Liebe Freunde des OSM,
ich denke, es ist kein Geheimnis, dass ich Robert Howard schätze, so distanziert ich heutzutage auch der Fantasy-Literatur in toto gegenüberstehe. Das heute vorzustellende Buch ist in mehrerlei Hinsicht eine positive Abwechslung, selbst für Leser, die gleich mir Fantasy eher fern stehen. Zum einen handelt es sich nicht wirklich um Fantasy, selbst wenn es – aufgrund des Autors – unter diesem Label vermarktet wurde. Wenn wir uns darauf einigen, dass wir es hier mehr mit einer blutrünstigeren Version eines frühen Indiana Jones zu tun haben, kommt man dem Inhalt der Geschichten in diesem Band näher.
Zum zweiten, daraus resultierend, befinden wir uns hier eben gerade nicht in der argumentativen Falle, in der viele heutige Fantasy-Autoren stecken, die munter den Fabelwesenkanon und die Struktur ihres Tolkien munter kopieren und in verschiedensten Abwandlungen mit neuen Reichen, Welten und Völkern auf Aberhunderten oder Abertausenden von Seiten auswalzen. Im Vergleich dazu hat Howard nämlich eine dramatische und außerordentlich kurz angebundene Prosa geschrieben. Manche der heutigen Nachahmer schaffen auf fünfhundert Seiten nicht das an Atmosphäre und Dramatik auszudrücken, was Howard auf 30 Seiten gelingt.
So kurz also das heutige Werk auch sein mag, und so tippfehlergesättigt und zudem nur noch antiquarisch zu erhalten – es ist die Suche zweifellos wert. Nach dem Rezensions-Blog 170 („Der Dolch mit den drei Klingen“) vom 27. Juni 2018 liegt nun der zweite Band mit Erzählungen um diesen Helden Howards vor. Stürzt euch also mal mit mir in das Abenteuer um El Borak, der die Wildnis des Afghanistan und des Osmanischen Reiches kurz vor und nach Ende des Ersten Weltkriegs durchstreifte:
Im Land der Messer
(OT: Son of the White Wolf)
von Robert E. Howard
Terra Fantasy 77
Rastatt 1980
162 Seiten
Aus dem Amerikanischen von Dagmar Hartmann
Robert Erwin Howard, der alte Brieffreund Howard Phillips Lovecrafts und Schöpfer beispielsweise von „Conan“, der im Jahre 1936 – eigentlich auf der Höhe seines Erfolges – aus familiären Gründen Selbstmord beging, ist im Fantasy-Genre der Gegenwart aus durchaus verständlichen Gründen eine Ikone, und mit seinem Tod nahm die Popularität eher noch zu. Heutzutage nehmen viele Leser allerdings zu Unrecht an, dass Howard seinen Erfolg in erster Linie „Conan“ zu verdanken hatte, der freilich seine bekannteste Figur geblieben ist, nicht nur aufgrund der Adaption in Comicversion oder im Film.
Hugh Walker, selbst deutscher Fantasy-Autor und Redakteur der im Pabel-Verlag erscheinenden Terra Fantasy-Taschenbuchreihe, ist es zu verdanken, dass ein erheblicher Teil von Howards sonstigen Werken dem Leser in Übersetzungen während der späten 70er und frühen 80er Jahre des 20. Jahrhunderts zugänglich gemacht wurde. So konnten wir neugierigen Jungleser damals die Bekanntschaft mit Howardschen Helden wie Bran Mak Morn, der Schwarzen Agnes, Solomon Kane und dergleichen machen. Und wir stellten verblüfft fest, dass Howard sich in historischen Romanen herumtrieb, dass er klassische Abenteuergeschichten schrieb, die man heutzutage in die Nähe von „Indiana Jones“ rücken würde und Piratengeschichten verfasste. Da es die Terra Fantasy-Reihe nicht mehr gibt, kann man nur mutmaßen, wie groß Howards Oeuvre in Wahrheit gewesen ist. Meines Wissens gibt es keine deutsche Howard-Gesamtausgabe. Das wäre zweifellos eine spannende Sache.
Einer seiner Helden, von denen ich auch noch nichts wusste, ist Francis Xavier Gordon, auch „El Borak“ genannt – ein junger Amerikaner, der Anfang des 20. Jahrhunderts die Weiten des wilden Afghanistan und des kaum minder exotischen Arabien durchstreift. Solche Staaten wie den Irak oder Saudi-Arabien gibt es noch nicht (sie sind Folgeprodukte des Ersten Weltkriegs), zu El Boraks Zeiten dehnt sich hier – historisch korrekt – das osmanische Weltreich aus, das am Ende des Ersten Weltkriegs zerbricht und sich in Territorialstaaten auflöst. Es ist unschwer zu erkennen, dass Howard mit El Borak eine Person geschaffen hat, die wie üblich ein alter Ego seiner selbst war. Er schrieb die Abenteuer nieder, die er – und viele seiner oft jugendlichen Leser – zu gern selbst erlebt hätten.
Dieser Band enthält drei unterschiedlich lange Geschichten über El Borak und transportiert die ihm eigene Moralität. Walker skizziert im Vorwort kurz den „Helden“, auf dass wir ihn uns bildlich vorstellen können: „Hier also ist Francis Xavier Gordon, genannt El Borak, stark, furchtlos, so sonnengebräunt, dass er in seiner afghanischen Kleidung im Lande längst nicht mehr als Fremder gilt. Er hat glattes, schwarzes Haar, wie das eines Indianers, und seine Augen sind so schwarz wie das Haar. Sein Name klingt aus allen Geschichten, die man sich in den Karawansereien und Basaren von Teheran bis Bombay erzählt…“
In „Das Blut der Götter“ verschmelzen zwei Handlungsstränge, die am Ende auf schreckliche Weise kulminieren: Eine Gruppe gewissenloser Banditen unter ihrem Anführer Hawkston ist auf der Suche nach einem Mann namens Al Wazir und seinem Schatz. Angeblich ist er spurlos verschwunden, aber auf irgendeine Weise hat Hawkston erfahren, dass der einstige Russe, den die Araber Al Wazir nennen, sich als Einsiedler in entlegene Berge zurückgezogen hat, wo er meditative Erleuchtung sucht. „Das Blut der Götter“, eine Handvoll sagenhafter Rubine, hat er dabei offenbar mit sich genommen.
Zu dumm: ausgerechnet der Abenteurer El Borak hat Al Wazir einst dabei geholfen, in die Berge zu gelangen, und als dieser nun erfährt, dass Hawkston zu dem Russen auf dem Weg ist, beschließt er, den Einsiedler zu warnen. Um den Weg abzukürzen, durcheilt er jedoch die Wüste, obgleich er weiß, dass er dabei Stammesgebiet von Shalan ibn Mansour zu durchqueren hat. Und mit Mansour verbindet ihn eine Blutfehde. Wenn Mansour oder jemand seines Clans Gordon entdeckt, ist er des Todes.
Nun, Howard wäre nicht Howard, wenn es nicht genau so dramatisch käme, wie der Leser das befürchtet…
„Im Land der Messer“, mit Abstand die längste Erzählung des Buches, beginnt etwas unerwartet im fernen Amerika – Stuart Brent, ein Spieler und Abenteurer, erhält von dem in seinen Armen sterbenden alten Freund Stockton den Auftrag, sich nach Kabul zu begeben, um dort Kontakt mit einem Mann namens Francis Xavier Gordon zu suchen, den man El Borak nennt. Er solle ihm ausrichten, dass die Schwarzen Tiger einen neuen Prinzen hätten, den man Abd el Khafid nenne. Sein wahrer Name sei jedoch Wladimir Jakowitsch. Er solle sich an einem Ort namens Rub al Harami aufhalten, der Stadt der Diebe…
Brent nimmt diesen Auftrag an – aber schon die nächste Blende zeigt ihn dann in Afghanistan, als abgerissenen, gefesselten Gefangenen wilder Einheimischer, die ihn in die hohen Berge Afghanistans verschleppen, und zwar an einen Ort namens Rub al Harami, wo er als Sklave verkauft werden soll. Schlimmer noch: Brent entdeckt, dass er seit seinem Aufbruch in San Francisco verfolgt worden ist, von jenen Agenten der Schwarzen Tiger, die auch Stockton getötet haben… womöglich also droht ihm ein schlimmeres Schicksal als der Tod, wenn er in die Hände jener Leute fällt, vor denen er El Borak warnen sollte.
Und tatsächlich steht er bald darauf jenem Mann gegenüber, Jakowitsch, der einen wahnwitzigen Plan verfolgt, den offensichtlich nur eine einzige Person verhindern kann, eben jener rätselhafte El Borak, der aber nicht gefunden werden kann…
Die Titelgeschichte „Der Sohn des weißen Wolfs“ ist die kürzeste und letzte Story des Bandes. Sie spielt in den Endtagen des Ersten Weltkriegs in Arabien. In ihr wird der legendäre Lawrence von Arabien erwähnt, der wesentlichen Anteil daran hatte, dass das heutige Saudi-Arabien vom türkischen Kernland abfiel. In Lawrences Diensten ist auch Francis Xavier Gordon unterwegs… doch die Geschichte fängt auf der Gegenseite an.
Die deutsche Geheimagentin Olga von Bruckmann ist unterwegs in Arabien und muss Geheimdokumente von Bagdad nach Damaskus bringen. Dabei macht sie mit einem Begleiter Halt in einem Bergdorf namens El Awad… und wird jählings überrascht von einem Angriff türkischer Soldaten, angeführt vom Leutnant Osman. Osman hat seinen Kommandanten erschossen und ist mit seiner Truppe auf dem Weg in die Unabhängigkeit, um unter dem Banner des weißen Wolfs ein neues Reich aufzubauen. Er hat dem Islam abgeschworen und überfällt El Awad, um Frauen für sein neues Reich zu entführen, unter ihnen dann auch die deutsche Agentin.
Sein Problem: einer der männlichen Dörfler entkommt dem Gemetzel schwer verwundet. Und dieser Mann namens Yusef stößt in der Wildnis auf seinen Freund El Borak und erzählt ihm von den Vorkommnissen. El Borak verspricht dem Sterbenden, dass die Mörder sterben würden, er schwöre es.
Doch Francis Xavier Gordon ist allein. Die Soldaten, die unter seinem Kommando stehen, sind nicht einmal in der Nähe. So entschließt er sich, zunächst als Einzelkämpfer die Spur der Feinde zu verfolgen, wobei er – kurios genug – die deutsche Geheimagentin retten kann, ehe sie geschändet wird. Danach ist er mit ihr zusammen aber wieder auf der Flucht, verfolgt von Osmans Fanatikern… und er gerät bald darauf vom Regen in die Traufe…
Robert Howards große Stärke ist unbestreitbar seine zeitlos kraftvolle Prosa, die durch und durch abenteuerlich, wild und ungestüm daherkommt. Das zeichnet diese Geschichten aus, die sich wie von selbst lesen. Ganz gleich, ob sie dreißig oder sechzig Seiten lang sind, man wird vom enormen Schwung der Erzählung einfach mitgerissen wie vom Wasser eines Wildbaches. Dass er dabei vielfach auf archaische Strukturen zurückgreift, auf geradezu archetypische Argumentationsmuster, dass Ehre viel und Leben wenig gilt, dass Frauen im Grunde genommen – hier wenigstens – kaum ein individuelles Eigenleben führen dürfen an der Seite der kernigen, gnadenlosen Kriegernaturen, die er schildert, das muss man einfach als Leser in Kauf nehmen und es Howards eigenem Ethos und seiner Zeit zurechnen (wenn man sich die in derselben Zeit entstandenen Doc Savage-Romane anschaut, hat man hier recht ähnliche Muster, auch wenn diese Romane lange nicht so blutrünstig sind wie die Werke Howards).
Natürlich gibt es auch ein paar editorische Schnitzer, die dem überkritischen Leser die Lektüre etwas vergällen könnten. Das Titelbild von Boris Vallejo beispielsweise, das ist natürlich ohne Bezug zum Inhalt, das kann man sich schon denken. Ärgerlicher ist dann, dass Hugh Walker in der Einleitung behauptet, die Geschichten seien „in chronologischer Folge“ abgedruckt. Das stimmt nicht, wie man schnell entdecken kann. Auf Seite 54, d. h. in der ersten Geschichte, ist schon unübersehbar zu erkennen, dass sie nach 1924 spielen muss, wohingegen die Titelstory, die ja am Ende der Anthologie steht, anno 1917 handelt.
Auch misslich ist der Fehlerdschungel, den sich das damalige Pabel-Lektorat bei diesem Band leistete. „Bombey“ statt „Bombay“, „daß“ und „das“, „torbulent“ statt „turbulent“, „führ“ statt „für“, „im“ statt „ihm“ usw… das erschwert das Lesen dann doch manchmal recht stark. Aber solche Fehlerwildnis ist in damaligen Taschenbüchern gang und gäbe. Dies allein sollte den heutigen Leser, der das Buch zweifellos nur noch antiquarisch findet, nicht davon abhalten, es zu suchen, wenn er wirklich mal auf kraftvolle, wilde Fantasy-Prosa steht.
Ich würde sagen: durchaus ein Buch, das man nicht vergessen sollte und immer mal wieder eine Entdeckung wert.
© 2013 by Uwe Lammers
Ihr merkt schon, ich war vor sechs Jahren wirklich ziemlich beeindruckt von der Storysammlung. Nach wie vor halte ich sie für äußerst lesenswert und würde sie vielen moderneren Werken strikt vorziehen.
In der kommenden Woche betrachte ich den letzten Teil der fünfteiligen Comicreihe „Baker Street“ von Veys und Barral, der wieder mal das Zwerchfell erschüttert. Lasst euch da mal überraschen.
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.