Liebe Freunde des OSM,
für euch ist es, wenn ihr länger meinem Rezensions-Blog folgt, keine Neuigkeit, dass ich mich lesend zu erotischen Romanen hingezogen fühle. Mich fasziniert einfach die weibliche Psyche und das Wechselspiel der männlich-weiblichen Sexualität zu sehr, das auch in meinen Geschichten oft zum Ausdruck kommt, und immer wieder werde ich bei der Lektüre solcher Romane zu interessanten Handlungselementen in eigenen Geschichten inspiriert. Ich denke darum nicht, dass dieses Genre für mich in absehbarer Zeit langweilig werden wird, wiewohl man glauben könnte, dass es sich doch recht schnell thematisch erschöpft… nun, täuscht euch da nicht. Das ist hier ebenso wenig der Fall wie bei Komödien – auch hier könnte man sagen, dass viele doch nach sehr ähnlichem Strickmuster ablaufen und man sich als Leser oder Zuschauer langweilen könne. Ich schätze, die ungebrochene Popularität von Komödien widerlegt das Jahr für Jahr.
Anfang 2017 machte ich eine sehr intensive Lesephase erotischer Literatur durch, und das hier war eines der ersten Werke, mit denen ich begann und das ich geradezu verschlang – das hat bis heute dazu geführt, dass Aberdutzende solche Bücher gefolgt und zahlreiche Rezensionen entstanden sind. Ihr werdet sie im Laufe der nächsten Jahre auf diesem Blog nach und nach zu sehen bekommen, darunter natürlich auch Rezensionen zu E. L. James oder Anna Todd, um mal prominente Autorinnen der Gegenwart zu nennen.
Zunächst machen wir heute einen Ausflug nach Japan und schnuppern in das Genre des BDSM-Romans hinein, wie ihn die Autorin Sandra Henke ausformulierte. Wer neugierig geworden ist, lese bitte weiter:
Lotosblüte
Von Sandra Henke
Plaisir d’Amour-Verlag
204 Seiten, TB, 2008
ISBN 978-3-938281-34-5
Schon der Auftakt ist einigermaßen abenteuerlich, und die Ereignisse entgleisen sehr schnell – die junge Amerikanerin Bryanna Clover ist ihrer Freundin Zoe Sharp nach Japan gefolgt, um ihr bei einem Event zu assistieren… wenn man das so nennen kann. Zoe ist spezialisiert auf Bondage-Vorführungen, und damit ist sie natürlich in Japan exakt am richtigen Platz. Und Bryanna, kurz Bree genannt, ist ihr Modell… Vorführungsobjekt… wie immer man das gescheit bezeichnen möchte. Sie lässt sich jedenfalls kunstvoll erotisch verschnüren und von Zoe dann in einem Club ausstellen.
Zu dumm, dass Zoe diesmal in ihrem Wunsch, Bree einen Herzenswunsch erfüllen zu wollen, zu weit geht. Weder vereinbart sie mit Bree ein Safeword, um aufhören zu können, wenn es notwendig ist, noch sieht sie einen Grund, ihrer Freundin zu erklären, dass sie ihr im gefesselten Zustand auch noch die Unterwäsche abnehmen will.
Was zur Folge hat, dass Bree sich den Zuschauern also nackt und gefesselt präsentiert. Das sorgt zunächst für gründliche Verstimmung zwischen den Freundinnen und dann dafür, dass Bree wutentbrannt den Club verlässt, wobei sie unter dem Mantel notwendig nackt ist.
Was nicht geplant ist, das ist ihre anschließende Entführung!
Bryanna findet sich bald darauf völlig schockiert in einem abgelegenen Kendo-Kloster in den Bergen wieder und erfährt zu ihrem nicht geringen Schrecken, dass einer der begeisterten Besucher ihrer „Show“ sich dazu entschlossen hat, sie kurzerhand zu entführen und dem Kendo-Meister Ryan Ishikawa zum Geschenk zu machen. So, als sei sie ein Gebrauchsgegenstand ohne eigenen Willen – und exakt so wird das auch gesehen! Ihre Freiheit, wird ihr klar und unmissverständlich gesagt, hat jetzt aufgehört, sie ist nun Besitz eines ihr fremden Mannes und wird es für immer sein – genau genommen soll sie seine Lustsklavin werden.
Nun muss man, um den Roman verstehen zu können, etwas verinnerlichen, was schon auf Seite 1 angesprochen wird: Bryanna Clover hat eine zutiefst devote Ader und ist eigentlich schon seit langem auf der Suche nach einem „dominus“, der diese unterwürfige Seite ihres Wesens vollkommen würdigen kann. Ihre Familie in den USA vermag das definitiv nicht – dort wird darauf hingearbeitet, dass sie stattdessen Zahnmedizin studiert, was Bree nicht im Mindesten interessiert. Zoe weiß um diese devote Ader und wünscht sich, damit ihre Freundin Glück erlangen kann, dass Bree „es irgendwann noch schaffen kann, sich einem Mann zu unterwerfen, mit allen Konsequenzen.“ Denn das ist es recht eigentlich, wonach sich Bryannas Herz sehnt.
Dennoch – devote Ader hin oder her: Entführung und Freiheitsberaubung passen nun wirklich nicht zu Bryannas Lebensplanung. Und wiewohl sie bald Ryan kennen lernt, der selbst mütterlicherseits amerikanische Wurzeln besitzt, und obgleich sie zunehmende Anziehungskraft seinerseits verspürt, möchte sie doch nur eines: aus dem Kloster wieder flüchten. Weg, und zwar nicht nur aus dem Kloster, sondern zurück in die USA.
Doch auf der anderen Seite treten seltsame Effekte zutage… da ist beispielsweise die Geisha Kameko, die im Kloster lebt und von Ryan gefördert wird. Sie versteht sich bald als Brees „große Schwester“. Allerdings empfindet Bree auch, einigermaßen irrational, bald Eifersucht ihr gegenüber. Was wirklich keinen Sinn ergibt, wenn ihr doch (nach außen) an Ryan gar nichts liegt und sie schnellstmöglich weg möchte.
Dann ist da der radebrechende Kendo-Adept Shunpei, der es faustdick hinter den Ohren hat, den Bree schnell lieb gewinnt. Auch noch ein Mensch, den sie ohne ihre brüske Entführung nie kennen gelernt hätte.
Ja, und dann ist da natürlich ganz besonders Ryan Ishikawa selbst, ein sehr konzentrierter Mann, der ihre tiefsten devoten Sehnsüchte anstachelt und ihr unglaubliche sexuelle Erfüllung schenkt. Ein Mann, der sie zugleich immer wieder erschreckt, verunsichert und zu dem sie sich gleichwohl hingezogen fühlt, selbst wenn sie die Umstände, unter denen das geschieht, gründlich missbilligt.
Und so muss sich Bryanna Clover schließlich entscheiden, was sie wirklich möchte – zurückkehren in ein Leben ohne Freude, was sie vermutlich in den USA erwartet… oder das Risiko auf sich nehmen, dem dunklen Pfad ihrer unkalkulierbaren Begierden zu folgen, selbst wenn dies bedeutet, dass ihr Leben eine radikale Kehrtwendung erfährt. Hat sie den Mut dazu, sich dieser Herausforderung zu stellen…?
Manchmal ist es schon interessant – und selbst bei mir kommt das eher selten vor – , zu beobachten, wie Romane, die jahrelang nur eine Buchstabengruppe in einer Suchliste sind, direkt nach Erhalt zu einem unaufhaltsamen Leseerlebnis führen. Das war hier der Fall. Ich habe das Buch binnen zwei Tagen (okay, ich bin derzeit gesundheitlich arg angeschlagen, das mag dies befördert haben) geradewegs verschlungen. Es gab dafür mehrere Gründe.
Zum einen hat mich das Thema gereizt, zum anderen das wirklich sehr stimmungsvoll ausgesuchte Cover (das allerdings höchstens Kameko zeigen könnte und zum kulturellen Kontext des Romans passt). Der dritte Grund trat zutage, als ich das Buch dann begann: Die Autorin versteht es auf faszinierende Weise, die Kapitel mit sogartigen Enden zu versehen, die den Leser nahezu unweigerlich ins nächste Kapitel hineinziehen. Das könnte jetzt nerven, weil man daran die klare Durchplanung des Werkes erkennt… aber in diesem sehr kurzweiligen Roman fand ich dieses strukturelle Element durchaus positiv.
Solide ausgearbeitet ist auch die Charakterentwicklung der Hauptperson Bryanna von einer temperamentvollen, mit ihren Lebensumständen durchaus unglücklichen Person bis hin zu jemandem, der schließlich eine zentrale Entscheidung trifft… allerdings bis ganz zuletzt immer noch mit diesen nagenden Zweifeln und der nervösen Furcht, ob das nicht doch einen wesentlichen Schritt zu weit geht. Die Veränderung ist deutlich, aber nicht so, dass sie sich radikal von Anfang bis zum Schluss umkehrt. Das wäre ja auch unrealistisch gewesen.
Die Charakterisierung des Romans als eines „romantischen SM-Romans“ würde ich als treffend bezeichnen. Ich habe manche SM-Romane schon gelesen und konnte, ganz ehrlich, den darin manchmal exzessiv vorkommenden Prügelszenen so gar nichts abgewinnen. Das wird man in diesem Buch nicht finden. Es geht weitaus mehr um eine komplizierte Form der durchaus romantischen Liebeserfüllung, die eine Vielzahl äußerst anregender erotischer Passagen ermöglicht. Eine rege Leserphantasie wird dieses Buch vermutlich als äußerst inspirierend verstehen.
Gewiss, manchmal kann man genervt den Kopf schütteln über die Hast, mit der Bree Schlüsse zieht, ohne über hinreichendes Wissen zu verfügen. Aber ich vermute, das ist zunächst zutiefst menschlich und zweitens handlungsdramaturgisch notwendig. Irrungen und Wirrungen gehören zu dieser Art von Romanen einfach dazu, das ist wie in historischen Romanen, wo man ohne diese Ingredienz auch nicht auskommt. Am Schluss kann man sogar wirklich amüsiert sein, wenn man merkt, wie stark die Neigung der Autorin ist, romantische Sehnsüchte umfassend zu erfüllen… da ist sie einem gewissen Peter F. Hamilton durchaus sehr nahe.
Alles in allem bin ich aber nach diesem Leseerlebnis geneigt, zu sagen, dass es ein gelungenes Buch ist, das neugierig auf weitere Werke der Autorin macht. Wer sich gerne mal einem „romantischen SM-Roman“ annähern möchte, ist hier genau richtig.
© 2017 by Uwe Lammers
Mit dem vorzustellenden Werk der kommenden Woche reisen wir einige Jahrzehnte zurück und begeben uns ins wilde Afghanistan. Näheres dann in der kommenden Woche.
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.