Rezensions-Blog 202: Kaperfahrt

Posted Februar 6th, 2019 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

Piraterie ist, wie ich weiter unten in der Rezension schon vor Jahren schrieb, lei­der ein Thema, das immer noch auf der internationalen Agenda steht und, so ist zu befürchten, wohl auch weiterhin bleiben wird. Wenn man daran denkt, dass schon Gaius Julius Cäsar vor über 2000 Jahren gegen Piraterie im Mittel­meer ankämpfte, dann mutet der Gedanke, man könne Piraterie ausrotten, etwa so realistisch an wie der Glaube, man würde Eifersucht, Bestechlichkeit oder Habgier irgendwann final bekämpfen können. Vergesst es.

Auch das Thema des religiösen Fundamentalismus, der zentral im vorliegenden Roman mit dem Piratenthema vermischt wird, beschäftigt uns sicherlich noch einige Jahrzehnte. Das heißt aber nicht, dass Geschichten, die darüber geschrie­ben werden, an Lesbarkeit verlieren, ganz im Gegenteil. Und wenn die Autoren sowieso versierte Thrillerautoren sind – wie in diesem Fall Cusslers Co-Autor Jack du Brul – , dann ist Spannung ziemlich garantiert.

Dass ich mich gegen Schluss der unten wiedergegebenen Rezension überkri­tisch zeige, was die Originalität des Settings angeht… da wäre ich heute etwas nachsichtiger. Ich kann nicht wirklich ernsthaft erwarten, dass ihr alle weit mehr als 50 Cussler-Romane im Kopf habt und einen Roman aus den 80er Jahren mit dem vorliegenden vergleicht. Wer das aber nicht tut, wird mit dem vorliegen­den Buch gut mit Lesestoff versorgt sein.

Was im frühen 19. Jahrhundert als Eindämmungsmission gegen Piraten im nordafrikanischen Raum beginnt, führt zu einer abenteuerlichen Schatzjagd (auch nach durchaus spirituellen Werten) im frühen 21. Jahrhundert. Was heißt das genau? Nun, wer das herausfinden möchte, der lese weiter:

Kaperfahrt

(OT: Corsair)

Von Clive Cussler & Jack du Brul

Blanvalet 37590

608 Seiten, TB, 2011

Aus dem Amerikanischen von Michael Kubiak

ISBN 978-3-442-37590-5

Piraterie ist nicht neu. Es gibt sie schon seit zahllosen Jahrhunderten, und leider ist sie auch heute noch gang und gäbe in manchen Regionen der Welt, etwa vor der somalischen Küste oder zwischen den indonesischen Inseln. Jede Reederei weiß davon. Heutzutage wird allerdings gern angenommen, dass die weitaus meisten Regionen der Erde von Piraterie verschont geblieben sind (ein Irrtum) oder, dass es sich dabei doch zumeist um ein romantisches Thema handelt, das man sich gern im Kino anschaut, wenn es um Filme geht, die in der Karibik der Frühen Neuzeit spielen.

Zum Thema: Piraterie, Nordafrika und Vereinigte Staaten von Amerika fällt den meisten Mitmenschen vermutlich erst mal nicht sehr viel ein, und wenn man dann das Jahr 1803 nennt, herrscht wohl nur noch blanke Ahnungslosigkeit. Und doch war exakt Piraterie damals in jener Weltregion ein äußerst heikles Thema, ein Politikum, und es vermengte sich mit Weltpolitik und religiösem Fa­natismus… ja, und es stellte einfach ein verdammtes Hindernis dar.

Im Herbst 1802 hatte die US-Fregatte Philadelphia ein berberisches Korsaren­schiff dummerweise bis in den Hafen von Tripolis verfolgt und war hier auf Grund gelaufen – mit der Konsequenz, dass alle Matrosen in Gefangenschaft gerieten und das Schiff von den Piraten nun nach und nach zu einem Piraten­schiff umgebaut wurde. Es lag für die Amerikaner auf der Hand, dass die Pirate­rie mit diesem Schiff noch sehr viel gefährlicher werden würde, außerdem stell­te es eine Frage der nationalen Ehre dar, die Gefangenen zu befreien, wenn möglich. Also wurde in einer geheimen Operation der Versuch unternommen, die Philadelphia kurzerhand zu zerstören.

Kapitän Stephen Decatur und sein Erster Offizier Henry Lafayette waren mit der Ketsch Intrepid unterwegs, um genau dies zu erreichen. Bei dem Auftrag wur­den sie jedoch entdeckt und bekamen es mit einer der gefürchtetsten Gestalten der Region zu tun – mit dem einstmaligen Religionsgelehrten Suleiman Al-Jama und seinem Schiff, der Saqr. In der sich entspannenden Seeschlacht gingen Hen­ry Lafayette und Al-Jama, der die Piraterie als Akt des religiösen Krieges gegen die Ungläubigen ansah, über Bord.

Wider Erwarten überlebt Lafayette diese Schicksalsprobe. Zweihundert Jahre später wird ein Brief, in dem ein Landsmann mit ihm in Kontakt gekommen war, in die Hände des Marinehistorikers St. Julien Perlmutter gespült, den Leser der Cussler-Romane schon hinreichend kennen gelernt haben. Perlmutter wieder­um liest aus diesem Brief etwas völlig Unglaubliches heraus – sowohl Al-Jama als auch Lafayette sollen diesen Kampf überlebt haben… aber im Anschluss an das Gefecht rettete Lafayette dem Piraten das Leben und bewirkte bei dem Kor­saren offensichtlich einen grundlegenden Wandel seiner Weltanschauung, und zwar dergestalt, dass Al-Jama angeblich gegen Lebensende religiöse Texte ver­fasste, in denen er für eine friedliche Koexistenz mit dem Christentum und an­deren Religionen eintrat. Nur waren diese Schriften nie gefunden worden.

Perlmutter weiß: wenn man diese Schriften entdecken kann, können sie für die jetzt demnächst in Libyen stattfindende Friedenskonferenz, die die Region beru­higen soll, zentrale Impulse ausstrahlen, vielleicht entscheidende Impulse. Denn der neue libysche Außenminister Ali Ghami hat, dem Willen seines nun friedfer­tigen Herrschers Muammar al Ghaddafi entsprechend, in Tripolis besagte Kon­ferenz einberufen, nicht zuletzt, um den Machenschaften eines Mannes Einhalt zu gebieten, der sich anschickt, Osama bin Laden als Terrorchef zu übertreffen. Dieser Mann, dessen Aussehen niemand kennt, nennt sich nach dem histori­schen Vorbild Suleiman Al-Jama, und wie sein Vorbild ist er absolut skrupellos bei der Durchführung seiner Pläne und fanatisch darin, Menschen zu Selbst­mordattentätern auszubilden und durch ihren Tod Hunderte Unschuldiger in den Untergang zu reißen.

Die charismatische amerikanische Außenministerin Fiona Katamora, halb japa­nischer Abstammung, ist ebenfalls zu der Konferenz eingeladen, und wenn sie diese Dokumente des islamischen Gelehrten und früheren Korsaren vorweisen kann, ist ein Sieg der gemäßigten Kräfte auf der Konferenz so gut wie sicher.

Das Außenministerium schickt darum eine kleine Archäologenmission nach Tu­nesien, als Tarnung für eine Suche nach dem Unterschlupf und Grab von Al-Jama, das neben den erwähnten Schriften auch noch „Berge von Gold“ enthal­ten soll. Nur ist die Lage dieses Ortes nicht hinreichend bekannt… er kann in Libyen liegen oder in Tunesien, angeblich nahe einem Wasserfall. Wenn es dort welche gäbe…

Wenige Tage vor Beginn der Konferenz beginnen sich die Ereignisse in verschie­denen Regionen der Welt zu überschlagen. Die OREGON-Crew unter dem Vor­sitzenden Juan Cabrillo agiert gerade noch vor der somalischen Küste und hat schwer damit zu kämpfen, moderne Piraten zu überwältigen, als über der liby­schen Wüste das Flugzeug der amerikanischen Außenministerin spurlos ver­schwindet, offensichtlich abgestürzt.

Zeitgleich sehen die Archäologen an der Küste von Tunesien unter Dr. Alana Shepard ein landendes Flugzeug fernab jeden Flugplatzes. Da sie von Katamoras Mission wissen, zählen sie 2 und 2 zusammen und eilen zu Hilfe… dummerwei­se erreichen sie sie nie, weil sie auf ein unerwartetes Hindernis stoßen und ebenfalls verschwinden.

Juan Cabrillo wird von Langston Overholt, dem Direktor der CIA, auf die Suche nach der Außenministerin angesetzt, und recht schnell wird ihm klar, dass hier irgendetwas sehr, sehr seltsam läuft und ebenso offensichtlich Terroristen die Hände im Spiel haben, die absolut keinerlei Skrupel besitzen, reihenweise Men­schen umzubringen, Männer, Frauen und Kinder… und dass dieser Morddurst auch vor Cabrillos eigener Crew nicht Halt macht. Das versetzt ihn und seine Crewmitglieder in einen gefährlichen Zorn, der sie mehrfach dazu bringt, ähn­lich hart zurückzuschlagen wie die Gegner… schweigen wir von der Unzahl an Toten, die auf diese Weise durch den Roman gestreut werden, über die Wüste, über Straßen, auf Schiffsdecks…

Personen, die vermeintlich vertrauenswürdig sind, erweisen sich auf bösartige Weise als Verräter. Vertrauliche, wichtige Nachrichten sickern an den Feind durch und ermöglichen Komplikationen, die dem Leser die Haare zu Berge ste­hen lassen, Intrigen sind an der Tagesordnung, überall lauern fanatische Geg­ner, und die Person im Hintergrund, die die Fäden zieht, ist der sinistre „Al-Jama“, der inzwischen auch von den Dokumenten seines Namensvetters der Vergangenheit erfahren hat und alles daran setzt, sie in seinen Besitz zu bringen oder zu vernichten. Und dann ist da immer noch die Frage, ob man wohl dem „Friedensengel“ Ghaddafi trauen kann oder ob er, der durchaus mit Recht jah­relang der Unterstützung des Terrorismus bezichtigt wurde, nicht vielleicht sei­ne ganz eigene Suppe kocht.

Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt, in dem Juan Cabrillo und seine Leute immer wieder die Grenzen des moralisch Vertretbaren überschreiten müssen, zugleich darum bemüht sind, nicht aufzufallen (wie fällt man nicht auf, wenn man bei­spielsweise Hubschrauber abschießt und ein Armeelager in die Luft sprengt?) und zuletzt offen das Völkerrecht zu brechen hat, um zu retten, was noch zu retten ist…

Hochgeschwindigkeits-Nervenkitzel“, heißt das Label auf dem Buch, und das ist wahrhaftig nicht zu wenig gesagt. Dramatisch ist es auf vielen hundert Seiten des Romans in der Tat, und es wäre müßig, hier all die Situationen aufzuzählen, die den Leser an die Seiten fesseln. Manches an der Geschichte legt allerdings nahe, dass die Autoren – namentlich Jack du Brul, der ja den Hauptteil des Wer­kes geschrieben haben dürfte, Anleihen bei modernen Actionfilmen gemacht haben, namentlich etwa bei dem James Bond-Film „Casino Royale“ mit Daniel Craig. Die Folge ist ein atemberaubendes Kaleidoskop aus Handlungsdetails, Stunts und Handlungsblenden, bei denen man schon mal durcheinander kom­men kann. An manchen Stellen sind die Passagen dann so ausgedehnt, dass man das eigentliche Ziel aus den Augen verliert (etwa dieser lange Kampf wäh­rend der Eisenbahnfahrt… und nein, das ist keine normale Eisenbahn, das ist schon etwas deutlich anderes… aber das muss man lesen, das mag ich hier nicht verraten). Langweilig wird es freilich nie.

Problematisch sind ein paar andere Sachen an dem Roman, etwa, dass man als Leser schon recht klar ab Seite 250 weiß, wer der Bösewicht ist. Auch du Bruls Vernebelungstaktik auf den Hunderten Seiten danach kann diesen Fauxpas nicht ungeschehen machen. Zum zweiten fällt auf, dass eine Kampfpassage zum Schluss sehr derjenigen ähnelt, die schließlich auch im Roman „Wüstenfeuer“ (2010) von Clive und Dirk Cussler Raum findet (ich vermute allerdings, letzter schrieb von diesem hier dann ab), und diese beiden Kämpfe ähneln hinwieder­um sehr einem Kampf, der schon von Paul Kemprecos 1999 im Roman „Das Todeswrack“ angewendet worden ist.

Nun kann man natürlich sagen: hey, solche Kampfsujets sind, zumal, wenn man sehr viele solche thematisch ähnlichen Romane schreibt, eben einfach sehr ähnlich, was freilich stimmt. Es nimmt der Geschichte gleichwohl ein wenig ihren Reiz, allerdings in diesem Fall nur graduell.

Die Hauptschwierigkeit ist eine andere. Abgesehen von der Tatsache, dass Muammar al Ghaddafi als Friedensstifter wirklich gar nicht geeignet ist, wenn wir uns an seine Rolle im Libyen-Krieg vor ein paar Jahren entsinnen, beweist Jack du Brul, dass er das interne historische Parallel-Kontinuum von Clive Cuss­ler nicht beherrscht.

Wieso das nicht?

Nun, man erinnere sich bitte an das, was Cussler selbst 1989 in dem Roman „Das Alexandria-Komplott“ geschrieben hat: Hier ist so in Nebensätzen zu lesen, dass Ghaddafi zu diesem Zeitpunkt (der Roman spielt 1991!) bereits an Krebs gestorben ist. Dafür ist er aber im vorliegenden Roman noch recht gut erhalten… überhaupt fällt bei einer flüchtigen Prüfung beider Romane auf, dass sie recht viele Parallelen enthalten. Auch bei „Alexandria“ geht es um einen Flugzeugabsturz (diesmal mit der Generalsekretärin der UN auf dem Flug nach New York), wieder stürzt das Flugzeug in unmittelbarer Nähe einer Archäolo­gengrabung (diesmal auf Grönland) ab, wieder ist ein fundamentalistischer At­tentäter namens Suleiman zentral in die Handlung involviert…

Man argwöhnt also als versierter Cussler-Leser, dass die beiden Verfasser sich hier ein wenig die Sache einfach gemacht haben, indem sie einen raschen page­turner herunterschrieben, zusammen kombiniert aus Versatzstücken älterer Werke. Das würde vielleicht auch die exzessiven Kampfszenen und Verfolgungs­jagden erklären, die hier ihren Platz beanspruchen. So leid es mir darum tut – an Originalität kann der Roman höchstens zwei von fünf Punkten beanspru­chen, an Dramatik bekommt er wenigstens drei davon, vielleicht dreieinhalb. Es scheint jedoch so zu sein, dass dem Duo langsam ein wenig die Ideen ausgehen. Ach ja, und wer das U-Boot auf dem Titelbild im Roman sucht, kann lange su­chen. Da hat der Verlag mal wieder gesponnen.

Wer also nur spannendes Lesefutter sucht oder sowieso notorischer Cussler-Fan ist, der ist hier gut aufgehoben, skeptischere Geister könnten etwas ent­täuscht sein.

© 2013 by Uwe Lammers

Ja, ich denke schon, dass man, wenn man die Vergangenheit und die Inkonsis­tenzen von Cusslers interner Timeline ausblendet, mit dieser Geschichte sehr gut und über viele Seiten hervorragend unterhalten werden kann. Im Vergleich zu zahlreichen jüngeren Romanen aus der Feder des Autors alleine kann sich dieser hier wirklich sehen lassen.

Auch in der nächsten Woche geht es um eine Art von Schatz, zugegeben. Und um Liebe. Wir brechen nach Frankreich in der jüngeren Gegenwart auf, und ich kann jetzt schon versichern – der Roman, den ich euch dann vorstelle, ist ein kleines, überraschendes Juwel, das mich ganz unerwartet betörte.

Mehr dazu am kommenden Mittwoch an dieser Stelle.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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