Rezensions-Blog 171: Todesfracht

Posted Juli 4th, 2018 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

neue Besen kehren gut, sagt das Sprichwort, und daran ist oftmals etwas Wah­res. Bei Büchern, neuen Autoren und besonders Übersetzern ist jedoch nicht selten Skepsis geboten. Ohne damit neuen Autoren in seriellen Romanzusam­menhängen oder frischen, meist jüngeren Übersetzern grundsätzlich die Quali­fikation absprechen zu wollen, ist doch zu konstatieren, dass es hier bisweilen zu Gewöhnungsproblemen kommen kann. Ich thematisiere das auch aus gege­benem Grund in der unten wiedergegebenen Rezension des heutigen Tages.

Damals, 2012, als ich diese Zeilen verfasste, war ich tatsächlich noch im Unkla­ren, ob sich Michael Kubiak als neuer Übersetzer für die OREGON-Abenteuer von Clive Cussler bewähren würde, und dasselbe galt für den mir damals unbe­kannten Jack du Brul, den ich längst wertzuschätzen gelernt habe.

Ich hatte also ein gewisses Wagnis vor mir, ein Leseabenteuer mit unklarem Ausgang. Aber ich bereue es nicht, dieses Wagnis auf mich genommen zu ha­ben, und es ist wirklich jedem Neugierigen zu empfehlen, der sich in den ersten beiden Romanen um die OREGON und die „Corporation“ schon warm gelesen hat. Das Buch des heutigen Tages, du Bruls Feuertaufe im Umfeld von Clive Cussler, kann sich sehr sehen lassen und ist ein wirklich rasantes, auch politisch hochbrisantes Abenteuer. Leider hat sich an der Aktualität des Syrien-Bezugs in den vergangenen sechs Jahren nichts geändert, das ist wirklich zu betrüblich.

Wer wissen möchte, was um alles in der Welt die OREGON-Crew jetzt mit Syri­en zu tun hat, und warum der Roman dennoch in Nordkorea beginnt (pikanter­weise heutzutage auch nicht völlig ohne aktuellen Tagesbezug), der lese weiter:

Todesfracht

(OT: Dark Watch)

Von Clive Cussler & Jack du Brul

Blanvalet 36857

412 Seiten, TB, 2008

Aus dem Amerikanischen von Michael Kubiak

ISBN 978-3-442-36857-0

Die Welt steckt voll von Schurken, und ohne solche Schurkenstaaten könnte die Welt der Actionromane vermutlich nicht funktionieren. Manchmal aber ist es verblüffend, zu entdecken, wie prophetisch solche Geschichten sein können – diese hier besitzt entsprechendes Potenzial und ließ den Leser anfangs nicht wenig zusammenfahren.

Der Prolog zur eigentlichen Haupthandlung beginnt auf dem Flughafen von Pjöngjang, Nordkorea. Ein Militärjet landet und entlässt eine Gruppe hochrangi­ger syrischer (!) Militärs, die in Nordkorea Langstreckenraketen heimlich kaufen wollen, um damit libanesische Milizen aufzurüsten, damit so letztlich Amerikas Macht getroffen werden kann.1 General Kim von Nordkorea und Colonel Hasni Hourani aus Syrien steuern den Frachter Asia Star an, auf dem sich die Waffen befinden und von den Syrern nun kontrolliert werden.

Zu dumm, dass die Syrer falsch sind.

In Wahrheit handelt es sich um Juan Cabrillo und seine Gefährten von der „Corporation“, die einen sinister eingefädelten Plan gegen den Weltfrieden auf raffiniert-tückische Weise und mit ziemlichem Knalleffekt sabotieren. Und das ist, wie erwähnt, erst der Anfang.

Während das geschieht, befindet sich die OREGON, das Schiff der „Corporation“, einer Gruppe freiberuflicher Söldner, die gegen Entgelt und für eine ausgesuchte humanitär ausgerichtete Klientel risikoreiche Aufträge ausfüh­ren, im südchinesischen Meer und ist auf der Suche nach neuen Aufträgen. Das Geld ist knapp – nachdem Mike Halpert2 aus der „Corporation“ im Anschluss an den Mekka-Fall ausgestiegen ist und seine Millionen Dollar schwere Abfindung erhalten hat, ist es zwingend erforderlich, einen lukrativen Job an Land zu ziehen.

Sobald Cabrillo und sein Team an Bord zurück sind, wird er davon in Kenntnis gesetzt, dass sich eine Gruppe schwerreicher Reeder mit der Bitte an die „Corporation“ gewandt hat, der Entführung von Schiffen im südchinesischen Meer ein Ende zu machen. Cabrillo nimmt die Herausforderung an. Eine Million Dollar Prämie für jedes ausgeschaltete Piratenschiff, das klingt nach einer soli­den Sache.

Er hat überhaupt keine Ahnung, worauf er sich da einlässt.

Moderne Seepiraterie hat keinen romantischen Touch mehr wie die Piratenfil­me a la Hollywood nach wie vor ganz gern verbreiten. Die heutigen Piraten sind zumeist mit Drogen gedopte, skrupellose und über alle Maßen brutale Verbre­cher, die vor Massenmord nur selten zurückschrecken.3 Und das, was sich zu dieser Zeit im südostasiatischen Meer abspielt, ist noch weitaus schrecklicher, als sich alle Verantwortlichen das vorstellen können.

Der erste Kontakt mit den Seepiraten führt selbst für die gut ausgerüsteten und vorbereiteten Matrosen der OREGON zu einem so heftigen Seegefecht, dass sie nur um Haaresbreite der eigenen Versenkung entgehen. Dann fischen sie einen Frachtcontainer aus dem Meer und finden darin zu ihrem Entsetzen Dutzende von nackten Leichen – lauter Chinesen. Die Obduktion einiger Enterer ergibt, dass alle an einer hohen Quecksilbervergiftung gelitten haben. Und zu allem Unglauben entpuppt sich das während des Gefechts geortete „U-Boot“ als ein seit Tagen verschollenes, versenktes, aber nicht völlig untergegangenes Schiff der Royal Geographical Society, dessen Besatzung den Piraten zum Opfer gefal­len ist – bis auf die zähe, junge Victoria Ballinger, die sie buchstäblich im letzten Moment retten können… eine rätselhafte Frau, die noch mehr Geheimnisse umgeben.

Die toten Chinesen sind offensichtlich Opfer so genannter „Schlangenköpfe“ ge­worden, also von Menschenhändlerringen, die mit den chinesischen Triaden in direkter Verbindung stehen. Da Cabrillo vermutet, dass die Spur direkt nach China führt, kann er ein Mitglied der „Corporation“, den Amerikaner Eddie Seng, der über chinesische Wurzeln verfügt, dazu überreden, undercover in die Volksrepublik einzureisen, doch dann reißt der Kontakt zu ihm ab.

Eine weitere Spur ist ein Schiff, das Tory Ballinger kurz vor dem Untergang ihres eigenen Schiffes gesehen hat und das sich in der Tat als Fährte zu den Piraten erweist – ein unförmiges, sehr langsames schwimmendes Trockendock, das auf dem Weg nach Indonesien zu sein scheint. Es scheint, noch verwirrender, offen­sichtlich von russischen Ex-Soldaten bewacht zu werden.

Die weiteren Fährten führen in die Schweiz, nach Russland und schließlich in die entlegene Halbinsel Kamtschatka. Ein skrupelloser, verbrecherischer Sikh mit seiner Familie spielt eine zentrale Rolle und ein Abwrackbetrieb, der ein höchst lukratives neues Betätigungsfeld gefunden hat… doch ehe Juan Cabrillo und sei­ne Gefährten von der „Corporation“ verstehen können, wie diese Mosaiksteine wirklich zusammenpassen, vergeht erschreckend viel Zeit. Häufig ist ihnen der Gegner einen wesentlichen Schritt voraus, und das Leben Tausender von un­glückseligen Menschen hängt schließlich nur noch an einem seidenen Faden…

Dies ist der dritte Roman der Abenteuer der Crew des Schiffes OREGON und des „Vorsitzenden“ (hier Kapitän genannt, obwohl die OREGON-Crew ja angeb­lich nicht über Dienstränge verfügt, das hat der neue Übersetzer wohl nicht be­griffen) Juan Cabrillo von der „Corporation“. Vom zweiten zum dritten Band wurde nicht nur Clive Cusslers Coautor Craig Dirgo ausgetauscht, sondern – es wurde angedeutet – auch sein „alter Ego“ Mike Halpert… und der Übersetzer. Das alles zusammen stimmte mich natürlich ein wenig skeptisch. Würde Jack du Brul, von dem ich bis dato noch nichts gelesen hatte, die Stimmung an Bord der OREGON einfangen können? Würde der Übersetzer dasselbe vermögen? Oft ge­nug bedeutet leider ein Übersetzerwechsel eine deutliche Einbuße der Lese­qualität.

Nun, diese Befürchtungen erwiesen sich als substanzlos. Mehr noch: das Ge­genteil ist der Fall, und zwar auf folgende Weise: Während die ersten beiden OREGON-Romane ein Stakkatofeuerwerk sehr kurzer Szenenblenden und un­glaublich vieler Personen waren (was natürlich eine umfangreiche Übersicht über die Handlungsfiguren notwendig machte, die in diesem Roman fehlt), zeig­te sich, dass dieser dritte Roman sich mit den Szenen und ihrer Modellierung sehr viel mehr Zeit ließ. Die in Band 1 und 2 betrüblich vermisste genauer aus­gearbeitete Charakterisierungstiefe wurde zugunsten der hastige Blenden-Schnitttechnik viel mehr betont. Das bedeutete gleichwohl nicht, dass die Ge­schwindigkeit der Geschichte darunter litt. Es verhält sich vielmehr nun so, dass durch raffinierte Innenblenden, z. B. in Juan Cabrillo oder Eddie Seng, die Perso­nen sehr viel mehr Leserinteresse auf sich zu ziehen vermögen als zuvor. Das kommt dem Roman insgesamt außerordentlich zugute.

Während es noch immer waghalsige Action und irrwitzig anmutende, verwege­ne Pläne gibt (man schaue sich bitte nur mal die Nordkorea-Aktion an oder das, was in der Schweiz abgeht!), gewinnt diese Geschichte eine moralische Tiefen­dimension, die in den ersten beiden Büchern nicht wirksam war. Der amerikani­sche Originaltitel „Dark Watch“ (und damit ist keine dunkle Uhr gemeint!) be­zieht sich auf einen tiefsinnigen Gedanken von Juan Cabrillo – nach dem 11. September 2001, sinniert er, sei es notwendig geworden, Wacht über die Welt zu halten, auf eine Weise, wie es die Weltmächte selbst meist aufgrund der po­litischen Zwänge nicht können. Selbst Geheimdienste geraten in solchen Zeiten in den Ruch, Instrumente der Machtpolitik zu sein (oftmals zu Recht, leider). Darum, so sinniert Cabrillo weiter, ist es erforderlich, das unabhängige Instan­zen wie die „Corporation“ die „dunkle Wache“ gegen das Verbrechen durchfüh­ren und die Wachfunktion erfüllen.

Auch der deutsche Titel ist übrigens diesmal ausgesprochen plausibel, denn es geht in der Tat um „Todesfracht“, im doppelten Sinn – einmal um die Asia Star mit den Langstreckenraketen (wobei das furiose Finale dieser Aktion wohl das sehr passende Titelbild inspiriert hat) als auch um Menschenhandel in schlimmster Weise.

Dies zusammengenommen ergibt dann ein sehr schmeichelhaftes Bild dieses Buches. Sowohl der befähigte Übersetzer Kubiak, der schon von weiteren Cuss­ler-Romanen bestens vertraut ist als auch der neue Verfasser Jack duBrul ver­mögen auf ganzer Linie zu überzeugen. Sogar ein Aspekt, der in den ersten bei­den Romane eher vernachlässigt wurde, nämlich der rein finanzwirtschaftliche, erhält hier deutlich mehr Gewicht als bisher, was zur logischen und plausiblen Fundierung der Geschichte beiträgt.

Ich beginne also zu begreifen, warum so viele OREGON-Abenteuer erschienen sind. Und ja… ich bin mal sehr gespannt auf den nächsten Roman, der ja schon in meinem Regal auf die lesehungrigen Augen wartet.

Demnächst mehr dazu.

© 2012 by Uwe Lammers

Also ja, das ist eine rasante, atemberaubende Geschichte. Danach braucht man erst mal ein wenig Abkühlung, könnte ich mir vorstellen. Und deshalb ist es ver­mutlich sinnvoll, in der nächsten Woche zurück ins rätselhafte, von den außerir­dischen Tanu beherrschte Pliozän umzublenden und euch in diese hochkomple­xe Welt zurückzuschicken, in der man sich als Leser recht langsam bewegen muss, um nicht schnellstens haarsträubende und weit reichende Details zu überlesen.

Es lohnt sich, vertraut mir.

Bis nächste Woche dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Und es ist wirklich interessant, diesen Roman zu Zeiten zu lesen, wo Syrien sich unter dem jüngeren Assad als klare Diktatur übelster Sorte entpuppt. Ein solches Verhalten, wie es in diesem Buch angedeutet wird, könnte man dem Assad-Regime durchaus zutrauen… freilich gerichtet gegen die eigene freiheitsliebende Be­völkerung Syriens, weniger gegen die USA.

2 Vgl. zu Mike Halpert die ersten beiden OREGON-Romane „Der goldene Buddha“ und „Todesschrein“. In Kurz­form siehe dazu auch die Rezensions-Blogs 151 vom 14. Februar 2018 und 163 vom 9. Mai 2018.

3 Einen kleinen Geschmack von der modernen Piraterie bekommt man etwa vor der somalischen Küste, und auch hier könnte man Jack duBrul attestieren, dass er recht aktuelle Themen aufgreift. Man sehe sich etwa die „Mission Atalanta“ an.

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