Rezensions-Blog 180: Panji und Sekar Taji

Posted September 5th, 2018 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

heute entführe ich euch mal in eine wirklich sehr fremde Welt. Nicht zu den Sternen, nicht in die uralte Vergangenheit des Pliozän, auch nicht nach Holly­wood oder an andere exotische Plätze, sondern buchstäblich ins Reich der Le­gende.

Als ich 2011 den heute vorzustellenden schmalen Band erwarb, war ich buch­stäblich entzückt, und ich denke, das merkt man meiner Rezension auch noch deutlich an. Die Geschichte ist aber auch wirklich zu niedlich, gleichzeitig ab­wechslungsreich und voller vergnüglich-abenteuerlicher Wendungen. Ich muss­te da nicht umsonst an meinen tropischen Archipel denken. Denn sowohl die zeitgenössische Situation, das Setting wie auch die Tatsache, dass diese Ge­schichte üblicherweise durch Geschichtenerzähler von einer Generation an die nächste weitergegeben wird, wie das in meinem überwiegend analphabeti­schen Archipel auch der Fall ist, passte wunderbar.

Wer sich mit javanischen Legenden bislang nicht auskennen sollte, der be­kommt nun eine kleine und höchst schmackhafte Kostprobe davon. Möge es euch munden, Freunde:

Panji und Sekar Taji

Neu erzählt von Otto Abt nach Bildrollen aus Gedompol/Java

Horlemann-Verlag, Bad Honnef 2007

ISBN 978-3-89502-169-5

112 Seiten, TB

Als ich diesen Band zuerst im Bücherprospekt sah, dachte ich schlagartig einen wohl einzigartigen Gedanken: das sieht ja fast aus wie eine gedruckte und ver­legte Archipel-Geschichte! Und wer weiß, dass ich meine Archipel-Geschichten für ein bisschen… sagen wir… erotisch verwegen für den Druck halte, der kann vielleicht meine Neugierde verstehen, die mich dieses Buch bestellen ließ.

Um es kurz zu machen: ich wurde nicht enttäuscht.

Bei dem Buch handelt es sich um die Nacherzählung (mit selbst gestalteten Dia­logen) einer javanischen Legende aus dem 17. Jahrhundert, wobei dies nur die späte Version ist, die vom Erzähler Otto Abt ausgewählt wurde. Er erklärt im Nachwort, dass er sie auswählte, weil sie weitgehend der märchenhaften Aus­schmückungen entbehrte und damit vergleichsweise geradlinig ist. Es gibt nach seiner Aussage jede Menge Legenden um den Helden Panji – und damit ist er prinzipiell dem Archipel-Heroen Vandecca vergleichbar1 – , der in dem nach ihm benannten hinduistischen Epos die Nachfolge von Arjuna (Mahabharata-Epos) und Rama (Ramayana-Epos) antritt. Anders als diese aber ist Panji wohltuend diesseitig und hat in dem Moment, als er die Heirat mit der schönen Fürsten­tochter Sekar Taji plant, ganz weltliche Probleme, und um die geht es in dieser Geschichte.

Sekar Taji ist die Prinzessin des Herrschers von Kediri, einer kleinen Stadt im Os­ten von Java, irgendwann vor langer Zeit. Ihr Vater ist ein wohlanständiger Monarch, gottesfürchtig und fest in den Traditionen des Volkes verwurzelt, zu­tiefst friedliebend, und Sekar Taji ist sein Ein und Alles. Sie ist schon seit langem dem berühmten Helden Panji versprochen, doch gesehen haben sich die beiden (allem Anschein nach) noch nicht.2 Anfangs also ist das Mädchen noch hellauf begeistert und hofft, Panji bald sehen zu können… doch wer beschreibt ihr Ent­setzen, als ihr Vater auf einmal mit finsterer Miene eröffnet, dass Panji jählings einen Rivalen bekommen hat – niemanden anderes als den brutalen König Klana, einen Aggressor „aus Übersee“ (womit dann vermutlich das asiatische Festland gemeint ist), der ihren Vater vor die Wahl gestellt hat: Sekar Tajis Hand oder Krieg!

Der Schreck sitzt, und die Eltern sind alles andere als glücklich darüber. Als dann sogar noch Boten die baldige Ankunft Klanas melden, schickt Sekar Tajis Vater eilends einen Boten zu Panji, um ihn von dem Desaster zu berichten und seine Hilfe zu erbitten.

Doch was tut das Mädchen selbst? Trübsal blasen? Weit gefehlt: Geleitet von einer göttlichen Offenbarung beschließt die Prinzessin, dem Unheil zuvorzu­kommen und entweicht heimlich mit ein paar ihrer Dienerinnen, quer durch den Urwald zu ihrem Verwandten, dem Distriktregenten Kyahi Tumenggung im Ort Paluhamba. Gerade noch zeitig, denn so entgeht sie der Ankunft Klanas, der furchtbar zornig über die entwischte „Beute“ ist.

Tja, und dann taucht auch noch der strahlende Held Panji auf, und Sekar Tajis Vater verspricht die Hand seiner Tochter demjenigen der beiden Rivalen, der das Mädchen zuerst ausfindig macht – was nun zu einem abenteuerlichen Wettlauf zwischen beiden führt, bei dem Klana trotz seiner Streitmacht den Kürzeren zieht. Dies wiederum verdrießt ihn umso mehr, und während Panji sich den Etiketten des Hofes fügen, werben und meditieren muss (das läuft hier alles nicht so stürmisch ab wie in Hollywood, die Uhren gehen hier deutlich langsamer), schwelt ja immer noch der Konflikt zwischen dem Elternhaus Sekar Tajis und König Klana.

Schließlich einigen sich beide Seiten darauf, als schon Klanas Heer aufmar­schiert, um sich die Beute mit Gewalt zu holen, dass ein Kampf zwischen den Helden beider Streitmächte entscheiden soll. Panji auf der einen Seite, ein rie­senhafter Krieger namens „Büffel“ auf der anderen. Doch Panji fehlt in dem Moment, da der Stellvertreter-Kampf beginnen soll, und sein Freund Tawang Alun nimmt die Herausforderung an – aber er ist chancenlos und wird zu Boden geschlagen. Im letzten Moment taucht Panji auf und kann den Kampf für sich entscheiden.

Leider ist das nicht das Ende der Komplikationen – denn Klana schwört Rache und ebenso, dass er Kediri, Sekar Tajis Heimatstadt, dem Erdboden gleich ma­chen werde. Schlimmer als das ist aber, dass die Priester von Kediri erklären, wenn Panji Sekar Taji heiraten wolle, dürfe er das Blut Klanas in einem Kampf so unmittelbar vor der Hochzeit nicht vergießen. Und überhaupt wollen sie doch alle einen verheerenden Krieg vermeiden.

Da ist nun guter Rat wirklich teuer… aber dies ist halt eine Legende mit morali­schem Anspruch, und so kann der Leser darauf vertrauen, dass sich eine Lösung findet, und die hat dann unter anderem fast komödiantische Züge mit einem Mann in Verkleidung und Liebeswahn…

Alles in allem ist die wechselvolle, kurzweilige Geschichte von Panji und Sekar Taji in meinen Augen äußerst lesenswert. Sicherlich muss man ein wenig das Anspruchsdenken des modernen Lesers etwas herunterschrauben und sich auf die schlichte Welt der Legende einlassen, aber der muntere Erzählfluss Otto Abts, der die Personen sympathisch und prägnant hervortreten lässt, wirkt hier wahre Wunder. Man beginnt zugleich auch zu ahnen, wie gut solch eine Ge­schichte auf einer volkstümlichen Bühne wirken muss, und ebenfalls recht bald ist zu erkennen, wo „märchenhafte Umwege“ in anderen Variationen der Ge­schichte zu finden sein könnten: bei Sekar Tajis Flucht durch den Urwald etwa, bei der fieberhaften Suche Panjis nach der Prinzessin, bei vielen, vielen Gesprä­chen, die hier nur angedeutet werden, beim Werben der Heere, bei den Zwei­kämpfen… es ist schon ganz gut, dass Otto Abt eine recht geradlinige Version ausgewählt hat.

Ebenfalls eine Neuerung, die er hier einführt, ist das Voranstellen eines thema­tischen Haikus, das in drei Zeilen den Inhalt des jeweiligen Kapitels (selten mehr als 6 Seiten umfassend) komprimiert und doch Raum für Spekulationen lässt. Auch das ist eine Kunst, die es zu würdigen gilt. Ich würde darum festhalten, wer märchenhafte Erzählungen und Legenden schätzt, der sollte die 12.90 Euro (oder weniger, wenn man den Band über JOKERS beziehen kann, wie ich es tat) durchaus investieren. Es ist gut angelegtes Geld.

© 2011 by Uwe Lammers

Soweit also zu einem ausgesprochenen Lesevergnügen, das sich wunderbar etwa für einen frostigen Winterabend eignet, während man an einem feurigen Früchtetee nippt, der auf einem gläsernen Stövchen in der Kanne funkelt… das ist, denke ich, die rechte Stimmung, die geeignet wäre, um vollen Genuss zu entfalten.

In der kommenden Woche landen wir dann wieder in unserer realen Welt und machen die Bekanntschaft mit einer unglücklichen Frau und einer Organisation, die ihr Unglück beenden möchte – auf eine höchst unkonventionelle, aufregen­de Art und Weise.

Was das im Detail heißt? Nun, da müsst ihr wohl wieder reinschauen. Ich bin si­cher, ihr werdet das entsprechende Buch, Band 1 einer Trilogie, ebenso schät­zen lernen wie ich selbst…

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Das ist ein Interna meines Archipels. In den Jahren 2003-2006 verfasste ich zwei Vandecca-Legenden („Van­decca und der Dämon“ und „Vandecca und die Goldschuppennixe“), aber es gibt noch zahlreiche weitere Ge­schichten um den mythischen Archipel-Helden, die ich eines Tages noch schreiben möchte, etwa diese wa­gemutige Story um die Jungfrauenkarawane, die ihn fast das Leben kostete… alle genannten Geschichten sind noch nicht publiziert worden.

2 Da gerät später die Handlungslogik deutlich ins Wanken, aber es ist halt eine Legende, da muss man einfach lächelnd nachsichtig sein. Dem Charme der Geschichte tut das keinen Abbruch.

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