Liebe Freunde des OSM,
bevor ihre euch wegen des alarmierenden Titels bemüßigt fühlt, einen Arzt zu verständigen, gebe ich lieber gleich Entwarnung. Nein, es geht mir nicht schlecht. Ich leide nicht an irgendwelchen epileptischen Anwandlungen oder Schlimmerem, auch fiebere ich nicht oder liege im Sterben. Bitte, ihr könnt alle wieder aufatmen und die folgenden Zeilen mit einer Mischung aus Amüsement und Unglauben weiter lesen.
Ich möchte heute über ein Phänomen sprechen, das wohl jeder rege kreative Mensch schon verspürt hat und das ihm dann bisweilen die Nachtruheraubt. Wahrscheinlich kennen das auch Personen, die nicht originär kreativ im schriftstellerischen Sinne sind. Ihr dürftet die folgende Situation gut kennen: Man hat einen harten Arbeitstag gehabt, kommt nach Hause und möchte eigentlich nur noch dem Sirenenruf des weichen Bettes folgen, um in wohligen Träumen zu versinken und all die Mühsal des Tages vergessen und sich endlich entspannen zu können.
Und dann lassen sich die Gedanken nicht abstellen. Immer wieder kehren frustrierende Bilder des Tages zurück, grübelt der nimmermüde, wiewohl todmüde Geist über Ereignisse und Aktionen nach, die nicht zur vollsten Zufriedenheit abgeschlossen wurden.
Man hat im Geiste Arbeit mit nach Hause genommen. Da gibt es wohl nur ein probates Mittel: noch einmal aufstehen, sich wenigstens in Stichworten die Dinge von der Seele schreiben, die einem im Kopf herumgehen (und sei es in Form einer To-do-Liste für den nächsten Tag). Üblicherweise legt man sich dann wieder hin und schlummert jetzt entspannt weg. Das Problem ist ausgelagert, es kann nicht mehr vergessen werden, die Seelenruhe umfängt den vormals Ruhelosen und lässt ihn in süße Träume absinken.
Das ist, sage ich mal, der Normalfall.
Bei manchen Kreativen, ich zähle dazu, nimmt das allerdings andere Formen an und erzwingt auch andere Umgangsweisen mit den unbewältigten Problemen… und mitunter tauchen auch aus dem vagen Zwielichtland zwischen Wachen und Schlafen Dinge auf, die man überhaupt nicht erwartet hat oder zuordnen kann. So erratisch kann eine intuitive Schriftstellerseele funktionieren.
Dann kommt es zu etwas, das ich ein wenig theatralisch „nächtliche Anfälle“ nennen möchte. Da mir das nun in rascher Folge schon zum dritten Mal in wenigen Wochen widerfahren ist, zuletzt gestern Nacht (Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2018, an dem ich diese Zeilen niederschriebe, auch wenn ihr sie erst kurz vor Weihnachten lesen werdet), fand ich es nützlich, darüber zu berichten.
Ihr werdet an den drei folgenden Beispielen erkennen, dass diese „Anfälle“ auch durchaus nicht auf den Oki Stanwer Mythos (OSM) beschränkt sind, sondern in sehr verschiedener Weise unterschiedlichste Themenfelder meiner Kreativität berühren.
Fallbeispiel 1 ereignete sich am 2. Mai 2018. Ich berichtete darüber im Editorial des Fanzines „Baden-Württemberg Aktuell“ (BWA) Nr. 418 (Juli 2018). In der Phase des Erwachens an diesem Morgen träumte oder alpträumte ich vielmehr, sollte ich sagen, von meiner Eigenschaft als Chefredakteur des BWA. Ich war kurz zuvor in meinem Amt bestätigt worden und träumte nun davon, eine Lieferung von BWA-Ausgaben zu erhalten, die ich offensichtlich weiterverkaufen wollte.
Ein und dieselbe Ausgabe – und alle waren vollkommen unterschiedlich. Seiten fehlten, Seitenzählungen waren verkehrt, diverse Blätter auf unbegreifliche Weise falsch gedruckt. Der Titelschriftzug fehlte (anfangs!), kristallisierte sich später aber irgendwie aus dem Nichts hinzu. Alles sah danach aus, als sei diese Ausgabe von Exemplar zu Exemplar auf geradezu abenteuerliche Weise individualisiert. Sie enthielten Vorworte, die ich nicht kannte und toll layoutete Beiträge, deren Inhalt ich nicht verstehen konnte, weil sie zwar absolut proper aussahen… ich aber beim besten Willen nicht sagen konnte, worum es darin ging. Lesen konnte ich sie offensichtlich, aber der Textinhalt kam in meinem Wahrnehmungszentrum irgendwie nicht an.
BWA – ein Alptraum! Ja, und ich wachte schweißgebadet auf und entschloss mich dazu, ihn in diesem Editorial der Nr. 418 niederzuschreiben, weil es ein so singuläres Ereignis war.
Es blieb nicht singulär.
Fallbeispiel 2 überrumpelte mich am 13. Juli 2018 kurz nach Mitternacht. Ich war gerade erst ein wenig eingeschlummert – wenigstens kam es mir so vor, denn ich war sehr spät ins Bett gekommen, hatte in den Stunden zuvor einen erotischen Roman ausgelesen, der in der Gegenwart spielte, sowie an der Abschrift des OSM-KONFLIKTS 13 „DER CLOGGATH-KONFLIKT“ weitergearbeitet… als mich der nächste „Anfall“ heimsuchte.
Er kam wie aus heiterem Himmel.
Denn auf einmal befand ich mich an einem Ort, den ich wenige Wochen zuvor erst verlassen hatte – im Kriegernest der ameisenartigen Cestai in KONFLIKT 2 des OSM, also in der Serie „Oki Stanwer und das Terrorimperium“ (TI). Bis dieser Blogartikel erschienen ist, werdet ihr längst im Bilde sein, darum bilden die folgenden Sätze keine Spoiler mehr: Im Band 30 der Serie mit dem Eigentitel „Das Kriegernest“ wird den Überlebenden der RHONSHAAR-Expedition unmissverständlich klargemacht, dass sie nicht aus Altruismus von den Cestai gerettet wurden. Vielmehr ist vorgesehen, dass sie ihre restliche Lebenszeit im Kriegernest zubringen, hier Familien gründen und sich in die komplexe Kastengesellschaft auf Dauer integrieren.
Die Yantihni sind natürlich völlig schockiert und können das nicht fassen.
Ich war, was die Planung dieser Serienhandlung anging, schon vor Jahren sehr viel weiter und hatte entsprechende Skizzen für den Band 48 mit Eigentitel „Das graue Ei“ gemacht, in dem ich einen ersten tieferen Blick in die Cestai-Gesellschaft werfen wollte. Aber ihr wisst, dass das Schreiben an den Episodenbänden der Serie – wir reden nicht von den E-Books, sondern von deren Vorlagen – lange stagnierte.
Nun, am frühen Morgen des 13. Juli 2018, befand ich tatsächlich wieder an dem Punkt, den Handlungsfaden aufzunehmen. Ich verfolgte die yantihnische Biochemikerin Talisa dabei, wie sie die telepathischen Würmer der Cestai untersuchte und erforschte. Und erlebte, wie sie in eine telepathische Tiefentrance gelenkt wurde, die ihr vorgesetzter Cestai-Chefwissenschaftler offenbar mit vollkommener Absicht herbeiführte.
In dieser Trance ging es um einen Mythos des Kriegernestes, das bekanntlich matriarchalisch von der Königin Achthundertvierzehn regiert wird. In diesem Mythos wird von ihr ein „graues Ei“ gelegt, aus dem ein Maskulinum schlüpft, der „Graue“. Und das Ziel des „Grauen“ und des geheimen Untergrundordens unter den Cestai im Kriegernest zielt auf den vollständigen Umsturz der Verhältnisse und aufeine Kursänderung des gewaltigen Habitats.
Schlimmer noch: Talisa bekommt mit, dass der „Graue“ bereits gelegt wurde und geschlüpft ist. Der Umsturz ist bereits im Gange, und nun werden die RHONSHAAR-Yantihni in die Ereignisse mit einbezogen…
Außerdem sah ich weitere Fremdkontakte der Yantihni im Kriegernest – mit den mausgestaltigen Crelis, mit den grünen, pflanzlichen Zwergenwesen aus dem Volk der Thaas... und da kamen doch tatsächlich unglaublich technisch versierte Kerle um die Ecke: Humanoid, zwergengestaltig, schwarzhäutig, mit großen Köpfen… und sie hörten auf den Volksnamen Shonta...
Moment, also, Shonta? Bei den Cestai? Aber… ja, ich verstehe eure Verwirrung, aber ich versichere: das hat seine Richtigkeit. Das ist alles Teil eines sehr, sehr weitläufig angelegten Planes, von dem ich schon sehr viel mehr sehen kann, als ich an dieser Stelle offenbaren darf. Wer beizeiten in KONFLIKT 4 „Oki Stanwer –Der Insel-Regent“ (IR) die Episoden um die Baumeister Zomar und Naam liest, die schon längst fertig geschrieben sind, der wird diesen ungeheuerlichen Plan sehr viel besser verstehen können.
Ach ja, und dann war da noch diese biochemische Falle, die ich in mehreren Kapitelblenden an diesem Morgen niederschreiben musste… ebenfalls aus dem Band 48 von TI. Junge, Junge, sage ich euch, es war kein Wunder, dass die Episode ziemlich raketenartig auf 13 Textseiten emporschoss. Und da ich um etwa 2 Uhr morgens hochgeschreckt war, konnte ich nach stundenlangem Arbeiten am Computer nicht mehr einfach wieder zurücksinken und wieder einschlummern.
Nächtliche kreative Anfälle dieser Art wühlen mich so auf, dass ich dann kurzerhand wach bleibe.
Womit ich nicht rechnete, das war dann freilich die Tatsache, dass ein dritter „Anfall“ am Morgen des 15. Juli gegen 4 Uhr früh in mir hochkochte. Ich schwöre, so war es. Und das hier ist dann das dritte und vorerst letzte Exempel meiner brodelnden Kreativität.
Fallbeispiel 3: Auch diesmal hatte ich im Grunde genommen mehrheitlich einen historischen (!) Roman gelesen und am Vortag rezensiert, der im Jahre 1770 spielte und gänzlich ohne phantastische Elemente auskam. Er brachte mein Bewusstsein aber wohl so in Wallung, dass daraus etwas völlig anderes kondensierte.
Ich fand mich wieder in einer phantastischen Konstruktion der Zukunft, die man wohl am ehesten aus Romanen von Peter F. Hamilton oder Arthur C. Clarke kennt – einem Orbitalfahrstuhl, Hunderte von Meilen über der Oberfläche eines menschlichen Kolonialplaneten, dessen Namen ich nicht kenne, in einer Zeit, die mir nicht recht präzise klar wurde, aber mindestens zweitausend Jahre von uns entfernt.
Fremdes SF-Setting.
Katastrophe.
Denn: Terroristen haben die Orbitalstation in ihre Gewalt gebracht und sind dabei, sie in Schutt und Asche zu legen, wobei sie billigend in Kauf nehmen, dass zwei Gruppen von Schulkindern umkommen.
Auftritt des Zeitagenten Michael, der den Auftrag hat, einige Kinder zu retten – sie werden dauerhaft aus der Zeitlinie entfernt und sollen anschließend zu Zeitagenten ausgebildet werden. So rekrutiert die Zeitpatrouille ihre Agenten, wobei sie ihre Zielzeitlinie für zweihundert Jahre rund um den Geburtszeitpunkt der Geretteten sperren, damit diese nicht ihre eigene Zeitlinie kreuzen können.
Ehe ich begriff, was geschah, flackerte mir der Titel der Geschichte durch den Kopf: „Waisen der Zeit“.
Ehe ich verstand, was los sein konnte, traf Michael während der Rettungsaktion völlig unvermittelt auf ein ZWEITES Zeitagententeam. Das war schon singulär, weil das eigentlich kategorisch ausgeschlossen war. Aber das stellte nicht sein größtes Problem dar. Kurz bevor die andere Gruppe entmaterialisierte, starrte er ungläubig die Anführerin der Gruppe an und rief fassungslos „Louise!“ aus. Und sie erkannte ihn unzweifelhaft ebenfalls wieder.
Dann war sie weg. Und Michael kehrte in seine Ausgangszeit zurück und versuchte herauszufinden, wie um alles in der Welt seine einstmals angebetete Prinzessin Louise de Winter wohl eine Zeitagentin geworden war. Er hielt das für ganz unmöglich.
Meine Wahrnehmung begann zu flackern: hin zu Louise, die es tatsächlich war, aber – wie auch Michael – nun in der Zeitpatrouille natürlich einen neuen Namen trug. Beide versuchten, in unterschiedlichen Zeitphasen der Zeitpatrouille verankert, herauszufinden, wie dieser verrückte doppelte Einsatz geschehen sein konnte… und stießen auf eine bizarre Barriere des Schweigens. Michael fand immerhin heraus, dass Louise und ihre ganze Familie bei einem Schlossbrand kurz nach seinem Fortgang umgekommen sein sollte. Was ja offensichtlich nicht der Fall war.
Und hartnäckig verfolgte er diese Spuren jahrelang weiter, bis er schließlich zu einem Zeit-Einsatzplaner namens Sinister kam, der ihm unter strengster Geheimhaltung ein Geheimnis der Organisation verriet…
Während ich mich im Bett hin und herwälzte, wucherte ein Detail nach dem nächsten in meinem Verstand heran, und es dauerte nur wenige Minuten, bis ich schließlich ruhelos bald nach 4 Uhr aufstand, mich an den Schreibtisch setzte und damit begann, die Idee niederzuschreiben – 13 handschriftliche Seiten in meiner aktuellen Kreativkladde lang.
Der Handlungsbogen für „Waisen der Zeit“ ist nahezu vollständig geschlossen, ich muss die Geschichte also nur noch ausformulieren und niederschreiben. Aber das kann in der Quintessenz locker 100-200 Textseiten umfassen. Für mich ist deswegen erst einmal zentral, dass die Idee an sich und die damit einhergehenden Bilder fest verankert sind.
Dass ich nach den anderthalb Stunden der Niederschrift mal wieder viel zu wach war, um mich erneut hinzulegen, ist wohl verständlich.
Solche „nächtlichen Attentate“ zeigen überdeutlich die brodelnde Tiefe meiner Kreativität. Mein kreativer Dynamo ist gewissermaßen überhitzt und sucht sich derzeit seine Ventile, wo immer er kann. Das hat etwas Faszinierendes an sich… einerseits. Auf der anderen Seite ist diese Entladung ungesteuert und kann eigentlich kaum kontrolliert werden.
Wann immer ich in den nächtlichen Schlummer hinabsinke, kann ich nicht sagen, ob, wie lange und wie tief ich wohl schlafen werde. Es ist jederzeit möglich, dass ich wie ein gestrandeter Seefahrer an ein unbekanntes (oder nur teilweise vertrautes) Gestade gespült werde… und der Himmel mag wissen, wem ich dort begegne: verlockenden, schamlosen Archipel-Schönheiten, fremdartigen Aliens; die dort genauso gestrandet sind wie ich; unglücklich verliebte Zeitreisende; Matrixfehlern, die überhaupt keine Ahnung haben, wo sie sind und warum sie noch oder schon wieder leben… oder noch ganz andere Wesen.
Das macht meine Kreativität so spannend, sie ist ein 24/7-Abenteuer, ein Dauerticket zum Staunen, ein wenig wie bei der Streaming-Serie„Warehouse 13“… nur weniger schematisch, weniger Fantasy-like.
Ich denke, es ist nur eine Frage der Zeit, bis es mich wieder wegspült, meine Freunde. Aber vertraut mir – wenn es soweit ist, erfahrt ihr es sicherlich mit als erste.
Soviel für heute aus den fremdartigen Zwischenwelten des Traumes, aus denen mich die „nächtlichen Anfälle“ emporschrecken. Nächste Woche wird es wieder etwas ruhiger, versprochen!
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.