Liebe Freunde des OSM,
und wieder einmal folge ich an dieser Stelle den Spuren des Vielschreibers Clive Cussler und seiner Kompagnons, diesmal Paul Kemprecos. Wir wissen, dass es da sehr heterogene und durchwachsene Werke gibt – das hier ist einwandfrei eines der soliden Abenteuer, auch wenn ich in der unten wiedergegebenen Rezension etwas hyperkritisch wirke. Das ist wesentlich meinem recht soliden historischen Breitenwissen geschuldet, das man ja nicht zwingend bei jedem Leser voraussetzen kann.
Abgesehen von den historischen Fakten, die mitunter doch etwas gezwungen zurechtgebogen werden, fand ich es faszinierend, auf diese Weise einen Konnex zwischen der amerikanischen Frühgeschichte, den Phöniziern und der Königin von Saba herzustellen. Das ist nicht wirklich simpel, und ich finde solche Verbindungen, wenn sie gut hergeleitet sind, durchaus inspirierend.
Wer sich jetzt nicht wirklich vorstellen kann, was die Artischocken-Gesellschaft, eine phönizische Bronzefigur und das legendäre Goldland Ophir miteinander zu tun haben, der sollte einfach mal weiterlesen. Er wird einen interessanten Roman finden und vielleicht die Neigung verspüren, ihn sich zuzulegen. Ach ja… und lasst euch nicht von Cover und Titel abschrecken oder zu überzogenen Erwartungen verleiten, das wäre unschön, weil die Erwartungen so nicht eingelöst werden können.
Wie dann? Nun, folgendermaßen…:
Höllenschlund
(OT: The Navigator)
Von Clive Cussler & Paul Kemprecos
Blanvalet 36922, 2008
512 Seiten, TB
ISBN 978-3-442-36922-5
Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kempen
Die Vergangenheit birgt gelegentlich Schätze inmitten von Vertrautem, über die man nur durch einen ungeheuren Zufall stolpert. In einem solchen Fall kann es ohne weiteres passieren, dass man ganz unvermittelt in akute Lebensgefahr gerät und von verschiedenster Seite Verhängnissen ausgesetzt wird, die man sich in seinen kühnsten Träumen nicht ausmalt. Man kennt solche Szenarien beispielsweise von Indiana Jones, aber es gibt dergleichen durchaus ebenfalls in Büchern von Clive Cussler und seinen Coautoren, so auch in diesem Werk hier.
Der erste Prolog des Buches verschlägt den Leser in das Jahr 900 vor unserer Zeitrechnung, in ein fernes Land, in dem Katzen unbekannt sind und eine wagemutige Gruppe phönizischer Seefahrer einen Schatz in ein sicheres Versteck bringen soll. Als sie diese Aufgabe glücklich vollendet haben, kommt es unmittelbar darauf zur jähen Konfrontation mit einem zweiten Schiff, ehe die Finsternis der Geschichte alles zudeckt.
Gut 2700 Jahre später neigt sich im Jahre 1809 die Amtszeit von Präsident Thomas Jefferson dem Ende zu. Doch ehe er sich auf seinen Altersruhesitz Monticello zurückzieht, sinniert er noch über eine tragische Angelegenheit der jüngsten Vergangenheit nach, die mit seiner geplanten Studie über Indianersprachen zu tun hat – und mit dem von im beauftragten Entdecker Meriwether Lewis, der kurz zuvor eines rätselhaften Todes gestorben ist. Und Jefferson beschließt, ein Geheimnis zu bewahren, das mit der Artischocken-Gesellschaft zu tun hat.
Der eigentliche Roman beginnt im Jahre 2003 in Bagdad, genauer: im irakischen Nationalmuseum nach dem Sturz von Saddam Hussein im Anschluss an den zweiten Golfkrieg. Was hier referiert wird, ist leider allgemein bekannt: direkt nach dem Sturz des Regimes hatten die amerikanischen Truppen nichts Besseres zu tun, als die Ölquellen zu sichern – das Nationalmuseum blieb 36 Stunden lang ohne Schutz, und gut organisierte Diebesbanden richteten dort eine unglaubliche Verwüstung an.1 Kulturgüter der Antike in Millionenwerten werden gestohlen und verschwinden auf dem schwarzen Markt der Antikenschmuggler. Und dies ist leider absolut keine Fiktion!
Als Carina Mechadi, UNESCO-Beauftragte für Antikenschmuggel, hier eintrifft, findet sie beispiellose Verwüstung vor und setzt alles daran, die gestohlenen Güter wieder zu beschaffen. Eher von nachgeordneter Bedeutung ist dabei eine mannsgroße Bronzeplastik unklarer Herkunft, der so genannte „Navigator“. Und doch beginnt er bald eine zentrale, ja tödliche Rolle zu spielen.
Mechadis Verbindungsmann zum Schwarzmarkt wird ermordet, ehe er die gestohlenen Güter wieder beschaffen kann, und jahrelang gelingt es ihr nicht, die entwendeten Antiken zu finden… bis ihr ein schwerreicher Industrieller namens Balthazar finanzielle Unterstützung zusichert und ihre Arbeit fördert. Auf diese Weise kann die Wissenschaftlerin schließlich in Ägypten eine Reihe der gestohlenen Gegenstände erwerben, darunter auch den „Navigator“. Alle Güter sollen zwecks Präsentation einer Wanderausstellung in die USA gebracht werden, Mechadi begleitet den Transport.
Ein weiterer Forscher, der von der Königin von Saba förmlich besessene Schriftsteller Anthony Saxon, der ebenfalls ein eigenartiges Interesse am „Navigator“ hegt, kommt etwas zu spät, um die Figur in Augenschein nehmen zu können.
Um ein Haar kommen aber die Schätze nebst dem „Navigator“ gar nicht in den Vereinigten Staaten an – auf hoher See erfolgt ein Hubschrauberüberfall auf das Schiff, das daraufhin, von den Angreifern so geplant, mit einer Bohrinsel kollidieren und untergehen soll. Dass dieser Plan vereitelt wird, ist zwei wagemutigen Gentlemen zu verdanken, die der Leser hinreichend kennt: Kurt Austin und Joe Zavala von der NUMA. Eigentlich vor Neufundland mehr aus Abenteuergründen – sie begleiten ein Schiff, das Eisberge einfängt und abschleppt – treffen sie auf das Desaster und retten Schiff, den „Navigator“ und Carina Mechadi.
Das alles ist jedoch leider erst der Anfang.
Sowohl die Wissenschaftlerin als auch die Figur werden verfolgt, und Austin stellt rasch fest, dass alles, was im Zusammenhang mit der Figur steht, tödlich sein kann. Ein kindgesichtiger Killer geht um, der mit großer Profession reihenweise Personen ermordet. Außerdem steht jemand mit viel Geld hinter zahlreichen Entführungsversuchen und Mordversuchen, die Austin und Mechadi schließlich bis in die Türkei verfolgen. Dorthin nämlich führt die Spur einer zweiten „Navigator“-Figur, von der die beiden erfahren. Eine ebenfalls lebensgefährliche Fährte, die mit zahlreichen Toten gespickt wird, alten wie modernen.
In den Vereinigten Staaten taucht derweil ein uraltes Dokument von Thomas Jefferson auf, das mit der alten Meriwether Lewis-Expedition in Verbindung steht… und mit der immer noch existierenden Artischocken-Gesellschaft, die nach wie vor darum bemüht ist, ihre Geheimnisse zu wahren…
Schließlich sind sogar Kryptografen der amerikanischen Geheimdienste in dieses Geschehen verwickelt, das vor so langer Zeit seinen Anfang nahm und durchaus geeignet ist, die Welt zu erschüttern, wenn es zur Unzeit ans Tageslicht kommt. So beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, denn die Gegner ruhen nicht, sondern sind sehr bereit, buchstäblich auf archaische Weise über Leichen zu gehen…
Inwiefern die beiden Handlungsstränge zusammenhängen, soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Ich habe das Buch jedenfalls mit großem Interesse gelesen und mir damit etwas mehr Zeit gelassen als mit sonstigen Cussler-Romanen. Das kam der Lektüre definitiv zugute. Das Werk an sich basiert auf interessanten Fakten, die mir als jemandem mit recht breit gefächertem historischem Wissen weitgehend bekannt waren. So ist beispielsweise absolut realistisch dargestellt, dass die Phönizier über eine hoch stehende Navigationstechnik verfügten, mit der sie Handelswege erschlossen, die andere gleichzeitige Kulturen niemals riskiert hätten. Sie waren beispielsweise die ersten, die Afrika offensichtlich ganz umschifft haben. Dass sie küstenferne Seefahrt betrieben haben, halte ich durchaus für denkbar.
Ein wenig nachteilig für die Lektüre erwies sich meine historische Kenntnis aber dann doch. So stellte ich recht schnell fest, um was für einen Schatz es ging, der im Prolog verborgen wird, das hat dann einigen Reiz aus der Geschichte genommen. Ich gehe nicht in die Einzelheiten, aber das war etwas bedauerlich.
Die Vorstellung, dass die legendären Goldvorkommen von Ophir, um die es hier auch geht, durchaus nicht in Afrika gelegen haben sollten, ist ebenfalls reizvoll, aber in der hier gebotenen Präsentation doch eher etwas hanebüchen. Das gilt selbst dann, wenn man historisch nachweisen kann, dass dort, wo sie schließlich nachgewiesen werden, nachweislich Gold geschürft wurde.
Vollends Potentiale werden dann verschenkt, wenn es um die Rekonstruktion der Reiseroute der Phönizier geht. Vergebens wartet der Leser darauf, dass altbekannte NUMA-Experten wie St. Julien Perlmutter oder der Superrechner Max zu Rate gezogen werden, wobei das hier wirklich auf der Hand gelegen hätte. Aber vielleicht erschien den Verfassern das als „zu einfach“. Die Alternativstrategie ist dann zwar auch nicht übel, aber sie überzeugt irgendwie nicht wirklich.
Wirklich abstrus wurde dann aber die, wie ich es mal nennen möchte, „Familiengeschichte“ im Zusammenhang mit der Königin von Saba. Nicht nur, dass sie hier fast durchgängig als „Saba“ bezeichnet wird (was etwa so passend wäre, als würde man Kanzlerin Angela Merkel in zweihundert Jahren oder so durchgängig innerhalb eines Romans als „Deutschland“ bezeichnen)2, es geht noch eine Gangart heftiger. Die hier hergestellte Pseudo-Historie – wohl gemerkt, über einen Zeitraum von fast 3000 Jahren! – gipfelt dann in derartigen Zufällen, dass man die Verschwörungstheoretiker nicht nur trapsen hört, sondern poltern. In der Tat werden Verschwörungstheorien a la Dan Brown hier munter bedient.
All das ist nicht wirklich uninteressant und durch die Bank lesenswert, nur überzeugt das Gesamtresultat dann nicht durchgängig. Schweigen wir davon, dass der Titel keinerlei Bezug zum Inhalt hat, und zwar wirklich überhaupt keinen (sieht man vielleicht von einer Szene ab, die etwa 3 Seiten umfasst), und das Titelbild selbst ist nun wirklich frei erfunden, wenn auch sehr hübsch anzuschauen. Aber halt NUR ein „Eyecatcher“, sonst nichts.
Es sei dem Verlag wirklich angeraten, Romantitel zu ersinnen, die näher am Original liegen. Was hätte, beispielsweise, dagegen gesprochen, das Buch „Der Navigator“ zu nennen? Unbedingt passend, kein Zweifel. Zu langweilig vielleicht? Oder warum wurde nicht etwa ein versunkener Tempel auf dem Titelbild abgebildet (was dem Inhalt wenigstens nahe gekommen wäre)?
Interessant war auch der Wechsel in der Übersetzerriege. Kempen verleiht dem Kemprecos-Abenteuer neuen Charme. Das spricht nicht gegen die bisherigen Übersetzungen durch Michael Kubiak, aber ich wenigstens fand, dass der stilistische Wandel deutlich spürbar war. Besonders die Jefferson-Schiene, über die oben nur Andeutungen fallen gelassen wurden, hat dadurch sehr gewonnen.
Insgesamt ist also zu konstatieren, dass dies zweifelsohne einer der besseren Kemprecos-Romane ist, zwar lange nicht mehr so sehr wie die frühen Romane der Reihe an großen Menschheitsproblemen orientiert, sondern mehr auf die klassische Storyline der alten Cussler-Romane ausgerichtet (moderne Action in Verbindung mit einem Rätsel der Frühzeit, das zum Schluss aufgeklärt wird), das gereicht ihm aber nicht zum Nachteil. Wer deutlich weniger über Salomon, die Königin von Saba und die damit in Verbindung stehenden Thematiken weiß, wird sogar noch deutlich besser unterhalten, könnte ich mir vorstellen. Manchmal ist zu viel Vorwissen von Nachteil. Seufz…
© 2012 by Uwe Lammers
Damit genug der Abenteuer für heute. In der kommenden Woche geht es auf moralisch-philosophische Weise hinab in den Abgrund, und ich stelle euch ein Buch vor, das mir damals die Gänsehaut auf den Leib trieb… und dabei handelt es sich wirklich in keiner Weise um einen Horror-Roman, sondern um ein Sachbuch.
Um welches genau? Oh, da solltet ihr nächste Woche reinschauen, das möchte ich hier noch nicht vorwegnehmen.
Bis dann, Freunde, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.
1 Vgl. hierzu auch Matthew Bogdanos: Die Diebe von Bagdad. Raub und Rettung der ältesten Kulturschätze der Welt, München 2006.
2 Ihr wahrer Name, soweit er überliefert ist, lautet „Makeda“, woraus im Buch durchgängig – wenn überhaupt erwähnt – „Mekada“ wurde. Mag sein, dass es auch diese Schreibweise gibt, aber sie war mir unbekannt. Ich neige eher dazu, sie für einen Schreibfehler oder Recherchefehler zu halten.