Liebe Freunde des OSM,
vor sechs Wochen machten wir zum zweiten Mal nach Wochen-Blog 17 (22. Juli 2015) einen Ausflug in die Gedankenwelt des 1937 verstorbenen amerikanischen Fantasy-Autors Robert E. Howard. Hier folgt nun also die Fortsetzung seiner hyborischen Abenteuer um den Helden Kull von Valusien. Es ist das unbestreitbare Verdienst von Eduard Lukschandl, auch diese eher unbekannten Geschichten ins Bewusstsein und aus dem großen Schatten des ungleich berühmteren Conan herausgelöst zu haben. Und wiewohl ich Howards Prosa in dieser Übersetzung durchaus sehr schätze, bin ich, wie ihr sehen werdet, von Hagiografie weit entfernt. Das ist mein Ding sowieso nicht.
Doch genug der Vorrede, stürzt euch ins Abenteuer hinein, meine Freunde. Auf geht’s:
Herr von Valusien
(OT: King Kull, 2. Teil)
von Robert E. Howard & Lin Carter
Terra Fantasy Band 29
Rastatt, 1976
146 Seiten, TB
Aus dem Amerikanischen von Eduard Lukschandl
Zeit seines Lebens scheint Robert Howard seinen Helden Kull von Valusien, den einstmaligen Barbaren und späteren König eines durch und durch dekadenten Imperiums, in dem viel von der mondänen Pracht des römischen Reiches durchschimmert, gering geschätzt zu haben. Das lag zweifellos daran, dass er mit ihm nicht so erfolgreich werden konnte wie mit jener Gestalt, die er gleichsam aus Kulls Blut destillierte – Conan der Barbar, die noch heute dank zahlreichen Neuauflagen seiner Abenteuer, Comic- und Filmadaptionen bekannt ist. Doch wie schon in der Rezension zum ersten Teil von „King Kull“ (dt. als „Kull von Atlantis“ und eben „Herr von Valusien“) gesagt, ist Kull der nachdenklichere von den beiden Charakteren. Das wird auch in den fünf bzw. sechs Geschichten dieses Bandes deutlich.
Bei „Der König und die Eiche“ handelt es sich um ein Gedicht, das 1939 posthum veröffentlicht wurde und auch wegen des anderen Übersetzers (Ludwig Rief) etwas aus dem Rahmen der Sammlung fällt. Es liest sich fast wie eine lyrische Kurzfassung einer weiteren geplanten Story um Kull, was vielleicht auch die Intention war.
„Jagd im Land der Schatten“ ist eine etwas abstruse Geschichte, wie ich finde, und das Ende, das Lin Carter beisteuert, macht sie nicht unbedingt besser (wie im ersten Band die von Carter beendeten Stories durchweg die schwächsten waren, da er einfach kein Gespür dafür besaß, wie man die Geschichten philosophisch beenden konnte. Das könnte ein Grund für die Aporie dieser Story gewesen sein): Lalaah, die Gräfin von Vanara lässt ihren Ehemann Ka-yanna am Tag der Hochzeit im Stich und brennt mit dem farsunischen Abenteurer Felnar durch, das wird Kull berichtet. Nun interessiert ihn das eigentlich nicht die Bohne – bis eine Botschaft von ihm eintrifft: „Teile dem Barbaren mit, der auf Valusiens Thron sitzt, daß ich ihn einen Schurken, Verbrecher und Thronräuber nenne…“ Und er schwört, dereinst mit bewaffneter Macht zurückzukehren, um Kull zu stürzen. Von da an hat er den zornigen Monarchen auf den Fersen. Und die Jagd geht bis ins Land der Schatten am Ende der Welt…
Auch in „Herr von Valusien“ kommt die übergroße Frustration gegenüber den althergebrachten, überkommenen Traditionen zum Vorschein. Als Seno val Dor, ein junger Adeliger, Kull bittet, durch sein Wort die Heirat mit einer Sklavin zu sanktionieren. Doch das valusische Gesetz verbietet das, und Kull kann nichts tun, wie es scheint. Doch dann wird ein Mordanschlag auf den Regenten geplant, und ein junges Sklavenmädchen hört davon…
„Verrat am König“ präsentiert dasselbe Thema in umgekehrter Reihenfolge: diesmal ist es die junge Adelstochter Nalissa bora Ballin, die den farsunischen Abenteurer Dalgar heiraten möchte. Doch ihr Vater ist strikt dagegen, und bora Ballin ist Kulls stärkste politische Stütze. So scheint diese Liebe zum Scheitern verurteilt zu sein, käme es nicht zu einer Verschwörung, die am Schluss in einem Ruinenfeld blutige Ausmaße annimmt…
„Die Spiegel des Tuzun Thune“ ist hingegen ein kleines, versonnenes Stück Philosophie und Magie zugleich. Ermattet von den Pflichten des Königtums, hadernd mit dem Schicksal und frustriert über den Lauf seines Lebens, sinniert König Kull über die Gegenwart. Und da er generell grüblerisch veranlagt ist, wird er so auch anfällig für die Einflüsterung, er solle doch den Zauberer Tuzun Thune aufsuchen, denn „er kennt die Geheimnisse des Lebens und des Todes, der Sterne am Himmel und der Länder unter dem Meer“.
So begibt sich denn Kull in Tuzun Thunes Haus der tausend Spiegel und macht die überraschende Entdeckung, während er vor den Spiegeln meditiert, „daß es Welten hinter den Welten gibt“… und während er dies tut, geht eine unheimliche Veränderung mit ihm vor sich…
„Epilog“ ist, wenn man so will, keine Geschichte. Es handelt sich um einen kurzen Auszug aus Howards „Mythologie“, wie man es nennen könnte. Der Text „Das hyborische Zeitalter“ umspannt die Rahmenhandlung von Kulls und Conans Welt von der grauen Vorzeit und spannt den Bogen bis in die Zeit der menschlichen Geschichte, bis hinauf zu den Römern und Pikten. Es ist sozusagen die historische Erklärungsfolie, wo in der Menschheitsgeschichte das fiktive hyborische Zeitalter einzuordnen wäre.
Und bei der abschließenden Story, „Rotaths Fluch“, ist man unwillkürlich schmunzelnd geneigt, an Indiana Jones zu denken. Weshalb? Nun, als der Zauberer Rotath stirbt, weigert er sich, ein für allemal zu vergehen. Etwas von ihm soll bestehen bleiben, und sei es auch nur sein Leib. Er verwandelt also seinen Körper, derweil Atlantis und Valusien rings um ihn in Trümmer sinken. Tausende von Jahren später findet ein Abenteurer den dschungelüberwucherten Tempel, in dem der Leichnam liegt. Was dann geschieht, sollte man lieber selbst nachlesen…
Abgerundet wird das Buch dann durch einen ausführlichen biografisch-schriftstellerischen Essay Eduard Lukschandls über Howards Leben und die Einflüsse, die sein Schreiben generierten. Dabei gibt es gewisse Momente des Gruselns, wenn er Howards Briefe zitiert, etwa jenes an Farnsworth Wright, den Herausgeber von WEIRD TALES aus dem Jahre 1931. Schreibt Howard dort doch: „Hin und wieder gibt es einen, dem es zu viel wird, und der sich eine Kugel durch den Kopf jagt, aber auch das gehört wohl zum Spiel.“ Bedenkt man, dass Howard fünf Jahre später selbst diesen Weg wählt, ist Erschauern wohl eine verständliche Reaktion.
Auch sonst erfährt man hier einiges Interessante über Howard, wobei sich in mir freilich ein wenig Skepsis regte, als es hieß, Howards Ahnen, „die Ervins waren ein Clan des schottischen Hochlands…“ Es ist wohl anzunehmen, dass der Clan McErvin geheißen haben dürfte, da meines Gabaldon-gestählten Wissens alle Clans des schottischen Hochlandes die Vorsilbe „Mc“ tragen. Hier wäre also ein wenig mehr Präzision und Nachhaken vonnöten.
Der wechselvolle berufliche Weg Howards dokumentiert einiges, was er auch in seinen Kull-Stories verarbeitet: die Unfähigkeit, sich anderen Menschen unterzuordnen, sein Aufbegehren gegen bestehende Strukturen und Gesetze, kurz: gegen alles, was ihn irgendwie einschränkte. Deshalb war er auch erwartungsgemäß weder als Privatsekretär noch als Mitarbeiter in einer Zeitung zu gebrauchen, ebenso wenig in einem Postamt. Seiner eigenen Aussage nach verlor er diese Stellungen, „weil ich vor meinem Vorgesetzten nicht den ganzen Tag Kotaus machen und ja sagen wollte…“.
Wo Kull steinerne Gesetzestafeln Valusiens zerbricht und erbost brüllt: „Ich bin das Gesetz“, kann man sich lebhaft den temperamentvollen Robert Howard vorstellen, der von seinen Vorgesetzten schikaniert wird und eines Tages alles einfach hinwirft, um seinen Traum des Schriftstellers zu leben.
Und als Nachgeborener muss man sich seufzend fragen, was dieser Mensch wohl noch alles hätte leisten können, wenn er seinem Leben nicht in abgrundtiefer Verzweiflung im Alter von 30 Jahren durch die Kugel ein Ende gesetzt hätte. Wahrlich, ein sprühender, temperamentvoller Geist, der schon mit 18 seine ersten Geschichten professionell zu verkaufen imstande war, hätte noch Großes leisten können. Leider werden wir davon nie erfahren, denn dies ist nicht in unserer Welt geschehen…
© by Uwe Lammers, 2006
Auch in der kommenden Woche verlieren wir an dieser Stelle ein wenig den Boden unter den Füßen, selbst wenn das noch kaum zu spüren ist. Ich wandle dann wieder auf den Pfaden des Thrillerautors Clive Cussler, von dessen Werken ihr an dieser Stelle noch viel lesen werdet. Auf eine durchaus interessante Weise hat er es geschafft, eine Art von Krimi-Abenteuer-Parallelwelt zu erschaffen – selbst wenn er mit dem Roman der nächsten Woche eher noch auf den Fährten der James Bond-Verfilmungen wandelte.
Ihr werdet es erleben, denke ich. Einfach wieder reinschauen.
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.