten. Aber irgendetwas ist hier unheimlich und passt nicht. Schaut selbst, so sieht der erste intensive Blick auf das Ziel aus:

Die Umwelt war rot, völlig rot.

Alle Schirme gaben ein glosendes, rotes Wabern wieder, das gelegentlich von gelben und violetten Filamenten durchzogen war, die sich, wenn man sehr genau hinschaute, ganz leicht zu bewegen schienen … wie feine Gazevorhänge in einem ganz milden Luftzug.

„Grundgütiges Licht von Kilriees!“, flüsterte Viane. „Wo SIND wir hier?“

Ich zögerte mit der Antwort und musterte, mich langsam im Saal drehend, das Bild, das in den Saal projiziert wurde. Es sah überall annähernd identisch aus.

Viane rüttelte mich und brachte meine abschweifenden Gedanken zum Versiegen. „Oki!“

„Oh, entschuldige … ich denke … das ist die Chromosphäre eines roten Riesensterns“, schätzte ich, ihre Sorge nun verstehend.

„Sie sind am Rand einer SONNE materialisiert?“

Ich nickte. Es erschien mir relativ plausibel. Vermutlich ein Orientierungshalt. Rote Riesen­sterne gaben hervorragende kosmische Leuchtfeuer ab. „Offenkundig. Das, was wir da drau­ßen wahrnehmen, ist das vergleichsweise kalte Gas eines solchen Riesensterns. Der Halo ei­ner solchen Sonne in dieser Phase seiner Existenz sehr ausgedehnt. Das Navigieren mit dei­nem Schiff wäre hier ein bisschen schwierig, und ich denke, das Gas würde die Schilde etwas belasten. Aber sonst … eher kein Problem.“

Für die galaktische Navigationskunst war die Annäherung an eine Sonne auf solche Di­stanz schon recht kitzelig. Die galaktische Technik, namentlich die der Kleinis, erwies sich als störanfällig für derlei Manöver, und es galt als ziemlich wagemutig von Raumschiffskomman­danten – etwa während der Verfolgung durch Raumpiraten – , sich in die Chromosphäre ei­nes Sterns zu flüchten. Üblicherweise hielten die Raumschiffe gehörigen Abstand von den Sternen.

Für Schrottis traf das ganz sicher nicht zu. Für sie war es nicht mal gefährlich. Soweit ich wusste, nutzten sie, wenn sie keine anderen Möglichkeiten hatten, die Sonneneruptionen zur Rohstoffgewinnung. Davon hatte ich meinen Freunden an Bord der STERNENFLUG nie etwas erzählt, denn das hätten sie sicherlich nicht geglaubt …

„… oh, verdammt, ich komme schon zu spät, was?“

Wir drehten uns beide um und sahen den rundlichen Kleini-Bordchemiker Endooran ein­treten. Im glutroten Licht der Schirmprojektion wirkte er, als stünde er in Flammen, was durchaus witzig war. Es gab kaum jemanden an Bord der STERNENFLUG, der jovialer und ge­lassener wäre als er. Jetzt war er freilich etwas außer Atem.

„Nein, nicht zu spät“, meinte ich lächelnd. „Ich denke, du bist gerade rechtzeitig gekom­men. Unser eigentliches Ziel ist noch gar nicht erschienen.“

„Na ja … ist es das da vielleicht?“ Endooran blickte über meine Schulter.

Viane und ich drehten uns überrascht herum, und sie stieß einen undefinierbaren Laut aus, halb Überraschung, halb Erschrecken.

Mitten in dem fahlen, roten Glimmen der Umgebung war ein kleiner, dunkler Punkt aufge­taucht, der nun allmählich immer größer wurde.

„Ja“, murmelte ich nach einem Moment, den ich brauchte, um meiner eigenen Verblüf­fung Herr zu werden. Mein Herz klopfte stärker. Meine Vermutung von eben verpuffte rück­standslos. Das hier war kein Signalstern, kein Zwischenhalt. Das war offenbar tatsächlich das Ziel.

Ich begann zu ahnen, dass die Schrottis sehr genau gewusst haben mussten, wohin sie flo­gen. Und natürlich nahmen sie präzise Zielanflüge vor. Wir erlebten gerade einen. Sie verlo­ren nicht gern Zeit. Das hätte ich mir eigentlich denken können.

Der ZYNEEGHAR war nicht in einem anderen Sonnensystem. Er befand sich genau hier!

„Ja, ich glaube, das ist es“, bekräftigte ich. „Das ist das Ziel.“

Vianes Griff festigte sich, als der dunkle Fleck langsam größer wurde. Und größer. Und grö­ßer. Der Tender näherte sich sehr rasch, mit sicherlich wenigstens zwei Drittel Lichtgeschwin­digkeit. Die Ionisierungsschauer molekularer Teilchen der Chromosphäre, die in den Schilden aufflammten, wurden zweifellos durch digitale Entmischungsprozesse eliminiert, so dass wir ein klares Blickfeld behielten.

„Das ist ein Planet“, schätzte Endooran. Aber seine Stimme klang doch unsicher.

„Dann dürfte von ihm nach der stellaren Eruption aber nicht mehr viel übrig sein“, unkte Viane Vansin skeptisch und wies diesen Gedanken damit flugs ab. „Hört sich nicht allzu realis­tisch an … es muss irgendwas anderes sein …“

Der Chemiker hatte aber insofern Recht, als das schwarze Objekt tatsächlich rund war. Und beim Näherkommen sah es auch ganz so aus wie eine Mondsilhouette oder die dunkle Rundung eines Planeten vor seinem Heimatgestirn.

Mich verblüffte das im Grunde genommen recht wenig – die ZYNEEGHARE der Baumeister besaßen sehr unterschiedliche Gestalt. Aber sehr viele von ihnen imitierten stellare Körper und geometrische Figuren. Kugeln oder kugelähnliche Strukturen waren unter ihnen sehr verbreitet. Folglich konnte man runde ZYNEEGHARE aus der Distanz leicht mit Planeten oder Monden verwechseln.

Die schwarze Silhouette wurde noch größer. Einzelheiten waren gleichwohl in der Be­leuchtung kaum zu erkennen.

Endooran schluckte nach einer Weile hörbar. „Äh … das Ding ist aber VERDAMMT groß … bist du SICHER, dass das kein Planet ist, Chefin?“

„War ich vielleicht schon mal hier?“, schnappte sie ungnädig, klang aber durchaus ange­spannt. Sie wandte keinen Blick von dem immer größer werdenden ZYNEEGHAR. Ihr Gesicht schien etwas blasser zu werden.

Unser Zielobjekt wurde noch größer und füllte inzwischen einen halben Wandschirm. Die Schwärze, die fraglos aus dem Sonnenschatten herrührte, schuf einen so starken Kontrast, dass wir auf der Oberfläche des ZYNEEGHARS keine Details entdecken konnten. Mich begann die Tatsache zu beunruhigen, dass ich keine Lichter sah. Nicht, dass ein ZYNEEGHAR wie eine nächtliche Großstadt ausgesehen hätte … aber hier zeigte sich so gar nichts.

Nichts.

Und das war irgendwie nicht in Ordnung. Ich merkte, wie sich mein Magen verkrampfte. Die Schrottis mochten sich hier ja auskennen … aber ich fühlte mich irgendwie unbehaglich. Gab es hier irgendwelche Probleme? Wenn ja, welcher Natur waren sie? War das der Grund, warum sie mich dazu aufgefordert hatten, ich möge ihnen hier am Ziel helfen? Gab es irgend­welche Kommunikationsschwierigkeiten mit dem ZYNEEGHAR …? Warum klang das alles so … so verkehrt?

„Oh, wir ändern den Kurs!“

Vianes scharfe Augen hatten als erste die leichte Seitwärtsbewegung des Bildes wahrge­nommen.

„Vermutlich bewegen wir uns auf die vom Sonnenlicht beschienene Seite“, schätzte ich mit leiser Stimme. Mehr brachte ich nicht heraus. Mir ging es inzwischen ganz wie den Kleinis – Nervosität hatte mich ergriffen, die immer stärker wurde.

Ich behielt Recht – und damit wurde alles noch viel schlimmer. Und zwar für uns alle.

Binnen weniger Minuten erreichte der sich rasant nähernde Schrotti-Tender die von ro­tem Licht umloderte Terminatorzone unseres Reiseziels, und hier sahen wir alle das Glühen, mit dem das Licht des roten Sternhalos die Oberflächenkonturen unseres Ziels aus dem Dun­kel der kosmischen Nacht riss. Mir war ein solcher Anblick vertraut, weil ich wirklich viele ZY­NEEGHARE in früheren Universen gesehen hatte – aber die Kleinis waren auf das, was wir nun erblickten, in keiner Weise vorbereitet. Es verschlug ihnen die Sprache, und als der Ten­der dann wirklich auf die düsterrot beleuchtete Seite des ZYNEEGHARS hinüberglitt, da wur­de das Glitzern des Terminators absolut klar … und während das offenbar wurde, was da ei­gentlich funkelte und schimmerte, näherten wir uns noch immer weiter an.

Der Tender war noch ziemlich weit entfernt.

Und der ZYNEEGHAR war einer der größten, die ich jemals gesehen hatte. Ein verdammt beeindruckendes Gebilde, selbst für mich.

„Bitte … ich kann das nicht glauben …“ Endoorans Stimme schwankte, und er klang, als wolle er beinahe heulen. Er stützte sich inzwischen an der Wand ab, weil er so zitterte.

Der Tender überflog eine planetare Stadt.

Jeder einzelne Quadratkilometer der Oberfläche des ZYNEEGHARS war bebaut. Bedeckt mit gewaltigen Türmen, Fabrikkomplexen, Oberflächenstraßen und fremdartigen Technikarealen, die die Dimensionen ganzer Städte der Kleinis besaßen. Und sie hörten nicht auf.

Kilometerhoch wölbte sich ein Gebäudekomplex neben dem nächsten, Brücken schwan­gen sich in kühnen Bögen über die Oberfläche, und in ihren Schatten gediehen weitere Fabri­ken, Landefelder, Ausflugschächte, Wartungshangars, Torkomplexe, groß wie Gebirge.

Und es hörte und hörte einfach nicht auf.

Ein ZYNEEGHAR war ein Bauwerk der Baumeister – eine gigantische Fabrik planetaren Ausmaßes, und zugleich stellte er eine Machtinstanz allerersten Ranges dar. Wenn es – jen­seits der gewaltigen Transmittersysteme, die die Baumeister auch schufen – jemals eine Art von Ausweisschild der Fähigkeiten der Baumeisterrasse gegeben hatte, dann waren es die ZY­NEEGHARE.

Ich kannte so etwas. Aber meine Gefährten nicht. Sie hatten so etwas nicht mal für MÖG­LICH gehalten!

Viane schniefte, und ihre Hände krallten sich in meinen Arm und meine Seite.

Der Anblick dieses Maschinensterns musste sie tief treffen.

Sie hatte über meine Visionen einer geeinten Galaxis gelächelt.

Und sie hatte ungläubig gelächelt, ja gespottet, als ich wenigstens ansatzweise auf dem Flug nach Magellan von den Baumeistern erzählt hatte, jenen Wesen, von denen ich mir Hilfe versprach.

Aber das waren technische, eher akademische Dinge gewesen. Worte, nicht wahr?

Das hier … also … ein ZYNEEGHAR der Baumeister ließ sich nicht einfach ignorieren. Man konnte ihn nicht wegerklären.

Dieses „Bauwerk“, wie die Baumeister es euphemistisch und fast ein wenig herablassend zu bezeichnen pflegten, übertraf ihre kühnsten Erwartungen, es sprengte die Grenzen von Vianes Vorstellungen so sehr, dass sie unwillkürlich Zuflucht zu Tränen nahm. Sie konnte nicht anders. Was sie sah, war einfach unvorstellbar. Niemand in der Galaxis war imstande, so et­was zu erbauen. Niemand. Nicht heute und nicht in tausend Jahren.

Die Baumeister vermochten es.

Und der Kontakt mit diesem Gebilde stand unmittelbar bevor. Für die Kleinis musste das wie ein Kontakt mit ihren Sternengöttern selbst sein.

„Gütige Sternengötter …“, flüsterte nun auch tatsächlich Endooran neben uns, halb aufge­löst vor Staunen und Schrecken. „Ach du allmächtige Sternengötter …“

Ich schätzte, dass Viane ganz ähnlich empfand. Sie klammerte sich schniefend an mir fest und brachte kein Wort mehr über ihre Lippen. Ich hielt sie fest und wusste, dass ich ihres Dankes gewiss sein konnte.

Während der Quader des Schrotti-Tenders allmählich langsamer wurde und immer noch über die von blutigem Sonnenlicht beschienene Seite glitt, näherten wir uns auch weiterhin an und blieben schließlich ziemlich genau über dem Äquator stehen. Hier befanden sich ge­waltige Schluchtensysteme … damit hätte man sich vielleicht noch abfinden können, aber diese Schluchtensysteme waren geometrisch. Ihre Klippen bestanden aus solidem Metall. Aus ungezählten Milliarden Tonnen Metall.

Es handelte sich um Hangarzugänge für riesige Raumschiffe, und jeder von ihnen maß mit hoher Wahrscheinlichkeit wenigstens zwanzig oder dreißig Kilometer allein in der Breite. Von unserer Umkreisungshöhe – wir hatten inzwischen offensichtlich einen geostationären Orbit eingenommen – wirkten diese gewaltigen Hangars nur wie fingerdünne, schwarze Striche.

Mein Herz klopfte inzwischen heftiger, aber aus einem anderen Grund als bei Viane, die am ganzen Körper haltlos zitterte und immer noch keinen Ton herausbrachte.

Sie hatte Angst – und ich auch. Aber meine Angst besaß eine andere Ursache.

Die Hangars, die wir zu sehen bekamen, waren ebenfalls schwarz.

Es gab keinerlei Beleuchtung, keine Signallichter, gar nichts.

Alles hier war schwarz.

Der ZYNEEGHAR sah – ungeachtet seiner bläulich silbern glimmenden Oberfläche und makellosen Vollkommenheit – zugleich so vollkommen inaktiv aus, und das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Die Baumeister pflegten so etwas nicht zu tun – ZYNEEGHARE, so hatte ich sie stets kennen gelernt, stellten eigentlich nimmermüde Werkstätten dar, und sie sandten beständig Ströme von Raumschiffen aus, um benachbarten Sternenvölkern zu helfen, um Ressourcen zu erschließen, bei galaktischen Katastrophen zu helfen und dergleichen.

Dieser ZYNEEGHAR tat nichts dergleichen.

Er sah aus wie tot.

Und in diesem Moment wurde mir mit voller Konsequenz klar, dass ich nicht am Ziel war, ganz bestimmt nicht – irgendetwas hier war schrecklich falsch. Und zugleich, das war dann wohl das Entsetzlichste, die Schrottis wussten davon.

Sie wussten davon und taten nichts dagegen, für sie schien das alles ganz normal zu sein – das war vielleicht noch schlimmer.3

Die Dinge entwickeln sich noch sehr viel dramatischer in der Folge, und die ers­ten 16 Episoden sind Oki und seine Gefährten in eine Reihe gefährlicher Aben­teuer verwickelt, ehe sie dann tatsächlich den ZYNEEGHAR reaktivieren und in die Milchstraße überführen können. Von da an beginnt seeehr langsam die Ent­wicklung der okischen Machtbasis.

Nun gut, im genannten KONFLIKT 9 des OSM entwickelt sich also das okische Imperium, blüht auf und wird schließlich nach gut neuntausend Jahren Opfer des KONFLIKTS. Der Okiplanet wird vollkommen zerstört.

Aber der OSM kennt so genannte „Matrixfehler“.

Dinge, die es nicht mehr geben dürfte, tauchen auf einmal wieder in der Exis­tenz auf, teilweise gründlich pervertiert. So ist es denn auch mit dem Okiplane­ten.

In KONFLIKT 16, also der Serie „Oki Stanwer – Der Mann aus dem Nichts“ (1983-1998), befindet sich eine arg verwitterte Ruinenkopie des Okiplaneten in der Galaxis Milchstraße im Reich der insektoiden Artaner wieder. Eher durch einen Zufall werden Oki Stanwer und seine Gefährten dort damit konfrontiert und stellen fest, dass der ZYNEEGHAR grundlegend gestört ist. Er hat etwas erschaf­fen, was GRALSREICH genannt wird, und bizarre halbkybernetische Wesenhei­ten, die sich GRALSJÄGER nennen, arbeiten daran, den Planeten, so verwüstet er auch ist, in ein anderes Universum zu entführen.

Naturgemäß will Oki das verhindern – die schwer verwüstete Milchstraße braucht dringend technologische Hilfe. Aber ehe er auch nur einen gescheiten Kontakt mit der Lenkintelligenz des ZYNEEGHARS herstellen kann, sprengen ant­agonistische GRALSJÄGER den ganzen Stern kurzerhand in die Luft.

Verständlich, dass Oki Stanwer daraufhin auf GRALSJÄGER nicht mehr gut zu sprechen ist.4

War das das letzte Mal, dass der ZYNEEGHAR 11, der Okiplanet, in Erscheinung trat? Leider nein. Es gab einen weiteren Matrixfehler, der noch sehr viel schlim­mere Auswirkungen auf die kosmische Geschichte hatte. Dafür müssen wir ei­nen KONFLIKT ansteuern, der vom Schauplatz der eben kursorisch erzählten Ge­schehnisse 30 Milliarden Handlungsjahre in der Zukunft liegt.

Wir sprechen über KONFLIKT 22, der am 17. Oktober 1989 begann, also vor rund 30 Realjahren, aber immer noch nicht abgeschlossen ist. In dieser Serie, „Oki Stanwer – Der Schattenfürst“, regiert Oki Stanwer in der Galaxis Daarcor und stützt sich dabei auf eine Kaste von menschenähnlichen Robotern, die sich bei näherer Betrachtung als Okis erweisen.

Okay, der gedankliche Folgeschluss ist absolut nachvollziehbar: Wenn es Okis gibt, selbst wenn sie als Untergrund-Agenten des „Oki-Stanwer-Netzes“ ver­schiedenste morphologische Formen annehmen, um andere Sternenvölker zu unterwandern, dann muss es natürlich auch die Lenkintelligenz geben.

Den Okiplaneten.

Also auch die Lenkintelligenz BURTSON.

Dummerweise ist Oki Stanwers Zentralplanet eine Welt namens THALAMAT. Und die Okis sind Roboter, die rigide unmenschliche Programmierungen verfol­gen.

Als Klivies Kleines, seines Zeichens Okis ältester Freund und Helfer des Lichts, in Daarcor eintrifft, wird er Zeuge der unmenschlichen Brutalität der Okis und ent­tarnt schließlich seinen alten Freund als monströsen Diktator … woraufhin dieser kurzerhand eine Gehirnwäsche an ihm vornimmt.

Solcherart „gleichgeschaltet“ avanciert Kleines für eine Weile zu Okis willigem Handlanger und dann, als ein beinahe tödliches Attentat auf Oki Stanwer verübt wird, während dessen Regenerationsphase zum Interims-Regenten von Daarcor. Im Zuge dieser Tätigkeit erfährt er von den BAUSTELLEN.

Die BAUSTELLE 001 liegt in einer abgelegenen, stark bewachten Dunkelwolke, und als Kleines sie aufsucht, hat er, der im KONFLIKT 9 auch schon jahrhunder­telang an Okis Seite in der Milchstraße wirkte, einen grässlichen Erinnerungs­flash.

Die BAUSTELLE 001 ist der Okiplanet.

Oder besser – seine Ruine. Aber alles andere als inaktiv oder tot. Und so sah das damals aus, lange vor dem Beginn der Serie „Oki Stanwer – Der Kaiser der Okis“:

Baustelle 001 befand sich nur 255 Lichtjahre vom THALAMAT-System entfernt im Schutz einer ausgedehnten Dunkelwolke im inneren Zentrumsring von Daarcor. Normalerweise gab es einen dreifach gestaffelten Schutzkordon um das Projekt, ein Dutzend Asteroidenbasen mit Okibesatzung und scharfen, starken Waffensystemen … aber als Kleines mit seinem Schiff hier ankam, war rein gar nichts davon mehr aktiv.

Der Schock von Oki Stanwers Tod hatte alle Okis auch in diesen Basen umgemäht und in­aktiv gemacht.

„War das Reiseziel der Sternenfee Jasmina direkt die Baustelle oder die Randstationen?“, wollte der Helfer des Lichts vom Schiffscomputer erfahren.

„DIREKT DIE BAUSTELLE. ABER ES IST UNKLAR, OB SIE DORT JEMALS ANGEKOMMEN IST.“

„Nun, dann werden wir das herausfinden.“ Kleines lächelte entschlossen und traf rasche Entscheidungen. „Heron, schleuse zwei Gruppen Okis aus, die die Abwehrsysteme wieder in Gang bringen sollen. Der Rest kommt mit mir zur Baustelle selbst.“

Binnen weniger Minuten verließen zwei Beiboote den 100-Meter-Kreuzer. Das Schiff selbst, das nur eine Automatnummer und keinen Namen trug – Oki-Kampfschiffe brauchten so etwas nicht, solange sie nur von Okis bemannt wurden – , drang durch einen künstlich sta­bilisierten Korridor in der Staubmaterie der Dunkelwolke ins Zentrum vor. Hier drehte sich der ausgebrannte Rest einer Sonne einsam um seinen Schwerpunkt. Er war optisch nicht mehr auszumachen und durchmaß wohl kaum mehr als fünfzig oder sechzig Kilometer. Ein Neutronenstern.

Direkt im Orbit um dieses Gebilde bewegte sich ein großer, massereicher Körper, der von den Maßen einem Planeten gleichkam. In der absoluten Finsternis dieser Dunkelwolke muss­te sich Kleines auf das verlassen, was die Sensoren des Schiffes allmählich aus der Finsternis schälten.

„Heiliges Licht“, murmelte er, als das Zielobjekt endlich im künstlich simulierten Tageslicht auf den Holoschirmen sichtbar wurde.

Eine mächtige, zerrissen und zerrupft wirkende Welt tauchte aus der Dunkelheit auf, wie ein Alptraum aus Stahl und Verbundmetallen. Über Tausende von Quadratkilometern er­streckte sich eine technologische Wüste, ein Schlachtfeld unvorstellbarer Ausmaße. So ziem­lich alles, was hier einstmals existiert hatte, war in Explosionen zerborsten, in wahnwitzigen Hitzegluten zerschmolzen, verkohlt und verbrannt.

Ein anderes Wesen, das Kleines aber nicht kannte, hätte dieses Gebilde die ANOMALIE ge­nannt.

„Ausmaße!“, keuchte der Helfer des Lichts.

„ES HANDELT SICH UM EIN VOLLTECHNISCHES ARTEFAKT MIT ABSOLUT SPHÄRISCHEM KU­GELDURCHMESSER. WENIGSTENS WAR DAS VOR DER – MISSLUNGENEN – ZERSTÖRUNG DER FALL. DER DURCHMESSER BETRÄGT INZWISCHEN 12093 KILOMETER, LEICHTE DEFORMATIO­NEN HERAUSGERECHNET. ES HANDELT SICH UM EINE HOHLWELT …“

„Ich weiß. Sie hat nur eine tausend Kilometer starke Kruste, nicht wahr? Und darin einen Hohlraum, in dessen Zentrum eine Singularität als Energiequelle steckt, richtig?“

„KORREKT, KLEINES. ES SCHEINT, DASS DU WEISST, WORUM ES SICH HANDELT?“

„Ja“, murmelte der Helfer von Daarcor hohl und hielt sich an den Lehnen seines Sitzes in der Kommandozentrale fest. Er hatte das Gefühl, die Welt drehe sich um ihn herum. Die jähe Erinnerung brachte ihn aus dem Gleichgewicht. „Oh Gott, ja.“

„BURTSON wurde von einer der letzten Attacken vor rund dreißig Jahren schrottreif ge­schossen und jeder Oki bekam dadurch eine Art von Trauma …“

Okis Worte!

Kleines stand auf und sah auf die zernarbte, verheerte Welt hinab. Er hatte das rührende, aufwühlende Gefühl, nach Hause zurückzukehren, zu jenem Planeten, den er in einem ande­ren Leben so viele Jahre bewohnt hatte. An der Seite von Oki Stanwer, dem Kaiser der Okis.

Der Okiplanet.

„Hallo BURTSON“, murmelte er und spürte, wie ihm fast die Stimme wegblieb vor Rüh­rung. „Es ist lange her …“

Er hatte noch keine Ahnung, was ihn erwartete.5

Die Außenwirkung ist schon gruselig. Aber das Innere erweist sich als nicht viel angenehmer, wie Kleines entdecken muss, als er mit seiner robotischen Eskorte landet:

Das unspektakuläre Botenschiff von Klivies Kleines landete ohne irgendeine Behinderung in einer schon wieder hergerichteten Docksektion. Sie stand noch unter Druck und war mit einem Ionenschutzfeld abgesichert, damit die Atmosphäre nicht dekompressierte. Ganz of­fenkundig funktionierte doch noch ein wenig hier, nicht alles war restlos ausgefallen. Das war erleichternd.

Der Landeplatz lag in einem der kleineren Landefelder im äußeren Rand des Okiplaneten. Es gab auch Großraumhangars, die Dutzende von Kilometern tief und mehr als hundert Kilo­meter breit waren. Dort fanden etliche Großraumschiffe der Okis Platz. Aber wie ihm glaub­haft versichert wurde, waren diese Regionen des künstlichen Planeten alle noch verwüstet.

‘Muss ein schrecklicher Angriff gewesen sein’, dachte Kleines benommen und empfand den Anflug beinahe religiöser Empörung. Etwa, wie ein Gläubiger reagiert hätte, der von der Schändung einer Reliquie erfuhr. Er fragte sich, über was für Waffensysteme wohl der „Bund der Vier“ verfügt hatte, als er diese Verheerungen anrichtete. Es schien überhaupt seltsam – hatten auch hier schon die GRALSJÄGER mitgewirkt? Anders ließ sich das kaum erklären …

Sein analytischer Verstand kam zu keinem sinnvollen Ergebnis. Also verschob Kleines diese Grübeleien auf einen späteren Zeitpunkt. Jetzt hatten sie andere Sorgen als die Vergangen­heit vor fünfzig Jahren.

Als er mit den Okis ausstieg, sah er die Schäden der neuen Heimsuchung: überall im Han­gar waren Okiroboter zusammengebrochen und lagen wie Marionetten, denen man die Fä­den durchtrennt hatte, regungslos herum. Und ansonsten sah der Hangar aus, als sei er … ja … sehr alt.

Der Eindruck war unheimlich. Kleines konnte sich einer intensiven Beklemmung nicht er­wehren. Irgendetwas war hier falsch. So falsch, dass er nicht mal die Okis fragen konnte. Sie schienen ohnehin sehr unsicher zu sein.

„Heron! Probleme?“

„N… nein, Herrscher“, kam es zögernd zurück.

Klivies Kleines glaubte ihm kein Wort. Der Oki sah aus, als müsse er sich zu jedem Schritt überwinden. Das BURTSON-Trauma? Eine bizarr-rudimentäre „Erinnerung“ an den Ort des Ursprungs?

Und ein weiterer Gedanke schoss durch den Kopf des Helfers: ‘Oki, warum hast du mir nicht mehr über die BAUSTELLEN erzählt? Was ist hier eigentlich los? Irgendetwas ist hier grundlegend verkehrt. Aber ich kann mit niemandem darüber reden. Vielleicht mit dir. Viel­leicht nicht einmal das.’

Noch so ein trostloser, fruchtloser Gedanke …

Entschlossen ging er voran und erreichte das Schott zum Transitkorridor. Erinnerungen an ein anderes Leben kamen hoch, als er die Sensorfelder sah. Mit traumwandlerischer Sicher­heit gab er seinen alten Signalcode ein.

„Legitimation erkannt. Willkommen an Bord, Helfer.“

„Danke“, sagte Kleines lächelnd. Aber er musste sich zum Lächeln zwingen. Der Begriff „Helfer“ war anachronistisch. So war er genannt worden im 9. Universum. Ja, auch noch ein­mal im 15. Kosmos. Aber hier nicht.

Das legte zwingend den Schluss nahe, dass dieser Okiplanet ein Matrixfehler war.

Was um alles in der Welt war hier geschehen? Was nur?

Während die Okis mit Kleines an der Spitze weiter in den Okiplaneten vordrangen, ver­suchte der Helfer des Lichts seine Gänsehaut zu verscheuchen.

Es gelang nicht.

Mit jedem Meter, den er der Zentrale des Planeten näherkam, hatte er das klaustrophobi­sche Gefühl, eine ungeheuerliche Falle schlösse sich über ihm …6

Auch damals war ich mir durchaus schon der Dimensionen bewusst, die der Okiplanet hatte, und ein wenig schwelgte ich in dieser Episode in Kleines´ Reminiszenzen an den KONFLIKT 9, als der Okiplanet noch in voller Blüte stand – der Kontrast zu der verwüsteten Kulisse, die ich darstellen musste, war damals nur schwer aushaltbar:

Kleines und die Okis brauchten mehr als anderthalb Stunden, bis sie vermittels einer Hori­zontal-Antigravbahn das Innere des Planeten erreichten, jenen Bereich in der inneren Hohl­schale, die man allgemein als Zentrale bezeichnete.

Der Okiplanet stellte eine gigantische technische Struktur dar, in der man sich normaler­weise bewegte, indem man Transmitterkanäle benutzte, die zu großen Transitknoten in der tausend Kilometer tiefen Planetenkruste führten. Diese Verbindungen waren nun allerdings ausgefallen, und so mussten die Okis und Kleines auf das Sekundärsystem zurückgreifen, eben die Antigravbahnen. Dieses Reservesystem funktionierte tadellos, es war nur eben sehr viel langsamer.

Während sie in einem der luxuriös mit Datensalons ausgestatteten Zügen mit vielfacher Schallgeschwindigkeit durch Vakuumröhren dahinjagten, vernetzte Kleines hier seinen Anzug mit den Systemen des Okiplaneten und bekam beunruhigende Informationen.

Weit mehr als neunundneunzig Prozent des Planeten lagen nach wie vor brach und waren ohne Energie. Nur in diesem angesteuerten Bereich gab es Stellen, die – wie das gesamte Bahnnetz – mit Energie versorgt wurden und mit Atemluft betankt waren. Es handelte sich um einige Datennetzknoten, in denen DIGANTEN-Kolonien existierten, die dieses gewaltige Habitat wieder zum Funktionieren bringen sollten.

BURTSONS Eigenintelligenz war gegenwärtig erloschen, erklärte der Rudimentknoten, der Kleines´ Fragen beantwortete.

‘Wie kann es dann noch Okis geben?’, schoss Kleines der nächste unangenehme Gedanke durch den Kopf. Je mehr Informationen er erhielt, desto undurchsichtiger und widersprüchli­cher wurde die ganze Sache.

Er war indes klug genug, zu schweigen.

Schließlich lief der Zug in die gewaltige Terminalhalle ein, in der zweiundsechzig Gleisan­schlüsse (die ihren Namen eigentlich zu Unrecht trugen, weil sie keine Gleise besaßen) ne­beneinander lagen.

Die Okis stiegen in der gedämpften Notbeleuchtung aus, die auch hier das Alter enthüllte, das über allen Anlagen lag. Die rund achtzehn Kilometer weite, elliptische Halle, an deren Rand sich Besucherzentren entlang erstreckten, außerdem Esplanaden mit verdorrten Bäu­men, terrassenförmige Plantagen, in denen einstmals Wesen unterschiedlichster Völker hat­ten lustwandeln können, war einem Grabmal ähnlicher als alles andere.

Ein eisiger Hauch fegte durch die Halle, ein Zeichen dafür, dass sich irgendwo ein Tor in ei­nen anders temperierten Raum geöffnet hatte. Die Temperatur hier lag auf minus acht Grad, und kalter Hauch stand vor Kleines´ Mund, während er sich beeilte, zielstrebig über den Steig zu gehen.

In Gedanken sah er das alles vor Milliarden Jahren.

Sah die tropischen Halosonnen, die von der Decke gleißten, die schwatzende, neugierige, aufgeregte Menge an Touristen, die den täglichen Shuttleservice von den Orbitalstationen nutzten, um einmal in ihrem Leben das Herz des Imperiums zu sehen.

Hoch aufgerichtete Okis in blauen Uniformen und Signalplaketten, die ihren Namen und Status anzeigten, führten Gruppen von kleinwüchsigen Allis, die staunend den Erläuterungen des Roboters lauschten. Schmelzende glitten mit ihren Transportplattformen durch die Men­ge, Prallfeldbarrieren hielten den Sicherheitsabstand aufrecht. Verschiedenste Insektoidenwe­sen unterhielten sich, Kleinis – Wesen seines eigenen Volkes – schlenderten zwischen den im­mergrünen Rabatten auf den acht Etagen der Wandelgärten dahin und philosophierten.

Roboterschwärme sausten durch die Halle, Gleiterverkehr überbrückte die Verbindungen zwischen entfernten Teilen des Terminals und brachte Besucher und Handlungsreisende zügig zu ihren Zügen, die in andere Richtungen des Planeten unterwegs waren.

Rauschend schossen Züge in die Hohlröhren hinein oder kamen an, wobei sie mit strahlen­den Lichtentladungen abbremsten, damit auch ja jeder aufmerksam wurde. Durchsagen hall­ten …

„Herrscher … Ihr solltet weitergehen. Die Kälte ist Eurem Organismus nicht zuträglich.“

Ein Oki war an Kleines´ Seite getreten und hatte ihn angesprochen.

„Oh“, murmelte der Helfer des Lichts. „Ja, natürlich.“

Kleines hatte gar nicht gemerkt, dass er, in Gedanken versunken, einfach stehengeblieben war. Er schüttelte den Kopf, warf die Benommenheit ab und marschierte dann stramm wei­ter. Erinnerung konnte auch ein Hemmschuh sein.

Von diesen großen Terminals gab es insgesamt zweihundertsechsundachtzig, die um den gesamten Planetenkern konzentriert waren. BURTSON hatte sich irgendwann mal einen Spaß gemacht und auf die Fragen eines neugierigen Besuchers ernsthaft zu zählen begonnen, wie viele Netzstationen es gab und wie ihre Kennziffern lauteten.

‘Gott, habe ich gelacht’, dachte Kleines und schmunzelte unwillkürlich. Das Gesicht dieses Tarvolers, eines rothäutigen Humanoiden einer kürzlich ins Imperium eingegliederten Rand­welt der Galaxis Milchstraße, war eine Miene der Fassungslosigkeit gewesen …

Ein hohes Schott tauchte vor Kleines und den Okis auf. Es trug die so bekannte und seit Ewigkeiten nicht mehr gesehene Kennzeichnung für BURTSON. Oki Stanwer selbst hatte die­ses verschnörkelte Symbol entworfen, in dem Kleines leicht ein sehr verziertes, mannshohes Ebenbild des Buchstaben B erkannte. Aber für andere Intelligenzen war es eine der zahllosen unbekannten Glyphen, die die Wände der Räume des Okiplaneten zierten.

BURTSON.

Wieder legte Kleines seine Hand auf das Sensorfeld, gab seine alte Helfer-Kennung ein.

„Autorisierung der Besucher“, erscholl auf einmal eine Stimme.

BURTSONS Stimme? Aber wieso brauchten Okis eine eigene Autorisierung?

„Es handelt sich um Okis“, meinte Kleines irritiert. „Seit wann …?“

„Fremde Roboter sollen sich ausweisen!“

Kleines warf einen Blick zurück auf Heron und reagierte noch in dem Moment, in dem He­rons Hand zur Hüfte hinabzuckte.

Der Helfer des Lichts warf sich zur Seite und entging dadurch einem Schlag eines zweiten Okis, der ihn zweifellos in den Nacken getroffen hätte. Kleines hatte aber gar keine Gelegen­heit, Entsetzen zu zeigen, weil alles viel zu rasch ablief.

Noch während der Handlung der Okis – oder was immer sie sein mochten! – aktivierte je­mand die automatische Abwehr. Binnen Sekundenbruchteilen waren die Roboter in ein knis­terndes Gitternetz aus Energien eingehüllt, von dem Kleines nicht einmal einen Schwall Hitze mitbekam, weil ihn ein hauchdünnes Prallfeld vor den Gewalten schützte, die Heron und sei­ne Gefährten buchstäblich rösteten. Die Roboter, die so Okis täuschend ähnlich waren, dass selbst Kleines keinen Verdacht geschöpft hatte, zuckten unter den Entladungen, ihre Kunst­haut verbrannte, die Gliedmaßen reckten sich in alle möglichen und unmöglichen Richtun­gen, als nutzlose Fluchtversuche aus dem Energiekordon versucht wurden. Strahlende Ener­giestäbe durchbohrten die Roboter an unterschiedlichen Stellen und ließen sie schließlich zu­sammenbrechen.

Die ganze Aktion hatte zwei Sekunden gedauert, dann war Kleines´ Begleiteskorte von sechzehn Okis nicht viel mehr als glühender Schrott. Penetranter Gestank und diffus davondriftender Rauch hing in der Luft.

7

Wie ihr merkt, hat der ZYNEEGHAR 11, der Okiplanet, auch im rudimentären Zustand und arg angeschlagen, sehr wache Instinkte – und dennoch ist er grundlegend gestört, was Klivies Kleines in der Folge in arge Bedrängnis bringen wird. Doch ist das nicht mehr das Thema der heutigen Erörterungen.

Ich wollte euch hiermit zeigen, dass der Okiplanet wirklich und wahrhaftig zum Urgestein der legendären Orte des OSM gehört, und ich denke durchaus, dass mir das geglückt ist. Da ich über den KONFLIKT 9 noch sehr viel schreiben werde und natürlich auch der chaotische KONFLIKT 22 noch lange nicht beendet ist, könnt ihr da beizeiten zweifellos noch die eine oder andere Überraschung erle­ben, und ich selbst natürlich ebenfalls.

Denn wenn ich eins gelernt habe, seit ich den KONFLIKT 9 schreibe, dann dies: der alte Traum meiner Kindheit, über das okische Imperium dereinst eine Space Opera zu schreiben und die schrullige kybernetische Intelligenz BURTSON dar­zustellen, ist jetzt tatsächlich möglich … ich sah damals wirklich nur sehr kleine Teile dessen, was es da tat­sächlich zu sehen gab. Und vieles habe ich einst völlig falsch verstanden.

BURTSON ist eine faszinierende, uralte und unendlich machtvolle Entität. Und der Okiplanet, gewissermaßen sein „Körper“, wenn man so will, birgt noch un­endliche Geheimnisse und Abenteuer ohne Zahl.

Beizeiten berichte ich euch davon gern wieder. Doch für heute habe ich genug erzählt und lasse eure ermatteten Augen sich entspannen.

Bis nächste Woche, Freunde, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

1 Dabei bitte ich zu berücksichtigen, dass hier natürlich unendlich viel fehlt. Die Sprachproblematik ist eine Sa­che, Beschreibungen von Personen und Locations etwas zweites, einfallslose Dialoge, groteske Verkürzung von Distanzen und Zeitfenstern kommen dazu, hypertrophe dimensionierte Übersteigerungen… einfach drü­ber hinweglesen. Die ärgsten Schreibfehler wurden bei Abschrift stillschweigend bereinigt.

2 Zitat aus dem handschriftlichen Skript „Der stählerne Tod“, ca. 1979, bislang nur teilweise digitalisiert, S. 115/16.

3 Zitat aus der KONFLIKT 9, d. h. der Serie „Oki Stanwer – Der Kaiser der Okis“, Bd. 3: „Der Maschinenstern“, 2011, S. 21-25.

4 Da KONFLIKT 16 zwar schon seit über 20 Jahren fertig geschrieben ist, aber noch keine Digitalisatform be­sitzt, kann ich hieraus leider keine Zitate bringen, Freunde, so gern ich das auch wollte. Vertraut also einfach meinen obigen Worten.

5 Zitat aus KONFLIKT 22, d. h. der Serie „Oki Stanwer – Der Schattenfürst“, Bd. 45: „Anschlag auf Baustelle 001“, 2004, S. 5-6.

6 Zitat aus KONFLIKT 22, d. h. der Serie „Oki Stanwer – Der Schattenfürst“, Bd. 45: „Anschlag auf Baustelle 001“, 2004, S. 7-8.

7 Zitat aus KONFLIKT 22, d. h. der Serie „Oki Stanwer – Der Schattenfürst“, Bd. 45: „Anschlag auf Baustelle 001“, 2004, S. 9-11.

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