Liebe Freunde des OSM,
in der vergangenen Woche sprach ich an dieser Stelle über eine weitere der zahlreichen Ablenkungen, die mich speziell in den zurückliegenden zweieinhalb Jahren verstärkt vom Schreiben abgehalten hat: das Streaming von Internet-Fernsehserien. Basierend auf meiner uralten Vorliebe für Fortsetzungsgeschichten, damals in Heftroman- bzw. Comicform, war bzw. bin ich wohl nach wie vor sehr „anfällig“ dafür, und in Zeiten, in denen ich von der Arbeit ermattet bin, ist die Verlockung, einfach mal abzuhängen und passiv zu werden, außerordentlich verführerisch.
Es gibt allerdings noch einen zweiten wesentlichen Ablenkungsfaktor, der mich besonders intensiv in den vergangenen zwei Jahren vom kreativen Schreibkurs abbrachte… ich mache derlei Erfahrungen immer noch, auch jenseits der universitären Beschäftigung. Diese Leidenschaft ist indes deutlich älter, und auch sie ist euch längst vertraut.
Dieser Rivale um meine Aufmerksamkeit, bezogen auf das Schreiben, ist gewissermaßen das Urgestein, auf dem meine Kreativität fußt: Bücher.
Wer meinen Internetauftritt auf Amazon AuthorCentral kennt, wird hier vielleicht jetzt die Stirn runzeln. Schreibe ich dort doch explizit, dass ich Bücher lese und rezensiere und auch empfehle. Inwiefern ist es jetzt ungewöhnlich, dass ich die Bücher als Ablenkungsmedium so hervorhebe.
Schauen wir einfach mal die letzten drei, vier Tage an:
Am 11. September (aktuell schreibe ich diese Zeilen am 13. September 2017) erhielt ich ein antiquarisch via Internet bestelltes Buch und fand es so interessant, dass ich es wirklich umgehend, nämlich noch am gleichen Tag, zu lesen begann. Als ich abends schlafen ging, befand ich mich auf Seite 154. Am Mittag des folgenden Tages war das Buch ausgelesen, keine zwei Stunden später auch rezensiert.1
Da ich speziell in diesem Jahr qua vorhandener Finanz eine ganze Menge Bücher von meinen Suchlisten antiquarisch bestellt habe, herrschte natürlich an Nachschub kein Mangel. Und ich griff quasi sofort zum nächsten Buch, das schon seit Februar auf mein lesehungriges Auge wartete.
„Hm, 362 eng bedruckte Seiten… das wird wahrscheinlich etwas länger dauern“, vermutete ich. Ein arger Trugschluss. Ich kam vielmehr, von einem Kapitel zum nächsten gesaugt – man kann es kaum anders nennen – bis Mitternacht auf unglaubliche 269 Lektüreseiten! Und bald nach Mitternacht war das Buch dann ausgelesen. Die dazu gehörige Rezension wird heute noch entstehen.2
Das hört sich vielleicht extrem an, ist aber in den vergangenen Wochen und Monaten völlig normal geworden – selten brauche ich für ein Buch signifikant mehr als 3-4 Lesetage, und es ist relativ unabhängig davon, wie lang es ist. Das ist grundsätzlich ein phantastisches Gefühl, und die Entdeckung, dass ich mehrheitlich wirklich gute Romanstoffe und faszinierende neue Autorinnen und Autoren kennenlerne, motiviert mich selbstverständlich. Aber es hält mich eben gründlich vom Schreiben ab.
Früher gab es immer eine gewisse Ausgewogenheit zwischen Lesen und Schreiben, und ich schätze, es ist wesentlich das Streaming, das mich da vom Kurs verstärkt abgebracht hat… wie ich dazu komme? Nun, das ist nur eine Theorie, aber eine, die meines Erachtens schon Hand und Fuß hat: Sowohl Streaming wie auch Lesen sind wesentlich passive Tätigkeiten, adaptive, wenn man so will. Ich sauge Bilder, Töne, Buchstaben und Vorstellungswelten in mir auf und akkumuliere sie.
Das habe ich immer schon getan, das stimmt natürlich. Aber früher sagte ich auch ausdrücklich: Es gibt eine Zeit für das Lesen, und es gibt dann eine Zeit für das Schreiben. Wenn mich der Schreibdrang überkommt, ist das Lesen nahezu vollständig abgemeldet. Das ist, wie wenn man unter Magenverstimmung leidet: dann hat man keinen Hunger, da mag noch so appetitliches Büffet angerichtet worden sein.
In Zeiten wie den jetzigen, in denen ich üblicherweise zum Schreiben nur wenig Ruhe fand, nutzte ich – etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln – regelmäßig das Lesen von Büchern, Fanzines oder Zeitschriften, die ich abonniert habe, zur Überbrückung relativ kurzer Leerlaufphasen, in denen ich beim besten Willen nicht kreativ sein konnte.
Es ist fast schon sprichwörtlich, dass ich am Bankschalter oder von Postangestellten staunend angesprochen werde, weil sie meine Seelenruhe bewundern, mit der ich in der Warteschlange kühl und ruhig lese. Ich pflege dann zu antworten, das sei meine effiziente Methode, zeitvergeudende Wartezeiten mit Sinn zu füllen, und so ist es auch.
Dummerweise ist diese Art der Zeitfüllung, in fast 2 Jahren ständigen Pendelns zur Arbeitsstätte und zurück, zu einem wunderbaren Alibi geworden, zu einer Gewohnheit, die mich wirkungsvoll von kreativen Gedanken abgebracht hat. Und dieser Lesehunger hat inzwischen seine festen Klauen auch in meine Privatzeit geschlagen und sich darin festgekrallt.
Seither stiehlt er mir auf süße, verführerische Weise die Zeit zum Schreiben.
Gewiss, in meinen Regalen und Bücherschränken warten gut dreitausend Bücher darauf, von mir gelesen zu werden, und allein in diesem Jahr 2017 sind mehr als dreihundert hinzugekommen. Da ist, das werdet ihr verstehen, durchaus ein gewisser „Druck“ vorhanden. Dennoch hat sich das alles stets im Rahmen gehalten, was die Lektüre anging. Schauen wir mal in meine diesbezüglichen Statistiken und gehen da mal 10 Jahre zurück. Aufgelistet wird die Zahl der gelesenen Bücher in Abhängigkeit von der Jahreszahl:
2007: 127
2008: 139
2009: 119
2010: 105
2011: 95
2012: 94
2013: 63
2014: 63
2015: 73
2016: 82
Man erkennt, glaube ich, eine relativ deutliche „Sättigungstendenz“, die gut mit dem korreliert, was ich meinen Sättigungskoeffizienten nenne. Wenn man davon ausgeht – das ist prinzipiell mein Modell davon, wie meine Kreativität gespeist wird – , dass die individuelle Kreativität eine Art Schwungrad ist, das durch primär literarische Kost gespeist wird, so wird irgendwann eine Form von Sättigungszustand erreicht, ab dem neue Lektüre nicht mehr inspirierend und anregend, sondern überfüllend wirkt… wie ein Stück Pizza, das man beim besten Willen nicht mehr runter bekommt, obwohl sie doch anfangs unwiderstehlich lecker war.
In diesem Moment hört das intensive Lesen auf und weicht sporadischem Gelegenheitslesen. Im Unterbewusstsein rumort es kreativ, wie in einer Art Teigschüssel, in der die aufgenommenen Inhalte durchgemischt und mit dem, was vorher schon vorhanden war, in Relation gesetzt werden. Dann bedarf es nur noch eines inspirierenden Zündfunkens, und völlig neue kreative Werke sprudeln aus mir hervor.
So läuft das bei mir normalerweise ab.
Es gibt gegenwärtig allerdings zwei Hemmschwellen, und vielleicht ist es deshalb so einfach für mich, dem hemmungslosen Lesehunger so exzessiv nachzugeben, wie ich es momentan tue: die eine Hemmschwelle ist in der Vielzahl schon vorhandener kreativer Projekte und Fragmente zu suchen.
Die zweite Hemmschwelle, wenn man das so nennen möchte, ist das Genre, in dem ich mich aktuell verstärkt aufhalte – erotische Romane. Strukturell sind sie sich sehr ähnlich… unkompliziert, anregend, psychologisch mehr oder minder nett gemacht, aber eben alle recht gleichförmig. Die Folge scheint mir, mental betrachtet, diejenige zu sein, dass ich dies – ungeachtet verschiedenster Romanautorinnen, Romansettings und Handlungszeiten – mental als Teil eines einzigen großen Konzeptrahmens auffasse, gewissermaßen eine Form von multiplem „Megaroman“. Würde ich nun komplett an dieser Form von Geschichten festkleben, würde diese exzessive Lesephase, die bereits bis Anfang September 2017 dafür gesorgt hat, dass ich bereits 106 Bücher gelesen hatte, wohl noch sehr viel länger ausgedehnt werden… aber ich unterbreche diese Phase durchaus schon durch andere Geschichten.
Womit? Nun, da wären beispielsweise Romane von Clive Cussler, die ich aber nur sehr dosiert schmökere, weil es davon nicht viel Nachschub gibt (es blieb darum seit Anfang April 2017 auch bei einem einzigen Roman3). Außerdem habe ich endlich damit begonnen, die uralten Keith Laumer-Romane sowohl neu zu lesen als auch jetzt zu rezensieren. Es gab Sherlock Holmes-Lektüre, die ich rezensionswürdig fand.4 Auch habe ich endlich die Landkarten-Trilogie von Félix J. Palma ausgelesen und rezensiert, ganz zu schweigen vom Zeitreise-Vierteiler um Chloe Kingsley, den Suzanne Frank vor so langer Zeit schrieb.
Dennoch empfinde ich die Schwemme an gelesenen Büchern und Stoffen, mit denen ich mein Unterbewusstsein gewissermaßen „zutexte“, als beunruhigend. Weswegen es mir sinnvoll erscheint, diesen Blogbeitrag zu schreiben. Es ist zwar hilfreich, dass ich durch den Takt meiner Blogartikel die drängende Notwendigkeit sehe, immer weitere Beiträge zu schreiben und folgerichtig beim Schreiben gar nicht „richtig“ einrosten kann… aber es fühlt sich nicht hinreichend an.
Ebenso, wie Mails für mich kein akzeptabler Ersatz für geschriebene Briefe sind (wer mich seit zehn oder mehr Jahren als Brieffreund kennt, weiß, wovon ich spreche), sowenig können Blogartikel oder Rezensionen das Fehlen autonomen Geschichtenschreibens kompensieren. Vermutlich muss ich mal in Klausur gehen und mich eine Weile von den fremden Gedankenquellen abschneiden, um Ordnung und Maß in mein chaotisches Gedankengequirle zu bringen. Wie auch immer das gehen soll…
Momentan gehe ich davon aus, dass der sinnvollste Weg dafür darin besteht, kurzfristige kreative Projekte abzuschließen, um dann zu den längeren aufzuschließen, die mich schon länger beschäftigen. Parallel dazu werde ich mein E-Book-Programm natürlich wieder ankurbeln. Und euch auch weiterhin auf dem Blogartikelweg mit Lesestoff versorgen, das versteht sich von selbst.
Ihr seht allerdings auch, dass ich für diese Form der Ablenkung nicht wirklich so etwas wie ein Patentrezept besitze – dafür lese ich einfach viel zu gern, dafür ist Lektüre für mich essenzieller Bestandteil meines Wesens, schon seit mehr als 40 Lebensjahren. Wo andere Menschen maximal ein oder zwei Bücher pro Jahr lesen und sie eher betrachten, als sei der Kontakt mit ihnen toxisch, käme es mir so vor, als würde ich an einer gefüllten Tafel verhungern, wenn ich NICHT lese.
Also, das ist so ein „work in progress“, an dem ich weiterhin zu arbeiten habe… ah, und das ist auch ein gutes Stichwort für die kommende Woche. Dann werde ich über den Monat August 2017 und meine dortigen Schreibaktivitäten berichten. Lasst euch da mal überraschen.
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.
1 Beizeiten werdet ihr dazu eine Rezension auf meinem Rezensions-Blog vorfinden. Wer vorher neugierig geworden ist, suche nach Lisa Cach: „Der Preis der Begierde“ (2010).
2 Beizeiten ebenfalls im Rezensions-Blog nachzulesen, mutmaßlich im Herbst 2018. Wer vorher wissen möchte, worum es gehe, suche nach Pia Conti: „Elisa – Verlockung der Unschuld“ (2016). Aber Vorsicht: es ist der zweite Teil des bisherigen Zweiteilers „Italian Masters“. Teil 1 erschien 2015 unter dem Titel „Giulias Geheimnis“, der schon gelesen und rezensiert ist.
3 Neugierige Leser! Um welchen Roman es sich handelte? Um Clive Cussler & Russell Blake: „Der Schwur der Wikinger“ (2016). Natürlich auch schon für den Rezensions-Blog erfasst… wird dort aber frühestens 2019 zu sehen sein.
4 Vgl. dazu beizeiten im Rezensions-Blog Jörg Kastner: „Sherlock Holmes und der Schrecken von Sumatra“ (1997). Ebenso vgl. Ralph E. Vaughan: „Sherlock Holmes und die Zeitmaschine“ (2005).