Liebe Freunde des OSM,
es ist schon wirklich interessant, welche Details sich in alten Rezensionen verbergen, die ich bereits halb vergessen hatte – ehe ich sie dann für den Rezensions-Blog reanimierte. Diese hier stammt aus dem Jahre 2006 und enthält eine Info über die Rote Sonja, die ich völlig verdrängt hatte. Nun, ihr werdet sie weiter unten entdecken, da möchte ich nicht jetzt schon vorgreifen.
In diesem Eintrag des Rezensions-Blogs widme ich mich wieder einmal Robert E. Howard, von dem noch so manches Buch ungelesen bei mir steht. Da Howard ja nun leider keinen „Nachschub“mehr liefern kann, ist man als Leser gut beraten, sich die vorhandenen Werke entsprechend zu portionieren – es gibt diesbezüglich noch so manch anderen Autor, bei dem mir das so geht, leider. Und ein paar sehr gute Schriftsteller sind halt bereits recht betagt, so dass das Ende ihrer Schreibtätigkeit durchaus fast bereits in Sicht ist. Bedauerlicherweise sind in den vergangenen Jahren auch schon manche kreativen Geister für immer erloschen, denken wir nur beispielsweise an Iain Banks, den ich sehr schätzte.
Einerlei, davon wollte ich hier und heute nicht reden. Robert E. Howard, der mehrheitlich den Fantasy-Fans vertraut ist, war durchaus auch Fan solider historischer Abenteuergeschichten, von denen er so manche geschrieben hat. Gelegentlich mischen sich da phantastische Elemente hinein, so auch in einer der im Folgenden vorgestellten Geschichten. Der eigentliche Wert des vorliegenden Buches liegt aber wohl darin, dass diese Stories durch die Bank zu Howards Lebzeiten nie veröffentlicht wurden. Und ich bin nach wie vor der Überzeugung, mehr als 10 Jahre nach Lektüre und Rezension, dass das Buch, um das es heute geht, die Wiederentdeckung mehr als lohnt.
Überzeugt euch selbst:
Horde aus dem Morgenland
(OT: Sword Woman And Other Stories)
von Robert E. Howard
Terra Fantasy Band 37
Rastatt, August 1977
162 Seiten, TB
Aus dem Amerikanischen von Eduard Lukschandl
Robert E. Howard, der amerikanische Fantasy-Autor, Brieffreund von Howard Phillips Lovecraft und Schöpfer solch noch heute bekannter Gestalten wie Conan dem Barbaren, ist für den Kenner der amerikanischen Phantastik aus der Frühzeit des 20. Jahrhunderts kein Unbekannter. Im deutschen Fantasy-Fandom kommt man wohl auch heute nicht an ihm vorbei, und die Vorbildfunktion, die er für Heerscharen von Fantasy-Autoren und -autorinnen gehabt hat, kann unmöglich geleugnet werden.
Der 1936 durch Suizid vorzeitig aus dieser Welt geschiedene Howard hat jedoch nicht nur Fantasy geschrieben, sondern sich ebenso in einem Grenzbereich getummelt, den heutzutage in der Regel die historischen Romane abdecken.1 Viele dieser Geschichten fanden ihren Platz in Abenteuer-Magazinen der 20er und 30er Jahre, doch mit den meisten Geschichten dieses Bandes verhält es sich anders.
Drei der vier Erzählungen ranken sich um eine starke Frauenperson namens Agnes de Chastillon, auch „Schwarze Agnes“ genannt (wiewohl rothaarig). Soweit man heute weiß, sind diese Geschichten von Howard vermutlich durch eine Brieffreundin und Schriftstellerkollegin inspiriert worden: Catherine Lucille Moore publizierte im Oktober 1934 in WEIRD TALES ihre erste Story um die Amazone Jirel von Joiry, und wer die Jirel-Geschichten kennt, wird hier unzweifelhafte Ähnlichkeiten entdecken. Keine der Geschichten um die Schwarze Agnes wurde je publiziert, und mit diesem Terra Fantasy-Band erschienen sie erstmals für die breite Masse auf Deutsch.
Die vierte Story des Bandes, mit Abstand die längste, ist die Titelgeschichte. Sie spielt – wie auch die Agnes-Geschichten – im 16. Jahrhundert und thematisiert eine Belagerung Wiens durch die Türken. Das ist nicht zuletzt für die Historiker unter den Lesern ein wahres Schmankerl.
Die schwarze Agnes (Sword Woman) führt uns, wie auch die übrigen Geschichten um diese Person, in die Regierungszeit des Kaisers Karl V. (1519-1556) und Franz I. von Frankreich (1515-1547). Interessanterweise spielt die Reformation hier überhaupt keine Rolle, aber wir sind ja auch in Frankreich. Agnes de Chastillon wird in einem kleinen Walddorf als jüngere Tochter eines gewalttätigen Vaters geboren, der schließlich ihre Hochzeit mit einem wenig ansehnlichen, lüsternen und feisten Dorfbewohner arrangiert. Agnes hasst sowohl den Vater wie auch den Bräutigam, sieht aber keine Möglichkeit, zu entkommen… bis ihre ältere Schwester ihr einen Dolch zusteckt, wohl in dem Wunsch, sie möge sich selbst entleiben. Stattdessen tötet Agnes ihren zukünftigen Ehemann und flüchtet aus dem Dorfdasein. Dabei stolpert sie unvermittelt über Etienne Villiers, einen gutaussehenden Reiter, der sehr von ihrem appetitlichen Äußeren angetan ist. Aber wer nun glaubt, es entspanne sich eine Romanze zwischen den beiden, hat wirklich gar keine Ahnung von der außerordentlich kämpferischen Agnes, deren Temperament es auf nachgerade tödliche Weise in sich hat…
Degen für Frankreich (Blade for France) spielt etwas später. Agnes, durch die Kämpfe an Villiers´ Seite inzwischen kampfgestählt – sie ist, was das Degenfechten und Schießen angeht, ein echtes Naturtalent, und wenn man sagt, Leichen pflasterten ihren Weg, so ist das durchaus nicht falsch – , hat sich von Villiers inzwischen getrennt und befindet sich auf dem Weg zur Küste Frankreichs, wo sie beide sich ins Ausland einschiffen wollen. Denn Etienne wird, weil er zuviel über die dunklen Machenschaften des Duc d’Alençon weiß, von dessen Schergen unter der Leitung von Renault d’Valence verfolgt, der schon in der ersten Story für Mord und Totschlag sorgte.
Der Zufall will es, dass Agnes auf dem Weg zur Küste gezwungen wird, einen lüsternen Mann zu töten. Sie nimmt ihm dessen Mantel ab und gerät in der nächsten Schenke in die unangenehme Situation, mit ihm verwechselt zu werden (allein des Mantels wegen!) und sich auf einmal in einer Verschwörung wiederzufinden, die von niemand Geringerem als Renault d’Valence geleitet wird. Da sie nicht eben dumm oder feige ist, beschließt Agnes, die Verschwörung von innen her zu zerschlagen. Allerdings geht dabei einiges schief…
In der dritten Agnes-Story, Braut des Todes (Mistress of Death), die nur als Fragment überliefert wurde (es ist im Vorwort nicht gesagt worden, wer sie vollendet hat), stößt der Leser zum einzigen Male auf ein übernatürliches Element. Diesmal werden Agnes und Etienne Villiers mit einem gehenkten Zauberer konfrontiert und mit unterirdischem, magischen Leben, das eine Rache zu vollenden sucht. Unnötig zu sagen, dass es auch hier wieder reichlich Degengefechte und Tote sowie Verletzte gibt. Diese Geschichte ist, wie ich finde, mit Abstand die schwächste dieses Zyklus und vielleicht einer der Gründe, warum Howard diese Geschichten generell nie einreichte.
Horde aus dem Morgenland (The Shadow of the Vulture) liefert uns über fast 60 Seiten hinweg ein farbenprächtiges, manchmal etwas sehr pompös geratenes Panorama der türkischen Welt unter dem Sultan Soliman (Suleiman) dem Zweiten. Die Geschichte beginnt mit der Audienz einer seit neun Monaten gefangenen österreichischen Delegation vor dem Sultan im Jahre 1529. Sie wird von dem orientalischen Herrscher arrogant entlassen mit der Bemerkung, der Sultan wolle dem Kaiser seine Aufwartung machen vor den Mauern von Wien.
Zu dieser Delegation gehört aber ein hochgewachsener, hünenhafter Mann mit wasserblauen Augen, den der Sultan erst zu spät als jenen einzelnen Überlebenden eines mörderischen Angriffs auf seine Person erkennt – Gottfried von Kalmbach. Er ist des Kampfes müde und froh, mit den Diplomaten bald darauf nichts mehr zu tun zu haben. Das hilft ihm nicht. Soliman schickt nämlich Mikhal Oglu, den Anführer der Akindschi, einer blutrünstigen Mördertruppe des Sultans, hinter ihm her und verlangt ultimativ, von Kalmbachs Kopf zu erhalten. Doch der Versuch misslingt. Der Deutsche rettet sich bis Wien, verfolgt von den Attentätern, und dahinter von den Heerscharen der bereits marschierenden Türken.
In Wien selbst ist er schließlich eingekesselt und muss nun, wiewohl unwillig, um sein Leben und das der anderen Eingeschlossenen kämpfen – an der Seite einer rothaarigen Furie, die man die Rote Sonja nennt und die von sich behauptet, die Schwester der Favoritin Solimans zu sein, einer Russin namens Roxelana. Und schließlich entscheidet sich durch diese Gemeinschaftsarbeit sowohl das Schicksal des belagerten Wien wie das Gottfried von Kalmbachs…
Diese Geschichten haben, es wurde oben angesprochen, in einer Reihe namens TERRA FANTASY eigentlich wenig zu suchen, weil es in ihnen nahezu keine Fantasy-Elemente gibt (außer eben in Mistress of Death). Natürlich wurden sie aufgenommen des Autors wegen, und das ist eine gute Entscheidung gewesen. Wer kraftvolle, wortgewaltige Fantasy mag und sich von einer gewissen Theatralik und Pathetik, was die Dialoge angeht, nicht abschrecken lässt (denkt einfach, es handele sich um Shakespeare-Dialoge, okay? Da hält das auch keinen Kenner vom Besuch des Theaters ab), der kann hier interessante Leseerfahrungen sammeln.
Der historische Kontext der Stories tut sein übriges dazu, den Leser zu faszinieren. Eduard Lukschandl gibt zu, dass Howard zumal in der letzten Geschichte sich so manchen Schnitzer erlaubt, zumal geografisch, da er nie in Wien war. Aber das macht nicht viel her. Eine Anspielung entdeckt der Übersetzer zwar, aber er kann sie nicht entschlüsseln. Es geht um eine Person namens „Wulf Hagen“, die angeblich in der Story dafür verantwortlich ist, dass die schwere Artillerie der Türken in der Donau versenkt wird und nicht vor Wien zum Einsatz kommt. Wer sich ein wenig mit dem Nibelungen-Mythos auskennt, wird hier unzweifelhaft an Hagen von Tronje und seine Versenkung des Schatzes der Nibelungen erinnert, und ich glaube, daher hatte Howard seine Vorstellung entlehnt.
Für Leser, die die Comicversionen von Conan kennen – wie ich – , ist es wahrscheinlich irritierend, die Rote Sonja im irdischen Mittelalter agieren zu sehen, denn in den Comics wird sie an die Seite Conans transplantiert. Das ist eine Geschichtsklitterung, die die Comics vorgenommen haben. In diesem Buch ist Sonja an der richtigen Stelle.
Insgesamt ist zu sagen, dass mir das Buch, das geduldig 18 Jahre lang in meinen Bücherregalen verharrte, bis es gelesen wurde, ein paar angenehme Lesestunden im Zug verschafft hat. Und wie es bei guten Büchern so ist, wird einem Neugierigen die Zeit hier gewiss nicht lang werden. Wer es darum antiquarisch noch zu finden versteht und solche Geschichten schätzt, der sollte es sich zulegen.
© 2006 by Uwe Lammers
In der nächsten Woche kehren wir in die Gegenwart zurück und verfolgen ein weiteres NUMA-Abenteuer von Clive Cusslers neuen Helden Kurt Austin und Joe Zavala. Diesmal bekommen sie es mit einem russischen Tycoon und den Schockwellen der russischen Revolution von 1918 zu tun – auf eine sehr interessante Weise, wie ich damals fand. Das lohnt die Lektüre, Freunde, vertraut meinem Urteil.
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.
1 Vgl. hierzu auch gelegentlich meinen Aufsatz „Historische Romane – eine Gratwanderung“ in HISTORIKERZEIT #2 (erschienen November 2006). Ich denke, ich mache ihn beizeiten an dieser Stelle der Allgemeinheit zugänglich. Das wird aber noch etwas dauern.