Rezensions-Blog 124: Der Janson-Befehl

Posted August 9th, 2017 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

heute geht es mal wieder hinüber ins Feld der Thrillerliteratur und zu einem Großmeister der Spannung, der leider auch schon seit längerem von uns ge­gangen ist… was die Verlage und seine Epigonen nicht daran hindert, Jahr für Jahr unter Robert Ludlums Autorennamen munter weitere Geschichten zu pu­blizieren. Wir können also annehmen, dass das dermaleinst sicherlich auch mit Clive Cussler geschehen wird, dessen Werke sich ja mittels Coautoren inzwischen stark von seinen ursprünglichen Wurzeln emanzipiert haben.

Zugleich liegt mit dem Roman, den ich euch heute ans Herz legen möchte, eines von zahlreichen Büchern vor, das zeigt, dass Thrillerautoren durchaus nicht nur rasantes Lesefutter generieren, sondern vielleicht stärker als manch anderer Schriftsteller (etwa auf dem erotischen Feld oder dem der Fantasy-Literatur) den Finger am Puls der Zeit haben. Da wimmelt es dann von Terroristen, Isla­misten und inkompetenten demokratischen Staatslenkern. Mitunter wird nur wenig kaschiert durch leichte Umbenennung von regionalen Bezügen, was in Wirklichkeit gemeint ist. Das hier ist solch ein Beispiel.

Schaut euch einfach mal den folgenden Roman etwas näher an, das lohnt sich, selbst zehn Jahre nach meiner Lektüre und Rezension:

Der Janson-Befehl

(OT: The Jansons Directive)

von Robert Ludlum

Heyne 43105

752 Seiten, TB, 8.95 €

Aus dem Amerikanischen von Heinz Zwack

ISBN 3-453-43105-7

Frieden tut Not auf dieser Welt, die so sehr von Konflikten zerrissen ist. Doch wohin man sich auch wendet, es ist nichts in Sicht, dem man vertrauen kann. Die UNO? Ein zahnloser Tiger, beschnitten von mächtigen Weltstaaten und Or­ganisationen, die sie am ausgestreckten (monetären) Arm verhungern lassen. Die USA? Eine Supermacht, die oft mit brachialer Gewalt ihre Interessen durch­setzt und in der Vergangenheit oftmals genug Verbrechen selbst gegen demo­kratische Staatsführungen beging (denken wir nur an Chile). Die Nichtregie­rungsorganisationen (NGOs)? Schöne Ansätze, aber finanzschwach und selten durchsetzungsfähig.

In diesem Buch, das in gewisser Weise in einer Parallelwelt angesiedelt ist, ist das anders. Hier gibt es solch eine Hoffnung. Ihr Name ist Peter Novak.

Peter Novak ist ein Kind des Zweiten Weltkriegs. Aufgewachsen während des ausgehenden Krieges in der Tschechoslowakei, hat es der charismatische, visio­näre Pazifist zu Milliardenreichtum gebracht und die „Liberty Foundation“ ge­gründet, deren Ziel es ist, Konflikte zu entschärfen und diplomatische Lösungen für verfahrene Krisenherde zu finden. Im Gegensatz zu allen anderen, mehrheit­lich korrumpierten Friedensstiftern, ist er außerordentlich erfolgreich und hat kürzlich den Friedensnobelpreis erhalten.

Sein neuestes Projekt ist ein Friedensstiftungsversuch auf einer Inselgruppe im Indischen Ozean, auf dessen Hauptinsel Anura sich muslimische Rebellen der Zentralregierung gegenüberstehen und mehr und mehr an Boden gewinnen. Anführer dieser Rebellen ist der sinistre, glaubensstarke „Kalif“. Und er ist es, der den Alptraum in Gang setzt.

Peter Novak wird vom „Kalifen“ gefangen genommen und soll öffentlich geköpft werden. Etwas, das Novaks Stellvertreterin Marta Lang von der „Liberty Foun­dation“ auf gar keinen Fall zulassen kann. Da die amerikanische Regierung – der naheliegende Aspirant für Hilfe – offensichtlich keine Hilfe leisten mag, wendet sie sich an einen Mann namens Paul Janson und fleht ihn an, alles zu tun, um Novak freizubekommen.

Janson, ein Vietnam-Veteran und einstmaliger Kampfsoldat des amerikanischen Geheimdienstes „Consular Operations“ (Cons Op), hat sich aus dem „Geschäft“ zurückgezogen und inzwischen in der Wirtschaft tätig. Doch Novak hat ihn durch seine Diplomatie vor mehreren Jahren aus Geiselhaft freibekommen, seither ist er Novak zu Dank verpflichtet. Also nimmt Janson den Auftrag an.

Er trommelt ein Team hochqualifizierter Spezialisten zusammen und fliegt nach Anura, um den Milliardär zu befreien. Dies gelingt sogar, aber Novak scheint regelrecht Angst vor Janson zu haben. „ER schickt Sie!“, sagt er und gibt wirre Worte von sich. Offenbar ist er in der Geiselhaft psychisch gebrochen worden, denn er behauptet schließlich auch, der „ER“ sei „Peter Novak“. Er scheint also klar geistig verwirrt zu sein. So sieht es aus.

Doch die Dinge liegen ganz anders: als Janson von der Insel abreist, muss er schnell feststellen, dass die Medien über Novaks Geiselnahme nicht berichten. Und dann entdeckt er auf sehr dramatische Weise, dass Scharfschützen dabei sind, IHN SELBST zu attackieren, um ihn „auszuschalten“.

Schnell übernehmen seine alten Reflexe die Kontrolle über ihn, und er muss zwangsweise wieder zu dem werden, was er einstmals war, einfach, um am Le­ben zu bleiben. Denn lange Zeit ist völlig rätselhaft, wer hinter den Anschlägen auf sein Leben steckt. Und warum kann er Marta Lang nicht mehr erreichen? Steckt wirklich sein alter Arbeitgeber Cons Op hinter den Attacken? Und was verbirgt sich hinter dem „Moebius-Programm“?

Ein atemberaubender Wettlauf mit der Zeit beginnt, an dessen Ende die ganze Welt in Geiselhaft genommen wird. Und der einzige Mann, der noch zwischen der Apokalypse und der Rettung steht, heißt Paul Janson…

Es bleibt dabei: Ludlum ist der perfekte Thrillerautor. Basta.“ – So sagt es der Klappentext, und das ist nicht völlig verkehrt. Man kommt aus diesem Buch in der Tat nicht wieder raus. Ich habe es binnen von fünf oder sechs Tagen gele­sen, und dabei hielt ich mich schon zurück. Wenn man Ludlum nicht kennt, ist dies eine ausgezeichnete Einstiegslektüre, um nicht zu sagen: Einstiegsdroge.

Der Titel ist natürlich etwas irreführend (und im Buch konsequent falsch ohne Bindestrich geschrieben, wie das inzwischen gern bei Ludlum-Romanen gemacht wird), und wer andere Ludlum-Romane kennt (etwa die Borowski-Ro­mane, die in der Neuauflage, im Gefolge der dazu gänzlich unpassenden Filme, „Bourne“-Romane korrekt betitelt wurden1), dem werden viele Strukturen die­ses Buches bekannt vorkommen: der Einzelkämpfertyp, der gegen ein Intrigen­geflecht seiner vorgesetzten Behörden ankämpfen muss; die paranoiden Zwei­fel an allem… und es kultiviert dann leider auch diesen kultivierten Argwohn, der bei einem versierten Leser rasch zutage tritt und alles, was als „unabänder­liche Fakten“ hingestellt wird, in Zweifel zieht.

Dieser Argwohn ist es dann letztlich, der ein wenig die Lesefreude trübt. Schon nach wenigen hundert Seiten ist der Gegner klar zu erkennen, auch wenn gewisse Mosaiksteine und Brücken noch unscharf sind. Und der Schluss ist ebenfalls relativ bald sichtbar. An vielen Stellen gerät Ludlum darüber hinaus – zwar stets fundiert, aber doch gelegentlich etwas zu stark – ins „Schwafeln“. Wohlverstanden: damit will ich nicht ausdrücken, das Buch sei langweilig oder durchsichtig. Beides ist nicht der Fall. Es ist nur nicht mehr so direkt, nicht mehr so drastisch direkt.2

Dafür hat dieses Werk seinen ganz eigenen Reiz. Er liegt in den leicht zu vollzie­henden Transferleistungen. Man erkennt in „Anura“ mit dem Berg „Adam’s Hill“ leicht Sri Lanka und den „Adam’s Peak“ wieder, in den Rebellen die Tamil Eelam Tiger, und es ist auch durchaus nicht abwegig, im „Kalifen“ niemand Geringeren als Osama bin Laden zu sehen. Auch auf der Gegenseite ist das der Fall. Wenn es, an die Adresse des Präsidenten der Vereinigten Staaten gerichtet, im Buch sinngemäß heißt: „Ihr Vater war da einsichtiger“, dann wissen wir gut, welcher (etwas unterbelichtete) Präsident hier gemeint ist. Und Ludlum macht keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen diese Person. Ähnlich schlecht zu sprechen ist er auf die präsidentielle Sicherheitsberaterin (Condoleeza Rice), die hier natür­lich anders heißt. Was mit ihr passiert, muss man selbst lesen.

Entstanden ist mit diesem Buch also ein beeindruckendes Werk, das auch öf­fentliche Manipulationen in großem Stil anprangert, und dies meiner Meinung nach sehr zu Recht. Es ist somit nicht nur ein beeindruckendes schriftstelleri­sches Spätwerk eines der begabtesten Thrillerautoren der Gegenwart, sondern auch ein hochpolitisches Werk, das die Lektüre durchaus lohnt.

Empfehlenswert.

© 2007 by Uwe Lammers

Und weil mein Blog sich ja davon speist, dass es immer gern ein Kontrastpro­gramm vorstellt, lenke ich euch in der kommenden Woche an dieser Stelle im „kleinen Jubiläumsblog“ 125 wieder ins Feld der Phantastik zurück. Diesmal gibt es ein besonderes Schmankerl zu loben, nämlich einen Film, der buchstäblich über die Grenzen von Raum und Zeit hinausweist, auf eine äußerst charmante Weise.

Das solltet ihr euch nicht entgehen lassen.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Es war mir nie klar, warum der Heyne-Verlag den Namen „Bourne“ in „Borowski“ umän­derte, und das noch zu Ludlums Lebzeiten. Eine ziemliche Unverschämtheit.

2 Ein dramatisches Gegenbeispiel ist „Der Matarese-Bund“.

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