Liebe Freunde des OSM,
und wieder einmal schicke ich euch mit dem folgenden Lesetipp in die ägyptische Vergangenheit (wenngleich auch nicht nur, wie schnell zu entdecken sein wird, das ist geografisch schon deutlich weiter gefasst)… ihr wisst es seit geraumer Zeit, dass das alte Ägypten ein Steckenpferd von mir ist, seit jüngster Kindheit schon. Außerdem ist der Verfasser dieses Sachbuches jemand, den ich seit ewigen Zeiten bereits lese – Philipp Vandenberg. Und seid gewiss, dass ich noch mehr seiner Werke für euch rezensieren werde.
Heute also mal wieder ein weitgehend biografisches Überblickgeschichtswerk, das gleichwohl des belletristischen Charmes absolut nicht entbehrt. Das werdet ihr rasch erkennen. Also, Schluss mit der kurzen Vorrede und Vorhang auf für folgendes interessante Buch:
Auf den Spuren unserer Vergangenheit
Die größten Abenteuer der Archäologie
von Philipp Vandenberg
Bastei 64180
296 Seiten, TB
Bergisch-Gladbach 2001,
unveränderter Nachdruck von 1977
ISBN 3-404-64180-9
Philipp Vandenberg, 1941 in Breslau geboren, ist seit Jahrzehnten renommierter Verfasser von historischen Sachbüchern, historischen Romanen und später auch Krimis mit historischem Background (beispielhaft Sixtinische Verschwörung, 1988). Besonderes Augenmerk legt er auf die Geschichte Ägyptens und auf die Lebensläufe der damals wichtigen Forscher und Entdecker – es lag also äußerst nahe, das vorliegende Buch zu verfassen. Hier breitet er knapp, doch farbenprächtig und zum Teil raffiniert miteinander verknüpft, die Lebensläufe von vierzehn bedeutenden Forschern aus, die uns in anderen seiner Werke immer wieder über den Weg laufen und unweigerlich auch in allen bedeutsamen Sachbüchern über die Geschichte der Archäologie entgegentreten.
Wir machen, ausgehend vom Jahre 1814, eine chronologische Reise durch etwa 150 Jahre antiker Geschichte, bleiben dabei aber nicht allein auf Ägypten fixiert, wie das beispielsweise in Vandenbergs Buch „Das Tal“ geschehen ist. Hier geraten auch Stätten wie das antike Olympia in den Blick, das vergessene Nabatäer-Reich und seine Kapitale Petra im späteren Jordanien. Wir besuchen Troja, das mykenische Tiryns, ein gigantisches „Labyrinth“ auf der Insel Kreta, und eine verschüttete imperiale Metropole namens Hattuscha in der heutigen Türkei, ganz zu schweigen von dem alten Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris.
Ja, ich würde sagen, wer diesen Kapiteln folgt, der kommt gut herum in der Vergangenheit, und er lernt die wesentlichen Protagonisten aus der Frühzeit der Antikenforschung recht ordentlich kennen. Beispielsweise den „Scheich aus Basel“, Johann Ludwig Burckhardt, der von amtlichen Behördenvertretern am Roten Meer mit den Worten in Empfang genommen wird: „Ich will dafür bürgen, dass Pascha Mohammed Ali dich aufhängen lassen wird.“ Was dann doch nicht geschieht (warum, sollte man lesen). Wir treffen „Mister B.“ (der uns dem Hörensagen nach schon in „Das Tal“ begegnete, hier aber sind wir ihm dramatisch nahe auf die Haut gerückt und gehen fast mit ihm in einem grässlichen ägyptischen Grablabyrinth zugrunde. Wir schauen einem fiebrigen französischen Sprachgenie über die Schulter, das aus 1419 Hieroglyphen tatsächlich die Heiligen Zeichen der alten Ägypter (in groben Zügen) rekonstruiert und sie damit lesbar macht. Dann kommen wir dem herrischen Richard Lepsius näher, der „Lordschaft aus der Bendlerstraße“ (auch er schon in „Das Tal“ beiläufig erwähnt). Hier vertieft sich sein Lebenslauf gründlich, und seine Exzentrik tritt drastisch zutage, wie ich fand.
Außerdem graben wir uns durch bis zu fünf Meter dicke Sandablagerungen im alten Olympia und verlegen Eisenbahnschienen in Kleinasien (wo die Holzbrücken hinter den Schienen abgerissen werden, um als Feuerholz zu dienen… die Gründe für solches Verhalten sollte man nachlesen, es ist… sagen wir… gewöhnungsbedürftig). Und den „Pascha von Pergamon“ hält das nicht von seinen fieberhaften Grabungsarbeiten ab – nun, und wer einmal im Berliner Pergamon-Museum gewesen ist wie ich, der kann sich davon überzeugen, dass Carl Humanns Arbeiten weiß Gott ergiebig gewesen sind.
Wir folgen der abenteuerlichen Karriere eines kleinen Fischverkäuferjungen, über Schiffbruch in der Nordsee, Schlenker über Russland und Amerika, bis er endlich als „Goldsucher“ seinen großen Traum erfüllen kann – das antike Troja zu entdecken, an dessen Existenz er ebenso felsenfest glaubt wie an die reale historische Faktizität aller homerischen Helden.
Dann wiederholt Vandenberg natürlich auch ein wenig, wenn er relativ kurz Auguste Mariettes Lebensweg nachzeichnet, den ich natürlich aus „Das Tal“ schon gründlich kannte (aber es sind nur 13 Seiten dieses Buches, die Wiederholungen halten sich also in engen Grenzen).
Auch treffen wir Abu Arra’wus, den „Vater der Schädel“, über dessen raffinierte Schläue ich hier nichts Näheres verraten möchte. Sehr gut gefallen hat mir dann auch der Beitrag über den „englischen Theseus“, Arthur Evans, der auf der Insel Kreta den Spuren einer Legende nachgeht und nicht nur eine völlig unbekannte Schrift entdeckt, sondern auch ein unglaubliches Bauwerk, das bis heute umstritten ist und von dem er annimmt, es sei der Palast des mythischen Königs Minos.1
Ebenfalls originell ist das Kapitel über den „Briefträger von Boghazköy“2, der ein antikes Korrespondenzarchiv entdeckt, das jeder Beschreibung spottet.3 Und nachdem wir mit dem Abschnitt über den „Vetter aus Camberwall“ ein gutes Stück über „Das Tal“ hinausgehen und die packende Geschichte der Entdeckung des Grabes von Tut-ench-amun durch Howard Carter verfolgen können, schließt der biografische Bilderbogen, den Vandenberg hier ausbreitet mit Leonard Woolley, dem „Totengräber von Ur“ – ein auf grausigste Weise berechtigter Titel für diesen Teil des Buches.
Abgerundet wird die Darstellung durch eine Chronik der Archäologie, indem hier die babylonische Geschichte, die ägyptische Geschichte, die hethitische und ägäische und griechische Geschichte kalendarisch angehängt werden.
Summarisch ist zu sagen, dass dieses Buch für all jene Leser ausgezeichnete historisch-biografische Erweiterung bietet, die a) Vandenbergs Buch „Das Tal“ vorab gelesen haben und die dort offen gelassenen Lücken füllen und andererseits Seitenpfade, die dort schon angedeutet werden, erweitern wollen, b) die sich für noch mehr biografische Details zu den dort erwähnten Personen oder namhaften Forschern der Antike überhaupt interessieren. Und c) taugt dieses Buch auch aufgrund der Kürze der biografischen Kapitel und des weit gestreckten regionalen Horizontes dazu, ein vielleicht noch diffuses, beginnendes historisches Interesse präziser zu fokussieren.
Alles in allem hat mir das Werk als äußerst kurzweilige historische Vertiefungslektüre mit gefälliger Satzmelodie gefallen. Es entbehrt zwar der präzisierenden historischen Fußnoten, was bedauerlich ist, und es ist auch ziemlich nervig, dass das Lektorat sich offensichtlich außerstande sah, das Trennprogramm gescheit zu beherrschen – denn Trennungen wie „Ä-gypten“ oder „Acheta-ton“ (statt „Achet-aton“), „Tagsü-ber“ oder „A-marna-Korrespondenz“ sind einfach nur ärgerliche Kleinigkeiten, die einen aufmerksamen Leser dennoch stören. Sie wären leicht zu vermeiden gewesen mit ein wenig mehr Sorgfalt.
Einerlei – der Rest des Werkes sorgt für kaum getrübte Lesefreude, und das ist doch das, was wirklich zählt. Und ich glaube, ich brauche kein Geheimnis daraus zu machen, dass ich mit der Wieder-Lektüre eines weiteren Vandenberg-Buches flugs ebenfalls begonnen habe – mit „Das Pharao-Komplott“, einem Buch, das ich 1990 kaufte und sofort verschlang & rezensierte. Meine Rezension, die 1991 erschien, ist allerdings weder digital existent noch sonderlich tief schürfend. Und nach über 25 Jahren ist es eine pure Freude, diesen Roman wieder mal zu lesen und ihn dann anschließend solide neu zu rezensieren.
Demnächst also in diesem Kino, meine Freunde – ein dritter Vandenberg.
© 2016 by Uwe Lammers
Wann genau ich das zuletzt erwähnte Buch rezensieren werde? Och, das sei hier und jetzt noch nicht verraten. In der kommenden Woche nehme ich euch stattdessen wieder mit in den Weltraum, zurück zu einer faszinierenden Welt, die einem Rollenspielmusterkatalog entsprungen sein könnte. Richtig, zur Sechseck-Welt.
Neugierig, wie es dort weitergeht? Dann verpasst nicht den Rezensions-Blog der nächsten Woche!
Bis dann, mit Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.
1 Vgl. zu einer antagonistischen Deutung H. G. Wunderlich: „Wohin der Stier Europa trug. Kretas Geheimnis und das Erwachen des Abendlandes“, Reinbek bei Hamburg 1979.
2 Im Buch durchgängig als „Boghazköi“ verkehrt geschrieben.
3 Detaillierter findet man speziell diesen Sachverhalt natürlich in C. W. Cerams Buch „Enge Schlucht und Schwarzer Berg“, Hamburg/Darmstadt 1955.