Rezensions-Blog 127: Das Todeswrack

Posted August 29th, 2017 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

heute geht es um meine im Jahre 2012 gemachte neue Leseerfahrung mit Col­laborations-Autoren von Clive Cussler. Ich kannte ja schon seit einiger Zeit Grant Blackwood, aber nun lernte ich halt Paul Kemprecos und seine Helden Kurt Austin und Joe Zavala kennen und sehr schnell schätzen, ganz zu schweigen von Gamay Trout und ihrem Ehemann Paul. Und natürlich brauchte ein solcher Neu­einstieg eines Autors in den schon recht weit gediehenen, kontrafaktischen Cussler-Kosmos einer knalligen Story, die den Leser packte.

Ich kann wirklich mit Fug und Recht auch nach fünf Jahren immer noch sagen: Ziel erreicht. Das Titelbild der frühen Ausgabe, das ich besitze, mag völlig be­scheuert sein (es gab später eine Neuauflage mit hübscherem Cover), und auch der Titel ist ziemlich abwegig und deckt nur einen kleinen Teil der Story ab. Die ist für sich genommen aber schon wirklich packend.

Worum es im Detail geht, findet ihr genau hier, wenn ihr weiterlest:

Das Todeswrack

(OT: Serpent)

von Clive Cussler & Paul Kemprecos

Blanvalet 35274

576 Seiten, TB, 2000

Aus dem Amerikanischen von Thomas Haufschild

Ich wusste von diesem Buch seit ziemlich genau zehn Jahren, aber obgleich ich es viele Male in den Buchhandlungen sah, zögerte ich doch all die Jahre, danach zu greifen. Der Grund ist vielleicht ein wenig sonderbar, und im Nachhinein wirkt er geradezu schrullig und lächerlich: ich verband die NUMA, die National Underwater and Marine Agency, eigentlich stets mit Clive Cussler und mit sei­nem Heldengespann Dirk Pitt und Al Giordino, die nun wahrlich aus fast zwanzig Romanen bekannt sind. Und ich war mir unsicher, auf einmal NUMA-Abenteuer mit völlig unbekannten „Helden“ vorgesetzt zu bekommen. Ob das wohl bekömmliche Kost sein mochte? Wie wohl dieser Paul Kemprecos schreiben würde, der ja für mich ein buchstäblich unbeschriebenes Blatt war? Ich hatte keine Ahnung.

Was bewog mich dazu, mir dieses Buch dennoch zum Geburtstag anno 2011 zu wünschen? Zweierlei. Zum einen hatte ich entdeckt, dass die Dirk Pitt-Abenteuer von Cussler erstens immer rarer wurden und zum zweiten in den letzten Jahren mehr und mehr von absurden Handlungskonstrukten und alber­nen Gags sowie einer Altmänner-Melancholie überschattet wurden. Cussler und Pitt kommen halt in die Jahre, und man merkt es deutlich – Cussler ist glücklicherweise nicht jemand, der wie etwa weiland der verstorbene Thriller­autor Colin Forbes seine Helden statisch einfriert und nicht mehr altern lässt, sondern Pitt nutzt sich deutlich ab, was zwar einerseits realistisch und sympa­thisch ist, zugleich jedoch die Spannung der Romane nach und nach erschlaffen ließ.

Zum zweiten las ich mit Grant Blackwoods exzellentem Roman um das Ehepaar Sam und Remi Fargo einen Collaboration-Roman mit Cussler, der mir deutlich zeigte, dass solche Kooperationsprojekte durchaus äußerst faszinierend und le­senswert sein konnten.1 Außerdem gab es inzwischen eine ganze Reihe von Cussler/Kemprecos-Romanen, was darauf hindeutete, dass sie nicht nur „Schrott“ sein konnten. Sie verkauften sich offensichtlich gut. Also, Zeit für ein Experiment.

Vorab gesagt: ein tolles Experiment (auch wenn der deutsche Titel an Dumm­heit nur schwer zu überbieten ist). Ich bin inzwischen eifrig auf der Jagd nach den weiteren Romanen! Doch nun zum Buch selbst:

Wie üblich in Cusslers Romanen gibt es ein nautisch-historisches Vorspiel, das diesmal gar nicht so weit in der Zeit zurückdriftet. Genauer gesagt: ins Jahr 1956 vor die Küste von Nantucket. Ein schneidiges Passagierschiff aus Italien ist auf dem direkten Weg nach New York. Es erreicht den Hafen nie. Bei dichtem Nebelwetter wird der Luxusliner Andrea Doria von der „Stockholm“ gerammt und so schwer beschädigt, dass er binnen kürzester Zeit sinkt. Die meisten der Passagiere und Besatzungsmitglieder überleben das Unglück und werden geret­tet, aber das Schiff selbst legt sich auf die Seite und sinkt gut 60 Meter tief auf den Grund des küstennahen Meeresbodens.

Zuvor jedoch ereignen sich seltsame Dinge: der Steuermann der Stockholm, der im letzten Moment sehr gezielt auf das Passagierschiff zugesteuert zu haben scheint, ist spurlos verschwunden. Und der junge Kellner Angelo Donatelli, der auf der havarierten Andrea Doria versucht, einen Wagenheber zu besorgen, um eine eingeklemmte Passagierin zu retten, wird heimlich auf dem Autodeck des Schiffes Zeuge eines brutalen Mordangriffs auf eine Wachtruppe, die einen Pan­zerwagen bewacht. Allerdings wird danach nichts gestohlen, sondern rätsel­hafterweise werfen die Mörder ihre Opfer nur in den Wagen und machen sich danach aus dem Staub. Das Mysterium sinkt mit in die Tiefe des Meeres.2

Knapp 45 Jahre später wird die amerikanische Wissenschaftlerin Nina Kirov von ihrem Doktorvater Professor Dr. Knox zu einer wissenschaftlichen Grabung nach Nordafrika „entführt“. Da sie die einzige Person mit Tauchfähigkeit ist, fällt ihr bei dieser Exkursion die Rolle zu, bei einem Tauchgang in der Bucht vor der Rui­nenstätte einen versunkenen phönizischen Hafen zu entdecken – und ein stei­nernes Gesicht, das höchst fatal einem der Olmekenkultur aus Mittelamerika ähnelt. Was definitiv historisch völlig unmöglich ist – zumindest ist es eine ar­chäologische Anomalie. Sie informiert nur eine einzige befreundete Wissen­schaftlerin in den Staaten darüber, aber der Mailverkehr wird kontrolliert, und kurz darauf taucht eine rücksichtslose Killergruppe auf, die kurzerhand alle Mit­glieder der Expedition exekutiert. Nina kann mit sehr viel Mühe ins Meer ent­kommen und wird hier bald darauf von zwei smarten Tauchern der NUMA gerettet.

So, und da haben wir sie also: Auftritt von Kurt Austin und Joe Zavala von der NUMA, den Helden der neuen Serie. Austin, ein Hüne von Mann mit frühzeitig gebleichtem Haar ist unter anderem Sammler antiker Duellpistolen und lebt auf einem umgebauten Hausboot auf dem Potomac, außerdem hat er einen be­merkenswerten Hang zu philosophischer Literatur. Sein Freund Joe, der mexika­nische Wurzeln aufweist und etwas kleiner und naturgemäß dunkler ist, ent­puppt sich als Mechanikergenie mit schrulligem Humor, Singtalent (mit dem er Austin fast in den Wahnsinn treibt) und einer innigen Neigung zu Frauen­abenteuern. Und ehe sich der Leser versieht, steckt er mitten in einer Geschich­te fest, in der es von sympathischen Personen, abenteuerlicher Action und ver­wirrenden Geheimnissen nur so zu wimmeln beginnt, ganz zu schweigen von unzähligen neckischen Anspielungen, die breites Zeugnis von der Belesenheit des Verfassers ablegen und von Geschichte über den „Wizard of Oz“ bis Star Trek reichen – es gibt reichlich Grund für Gekicher.

Für die Action gibt es auch reichlich Gründe, denn die Killer geben natürlich nicht auf. Sie wollen Nina Kirov unbedingt vom Leben zum Tode befördern (was sie bei ih­rer Kontaktperson in den USA übrigens bestürzend schnell schaffen und zu­gleich zeigt, dass diese Organisation international tätig ist). Kurt Austin und Joe Zavala verhindern allerdings, dass die rätselhaften Massenmörder ihr Ziel errei­chen, das nun ebenfalls darin bestanden hätte, das NUMA-Schiff vor Marokkos Küste mitsamt Besatzung dazu zu versenken.

Es stellt sich außerdem heraus, dass diese Mörder bestens präpariert waren – unter anderem auch für eine Unterwassersprengung. Das möglicherweise ol­mekische Artefakt, das Nina Kirov gefunden hat, ist nämlich von ihnen ge­sprengt worden… und das alles ist erst der Anfang. Im Zuge der immer haar­sträubender werdenden Suche nach den Gründen dieser abenteuerlichen Ge­schichte kommen die Freunde nach und nach einem mörderischen Komplott auf die Spur, dem überall auf der Welt archäologische Expeditionen zum Opfer fallen. Sie finden eine Fährte zu einer karitativen Organisation namens Time-Quest, aber das bringt sie alles nicht richtig weiter.

Schlimmer noch: es gibt bald darauf einen weiteren Nebenstrang der Handlung, der scheinbar mit der Hauptgeschichte nichts zu tun hat (das anzunehmen, ist natürlich ein arger Fehler, den eigentlich nur Leute begehen können, die keine Cussler-Romane kennen): mitten im Dschungel von Belize versucht nämlich Ga­may Trout, die sportversessene und geschichtsbesessene NUMA-Meeresbiolo­gin (verheiratet mit Paul Trout, einer weiteren neuen Hauptperson des NUMA-Personals), die eigentlich nur auf der Suche nach Abbildungen von Muscheln in Maya-Inschriften ist, einen Professor Chi zu finden. Allein, wie sie ihn findet, ist schon witzig genug, aber es steigert sich unablässig weiter. Etwa, als Chi sie dann mit seiner „Zeitmaschine“ mit in eine versunkene Maya-Stadt bringt, wo sie höchst unpraktischerweise über Grabräuber stolpern und von einem Desas­ter ins nächste stolpern (was die beiden übrigens brillant charakterisiert).

Und ganz so wie die im Roman erwähnten raffinierten „Maschinen“ der Maya greifen die einzelnen Handlungsrädchen der Geschichte ineinander. Zu sagen, der Roman enthielte die konzentrierte Dosis von fünf Abenteuergeschichten, ist noch sehr untertrieben. Selbst für einen recht belesenen Historiker wie mich war es sehr beeindruckend, in den lediglich vier (!) Lesetagen, in denen ich das Buch geradezu verschlang, zu entdecken, wie ungemein belesen der gute Herr Kemprecos ist. Dass Kemprecos – wie Cussler – ebenfalls passionierter Taucher ist und vielfach durch journalistische Tätigkeit hervorgetreten, das merkt man dem Buch an vielen Stellen an, nicht zuletzt an der schön passenden Charakteri­sierung der Wissenschaftler, da hat er ganze Arbeit geleistet.

Da es im ganzen Buch zu keinem Gastauftritt von Clive Cussler kommt (um den selbst Blackwood nicht herumkommt), ist es nahe liegend, dass Cussler lediglich an jenen Stellen nachgeschliffen hat, wo es zu Begegnungen mit Personen des normalen Dirk-Pitt-Kosmos kommt, also Admiral Sandecker, Rudi Gunn oder Julien Perlmutter etwa. Der Rest, namentlich wohl die packende Storyline, die durchaus sehr stringent kontrafaktisch ist, stammt offenkundig allein von Kem­precos und kann sich sehen lassen.

Ich meine, wer daraufhin nun neugierig geworden ist, wie wohl die Olmeken- und Maya-Kultur mit einem phönizischen Hafen in Marokko zusammenhängt (oder gar mit der Andrea Doria), wer gern herausbekommen möchte, was der Geheimorden Los Hermanos damit zu tun hat und wie, um alles in der Welt, Christoph Kolumbus und der sinistre Halcon in diese Geschichte passen (ganz zu schweigen von diesem wahnsinnigen Gebilde „Angelica“), der sollte sich das Buch schnappen und es verschlingen. Das ist wirklich raffiniert zusammenge­strickt. Kleinere, zu vernachlässigende Detailfehler, besonders im Zusammen­hang mit dem gesprengten Olmekengesicht und Kolumbus, kann man dabei durchaus großmütig unter „Anfangsfehler“ subsumieren. Hey, es ist sein Erst­ling, nicht wahr?

Nach dieser Lektüre begriff ich jedenfalls, dass es ein klarer Fehler war, bei den Kemprecos-Büchern bislang zu zögern. Nun, den Fehler bügele ich bald aus. Es gibt noch sieben weitere Kurt-Austin-Abenteuer. Ihr hört bald wieder davon, das kann ich versprechen…

© 2012 by Uwe Lammers

So, genug der Abenteuer? Meinetwegen. Dann greife ich in der kommenden Woche einfach mal zu völliger Abwechslungskost. Schon mal was von „Profilern“ gehört? Aber ganz bestimmt. Menschen, die sich in die Seelen von Kriminellen, meist Serienmördern versetzen und so deren Taten rekonstruieren und versuchen, künftige Morde zu vereiteln. Darum geht es in sieben Tagen.

Das Buch solltet ihr euch wirklich nicht entgehen lassen!

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Vgl. Clive Cussler & Grant Blackwood: „Das Gold von Sparta“, 2011. Rezensiert im Rezensions-Blog 8 vom 20. Mai 2015.

2 Ich fühlte mich hier gruselnd an den Cussler-Roman „Hebt die TITANIC!“ (1977) erinnert, den ich mehrfach gelesen habe. Nicht nur wegen meiner TITANIC-Leidenschaft einer der besten Cussler-Romane überhaupt. Vgl. hierzu auch den Rezensions-Blog 87 vom 23. November 2016.

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