Liebe Freunde des OSM,
heute kann ich ein dezentes Lächeln nicht unterdrücken, wenn ich diese einleitenden Zeilen schreibe… warum dies, mögt ihr euch fragen? Nun, hier schreibt nun definitiv ein Fan, und üblicherweise bin ich solchen Lobeshymnen ein wenig skeptisch gegenüber eingestellt. Es liegt ja nahe, dass die Begeisterung dazu verführt, die kritische Distanz abzuschmirgeln und sehr zu reduzieren. Das könnte also auch in diesem Fall geschehen.
Was vereitelt eine solche Lobeshymne? Es gibt mehrere Gründe dafür: zum einen ist der vorliegende Roman einer, den ich im Laufe der zurückliegenden dreißig Lebensjahre viermal gelesen habe, und das schafft schon ein wenig Distanz. Man liest bekanntlich bei jeder Neulektüre andere Passagen intensiver als beim ersten Mal – was einen wesentlichen Reiz von Neulektüren ausmacht, wie ich finde. Wer denkt, ein Buch sei ein unveränderlicher Gegenstand, der bei jeder Lektüre notwendig derselbe sei, der übersieht grundlegend die Interdependenz zwischen Leser und Artefakt, d. h. Buch.
Der zweite Grund liegt in meinem Lesehorizont gegenüber dem Cussler-Gesamtwerk. Als ich den Roman das erste Mal verschlang, kannte ich den Autor ja überhaupt nicht und war völlig auf den Handlungsgegenstand, eben den tragisch-legendären Luxusliner TITANIC, fixiert. Das sieht heute schon deutlich anders aus.
Zum dritten habe ich mich in den zurückliegenden Jahrzehnten über vielfältige Sachbücher und Zeitzeugenberichte viel besser in die historische Thematik eingearbeitet und, nicht zuletzt, auch ein erfolgreiches Geschichtsstudium abgeschlossen. Mag ich hier auch methodentheoretisch etwas schwach sein, was ich bereitwillig konzediere, so hat doch auch das ein wenig von der enthusiastischen „Nur-Fan-Haltung“ abgeschmirgelt, die sonst an dieser Stelle zu erwarten sein könnte.
Nun denn… und doch werdet ihr erkennen, dass ich auch im Jahre 2015, als ich das Buch das vierte Mal las, noch stellenweise sehr beeindruckt von dem Werk war. Und das ist auch sehr angebracht, wie ich finde. Ich sage nicht umsonst, dass das mein Lieblingsroman von Clive Cussler ist.
Ihr könnt heute herausfinden, warum ich das so betone.
Auf ins Abenteuer:
Hebt die TITANIC!
(OT: Raise the TITANIC!)
Von Clive Cussler
Goldmann 3976
320 Seiten, TB
Geschrieben: 1976; dt. 1977; TB-Ausgabe: 1980
Aus dem Amerikanischen von Werner Gronwald
Diese Rezension habe ich schon einmal geschrieben, zu Zeiten, als ich noch mit der Schreibmaschine arbeitete und der Computer für mich ein exotisches Arbeitsmittel darstellte… und bei der Abschrift dieser Rezension am 30. September 2015 wurde klar, dass es mit der Abschrift natürlich nicht getan sein würde. Um dieses Werk gescheit auf meinem Rezensions-Blog zu präsentieren, ist deutlich mehr vonnöten. Ich fange also noch mal gescheit von vorne an.
Im April 1912 überquert ein verstörter Mann am Ende seiner Nervenkraft mit dem Dampfer TITANIC den Atlantik, um ein für allemal mit der grausigen Vergangenheit abzuschließen. Heimgesucht von Alpträumen hofft er, endlich Seelenfrieden zu finden – aber dies ist ihm nicht vergönnt. Wie jeder historisch Versierte weiß, kollidiert die TITANIC mit einem Eisberg und versinkt für immer in den Fluten des Nordatlantiks. Doch ehe dies geschieht, schreckt der Mann auf und zwingt einen jungen Bediensteten des Schiffes, ihn in die Tresorkammer des Luxusliners zu bringen – und darin einzuschließen. Seine letzten Worte sind kryptisch genug: „Gott sei Dank für Southby.“ Dann sinkt er mit dem sterbenden Schiff auf den Grund des Ozeans.
75 Jahre später befindet sich ein amerikanischer Geologe auf der Suche nach dem seltenen Mineral Byzanium. Die amerikanische Regierung benötigt es für die Realisierung eines wichtigen Projekts, das man das „Projekt Sizilien“ genannt hat. Doch es gibt ein Problem: das einzige bekannte Vorkommen liegt auf der Insel Nowaja Semlja im Einflussbereich der Sowjetunion… und der Geologe, der dort heimlich landet, wird prompt entdeckt. In letzter Minute kann er von einem herkulischen Mann gerettet werden – Dirk Pitt, dem Leiter für Spezialprojekte der National Underwater and Marine Agency (NUMA).
Der verletzte Geologe Sid Koplin bringt dann verwirrende Neuigkeiten von der eisigen Insel wieder – seinen Angaben zufolge ist das Vorkommen an Byzanium einwandfrei ausgebeutet worden… allerdings nicht von den Sowjets, wie ursprünglich angenommen, sondern von Männern, die sich selbst als „Coloradaner“ bezeichneten.
Historische Recherchen ergeben, dass die „Coloradaner“ Amerikaner waren und von einem Mann namens Joshua Hays Brewster geleitet wurden. Und ihm gelang als einzigem – mitsamt dem Erz – die Flucht von der Insel, und zwar im Jahre 1912. Laut seinem Tagebuch brachte er das Erz sicher in die Stahlkammer jenes Schiffes, mit dem er in die USA aufbrach.
Also ist das Erz auf amerikanischem Boden angekommen? Leider nein.
Denn auch diese Hoffnung der amerikanischen Politiker und Wissenschaftler erweist sich als fatal und trügerisch – denn das gemeinte Schiff war die R.M.S. TITANIC, die niemals in den Vereinigten Staaten ankam.
Somit liegt der kostbare Byzaniumvorrat auf dem Grund des Atlantiks. Und das Wrack der TITANIC ist nie gefunden worden (zu dem Zeitpunkt, als Cusslers Roman erstmals erschien, lag der Fund der TITANIC noch rund neun reale Jahre in der Zukunft). Kurzzeitig grassiert Pessimismus.
Ein wahnsinniger Plan wird nun jedoch vom Präsidenten der Vereinigten Staaten gefasst, um das „Projekt Sizilien“ doch noch zu realisieren – er beschließt, die TITANIC zu finden und, falls möglich, zu heben. Und Leiter dieses Unternehmens wird niemand Geringeres als Dirk Pitt.
Was Pitt und die Verantwortlichen zu diesem Zeitpunkt nicht wissen, ist jedoch, dass die Sowjets nicht schlafen, ganz im Gegenteil – sie haben längst Spione eingeschleust, auch in das Team der NUMA, und sie tun nun alles, um das Projekt zu sabotieren. Und sie schrecken vor Sabotage, Enterung und Mord nicht zurück…
Dieser Roman, der recht eigentlich Clive Cusslers Weltruhm begründete und es ihm schließlich ermöglichte, von seinen Romanabenteuern zu leben, ist zugleich der furiose Meilenstein in der Karriere seines alter Ego Dirk Pitt. Der Roman war zugleich so prominent, dass er verfilmt worden ist – freilich mit äußerst bescheidenem Budget und nicht sonderlich erfolgreich. In meiner Rezension von 1996, verfasst nach meiner zweiten Lektüre des Romans (inzwischen habe ich ihn sogar schon viermal gelesen, und er ist es definitiv wert… sagt allerdings auch ein passionierter TITANIC-Fan), konstatierte ich aber schon, dass ich die Verfilmung für recht misslungen hielt. Ein Statement, das ich bis heute aufrechterhalten möchte. Auch die spätere Verfilmung des Cussler-Romans „Sahara“ war eher… mäßig, auch wenn die Besetzung schon ganz nett ausfiel und deutlich mehr Geld für Special Effects und Ausstattung zur Verfügung stand.
Der vorliegende Roman spielt auf verblüffende Weise – und sehr früh dazu – mit dem „SDI-Thema“, das eigentlich erst einige Jahre später tatsächlich auf Interesse in der amerikanischen Politik stieß. Zudem ging Cussler noch davon aus, dass die TITANIC in einem Stück unterging (wer die Berichte der Überlebenden richtig gelesen hat, weiß, dass sie damals schon klar Zeugen des Auseinanderbrechens des Schiffes wurden, und Robert Ballard hat später ja auch 1985 genau so das Wrack des Luxusliners auf dem Meeresgrund vorgefunden). Wesentliche Prämissen des Romans sind also durch die Zeitgeschichte überholt worden, soviel steht fest.
Dennoch… wenn man in den Roman einsteigt und dann in den „schwarzen Abgrund“ hinabsinkt, wenn dann das Magnetometer das erste Mal anschlägt und die Greifarme des U-Bootes jenen rätselhaften Metallgegenstand aus der Schlammwüste fischen, da läuft mir auch heute noch jedes einzelne Mal ein kalter Schauer den Rücken herunter. Es gibt da einfach ein paar verdammt beeindruckende und der Realität sehr nahe kommende Szenen, denen die Zeit definitiv nichts anhaben konnte.
Für mich wird „Hebt die TITANIC!“ darum ungeachtet manchmal unklug gewählter Formulierungen und ebenfalls ungeachtet einer gelegentlich etwas angestaubt wirkenden Dramaturgie stets einer meiner liebsten Cussler-Romane bleiben.
Wer ihn noch nicht kennt, aber ein Faible für versunkene Schiffe – insbesondere die TITANIC – haben sollte, der ist hier wirklich sehr gut aufgehoben. Das Buch sollte dann auf eurer Leseliste ganz vorne landen. Das lohnt sich!
© by Uwe Lammers 2015 (Neufassung)
Ja, ungeachtet seines ordentlichen Alters und der Tatsache, dass der Kalte Krieg inzwischen Vergangenheit ist, hat uns diese Geschichte durchaus noch einiges zu sagen. Manche Geschichten altern eben deutlich langsamer, als man es annimmt, und diese hier gehört definitiv dazu.
In der kommenden Woche kümmere ich mich um einen weiteren – diesmal leider schon verstorbenen – Lieblingsautor der Phantastik. Es sei noch nicht verraten, um wen es sich handelt, aber ich denke, ihr werdet auch dieses Buch schätzen lernen.
Seid nächste Woche wieder mit an Bord, und ich enthülle das Geheimnis.
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.