Rezensions-Blog 223: Killerwelle

Posted Juli 2nd, 2019 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

üblicherweise stehen die Romane von Clive Cussler ja relativ alleine für sich. Sie besitzen zwar meist ein wiederkehrendes Personal, etwa die NUMA-Kämpen Dirk Pitt, Albert Giordino, Joe Zavala und Kurt Austin oder eben – siehe unten – die Crew der Corporation um Juan Cabrillo… aber sie sind doch nur sehr selten so angelegt wie dieser hier. Hier haben wir, was die Voraussetzungen des vorlie­genden Werkes angeht, mit etwas zu tun, was ich als Quasi-Mehrteilerstruktur bezeichnen möchte. Das heißt, ohne die Kenntnis des vorigen Bandes „Teufli­scher Sog“ hat man hier gewisse Verständnisprobleme.

Das klingt jetzt vielleicht negativer, als es gemeint ist. Ich fand es sinnvoll und geschickt, auch wenn mir die daraus resultierenden Konsequenzen nicht wirk­lich schmeckten. Aber das ist zweifellos von Leser zu Leser unterschiedlich.

Der Roman packte mich ungeachtet gewisser Indifferenzen in der Storyline defi­nitiv, und ich würde ihn als einen der besseren Kooperationsromane von Cuss­ler und du Brul einstufen. Abgesehen von der Tatsache, dass der Verlag sein Bestes tat, den Roman vollkommen falsch zu bewerben und zu betiteln, schwei­gen wir mal vom absolut irreführenden Titelbild, haben wir hier einen definitiv spannenden Actionroman vor uns. Ohne Taucher. Ohne Haie. Vertraut mir, die werdet ihr da nicht finden.

Was dann? Lest weiter, wenn ihr das wissen wollt:

Killerwelle

(OT: The Jungle)

Von Clive Cussler & Jack du Brul

Blanvalet 37818

528 Seiten, TB, 2012

Aus dem Amerikanischen von Michael Kubiak

ISBN 978-3-442-37818-0

Man schreibt das Jahr 1281 nach Christus, als ein Reisender aus der Ferne, der einen chinesischen Heerzug begleitet, Zeuge einer seltsamen Begebenheit wird. Bei der Erstürmung einer belagerten Festung erlebt er die gespenstische, un­glaubliche Waffe, die man „Drachenblick“ nennt und die zur Erblindung der un­glückseligen Verteidiger der Feste wird. Aber das Geheimnis dieser rätselhaften Waffe versinkt offenkundig in der Vergessenheit. Daran kann auch die Tatsache nichts ändern, dass dieser Zeuge den Namen Marco Polo trägt…

Mehr als siebenhundert Jahre später und völlig unzusammenhängend damit hält ein Forscher namens William Cantor notgedrungen schlecht besuchte Vor­träge über seine Arbeit, namentlich über die Forschung am Leben Marco Polos. Im Anschluss an einen solchen Vortrag verschwindet er spurlos.

Vier Monate darauf, in der Jetztzeit, stoßen wir dann auf Seite 35 des Romans endlich auf vertraute Personen – in einer Region namens Nord-Wasiristan im af­ghanischen Bergland nahe Pakistan. Juan Cabrillo und einige seiner Mitstreiter von der Corporation haben sich hier für einen riskanten Auftrag anheuern las­sen, der sie in direkte Konfrontationslinie mit den Taliban-Kriegern bringt. Vor­angegangen sind ein paar unschöne Entwicklungen, deren Vorkenntnis das Ver­ständnis des Romans deutlich verbessert. Es empfiehlt sich deshalb, den Roman „Teuflischer Sog“ vorher gelesen zu haben.1 Kurz resümiert, sieht die Lage fol­gendermaßen aus:

Die Corporation, die ja von Juan Cabrillo nach seinem Ausstieg aus der CIA als privates Sicherheitsunternehmen gegründet worden ist und ihren Sitz auf dem heruntergekommen wirkenden, in Wahrheit aber hochmodernen Frachter ORE­GON hat, steht üblicherweise auf gutem und freundschaftlichem Fuß mit der CIA und deren betagtem Chefagenten Langston Overholt III. Doch das letzte Un­ternehmen der Corporation, das im eben erwähnten Roman beschrieben wur­de, führte am Rand der Antarktis zu einer recht krassen militärischen Konfron­tation mit den Argentiniern und den Chinesen, und zwar zu einem Zeitpunkt, als Overholt ein Einschreiten strikt untersagt hatte. Letzten Endes war die Ope­ration ein Erfolg, aber die Corporation gilt seither als unsicherer Kantonist und wird von der CIA nicht mehr unterstützt. Sie steht gewissermaßen auf der schwarzen Liste, und die Regierung der Vereinigten Staaten als finanzstarker Geldgeber für Aufträge fällt darum aus.

Aus diesen Gründen muss Juan Cabrillo andere Aufträge entgegennehmen. Ei­ner davon kommt von einem Mann namens Gunawan Bahar, einem indonesi­schen Geschäftsmann. Wie das Schicksal so spielt, ist sein geistig zurückgeblie­bener Sohn Setiawan unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in einen Zirkel is­lamistischer Fundamentalisten geraten und dann kurzerhand gekidnappt wor­den, um in einem Bergnest in Nord-Wasiristan mit einem Sprengstoffgürtel aus­gestattet zu werden und als lebende Bombe zu einem Märtyrer zu werden. Ca­brillo und sein Team sollen ihn dort herausholen, und dies möglichst diskret.

Zu ihrer nicht geringen Verblüffung stoßen sie dort auf eine zweite Geisel, de­ren Schicksal es offenkundig ist, medienwirksam von den Al Kaida-Fundamenta­listen vor lautender Kamera enthauptet zu werden – der gefangene amerikani­sche Soldat MacD Lawless.2

Auf eine ziemlich atemberaubende Weise gelingt ihnen dieser Auftrag und die Flucht. Sie bringen den armen Setiawan zurück zu seinem Vater, erhalten das Honorar, und Lawless´ Zähigkeit macht auf Cabrillo Eindruck. Während sie den nächsten Einsatz planen, macht er sich Gedanken, ihn als Ersatz für einen Team­verlust (auch dies geschah im genannten Vorgängerroman) in die Corporation aufzunehmen.

Der nächste Auftrag bringt den Chef der Corporation mit einem Schweizer Ban­kier namens Roland Croissard in Kontakt, der die Verbindung zu seiner einzigen Tochter Soleil verloren hat. Sie ist eine junge Abenteurerin, die sich stets Hals über Kopf in Abenteuer stürzt, und diesmal hat sie sich vorgenommen, in ein nahezu unerschlossenes Dschungelgebiet im Goldenen Dreieck im birmani­schen Grenzland vorzudringen. Dort ist sie spurlos verschwunden. Cabrillo weiß, dass allein das schon eine Herausforderung ist, doch Croissard besteht darauf, dass das Team von einem einstigen Fremdenlegionär begleitet werden soll, der sich den Namen „John Smith“ zugelegt hat. Eher widerwillig geht Ca­brillo auf diese Bedingung ein. Der Einsatz soll zugleich MacD’s Feuertaufe sein. Er kostet sie beinahe allesamt das Leben.

Denn der Auftrag entpuppt sich als heimtückische Falle. Das Zielgebiet enthält einen verfallenen buddhistischen Tempel, und sie finden einige Leichen und ei­nen Rucksack. Danach geht alles schief, und ehe sich Cabrillo und MacD verse­hen, stecken sie in den Folterkellern des birmanischen Militärs. Da gibt es wirk­lich ein paar echt widerliche Passagen, wie ich sagen muss. Nichts für schwache Nerven.

Und doch ist der rasante Roman damit erst etwa auf knapp der Hälfte des Tex­tes angelangt, danach dreht er erst richtig auf. Es wimmelt in der Folge von Schießereien, abenteuerlichen Verfolgungsjagden zu Land und zu Wasser, Artil­lerieduellen, Verrätern und Doppelspielen… und was das alles mit einer Bohrin­sel vor Brunei zu tun hat und inwiefern zwei gigantische Kristallkegel zu einer weltweiten Bedrohung werden können… das sollte man gelesen haben, das möchte ich nicht vorwegnehmen. Wenn man dann schließlich bei einem Lese­pensum von 250 Seiten pro Tag angelangt ist und am liebsten noch mehr läse – ich musste mich dann um Mitternacht ernstlich bremsen – , dann kann man ei­gentlich nur sagen, die Geschichte reißt den Leser mit…

Im Grunde dachte ich lange Zeit, dies sei der letzte Roman von Jack du Brul, der über die OREGON-Crew geschrieben werde. Das ist aber, wie ich inzwischen weiß, ein Irrtum. Wenigstens ein weiterer Roman existiert, nämlich „Tarnfahrt“, der im September 2014 in den Handel gelangen wird. Weitere Romane könnten folgen.

Wenn man sich dieses Werk hier anschaut, das sich deutlich darum bemüht, Verknüpfungen zu vorigen Romanen herzustellen und um einiges sorgfältiger ausgearbeitet ist als gerade der letzte Band der Serie, dann würde ich sagen, lohnt es sich, diesen Abenteuern weiter nachzuspüren. Was die Beurteilung der Geschichte angeht, so hatte ich nach Ende der Lektüre das irritierende Gefühl, dass hier eine Veränderung des Handlungsstroms vorgenommen worden ist, und die Titelvergabe sowohl im Englischen wie im Deutschen hat diese Irritati­on höchstens verstärkt.

The Jungle“ ist ein offensichtlicher Verlegenheitstitel, denn abgesehen von dem birmanischen Abenteuer, das aber gerade mal gut 100 Seiten ausmacht, geht es überhaupt nicht um einen Urwald, und der steht selbst dort nicht im Zentrum. Das wäre etwa so, als würde man ein Werk über den Ersten Weltkrieg schreiben und ihm den Titel „Die große Karpatenschlacht“ geben. Die hat es da auch gegeben, natürlich, aber das ist völlig irreführend. So ist der englische Ti­tel. Der deutsche, „Killerwelle“, ist noch dämlicher. Es geht nicht um eine Welle, es geht weder um Tsunamis noch sonst etwas in dieser Richtung… und schwei­gen wir mal vom Titelbild, wo wir Taucher, Haie und Lava sehen. Nichts davon kommt im Roman vor. Hätte man nicht wenigstens Höhlen, einen buddhisti­schen Tempel oder die Maginot-Linie bringen können…? Nein, gar nichts. Nicht mal eine Bohrplattform, auch das hätte noch einen gewissen Sinn ergeben. Stattdessen nur dumpfe Desinformation.

Manche Desinformationsstrukturen waren zudem recht deutlich zu sehen. Ich habe beiden Neuankömmlingen in der Geschichte misstraut, und ich tat gut daran (wenn auch aus sehr unterschiedlichen Gründen). Das war dann ein we­nig platt gemacht. Die letzte Person hingegen, die dann in die Handlung einge­führt wird… ja, ich glaube, Person ist ein falscher Begriff, das ist ein echtes Sci­ence Fiction-Element, Freunde… also, diese Person, um mal dabei zu bleiben, die war dann wirklich interessant gemacht. Nicht wirklich glaubwürdig, finde ich, aber hier könnte ich keine fundierte Kritik anbringen, ohne den zentralen Plot zu verraten. Schade eigentlich, aber nicht zu ändern.

Der zentrale Plot scheint mir im Übrigen etwas verändert worden zu sein, wie ich eben schon andeutete, und zwar während des Schreibens. Die anfängliche Marco Polo-Handlung macht zwar einigermaßen mühsam Sinn, aber im Detail wirkt das dann, verknüpft mit dem Endzweck der Geschichte, einigermaßen verkrampft. So, als hätten Cussler und du Brul so auf Seite 300 gedacht: Mist, das ist aber zu geradlinig gedacht, das ist nicht spannend genug… machen wir lieber DAS daraus! Ein wirklich konsequenter roter Faden fehlt deswegen, und einige Details der Geschichte bleiben auch völlig im Ungewissen.

Dennoch – alles in allem ein durchaus packender, interessanter Roman, der den Tiefpunkt der Serienhandlung im vergangenen Roman dann wieder abmildert. Man darf auf weitere Abenteuer der Corporation gespannt sein…

© 2014 by Uwe Lammers

Es ist bekanntlich nicht alles Gold, was glänzt. Und nicht alles, was es auf die New York Times-Bestsellerliste schafft (was Cussler seit Jahrzehnten mit seinen Büchern gelingt), muss deshalb jenseits des amerikanischen Umfeldes auch wirklich interessant oder gelungen sein. Das hier ist eine seltsame Form von Zwischending.

Noch interessanter aber sind in meinen Augen die Werke, die man eigentlich überhaupt nicht im Buchhandel finden kann. Wie jetzt, mögt ihr vielleicht fra­gen, spreche ich von Selfpublishern? Nein, tue ich nicht. In der kommenden Woche stelle ich einen weiteren Roman des Verlags Plaisir d’Amour vor. Und dieser Verlag ist üblicherweise nicht im Buchhandel vertreten – was schätzungs­weise primär damit zu tun hat, dass er Romane präsentiert, die strukturell ero­tische Werke sind, zumeist aus dem BDSM-Milieu.

Ich meine, vor dem Hype um E. L. James´ „Fifty Shades of Grey“ konnte ich die­se Prüderie des stationären Buchhandels ja noch halbwegs verstehen. Aber seit inzwischen zahllose Epigonen von James mit ihren nicht gerade zurückhaltenden Werken im traditionel­len Buchhandel Fuß gefasst haben – viele davon mit Kapiteln, die heftiger als in den PdA-Romanen sind! – , ist mir diese Zurückhaltung doch einigermaßen schleierhaft.

Macht euch einfach in der kommenden Woche ein Bild davon, wenn ich den vierten Band des Australien-Zyklus um die Agentur „Sweet Sins“ vorstelle.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Für das Kurzformat empfiehlt sich dazu mein Rezensions-Blog 214 vom 1. Mai 2019.

2 In meinen Augen ein ausgesprochen bescheuerter Name, aber das kann man sich als Rezensent halt nicht aussuchen…

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