Rezensions-Blog 222: Fluch!

Posted Juni 25th, 2019 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

also, selbst aus weiter Distanz kann ich nicht leugnen, dass ich im Sommer 2007 ein Mordsvergnügen hatte, als ich das unten rezensierte Geschenkbuch schmö­kerte. Leider, wie ebenfalls unten erwähnt, ein schrecklich kurzes Vergnügen, weil das Buch nicht sonderlich viele Seiten aufweist. Dafür aber ein wahnsinnig lustiges, das mit einer Vielzahl von neckischen Sujets spielt. Da ist einmal der klassische „Whodunnit“, es geht um Schätze, es geht um mayanische Kultur, um Beziehungsdramen, und witzig ist das Ganze außerdem.

Eine totale Win-win-Situation, ehrlich, Freunde.

Also, wer Gideon Oliver noch nicht kennen sollte oder keine Angst vor sinistren mayanischen Flüchen und Kriminellen hat, die selbige in die Realität umsetzen… oder wer einfach verdammt unterhaltsame Lesestunden mit einem sehr ver­gnüglichen Buch verbringen möchte, der sollte sich dringend auf die Suche nach diesem Werk machen.

Nach welchem? Ah, ich greife vor. Lest einfach mal weiter:

Fluch!

(OT: Curses)

Ein Gideon-Oliver-Krimi

von Aaron Elkins

Haffmanns Kriminalromane 13

240 Seiten, TB, 1993

ISBN 3-453-06475-5

Aus dem Amerikanischen von Jürgen Bürger

Man sollte ja nicht abergläubisch sein, wenn man ein Buch mit einem solchen Titel liest, aber es gibt doch schon zu denken, dass es ausgerechnet die Num­mer 13 in der Reihe ist, nicht wahr…? Wer solcherart schon zu Beginn verunsi­chert wird, sollte sich wirklich anschnallen. Es geht genauso weiter, und zwar nicht nur mit Flüchen, sondern auch mit einer subtilen und ausdauernden Atta­cke auf das Zwerchfell. Wie meine gute Freundin Conny in ihrer Widmung schrieb: „Fluch! Das Buch gegen schlechte Laune. Verbessert das seelische Be­finden schon nach 30 Minuten Lesezeit.“ Sie hat nur untertrieben. Das Gekicher fängt bereits auf Seite 1 an. Und das kommt so…

Gideon Oliver, seines Zeichens Anthropologe an einer biederen nordamerikani­schen Universität, seit ein paar Jahren mit seiner schlagfertigen Gefährtin Julie verheiratet, ist gestresst. Die Semesterarbeiten, die er durchschauen soll, sta­peln sich, seine eigene Schrift, an der er arbeitet, schleppt sich von Seite zu Sei­te, und eigentlich möchte er nur möglichst weit weg von alledem. Kann nicht mal wieder das FBI auf ihn zutreten und ihn bitten, ein paar morsche Knochen zu untersuchen, vorzugsweise welche, an denen kein Fleisch mehr hängt (das mag er nämlich nicht so gern)?

Keine Chance.

Stattdessen erhält er einen Anruf aus Yucatan von seinem 78jährigen Mentor Abraham Goldstein, mit dem er 1982 bereits einmal dort unten war, an einer kleinen, fast unbekannten Ruinenstätte namens Tlaloc, die traurige Berühmt­heit durch einen Forschungsskandal erlangte und für die folgenden fünf Jahre gesperrt wurde. Jetzt hat Goldstein es geschafft, die Grabungserlaubnis zu er­neuern, und das erste, was er entdeckt, ist… richtig, eine Leiche.

Also fliegen Julie und Gideon nach Yucatan und stoßen auf das Grabungsteam, das interessanterweise fast dasselbe ist wie bei der Grabungssaison 1982. Auf dem Weg zum Ziel erzählt Gideon seiner Frau auch, was damals passiert war – der Grabungsleiter Howard Bennett, war nach dem Sensationsfund eines unbe­kannten Maya-Codex – also eines heiligen Buches der Maya – völlig ausgerastet, und am Abend der Entdeckung stürzte darauf nicht nur der Treppenschacht ein, in dem die geheime Kammer lag, sondern auch Howard, ein Indio und der Codex verschwanden spurlos. Wobei sich Howard später aus dem Ausland noch einmal brieflich meldete und für die Unannehmlichkeiten, die er bereitet hatte, entschuldigte.

Daraufhin wurde in der internationalen Szene die Existenz des geraubten Codex (Minimalwert: 2 Millionen Dollar!) bekannt gemacht und somit der Verkauf wirksam unterbunden.

In Tlaloc angekommen, werden die beiden auch mit der Existenz eines geschrie­benen Fluches konfrontiert, der aus der mayanischen Epoche stammt und schlimme Strafen für diejenigen ankündigt, die die Ruhe der Toten stören. Schlimmer noch: kaum ist das Grabungsteam angekommen, wird heimlich nachts der Treppenschacht wieder ausgegraben! Der Sinn erschließt sich nicht recht, der Codex ist doch schließlich von Howard ins Ausland entführt worden. Noch unangenehmer ist aber die Folgerung, die Goldstein und Oliver aus den Ereignissen ziehen müssen – der heimliche Ausgräber ist einer von ihrer Crew, wer auch immer.

Motive gäbe es allerdings genug. Vorausgesetzt, man nimmt an, der Treppen­schacht verberge – was nicht ohne Präzedenzfall ist – noch eine zweite geheime Kammer und vielleicht weitere Kodizes.

Worthy Partridge, der gerne Jugendbücher über die alte Mayakultur schreiben möchte, könnte sicherlich etwas mehr Geld gebrauchen.

Leo Rose, Leiter einer Landerschließungsfirma und immerzu auf der Jagd nach neuen „Opfern“, mit denen er Kontrakte abschließen kann, betrachtet die Gra­bung sozusagen als Urlaub, um sich vom Berufsstress zu erholen und alte Kon­takte wieder aufzufrischen. Ähnlich wie Howard Bennett ist er leidenschaftli­cher Hobby-Archäologe. Kann er auch Geld gebrauchen?

Preston und Emma Byers sind ein Fall für sich. Angeblich haben sie es mit einer ökologischen Fast-Food-Kette im Mittleren Westen zu bescheidenem Wohl­stand gebracht. Während Preston völlig farblos und unscheinbar ist, ist Emma auf einem völlig abgedrehten esoterischen Trip. Alsbald versichert sie, in astra­lem Kontakt mit mayanischen Göttern zu stehen, die ihr dringend zu verstehen geben, die Grabung sei abzubrechen, sonst werde „sich der Fluch Stück für Stück vollziehen“ und mit dem Tod aller Beteiligten enden.

Und dann ist da auch noch – als wenn das nicht schon reichte! – die Vermu­tung, dass der untergetauchte Howard Bennett höchstselbst sich herumschlei­chen könnte, um von der Grabung in irgendeiner Weise zu profitieren. Die Indi­zien dafür verdichten sich rasch.

Zu guter Letzt ist da zudem dieser vermaledeite Fluch!

Er kündigt höchst unangenehme Aussichten an, wie alle finden (aber keiner kann sie oder Emmas inbrünstig überzeugte Warnungen ernst zu nehmen). Blutsaugende Wesenheiten werden über sie herfallen, behauptet der Fluchtext, Dunkelheit wird hereinfallen, ein mächtiges Trommel wird die Seele dahinwel­ken lassen, die Götter werden die Eingeweide der Frevler in Feuer und blutigen Ausfluss verwandeln, sodann ihre Schädel durchbohren und die Hirne ausgie­ßen, schließlich wird das Ungeheuer kommen, das Menschen in Stein verwan­delt, und dies gipfelt, wie die Wissenschaftlerin Dr. Garrison erklärt, schließlich im „Ende der Zigarre“ – der mayanischen Metapher für das Ende von allem.

Na, bestens! Schließlich schaltet sich auch noch die mexikanische Polizei ein.

Und dummerweise beginnt die Sache bald darauf auf bizarre Weise real zu wer­den. Ziel der Hauptattacke: Gideon Oliver, der nur mit Müh und Not den ersten Mordanschlag übersteht. Von da an stehen die Zeichen auf Sturm…

Leider ist das Buch so kurz, muss man seufzend sagen. Selbst wenn man sich viel Zeit lässt, ist man in drei Tagen durch, weil man einfach kaum mehr aufhö­ren kann zu lesen. Gewiss, manche Dinge stehen für den findigen Leser sehr schnell fest und überraschen dann nicht mehr richtig, aber man kann nicht be­haupten, es wäre langweilig. Wenn man ohnehin ein Faible für die mayanische Kultur besitzt – wie beim Rezensenten vorhanden – und sich ein bisschen in dem Metier auskennt, für den ist das Buch ein echtes Heimspiel.

Wenn ein ahnungsloser Leser etwas verstört reagiert wegen der anthropologi­schen Termini, so sei er beruhigt – zumindest die anatomischen Begriffe werden hinten in einem Glossar erläutert. Ansonsten ist das Buch wirklich eine ver­flucht gute Lektüre für trübe Tage, am besten zu genießen mit ein wenig Tee im Lesesessel. Ein backofenheißer Bus, in dem man dringend Ablenkung wünscht, tut es aber auch. Doch Vorsicht! Die Haltestelle, wo man raus will, sollte man nicht verpassen. Dieses Buch macht wirklich süchtig und natürlich neugierig auf den damals schon erschienenen Erstling „Alte Knochen“ (1992). Inzwischen soll es weitere Bücher mit dem guten Gideon Oliver geben…

© 2007 by Uwe Lammers

Tja, Freunde, und da war auch diese kurze Rezension schon wieder vorbei. Ich sage es ja immer wieder – alle Texte, die sich flink und geschwind lesen lassen, sind viel zu schnell Vergangenheit. Ich merke das selbst bei 400seitigen Bü­chern, die mich üblicherweise beim heutigen Lesetempo meist nur 3-4 Tage verweilen lassen. Manche, die ich kürzlich goutierte (aber erst frühestens 2020 im Rezensions-Blog vorstellen kann), hielten mich echt bis tief in die Nacht wach. Das kann euch mit dem obigen Buch kaum passieren – dafür ist es ein­fach zu schnell verschlungen. Glaube ich jedenfalls.

In der kommenden Woche kehre ich zu unserem alten Bekannten Clive Cussler zurück und rezensiere ein weiteres seiner Werke. Wer ihn mag, der schaue vor­bei. Ich freue mich über jeden Besucher.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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