Liebe Freunde des OSM,
es ist vermutlich kein sonderliches Geheimnis, dass die Veröffentlichung von E. L. James´ Trilogie „Fifty Shades of Grey“ und ihr stürmischer Erfolg eine ganze Kaskade von Nachfolgeromanen anderer Autoren und Autorinnen zur Folge hatte. Allerdings sind BDSM-Romane nicht erst seit dieser Zeit im deutschen Sprachraum verbreitet. Der Verlag „Plaisir d’Amour“ (PdA), der leider im stationären Buchhandel nie zu finden ist, was seine Verbreitungsreichweite notwendig stark einschränkt, arbeitet mit diesem Sujet bereits seit Anfang der 2000er Jahre, möglicherweise sogar noch länger.
Da diese Romanreihe, in der sich neben den gewissermaßen klassischen BDSM-Romanen auch durchaus historische Geschichten und Fantasy- wie Märchensettings finden lassen, meiner Ansicht nach definitiv ein wenig mehr Werbung vertragen kann und ich in den zurückliegenden Jahren eine ganze Reihe PdA-Werke rezensiert habe, scheint es nur recht und billig zu sein, sie hier ebenfalls vorzustellen, soweit sie mir gelungen erscheinen.
Vorausschicken möchte ich freilich eines: Die meisten dieser Werke besitzen einen recht konzentrierten Tunnelblick, und sie offerieren in der Regel recht intensive, explizite erotische Darstellungen, die mancher zartbesaitete Leser vielleicht anstößig finden kann. Anstößig insofern, als es hier zum einen meist heftig zur Sache geht und man es hier zum anderen recht häufig mit der intendierten Unterwerfung der weiblichen Protagonisten zu tun bekommt. Wer sich von derlei Dingen nicht angezogen fühlt, möge diesen Blogartikel vielleicht auslassen.
Ich betone allerdings zugleich auch, dass in der Majorität der von mir gelesenen und rezensierten Bücher nicht einfach blindwütig auf den armen Frauen herumgeprügelt wird, es geht hier also nicht um Verherrlichung von Gewalt oder dergleichen – vielmehr muss man sich als Leser klarmachen, dass in den Romanen stattdessen versucht wird, deutlich zu differenzieren. Es gibt Menschen, die ausgesprochen sadistische bzw. masochistische Vorlieben haben und das Ausleben selbiger Neigungen notwendig brauchen, um zu vollendetem sexuellem Genuss zu gelangen. Das ist in meinen Augen ebenso wenig ein Makel wie etwa Homosexualität oder eine Neigung zum Exhibitionismus. Mir schien es deshalb sinnvoll zu sein, diese Bemerkungen als Plädoyer der Toleranz solcher Lebensstile vorwegzuschicken, um ein wenig die möglicherweise auftretenden Empörungsgefühle zu beschwichtigen.
Genug der salbungsvollen Worte? Worum geht es im vorliegenden Roman? Nun, schauen wir uns das mal näher an:
Sweet Sins 1: Arie der Unterwerfung
Von Ivy Paul
Plaisir d’Amour
328 Seiten, TB (2014)
ISBN 978-3-86495-090-2
Romane, die in „Down Under“ spielen, also in Australien, haben für mich einen gewissen Seltenheitswert. Die meisten Romane, die ich in den letzten Jahren las, spielten doch deutlich mehr auf der Nordhalbkugel unserer Welt, so dass natürlich in gewisser Weise der Eindruck des Neuen, des weithin Unbekannten bei der Lektüre entstand. Er wurde freilich nicht richtig eingelöst, weil man soviel als Leser von „Down Under“ gar nicht mitbekam.
Wieso das nicht?
Nun, die Protagonisten kümmerten sich deutlich mehr umeinander als um die Location, und da die weibliche Hauptperson aus England stammte, die männliche aus den USA, und die Autorin selbst in Augsburg heimisch ist, kann es nicht verblüffen, dass die Umgebung nur Kolorit für eine interessante Geschichte darstellte. Das ließ sich aber in den drei Lesetagen (!) durchaus verschmerzen.
Ihr merkt schon an der Lesezeit für die doch beachtliche Seitenzahl (sehr klein bedruckt, sollte ich ergänzen, ihr braucht also nicht in „Harry Potter“-Dimensionen zu denken, dann würde dieses Buch nicht unter 600 Seiten wegkommen), dass mich die Geschichte „packte“.
Und darum geht es:
In Sydney ansässig ist die Erotik-Agentur „Sweet Sins“, geleitet von der aufregenden Renee Maurice. Unter Einhaltung höchster Diskretion vermittelt sie Dates zwischen Unbekannten, die gewisse… sagen wir… ausgefallene Formen der sexuellen Erfüllung suchen. Dazu zählen devot veranlagte Frauen und dominant veranlagte Männer (das Schema kennt man aus „Shades of Grey“, und amüsanterweise wird in diesem Buch an diversen Stellen durch die Blume durchaus auf dieses Buch angespielt. Leser des Liebesgeschichte um Christian Grey und Anastasia Steele sind bei dieser Lektüre also klar im Vorteil).
Als die zierliche Opernsängerin Kristin Manzetti, die nach außen den Eindruck eines zerbrechlichen, anbetungswürdigen Mädchens macht und von ihren Liebhabern auch immer so behandelt wird, mit ihrem Liebesleben so überhaupt nicht mehr zufrieden ist, da nimmt sie die Gelegenheit wahr, wenn auch sehr zögernd, die Dienste von „Sweet Sins“ in Anspruch zu nehmen. Denn es gibt schon gewisse tiefe Sehnsüchte in ihrem Herzen, die sie einfach nicht aussprechen kann, die ihr aber zur Erfüllung heißblütiger Liebesphantasien einfach fehlen.
Ja, wird ihr gesagt, in der Kartei gibt es da durchaus einen passenden Partner. So kommt Kristin mit dem aufregend maskulinen „Master“ David zusammen und erlebt nach anfänglich sehr verständlicher Nervosität dann wirklich atemberaubende Stunden mit ihm, voller Leidenschaft und süßem Wonneschmerz, der sie über die Grenzen der bislang ausgelebten Wollust treibt und zu Orgasmen, wie sie sie nie zuvor erlebt hat. Erst ist es ein Date, dann ein Wochenende, dann noch mehr… und es ist jedes einzelne Mal unglaublich, unberechenbar… und schließlich unterwirft sich Kristin durchaus bereitwillig.
David hingegen ist von der anfangs spröden, zurückhaltenden „Eisprinzessin“ mehr als nur fasziniert. Ihre Fähigkeit zu stolzer innerer Stärke einerseits und zu bedingungslosem Vertrauen zu ihrem „Gebieter“, gepaart mit süßer Verführungsbereitschaft, animieren ihn mehr als je zuvor. Sie ist eine völlig unerfahrene „Sub“, die er gern anlernt… und er spürt schließlich, dass da noch mehr ist, noch mehr in ihm wächst als nur eine auf Tage oder wenige Wochen und allein auf Sex beschränkte gemeinsame Zeit mit dieser schönen Frau.
Dann aber findet Kristin heraus, dass es sich bei ihrem „Master“ um den undisziplinierten Rockstar David Larkin handelt. Und der Schock wird noch größer, als sie auf einmal auf der Bühne der Oper überraschend zusammenarbeiten müssen. Dabei fürchtet Kristin ständig den drohenden Skandal, wenn ans Tageslicht kommen sollte, dass sie sich David bereitwillig in wilden und peinvollen BDSM-Spielen unterwirft…
Mit diesem Roman liegt der erste Band der Romantrilogie „Sweet Sins“ vor, den die Autorin Ivy Paul verfasst hat. Die anderen Romane, so legen es die Klappentexte nahe, haben mit diesem hier nur insoweit ein Kontinuum, als sie an derselben Location spielen und die Erotik-Agentur „Sweet Sins“ im Zentrum steht. Ob es mehr als drei Romane geben wird, ist aktuell offen.
Ich muss sagen, die Autorin hat eine äußerst rege und flexible Phantasie, und sie versteht es, zwei ziemlich grundverschiedene Protagonisten aufeinander loszulassen und sie in ihren inneren emotionalen Turbulenzen recht gut darzustellen. Besonders deutlich ist das natürlich bei Kristin. Es fällt gleichwohl auf, dass der Roman eine Art von Brennglaseffekt besitzt.
Was will ich damit ausdrücken? Dies: Sowohl die Agentur, die doch recht eigentlich im Zentrum stehen sollte mitsamt ihrer Leiterin Renee Maurice, bleibt eigentümlich blass und undefiniert. Die stürmischen SM-Spiele, die die beiden Protagonisten miteinander treiben, zerren den Fokus gnadenlos von dort weg. Das ist durchweg aufregend und liest sich äußerst flüssig (schweigen wir mal von der erstaunlichen Häufung von Druckfehlern im Mittelteil, die mich dann doch sehr unschön an die lektoratstechnisch äußerst unsauber gearbeiteten Bücher der Publikationsreihe „Passion Publishing“ erinnerten). Es führt nur in gewisser Weise vom eigentlichen Zentrum des Romans fort. Und auch wenn die Spiele selbst und die häufigen Überwältigungsszenen Kristins wort- und variantenreich beschrieben werden, verblasst daneben doch so ziemlich alles andere.
Kristins Korrepetitor Erik beispielsweise erhält nicht wirklich Leben. Kristins Konkurrentin an der Oper ist gewissermaßen nur ein Phantom. Ihre Mutter, um deren Wohlergehen sie stets besorgt ist, spielt überhaupt nur eine sehr ferne Nebenrolle. Und aus Davids Umfeld lernen wir quasi überhaupt niemanden kennen. Als würden in Sydney nur etwa zehn Personen leben… realistisch geht anders, ganz ernsthaft.
Wer sich allerdings um solche Details nicht bekümmert, sondern nur eine stürmische, humorvolle und aufreizende Liebesgeschichte im romantischen BDSM-Look schmökern möchte, der ist hier absolut richtig. Ich verbuche die Lektüre eindeutig unter angenehmem und vor allen Dingen kurzweiligem Zeitvertreib.
© 2017 by Uwe Lammers
Ihr merkt, meine Kritikfähigkeit ist bei aller Toleranz durchaus erhalten geblieben. Ja, der Roman hat recht anregende Szenen zu bieten und transportiert darüber hinaus eine etwas gewöhnungsbedürftige Liebesgeschichte. Aber jenseits davon bleibt in meinem Blog natürlich Abwechslung garantiert. Das merkt ihr, glaube ich, ganz besonders in der kommenden Woche, wo ich ein Werk vorstelle, für das man ebenfalls Gewöhnungskraft braucht. Da geht es dann um die Frage, ob der Mensch nur einmal lebt oder gegebenenfalls mehrmals.
Wie das gehen soll? Erfahrt ihr in sieben Tagen an dieser Stelle. Bleibt neugierig, Freunde!
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.