Liebe Freunde des OSM,
ihr wisst inzwischen aus meinen Blogartikeln und den veröffentlichten Artikeln und E-Books, dass der Oki Stanwer Mythos (OSM) und die Welt des tropischen Archipels mich in der Regel vollkommen auslasten und keinen Raum mehr für anderes lassen. Dummerweise ist ebenfalls bekannt, dass diese Arbeiten und Veröffentlichungen noch lange nicht tragfähig sind, was ein stetes Auskommen sichert. Mithin bin ich wie die meisten von euch auf die Ausübung eines Brotberufes angewiesen, und dank meiner Ausbildung als Historiker und freundlicher Förderung von dritter Seite auch dazu in der Lage.
Es gibt also einen zeitlichen Widerspruch zwischen der Sphäre des reinen Schreibens und derjenigen des beruflichen Lebens. Unter normalen Umständen kann man eigentlich nur eins von beidem machen, denn ich heiße bekanntlich nicht James Bond, der es sich schon mal gestatten kann, „nur zweimal zu leben“.
Der oben angedeutete Spagat stellt also eine Art von Grundwiderspruch meines Daseins dar, und die Konsequenz besteht oftmals darin, dass die Berufsseite meine kreative völlig an die Wand drückt. Ihr merkt das in den vergangenen Monaten deutlich durch die Turbulenzen, in die mein E-Book-Veröffentlichungsprogramm geraten ist. Ich komme einfach nicht dazu, die Zeiten gescheit zu takten, in denen ich schreiben kann.
Das Verrückte daran ist, dass das Folgeerscheinungen nach sich zieht, die auf den ersten Blick vollständig paradox wirken – denn anstatt mich nun auf eines von beidem zu konzentrieren, was vielleicht nahe liegend wäre, folgt meinerseits etwas, was man ethologisch eine „Übersprungshandlung“ nennen könnte. Sie ist allerdings etwas anders gelagert, das erläutere ich gleich.
Statt mich also nun auf den Pol der eigenen Kreativität zu konzentrieren, was mich in Konflikt mit dem Brotberuf brächte, und statt mich auf den Brotberuf zu konzentrieren, was mich kreativ völlig abtöten und aus der inneren Balance bringen würde, fokussiere ich jenseits der Arbeitszeit auf einen dritten Bereich.
Ich klinke mich in andere Welten aus.
Und das heißt jetzt nicht, dass es meine eigenen wären, durchaus nicht. Es sind die Welten anderer Autoren, in deren Romanen ich zunehmend gegenwärtig versinke. In der Regel hält das nur drei bis sieben Tage an, ehe ich diese Welt (vulgo: den Roman) wieder verlasse, aber es sind köstliche Auszeiten, die ich wie mentale Kurzurlaube genieße.
Da befinde ich mich auf einmal beispielsweise in Florida und begleite eine junge, unglückliche Frau dabei, wie sie sich stürmisch verliebt. Dann wieder mache ich mit einer anderen Protagonistin eine abenteuerliche Zeitreise ins Paris des Jahres 1889 und komme einem magischen Fluch auf die Spur. Dann wieder bin ich im New York der Gegenwart und tauche ein in das komplizierte Geflecht zwischen einer devoten Frau und einem zugereisten „Master“, der selbst sein Herz für diese Frau entdeckt, obgleich er das überhaupt nicht will…
Wer jetzt einwendet, es sei doch reichlich paradox, wenn ich sowieso kaum Zeit hätte, diejenigen Zeitfenster, die mir verblieben seien, dann auch noch mit Lektüre zu füllen, der hat mich nicht wirklich verstanden. Das kann ich niemandem zum Vorwurf machen, und deshalb hier eine kleine Erläuterung, wie man diesen Aspekt meiner Persönlichkeit besser einordnen kann.
Vor längerer Zeit sagte ich euch einmal, dass ich meinen Geist als eine Form von kreativem Akku verstehe. Dass es Zeiten gibt, in denen dieser Akku durch beispielsweise Lektüre „aufgeladen“ werden müsse, und dass die dort vorgefundenen Leseerfahrungen sich in meinem Verstand nach und nach sedimentieren, amalgamieren meinetwegen auch, und schließlich in stark veränderter Form wieder an die Oberfläche driften und sich in neuen Handlungslinien und Storylines für neue Werke zeigen.
Lektüre ist nie immer nur „Ablenkung“. Lektüre stellt stets „Bevorratung“ für die Zukunft dar. Für kommende Geschichten. Wenn man so will, handelt es sich um eine Form der kreativen Arbeit auf einem ganz eigenständigen Niveau. Ein wenig lässt sich das vielleicht vergleichen mit der Arbeit, die ich immer in Archiven gemacht habe: Das Erstellen von Findbüchern dort vorhandener Aktenbestände ist unglaublich zeitraubend. Auf den ersten Blick sitzt man nur in seinem Büro, sieht alte Akten durch, klassifiziert und systematisiert sie und bringt sie dann in einem elektronischen Findbuch zusammen. Den wenigen Seiten sieht man nachher nicht an, dass sie Monate an Arbeitszeit und gegebenenfalls Tausende von Euro verschlungen haben – was immer auch ein Grund ist, warum Archive in Finanznot sind und unter Rechtfertigungsdruck stehen. Anders als die meisten Firmen haben sie in diesem Punkt eben nicht wirklich hergestellte Güter vorzuweisen, die die aufgewendeten Finanzen rechtfertigen. In Wahrheit, und jeder Historiker und Archivar weiß das bestens, verhält es sich natürlich anders. Die Nutzer sind unendlich dankbar für Findbücher, sie wissen sie zu schätzen. Jeder, der schon einmal mit einem unerschlossenen Archivbestand zu tun hatte und Monate seiner Lebenszeit darin investieren musste, um ihn überhaupt durchzuschauen und das Relevante herauszusieben, das für seine Arbeit wichtig war, wird sich hüten, die Arbeit der Archivare bei Erschaffung von Findbüchern gering zu schätzen.
Nun, ebenso verhält es sich also mit meinem aktuellen Lesehunger. Das ist nicht nur „Zeit totschlagen“ oder „Zeitvergeudung“, wie man anfangs vielleicht denken könnte. Es ist Vorbereitung auf die Zukunft einerseits, für die Gegenwart ist es Balsam für die Seele.
Diese Streifzüge in anderen Welten, die ich gerade durchführe – etwa im London des Jahres 1818, wo ich eine ausgewachsene Orgie besuchte, die in dem betreffenden Roman mehrere hundert Seiten (!) ausmachte, Mordfall inklusive – , die bringen mich den Protagonisten nahe. Sie zeigen mir auch semantisch die interessantesten Wendungen, bringen mich emotional auf faszinierende Ideen.
Das Beeindruckendste, was mir kürzlich widerfuhr, war die Entdeckung, dass in manchen meiner Archipel-Romane tatsächlich Strukturen existieren, die ich in der Lektüre von heute wiederfinde. Die Archipel-Romane fokussieren ja sehr stark auf persönliche, hochemotionale Konflikte, zumeist erotischer Art (was mit ein Grund ist, warum sie bislang nicht veröffentlicht wurden, ich zögere da sehr stark). Und es ist beeindruckend, in Romanen von heute Szenarien vorzufinden, die dem sehr ähneln, was mich seit fast 20 Kreativjahren umtreibt. Es gibt zwar Menschen, die der Auffassung sind, ich hätte die Einfühlsamkeit eines Holzklotzes, der herabfällt, aber man gestatte mir, dass ich diese Einschätzung nicht teile. Sie kommt vermutlich deshalb wesentlich zustande, weil nur Teile meiner Persönlichkeit nach außen sichtbar sind und jene, die mich eben auch ausmachen, unter Verschluss gehalten werden.
Weshalb ist das so?
Nun, ich würde schätzen, das hat etwas mit meiner empfindsamen Seele zu tun. Ohne irgendwem zu nahe treten zu wollen… im Herzen bin ich ein sentimentaler Romantiker, vielleicht nicht gar so sehr wie ein gewisser Peter F. Hamilton, aber doch, es geht durchaus in diese Richtung. Und Teile seiner Persönlichkeit unter Schutz zu stellen, wenn man spürt, dass diese von der Außenwelt nicht geachtet werden würden, sollte man sie offenlegen, sondern dass dies nur zu tiefen emotionalen Verletzungen durch die Außenwelt führen würde, das scheint mir eine sehr folgerichtige und kluge Handlungsweise zu sein.
Doch um zum eigentlichen Thema zurückzukommen: Das Abtauchen in kreative fremde Welten ist nicht eigentlich Eskapismus in meinem Fall, sondern vielmehr ein Ausweiten des inneren Denkhorizonts. Etwas, was mich bereichert. Das drückt sich nicht zuletzt darin aus, dass ich die meisten Romane, die ich aktuell verschlinge (lach, man kann es wirklich kaum anders nennen), dann auch rezensiere und viele von ihnen alsbald (2018, schätze ich, vielleicht auch erst 2019) in meinem Rezensions-Blog auftauchen werden. Die Leseerfahrungen werden also schon in praktizierte Kreativität transformiert. Und wie gesagt: sie sind Erinnerungsschichten, die beizeiten in meinem Verstand in neue Geschichten einsickern werden.
Schon jetzt ist mir beispielsweise sehr klar, dass ich diese Erfahrungen in wenigstens vier Archipel-Romane, die schon in Arbeit sind, einfließen lassen werde. Es handelt sich dabei um die Werke „Abenteuer im Archipel“, „Rhondas Aufstieg“, „Die neue Strafe“ und „Verlorene Herzen“. Aber das ist zweifellos nur die Spitze des Eisbergs, wenn ich Zeit finde, darüber gründlicher nachzusinnen, werde ich noch deutlich mehr Anwendungsmöglichkeiten für diese Leseerfahrungen finden.
Drum grämt euch nicht, meine Freunde, die ihr auf meine nächsten E-Books wartet: es kommt alsbald eine Zeit, in der ich wieder mehr Kraft und Gelegenheit finden werde, stärker zu schreiben als zu lesen. Das ist stets eine Art Wippe kreativer Art. So, wie ich im Geiste eine ausgewogene Balance zwischen der beruflichen Arbeit einerseits und meinem kreativen Ausgleich anderseits brauche, verhält es sich mit den Polen des Schreibens und des Lesens.
Es ist darum ausgesprochen töricht und zeugt davon, dass man mich nicht kennt, wenn jemand – wie kürzlich geschehen – von mir verlangt, für Monate doch völlig aufs kreative Schreiben zu verzichten. Das ist unmöglich, und das wird nicht passieren. Genauso gut könnte man von mir auch verlangen, für ein paar Monate aufs Atmen zu verzichten… ich brauche nicht zu betonen, was die Konsequenz wäre.
Nein, ich bin aktuell mit der bestehenden Situation nicht wirklich glücklich, aber da es sich um eine temporäre Lage handelt, die sich in naher Zukunft wieder verändern wird, kann ich mich damit durchaus arrangieren. Und, wie ich oben sagte, solange streife ich durch die Welten anderer Autoren und lasse mich fortwährend inspirieren. Momentan halte ich mich auch in New York auf und verfolge den aufregenden Clinch einer jungen Erotik-Autorin und ihres Lektors… und ich bin sehr gespannt, wie das Finale dieser Geschichte ausschaut, obgleich ich hier schon gewisse Ahnungen entwickelt habe. Mal schauen, ob mich die Intuition trügt oder auf den richtigen Pfad gelenkt hat.
Nächste Woche lesen wir uns an dieser Stelle wieder. Worum es dann geht? Das sei noch nicht verraten. Bleibt neugierig, Freunde – und geduldig dazu. Ich danke euch.
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.