Rezensions-Blog 198: Eiskalte Brandung

Posted Januar 9th, 2019 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

es ist immer bedauerlich, wenn man merkt, dass einem Autor buchstäblich die Puste ausgeht und der schreiberische, packende Elan auf der Strecke bleibt. Das passiert hier leider mit Paul Kemprecos, der wohl nahezu 99 % des Romans ge­schrieben haben dürfte. Er war nicht so ganz bei der Sache und baut diverse un­schöne Logikfehler in den vorliegenden Roman ein, der von der Thematik her gar nicht mal so uninteressant ist.

Es geht um biochemische Forschung. Es geht um Seuchenforschung. Es kommt eine versunkene Ruinenstadt im Pazifik vor (doch, die gibt es wirklich, ihr braucht sie nur zu googeln!), es geht um chinesische Unterwanderung, und auch Action gibt es reichlich.

Bei mir kam der Roman dennoch nur als Durchschnittsfutter an. Da wäre defini­tiv mehr drin gewesen. Aber, well done, vielleicht bin ich auch einfach wieder hyperkritisch und habe mir durch die Kenntnis der zahlreichen bisherigen Cuss­ler-Romane etwas den „literarischen Magen“ verdorben. Das kann durchaus sein, und wer weiß, der eine oder andere unter euch, der nicht gar so kleinkrä­merisch veranlagt ist wie ich (lach), wird von der vorliegenden Geschichte ja möglicherweise doch gepackt und findet sie klasse. Das zu entscheiden, liegt definitiv nicht an mir.

Also, wer sich seine Neugierde bewahrt hat, der schaue einfach mal weiter und breche in den Pazifik des 19. Jahrhunderts an Bord eines Walfängers auf…

Eiskalte Brandung

(OT: Medusa)

Von Clive Cussler & Paul Kemprecos

Blanvalet 37577, 2010

576 Seiten, TB

ISBN 978-3-442-37577-6

Aus dem Amerikanischen von Michael Kubiak

Wir schreiben das Jahr 1848. Der Walfänger „Princess“ unter Kapitän Horatio Dobbs ist unterwegs im Pazifik, um Wale zu jagen, die es zu dieser Zeit noch reichlicher gibt als heutzutage. Dobbs hat keine Ahnung, dass diese Fahrt seine letzte sein wird – und zwar durchaus nicht, weil Cussler & Kemprecos ihn im Prolog meucheln, nein, nein … das ist viel interessanter.

Die „Princess“ stößt tatsächlich auf eine Walherde und kann ein Tier erlegen… aber auf einmal ist der Schiffsjunge verschwunden, offensichtlich vom Wal im letzten Moment geradewegs verschlungen. So verhält es sich tatsächlich, aber als das Tier dann zerteilt wird, kann der Junge lebend geborgen werden, gleich einer modernen Variante des biblischen Jonas, den auch ein Wal verschlungen haben soll. Aber Caleb Nye, so der Name des Unglücklichen, ist von da an ge­zeichnet – mit geisterhaft fahler Haut und weißem Haar. Dass dies ihr aller Glück ist, wissen weder Dobbs noch die anderen an Bord. Sie erfahren es aber bald.

Denn kurz darauf erkrankt die Besatzung an einer heimtückischen Krankheit und siecht dahin. Mit letzter Energie steuern sie eine Insel an, die sie „Trouble Island“ nennen und die bewohnt ist. Und allein Calebs geisterhafte Erscheinung verhindert, dass sie kurzerhand von den Bewohnern alle umgebracht werden. Was dann jedoch passiert, ist … sagen wir … ein Mysterium.

Geradewegs über Nacht genesen die Matrosen wieder, und die Besatzung der „Princess“ kehrt nach New Bedford zurück. Kapitän Dobbs setzt sich zur Ruhe und verschwindet (für eine Weile) aus der Geschichte.

In der Gegenwart führt in einer chinesischen Provinz ein neuartiger Grippeerre­ger, der demjenigen der Spanischen Grippe von 1918 gleicht, aber viel schlim­mere Folgen zeitigt, zu einer Epidemie, die tunlichst geheim gehalten wird. Als erkennbar wird, dass die Krankheit sich mit normalen Mitteln nicht eindämmen lässt, aktiviert die chinesische Führung eine geschasste junge Medizinerin na­mens Song Lee und holt sie in den aktiven Dienst zurück. Mehr noch: da die chi­nesischen Mikrobiologen denen in den USA weit hinterherhinken, wird, allen weltanschaulichen Differenzen zum Trotz, eine Kooperation mit den Amerika­nern arrangiert. Konkret: mit einem Wissenschaftler namens Max Kane, der derzeit an einem hoch geheimen virologischen Experiment tätig ist. Wesentli­cher Ort des Geschehens ist eine Insel namens Bonefish Key in den Bermudas und ein Unterwasserlabor, das man als „Davy Jones´ Locker“ bezeichnet.1 Dr. Lee wird dorthin delegiert und soll dabei mithelfen, dort ein Vakzin zu entwickeln, das die Infektion in China wirkungsvoll eindämmt.

Doch schon bald zeigt sich, dass es Kräfte gibt, die das verhindern wollen. Max Kane, der eingeladen worden ist, mit Mitarbeitern der NUMA ein legendäres Tiefseetauchexperiment zu wiederholen, findet sich bald darauf mit Joe Zavala eingesperrt in mehreren tausend Fuß Tiefe auf dem Meeresboden wieder, und nur mit großer Mühe und Wagemut kann Zavalas Freund Kurt Austin die beiden retten.

Kurze Zeit später, Kane ist bereits abgereist, wird das NUMA-Schiff kurzerhand von bewaffneten Banditen geentert, die beinahe ein Blutbad anrichten und de­zidiert Dr. Kane suchen. Schlimmer aber noch: „Davy Jones´ Locker“, dessen Standort streng geheim ist, ist auf einmal verschwunden. Und schließlich wird auch noch auf Dr. Lee auf Bonefish Island ein Mordanschlag unternommen.

Es stellt sich heraus, dass hinter diesen Attacken eine chinesische Triade steckt, die sich „Pyramid“ nennt2 und von Drillingen geleitet wird. Und die Zeit läuft ih­nen davon, während Kurt Austin und seine Freunde noch versuchen, herauszu­finden, was da eigentlich los ist – letzten Endes droht nicht nur in China eine Seuche apokalyptischen Ausmaßes, sondern auch noch ein politisches Erdbe­ben. Und der einzige Ort, wo man das aufhalten kann, ist das verschwundene Unterwasserlabor. Aber von dem fehlt nach wie vor jede Spur…

Um es mal grundsätzlich zu sagen: es gibt wohl keinen dämlicheren Titel als den, den die Texter des Verlages diesem Buch gegeben haben. Das wird sofort deutlich, wenn man das Werk liest – es spielt zum überwiegenden Teil im war­men Pazifik, also war das wohl nix mit „eiskalter Brandung“, von der auch sonst keine Spur zu sehen ist. Warum nicht der Originaltitel 1:1 übernommen wurde, der schon Interesse genug geweckt hätte, vermag wohl nur die Verlagsleitung zu sagen. Wenigstens gaben sich die Leute Mühe, ein halbwegs zum Inhalt pas­sendes Titelbild zu besorgen. Das ist dann ein kleiner Lichtblick.

Ansonsten setzt sich leider ein wenig der Eindruck aus dem Vorgängerroman fort: die Handlung spult sich wie gewohnt routiniert ab und liest sich flink und flott… aber irgendwie ist sie erneut zu glatt, zu seltsam an den Haaren herbei­gezogen und improvisiert. Da wird, beispielsweise, eine Epidemie auf die Menschheit losgelassen, aber die Verantwortlichen kümmern sich nicht wirklich um Schutzvorkehrungen (so etwas soll vorkommen, man sehe sich etwa die Nu­klearindustrie an). Da versteckt sich das Hauptquartier des Feindes ausgerech­net genau DORT, wo sich laut Karte „Trouble Island“ befindet. Da will man dem Leser weismachen, dass man ein 570 Fuß langes U-Boot mit einer Crew von 9 Personen steuern kann bzw. die Crew eines solchen Fahrzeuges mit nur 9 Perso­nen unter Kontrolle halten kann. Außerdem wird, um die Geschichte zu drama­tisieren, der Virus munter „mit dem Wasser“ weiter verbreitet, wo doch eigent­lich jeder weiß, dass Viren für die Übertragung auf Wirtskörper angewiesen sind…

Man merkt: der Vorstellungskraft und Leichtgläubigkeit des Lesers wird hier ei­niges zugemutet. Ansonsten ist das ein nicht uninteressanter Roman, aus ver­schiedenen Gründen. Einmal ist da natürlich das Hauptobjekt der Geschichte zu nennen – die Medusen. Wunderbare Geschöpfe des Meeres, die ich wirklich phantastisch finde. Dass sie noch sehr viele Geheimnisse besonders biochemi­scher Natur beherbergen, ist kaum zu bestreiten. Zweitens ist dann Nan Madol im Pazifik zu nennen, einer der Schauplätze der Handlung – eine sehr beeindru­ckende Ruinenmetropole, über deren Geschichte ich leider immer noch viel zu wenig weiß. Sie taucht hier erstmals als Handlungsschauplatz in einem Roman überhaupt auf, den ich gelesen habe. Und wenn man bedenkt, dass ich über Nan Madol eigentlich schon seit etwa gut 35 Jahren mehr wissen möchte, mag man verstehen, warum ich hier so elektrisiert war (und dann enttäuscht, denn sehr viel Interessantes erfährt man eben nicht).

Schließlich ist auch noch faszinierend und beunruhigend, was Kemprecos aus der chinesischen Unterwanderung Amerikas macht (das ist definitiv eine Tatsa­che, wenn auch zumeist auf kapitalistischem Weg, d. h. durch Firmenübernah­men und Aufkäufe seitens der finanzstarken Chinesen). Das macht die Ge­schichte so beklemmend – ob man die amerikanischen Geheimdienste ein­schaltet oder nicht… es kann immer sein, dass der Feind seine eigenen Leute dort eingeschleust hat und die Protagonisten kurzerhand in eine Falle laufen lässt.

Schade fand ich nur, dass dieser Teil des Buches gewissermaßen der Selbstzen­sur unterlag. So gemäß dem Motto: Nein, die Triadenbosse DÜRFEN keine post-mortem-Anordnungen hinterlassen, Kurt und Joe bezüglich, sonst würden die beiden ja nie mehr ihre Ruhe finden. Stattdessen wird die Triade aus dem Weg geräumt, Problem erledigt… das ist etwas sehr billig. Bloß keine politischen Pro­bleme mit den Chinesen erzeugen, hatte ich das vage Gefühl. Vielleicht ist da was dran, und wenn, dann zeigt das deutlich, dass „politisch korrekte“ Romane irgendwie öde sind, sobald es sich um das Thriller-Genre handelt.

Ich bleibe dabei: Paul Kemprecos ist schreibmüde und die Protagonisten leid, so kommt es mir vor. Deshalb ist dieser Roman auch der letzte von ihm – der Staf­felstab wird nun an Graham Brown übergeben. Mal schauen, wie er mit unse­ren beiden NUMA-Helden zurecht kommt.

Mehr dazu demnächst an dieser Stelle.

© 2013 by Uwe Lammers

Es gab definitiv schlimmere Romane von Cussler & Co. Aber das hier ist, meiner persönlichen Einschätzung nach, eher ein schwächerer. Was eindeutig NICHT schwach ist, wird das Leseerlebnis der kommenden Woche sein, wo ich euch ein Buch vorstelle, das ich 1975 das erste Mal gelesen habe. Einer meiner all-time favoureds, eindeutig.

Mehr dazu in einer Woche. Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Nein, nicht in Anspielung auf die Filme „Fluch der Karibik“. Der Begriff „Davy Jones´ Locker“ findet sich auch schon in alten NATIONAL GEOGRAPHIC-Heften aus den 50er Jahren, wo es um Unterwasserforschung geht. Also hat Jerry Bruckheimer geklaut.

2 Ein Schelm, wer dabei an das Alan Parsons Project denkt…

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