Rezensions-Blog 111: Inka-Gold

Posted Mai 9th, 2017 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

heute gehen wir mal auf Schatzsuche – ganz so, wie es der Titel des Buches schon aussagt, über das ich gleich sprechen möchte. Und da Schatzsucherge­schichten schon seit meiner Kindheit in meinen Gedanken und Phantasien ver­ankert sind und ich nicht selten schon selbst welche verfasst habe, meist im Ge­wande der Science Fiction,wie ihr euch denken könnt (man braucht da nur mei­ne E-Books anzuschauen, wo es ja gelegentlich um untergegangene Kulturen und Alien-Ruinen geht), war es irgendwie folgerichtig, dass ich früher oder spä­ter genau hier landen würde. Wenn dann fernerhin noch ein Autor wie Clive Cussler sich mit einer wirklich legendären Schatzgeschichte, eben dem bis heu­te verschollenen Inka-Gold befasst, dann gibt es kein Halten mehr.

Da kann man dann auch schon geflissentlich über zahlreiche Biegungen und Wendungen der Story hinwegsehen, die mit der Realität und den geografischen Fakten wenig zu tun haben.

Vor euch liegt nun jedenfalls der begeisterte Bericht eines wirklich faszinierten Lesers, und es ist wohl müßig, zu sagen, dass diese Rezension in eine klare Lese­empfehlung mündet. Warum dies? Nun, um das zu verstehen, folgt meinen nächsten Zeilen:

Inka-Gold

(OT: Inca Gold)

Von Clive Cussler

Goldmann 43742

Ursprünglich Blanvalet 1995

Taschenbuch-Ausgabe August 1997

608 Seiten, TB

ISBN 3-442-43742-3

Aus dem Amerikanischen von Oswald Olms

Versunkene Schätze, namentlich solche, die aus Gold bestehen und von Legen­den umwittert sind, haben mich schon von frühester Kindheit an fasziniert, und diese Faszination teile ich unbezweifelbar auch mit dem Abenteuerromanautor Clive Cussler. Und da ich zudem eine starke historische Ader besaß, schon lange vor meinem Studium der Geschichte und Philosophie, da konnte ich an diesem Buch natürlich nicht vorbeigehen, als ich erstmals im März 1996 meinen Fuß in die Stadtbücherei Braunschweig setzte.1

Schon das Titelbild des Hardcovers nahm mich gefangen, auch wenn ich den Zu­sammenhang zwischen Titelbild und Inhalt wirklich nicht begriff. Angelehnt an eine wunderschöne Zeichnung des Forschers Frederick Catherwood aus Palen­que sah man hier eine mayanische Herrscherstele im dämmrigen Urwald vor dem Hintergrund einer überwucherten Pyramide, im Vordergrund ein Opferal­tar mit Dämonenantlitz und Blutpfütze darauf. Zusammenhang mit den Inka? Keiner. Aber dieses Cover hatte natürlich auch nicht der Autor verbrochen, son­dern der Verlag.

Egal.

Es war Clive Cussler, es ging um Inka-Gold, um Schatzsuche, Abenteuer… und es wurde im Nu verschlungen.

Bis ich das Buch in der Taschenbuchausgabe mit dem passenden Cover ent­deckte, sollten elf Jahre vergehen. Und dann noch einmal acht, ehe ich mich zu einer Zweitlektüre entschloss und die gut 600 Seiten – wiewohl ich solide durch alle möglichen anderen Angelegenheiten abgelenkt war – binnen von sechs Ta­gen erneut verschlang. Das ist schon ein Indiz für die Qualität.

Erinnerung an die Erstlektüre? Nahezu null. Ich hatte damals eben keine Rezen­sion geschrieben, die meine Erinnerung hätte präzisieren und schärfen können. Nun aber, dachte ich mir. Der Roman ist es wert, rezensiert zu werden, und wie – mit Abstand eines der packendsten Bücher, das Cussler je geschrieben hat. Man merkt es auch am puren Umfang schon.

Gewidmet hat Cussler das Buch unter anderem dem genialen Fotopionier Dr. Harold Edgerton und dem Unterwasserarchäologen Peter Throckmorton, mit deren Namen ich vieles verbinden kann. Die anderen beiden Widmungsnamen, Bob Hesse und Erick Schonstedt, sagen mir aktuell nichts, und ich denke, die Re­zension wird zu lang, als dass es sinnvoll wäre, sie auch noch nachzuschlagen. Steigen wir lieber gleich in das Werk ein:

Im Jahre 1533 segelt eine rätselhafte Flotte gen Norden an einer weitgehend menschenleeren Küste entlang. Die wenigen Einheimischen haben solche Schif­fe noch nie gesehen, gewaltige Flöße, die Befehlshaber der Fahrzeuge tragen prachtvolle Gewänder und viel Gold, und sie steuern auf einen steilen Berg in einem Binnenmeer hin, wo sie anlegen. Dort werden die Fahrzeuge entladen und die Waren in das Innere des Berges transportiert. Aus einem Felsblock auf der Spitze des Berges wird eine Furcht erregende Figur gemeißelt, eine Kreatur, halb geflügelter Jaguar, halb Schlange.

Bald darauf sind die rätselhaften Fremden wieder verschwunden.

45 Jahre später gelingt es dem Freibeuter Francis Drake nahe der Küste von Peru, ein spanisches Schatzschiff aufzubringen, das nach Panama unterwegs ist, die Nuestra Señora de la Concepción. An Bord des Schiffes: erstaunliche, kostba­re Schätze aus dem ursprünglichen Besitz der Inka, darunter zahlreiche Mumien und ein kleines Jadekästchen, in dem ein eigenartiges Gebilde aus zahlreichen Schnüren liegt – ein so genanntes Quipu, eine jener legendäre Knotenschnüre. Drake will es mit dem eroberten spanischen Schiff unter dem neuen Komman­do von Thomas Cuttill nach England senden, um es der Königin Elizabeth zum Geschenk zu machen. Doch während Drake in die Heimat gelangt, geht die Nuestra Señora de la Concepción in einer Naturkatastrophe westlich von Peru verloren. Der später so genannte „Drake-Quipu“ kommt nie in der Heimat der Engländer an.

Für 420 Jahre ist dies das letzte, was man von dem verschollenen Schiff und dem Quipu hört. Dann kommt Bewegung in die Angelegenheit, ohne dass das im ersten Moment so aussieht.

Am 10. Oktober 1998 ist in den peruanischen Anden eine archäologische Expe­dition unter der Leitung von Dr. Shannon Kelsey dabei, in einem Cenote, einem einstigen Opferbrunnen der indigenen Ureinwohner, nach historischen Artefak­ten zu suchen. Doch sie haben gleich in mehrfacher Hinsicht Pech – zum einen geraten Kelsey und ihr Fotograf Miles Rodgers, als sie einen Tauchgang in dem Cenote durchführen, in eine lebensbedrohliche Lage. Zum zweiten ruft darauf­hin Dr. Steve Miller, der seltsam nervös über diesen Zwischenfall scheint, über Funk um Hilfe, was aussichtslos scheint. Und drittens, das klingt dann völlig ku­rios, trifft diese Hilfe auch noch ein – denn das NUMA-Forschungsschiff Deep Fathom liegt gerade vor der Küste und führt ein Forschungsunternehmen durch. Von dort eilen Dirk Pitt und sein Kollege Al Giordino den Unglücklichen zu Hilfe.

So ein Pech aber auch!

Während Pitt tatsächlich die beiden Vermissten finden und retten kann, wird ihm, ehe er selbst aufsteigen kann, das Seil gekappt. Oben hat eine Bande von verwegenen Gestalten, offensichtlich Rebellen des „Leuchtenden Pfades“ das Lager überfallen und verschleppt die Wissenschaftler, die peruanischen Studen­ten, die helfen, und Pitts Freund Giordino in einem stundenlangen Marsch in eine versteckte Ruinenstadt der Chachapoya-Kultur2, was Dr. Kelsey völlig faszi­niert.

In der Ruinenstadt zeigt sich jedoch, dass die vermeintlichen Rebellen in Wahr­heit Schmuggler sind, die in großem Stil archäologische Schätze plündern und außer Landes schaffen. Sie arbeiten für eine geheime Gruppierung, die unter dem Namen „Solpemachaco“ bekannt ist, benannt nach einem mythischen Un­geheuer.

Es ist das große Glück, dass es Pitt gelingt, aus dem Cenote freizukommen und die Verfolgung aufzunehmen. Und ein noch größeres Glück, dass selbst das zu Hilfe gerufene korrupte Söldnerkommando der Solpemachaco sich außerstande sieht, ihr Entkommen auf das NUMA-Forschungsschiff zu verhindern.

Damit könnte die Angelegenheit eigentlich abgeschlossen sein… aber so leicht ist die Angelegenheit leider nicht. Denn inzwischen hat Dr. Shannon Kelsey Dirk Pitt etwas von dem Schatz des Inka-Herrschers Huascar berichtet, der seit Jahr­hunderten verschollen ist und dem Vernehmen nach einst in den letzten Tagen des Inka-Reiches außer Landes gebracht wurde. Sein Versteck ist in dem so ge­nannten „Drake-Quipu“ verschlüsselt… und außerdem gibt es noch an einem goldenen Mumiengewand angeblich eine Darstellung der letzten Fahrt des Schatzes zu seinem Bestimmungsort.

Dieses Gewand zierte den Leichnam des Chachapoya-Generals Naymlap, der im Jahre 1547 von den Spaniern in einem Ort namens Tiapollo entdeckt wurde. Die Lage des Ortes ist inzwischen unbekannt. Und leider wurde das Gewand 1922 aus einem Museum von einem geheimnisvollen Meisterdieb geraubt, den man den „Specter“ nannte und dessen Identität nie bekannt geworden ist. Seither ist das Gewand spurlos verschollen.

Dirk Pitt ist der Auffassung, dass die Solpemachaco zweifellos auch nach dem Inka-Gold suchen, dem mit Abstand größten Schatz, den die Welt jemals gese­hen hat und dessen Wert in die Hunderte von Millionen Dollar gehen muss. Und da er mit den Verbrechern dieser Bande sowieso noch eine Rechnung of­fen hat, besonders mit dem psychopathischen Tupac Amaru (der sich nach dem letzten Inkaherrscher nennt und ein mordender und vergewaltigender Sadist reinsten Wassers ist), beschließt Pitt, die Ressourcen der NUMA zur Schatzsu­che einzusetzen.

Es ist klar, dass das nicht lange gut gehen kann. Sein Vorgesetzter, Admiral Ja­mes Sandecker, bekommt Wind von der Angelegenheit… und ist so großzügig, für eine Weile beide Augen zuzudrücken.

Auf einer zweiten Handlungsschiene wird in den Vereinigten Staaten derweil eine Fährte von der US-amerikanischen Zollbehörde verfolgt, die einen ausge­dehnten Antikenschmuggel untersucht. Durch einen schieren Zufall treffen die Verantwortlichen dabei auf einen Sammler, der tatsächlich das verschollene goldene Gewand von Tiapollo bei sich beherbergt. Aber ehe die Beamten zu­greifen können, wird es gestohlen.

Damit ist endgültig klar, dass die Solpemachaco die Jagd nach dem Inka-Gold aufgenommen haben. Was also bleibt Dirk Pitt noch übrig? Er muss das Drake-Quipu finden und das spanische Schatzschiff, das spurlos verschwunden ist.

Tatsächlich gelingt das Unmögliche – aber alle Personen, die das Quipu noch hätten lesen und entschlüsseln können, sind seit 400 Jahren tot. Und die Solpe­machaco, die heimtückischen Geschwister der Zolar-Familie, sind bereits einen Schritt weiter und haben die potentielle Fundstelle schon eingekreist, irgendwo am so genannten „Meer des Cortez“.

Schnell liefern sich die NUMA-Leute um Dirk Pitt und die Zolars ein Wettrennen Kopf an Kopf, und bald fliegen die Kugeln und die Messer und Bomben…

Da ich seit der Erstlektüre im Jahre 1996 den Großteil der Handlung vergessen hatte, kam die Neulektüre einer Erstlektüre gleich, und es war wirklich ein phantastisches Vergnügen. Gewiss, an vielen, vielen Stellen wurde die Logik der Tatsachen der Handlung recht gewaltsam angepasst, und das ist dann doch eini­germaßen obskur. Aber es ist nicht zu leugnen, dass das Resultat ein wirklich außerordentlich spannender Roman ist.

Besonders Augenmerk legt Clive Cussler in diesem Roman auf den Raubhandel mit Antiken aus Mittel- und Südamerika, und es ist offenkundig, wo er die maß­geblichen Verursacher sieht – das sind weniger die indigenen Raubgräber, die sich dadurch eine ursächliche neue Einnahmequelle erschließen, indem sie ihre eigene Vergangenheit ausplündern, sondern vielmehr ist die Ursache in der un­ersättlichen Nachfrage begieriger, finanziell potenter Sammler zu sehen, die mehrheitlich in den Vereinigten Staaten angesiedelt sind und die wirklich keine Scheu besitzen, Raubgut anzukaufen und in privaten Sammlungskammern weg­zuschließen.

Ebenfalls kommt sehr deutlich zum Vorschein, wie rechtlich kompliziert es ist, diesen Leuten das Handwerk zu legen, selbst wenn man ziemlich gewiss ist, dass sie solche infamen Tätigkeiten ausüben. Die Männer von der Zollbehörde taten mir bei der Lektüre ein ums andere Mal sehr leid.

Außerdem wimmelt es in dem Buch von zumeist leichtgläubigen, aber oftmals korrupten Angestellten, Beamten, Forschern und Militärs, die sich von den Ver­brechern willenlos in ihre Dienste stellen, sofern sie sich einen finanziellen Vor­teil davon versprechen… leider eine Mentalität, die man nicht nur in Südameri­ka und Mexiko antrifft.

Was die eindeutigen Baufehler des Buches angeht, so sind die meisten davon ohne historische und geografische Sachkenntnis kaum zu erkennen. Ich nenne mal ein paar davon, betone aber ausdrücklich, dass das der Lektüre des rasan­ten Leseabenteuers im Grunde keinen Abbruch tut:

Die Cenote sind originär Opferbrunnen der Maya – natürliche Einbrüche im Kalksteinkarst von Yucatan. Die Inka oder andere indigene Kulturen in Südame­rika nahe der peruanischen Küste kennen derartige Brunnen nicht, auch des­halb nicht, weil dieser Kalkkarst dort nicht existiert. Zweitens liegen die Cenote stets dicht über dem Meeresgrund – in der Handlung des vorliegenden Romans steigen die Protagonisten sodann aber binnen weniger Stunden auf fast 4000 Meter Höhe auf, und dies nahezu ständig durch dichten Urwald… wenig plausi­bel. In dieser Höhe existiert im Grunde genommen kein Urwald mehr. Und die Totenstadt der Chachapoyas, die dort beschrieben wird, wäre aus dem Grund der fehlenden Vegetation fraglos längst früher entdeckt worden.

Die Entzifferung des Drake-Quipu ist eine Art von Wunschdenken. Selbst heute ist es meines Wissens noch nicht gelungen, so ein Quipu zweifelsfrei zu ent­schlüsseln. Aber das kann man natürlich im Roman so nicht belassen, weil an­dernfalls die Schatzsuche zu einem vorzeitigen, jähen Ende käme.

Dann ist da die Nuestra Señora de la Concepción, ein Schiff, das Clive Cussler ins Jahr 1578 versetzt. Es gibt ein solches spanisches Schatzschiff, das ist völlig rich­tig, allerdings schwamm es im 17. Jahrhundert in der Karibik und wurde schon vor Jahrzehnten auf dem Grund der Karibik ausfindig gemacht und erforscht…

Doch, wie gesagt, wenn man das vorliegende Buch primär unter dem Aspekt ei­nes spannenden Abenteuerromans liest und nicht mit der energischen Brille ei­nes akribischen Historikers (und glaubt mir, diese Feinsichtbrille setze ich bei der Lektüre von Cussler-Romanen gern ab), dann hat man einen packenden Romanstoff voller Legenden, viel Sachkenntnis und erstaunlich viel Humor vor sich.

Die Lektüre lohnt sich unbedingt, und ich sage nicht umsonst, dass das hier ei­ner der am besten gelungenen Romane von Clive Cussler ist. Sagt jemand, der fast alles von ihm gelesen hat.

Wenn ihr das Buch findet, Freunde – zugreifen und verschlingen! Ihr werdet es lieben!

© 2015 by Uwe Lammers

In der kommenden Woche haben wir wieder ein neckisches Kontrastprogramm. War der obige Roman dick, ist der der kommenden Woche sehr dünnleibig, wo Cussler keine Illustrationen aufweist, ist das ein essentieller Bestandteil der Lek­türe, die ich euch im nächsten Rezensions-Blog vorstellen will. Und dann geht es natürlich auch um ein weiteres Steckenpferd von mir, nämlich die alten Ägypter.

Mehr dazu in einer Woche an dieser Stelle.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Heutzutage ist das wirklich graue Vergangenheit: Das alte Gebäude der Stadtbücherei ist lange abgerissen worden, um dem Neubau der Braunschweiger Zeitung Platz zu machen, und die fusionierten Zweige der Stadtbibliothek und der Stadtbücherei Braunschweig ha­ben ihren neuen Platz im wieder aufgebauten Braunschweiger Schloss gefunden, das frei­lich nur die Fassade desselben zur Schau trägt. Dahinter verbirgt sich ein großflächiges Ein­kaufszentrum, das treffender statt mit „Schloss“ mit „ECE-Center Braunschweig“ ange­sprochen werden sollte.

2 Die geografische Zuordnung und zeitliche Einordnung der Chachapoya-Kultur im Buch ist übrigens präzise. Über die Chachapoya, die später ins inkaische Imperium eingegliedert wurden, ist selbst heute vergleichsweise wenig bekannt. Dass sie pyramidenartige Tempel­anlagen aus gewachsenem Fels gebaut hätten, ist mir aber nicht erinnerlich, hier waltet wohl die schriftstellerische freie Phantasie und mischt munter mit den Maya.

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