Rezensions-Blog 151: Der goldene Buddha

Posted Februar 14th, 2018 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

ja, heute geht es um ein gar mächtiges Lesevergnügen, das meine Lachmuskeln an vielen Stellen auf köstliche Weise strapazierte, und außerdem sorgte es für den einen wie anderen Schweißausbruch bei allzu kribbeligen, kniffligen Phasen der Geschichte. Das hatte damit zu tun, dass ich es zwar a) mit einem Roman von Clive Cussler zu tun hatte und üblicherweise genau weiß, dass den zentra­len Personen… nun, sagen wir… nichts ERNSTES zustoßen kann. Aber b) ich hat­te es außerdem mit einem völlig neuen Romantypus und weitgehend fremdem Personal zu tun, und da muss man natürlich immer damit rechnen, dass der eine oder andere auf der Strecke bleiben könnte.

Es blieb also spannend bei der Jagd der OREGON-Crew nach dem „goldenen Buddha“. Und saukomisch, um es umgangssprachlich zu sagen, war das auch. Wer also an diesem Buch aufgrund seiner schlichten Außengestaltung bislang vorbeigelaufen sein sollte, dem rate ich dringend, diese Entscheidung zu revi­dieren. Das Werk hier sei euch ausdrücklich ans Herz gelegt, nicht nur, wenn ihr für die Freiheit des tibetischen Volkes seid.

Neugierig geworden? Dann schmökert mal weiter und lest die Details:

Der goldene Buddha

(OT: Golden Buddha)

Von Clive Cussler & Craig Dirgo

Blanvalet 36160

448 Seiten, TB, 2005

Aus dem Amerikanischen von Thomas Haufschild

ISBN 3-442-36160-5

So etwas kommt nun wirklich selten vor: eine ganze Romanwelt entgleist munter in die völlige Kontrafaktik, und sie tut es mit einem unglaublichen Char­me, respektlosen und professionellen Rabauken, viel Humor und einem atem­beraubenden Feuerwerk von skurrilen Ideen – da kann man sich nur noch erge­ben und von Seite zu Seite mehr genießen und grinsen.

Vergessen wir einfach mal, dass das Titelbild einen Taucher zeigt. Die Leute, die für diesen Missgriff verantwortlich zeichneten, dachten platt schematisch: Clive Cussler – NUMA – Taucher, Motiv klar. Alles falsch. Es geht nicht um die NUMA (wiewohl natürlich ein Schiff vorkommt), Cusslers Helden Dirk Pitt und Al Gior­dino sucht man hier vergebens. Stattdessen wird auf charmante Weise die Weltgeschichte umgekrempelt, und das hat folgenreiche Auswirkungen auf den Rest des Cussler-Paralleluniversums (in dem sich eben Dirk und Al herumtrei­ben, ebenso wie Pitts Kinder Dirk Pitt junior und Summer Pitt, aber halt auch Joe Zavala und Kurt Austin).1 Auf knapp 450 Seiten wird mal eben die Weltge­schichte umgestülpt, und das geht so:

31. März 1959. Die letzten Stunden des Dalai Lama2 Tenzing Gyatso in Lhasa sind gekommen. Das Oberhaupt der Tibeter beschließt schweren Herzens, die Flucht aus Tibet anzutreten und im nordindischen Exil den Kampf gegen die chinesischen Besatzer aufzunehmen. Dabei nimmt er eine wichtige kultische Statue mit sich, den goldenen Buddha, der ein wichtiges Geheimnis in sich birgt. Doch während der Dalai Lama Dharamsala3 in Nordindien erreicht, verschwin­det die fünf Zentner schwere Goldfigur spurlos.

Was niemand weiß, ist indes, dass der amerikanische CIA-Mann Langston Over­holt III. sich die Vertreibung des tibetischen Oberhaupts als persönliches Versa­gen anrechnet und sich fest vornimmt, dereinst dafür zu sorgen, dass das Exil des Dalai Lama endet. Er wird es nicht mehr erleben. Sein Sohn, Langston Over­holt IV., bekommt mit dem Problem schließlich zu tun.

In der Gegenwart, etwa um das Jahr 2000 herum, macht der Leser sodann die Bekanntschaft mit alten Vertrauten. Wie Clive Cussler schon im Vorwort erläu­tert, hatte er einst das subversive Schiff OREGON und seine Besatzung unter dem „Vorsitzenden“ Juan Cabrillo für den Dirk Pitt-Roman „Höllenflut“ entwor­fen und erfunden.4 Und er fand es höchst bedauerlich, dass diese skurrilen Ty­pen wieder in der Versenkung verschwinden mussten. Sein Schriftstellerkollege Craig Dirgo war ganz seiner Ansicht, und so entwarfen sie also dieses erste Abenteuer der so genannten „Oregon-Files“.

Die OREGON ist ein offensichtlich heruntergekommener Trampdampfer, der auf wirklich unglaubliche Weise beschrieben wird (goldig etwa der Moment, wo ein Lotse an Bord kommt, ein Geländer anfasst und auf einmal ein Stück davon in der Hand hält. Er ist völlig konsterniert, aber Cabrillo nimmt nur das Trümmer­stück und wirft es ganz gelassen über die Schulter aufs Deck, als wäre das völlig normal – und ich versichere, es wimmelt von so wilden Szenen und Vignetten im Buch!). Unter der Haut des halbwracken Dampfers hingegen verfügt die OREGON über hochmoderne Technik, verborgene Decks, Labore, einen „Moon-Pool“ über dem Kiel, so dass sie selbst einen Taucheinsatz mit eigenen Tauch­booten durchführen kann, Torpedorohre, Flugabwehrraketen und ähnliche Fi­nessen. Wehe also dem Schiff und den Behörden, die diesen „Kahn“ unter­schätzen.

Auch die Besatzung ist höchst eigenwillig. Cabrillo und seine Crew führen unter­einander keine Ränge, sie sind keiner Regierung unterstellt, keiner Behörde, sondern arbeiten als „Company“ auf eigene Rechnung. Jeder einzelne ist Spezialist auf seinem Gebiet, sei es, dass es Techniker sind, sei es, dass es Ärzte, Waffenexperten, Fluchthelfer, Tarnungsspezialisten, Piloten oder Scharfschüt­zen sind… und es ist nicht umsonst so, dass die 24 Personen der Besatzung alle­samt im alphabetischen Namensverzeichnis auftauchen (allerdings sind das nicht alle „Angestellten“ der Company, im Laufe des Romans tauchen noch mehr auf). Man könnte sie als humanitäre Söldner bezeichnen, die in einer rechtlichen Grauzone agieren. Das erlebt der Leser sehr schnell beim ersten Ein­satz der Crew in diesem Roman, der die OREGON in den Hafen von Havanna führt, wo eine Mission durchgeführt werden soll (und schon hier kommt man aus dem Staunen und Kichern kaum mehr heraus – allerdings sind das erst rund 50 Seiten des Romans. Danach geht der Spaß erst richtig los).

Langston Overholt IV., der Vertraute der OREGON von der CIA, heuert die „Company“ für einen Auftrag an, kaum dass sie das kubanische Abenteuer er­folgreich abgeschlossen haben. Diesmal geht es nach Fernost: der legendäre verschollene goldene Buddha ist wieder aufgetaucht (leider erfährt niemand, woher und warum gerade jetzt, das ist eigentlich der einzige zentrale Schwach­punkt der Handlung), und er soll an einen chinesischen Kunstsammler namens Stanley Ho in Macao verkauft werden. Zweihundert Millionen Dollar, nicht eben ein „Schnäppchen“. Aber der Makler Winston Spenser, der ihn im Auftrag von Ho erwirbt, treibt ein doppeltes Spiel. Er hat ein Duplikat anfertigen lassen und beabsichtigt eigentlich, den originalen Buddha insgeheim an einen Tycoon aus dem Silicon Valley zu verhökern. So gibt es also auf einmal zwei Buddha-Figu­ren, die nach Macao unterwegs sind, und einen Milliardär vor Ort, während der zweite sich aus den USA einfliegen lässt, um sich „sein“ Eigentum zu holen.

Ja, und dann ist da die „Company“. Und ein sich anbahnender Sturm, der über Macao ungeplant hereinbricht, während die ganze Operation „Goldenes Dicker­chen“ munter auf den Höhepunkt zudriftet. Ganz zu schweigen von den über­haupt nicht dummen Polizeibehörden von Macao, die für mächtigen Ärger sor­gen werden.

Langston Overholt IV. macht Juan Cabrillo jedenfalls vorweg klar, dass er den Plan gefasst hat, dem Dalai Lama die Rückkehr in sein Heimatland zu ermögli­chen. Das geht nur, wenn er auch den goldenen Buddha dabei hat. Außerdem gilt es, die chinesischen Besatzer in Tibet gründlich abzulenken und ihnen zu­gleich eine Möglichkeit zu belassen, ihr Gesicht zu wahren, falls Tibet tatsäch­lich wieder autonom werden soll. Und für all das haben sie nur einen sehr ge­ringen Zeitrahmen, weil der ideale Termin für die Rückkehr der 1. April sein soll. Keine Woche mehr entfernt.

Unmögliche Geschichte?

Nun, sagen wir es so… da ist ja noch die „Company“. Und da ist Parteichef Hu Jintao in Peking, dessen Land in eine massive Wirtschaftskrise steuert. Und da befindet sich ein Präsident Putin in Russland an der Macht, der, gewisse ökono­mische Anreize vorausgesetzt, schon durchaus mal mit den militärischen Mus­keln spielen könnte… gesetzt den Fall, da springt etwas für ihn heraus.

Ach ja, und so beginnt die gut gelaunte Crew der OREGON damit, Macao anzu­laufen und Maske zu machen. Eine falsche Gräfin, eine falsche Musikband, nächtliche Überfälle, gestörte Funkkanäle, Einsatz von Drogen (zum Brüllen ist die Szene, als der auch zur Feier bei Milliardär Ho geladene Polizeichef von Macao, Sung Rhee, drogenumnebelt, auf das Blumenarrangement auf dem Tisch stiert, während er mit seinem Stellvertreter telefoniert, der ihn gerade vom Diebstahl einer Buddhastatue unterrichten möchte, und Sung halluziniert, aus dem Bukett nicke ihm ein Pferd zu, woraufhin er zu seinem Assistenten sagt: „Hören Sie, mein Pferd ist hier.“).

Es ist ein wirklich unberechenbares Nonstop-Abenteuer der ganz besonders un­terhaltsamen Sorte, was hier vor sich geht, und es gipfelt dann buchstäblich auf dem Dach der Welt, wo der Showdown stattfindet, der mit chinesischen Kampf­jets, einer tibetischen Untergrundarmee und Giftgas zu tun hat, um nur ganz wenig von dem anzudeuten, was da sonst noch passiert…

Es ist bei Clive Cussler natürlich immer ein wenig schwierig, wenn man sich an alte, vertraute Personen gewöhnt hat und auf einmal mit neuen konfrontiert wird. Das ist so gewesen, als Kurt Austin und Joe Zavala in Erscheinung traten5, und das ist hier bei den Abenteurern von der OREGON ebenfalls so. Und natür­lich muss Cussler als Auftaktabenteuer einen ganz besonderen Knaller bieten – was er hier definitiv tut. Die Befreiung von Tibet ist so eine Geschichte, die man wirklich nicht erwartet, allein schon deshalb nicht, weil das in UNSERER Welt eben nicht möglich ist.

Aber ich sagte oben schon: diese Welt entgleist vollständig in die Parallelge­schichte, und sie tut es mit Absicht. Ich denke, Cussler hat das schon seit lan­gem intendiert. Er hat beispielsweise in seiner Romanwelt das amerikanische Embargo gegen Kuba aufgehoben, er hat eine amerikanische Mondstation be­schrieben und die TITANIC in einem Stück gehoben, den Glassarkophag von Alexander dem Großen und die verschollene Bibliothek von Alexandria finden lassen, ebenso wie übrigens das Grab von Christoph Kolumbus und das ver­schwundene Inka-Gold… der Parallelkosmos weist also viele Dinge auf, die es bei uns (leider, möchte man manchmal sagen), wohl so niemals geben wird. Und „Der goldene Buddha“ schlägt ganz genau in dieselbe Kerbe.

Schön ist dabei auch, dass der enorme Personalfuhrpark einigermaßen charak­terisiert wurde. Durch die manchmal sehr kurzen Szenenblenden erhält die Ge­schichte enorme Fahrt und mächtige Dramatik. Man hat zwar das Gefühl, als sei der Dalai Lama tatsächlich so eine Art Spinne in einem gigantischen informellen Netzwerk von loyalen Glaubensagenten (wie es die chinesische Propaganda gern unterstellt), aber da die „Company“ und ihre Protagonisten definitiv im Zentrum stehen, fällt das nicht so unliebsam auf. Bedauernswerter ist hingegen, dass der Roman vergleichsweise kurz ausfällt – selbst bei langsamem Lesen verbringt man höchstens 4 Tage damit, wie ich – , und das Vergnügen ist sehr schnell vorüber.

Indes: ebenso, wie der Lesespaß garantiert ist, steht ja fest, dass es noch sieben weitere Romane der „Oregon-Files“ gibt. Ab Band 3 ist dann Jack du Brul für die Umsetzung verantwortlich, wir können neugierig sein, wie es ihm gelingt, die Crew der OREGON darzustellen. Ihr werdet es beizeiten erfahren.

© 2012 by Uwe Lammers

Tja, auch nach 150 Rezensions-Blogartikeln kann ich also immer noch mit über­raschenden Lesefunden aufwarten, nicht wahr? Gut so, wenn ich euch über­rascht haben sollte. In der kommenden Woche besuchen wir Harry Potter ins einem vierten Schuljahr in Hogwarts. Und wer die Filme kennt, der weiß, dass auch dies nicht unspannend ablaufen wird.

Näheres in sieben Tagen an dieser Stelle.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Und dass sie alle im gleichen Parallelkosmos leben, ist verbürgt. Man vergleiche dazu das Zusammentreffen von Pitt und Juan Cabrillo im Roman „Höllenflut“.

2 Im Roman konstant als „Dalai-Lama“ falsch geschrieben.

3 Im Roman konstant als „Klein-Lhasa“ bezeichnet, was vermutlich verkehrt ist.

4 Warum nur muss ich bei ihm als dem „Vorsitzenden“ immer wohl an den „Großen Vorsitzenden“ (=Mao) denken? Das ist bestimmt auch Absicht… der ganze Roman trieft vor Ironie und Lässigkeit, allein das ist schon ein Lesegenuss.

5 Vgl. Clive Cussler & Paul Kemprecos: „Das Todeswrack“.

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