Rezensions-Blog 44: Die Loge der Luchse (2)

Posted Januar 26th, 2016 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

heute fahren wir mit den Abenteuern des „Adepten“ Adam Sinclair fort, von de­nen ich vor drei Wochen zu berichten begann. Wer den ersten Band gelesen hat, wird schnell begreifen, warum ich anno 2008 unmittelbar nach der Lektüre des Mittelbandes der Trilogie wieder in die Tastatur greifen musste, um die Re­zension zu verfassen. Man merkt ihr meine Begeisterung noch deutlich an.

Und auf geht’s, Freunde:

Die Loge der Luchse

(OT: The Lodge of the Lynx)

von Katherine Kurtz & Deborah Turner Harris

Heyne 9023, 1999

688 Seiten, TB

ISBN 3-453-14930-0

Aus dem Amerikanischen von Michael Morgental

Eigentlich hätte man sich das als Leser denken können – dass die Geschichte um die Auseinandersetzung der hellen mit der dunklen Seite der Magie mit dem Desaster der negativen Adepten und deren Tod am Loch Ness noch nicht zu Ende war. Wie hätte sie das auch sein können? Greift doch im Epilog des Ro­mans „Der Adept“ eine Person zum Telefon und beschließt, eine Gegenaktion zu initiieren.

Wir erinnern uns, was jüngst geschah, wenige Wochen nur vor Beginn dieses Romans: Sir Adam Sinclair, Spross eines alten schottischen Adelsgeschlechts und einer amerikanischen Mutter, der von ihr einst in die spirituellen Tiefen der Weißen Magie und vorangegangener Leben eingeweiht wurde und sich dem Dienst am LICHT verschrieben hat, arbeitet in geradezu idyllischem, traditiona­listischen Ambiente als Psychiater und gelegentlich für die schottische Polizei als Gutachter. Er ist ein unverheirateter Mann mit weitreichenden Beziehungen in höchste Adelskreise und vielfältige wissenschaftliche Institutionen und Gremien.

Dies ist aber – gleich Batman, wenn man einen Vergleich ziehen möchte – nur sein äußeres Image. Es gibt noch ein Geheimnis, das ihn umwittert. Gemeinsam mit dem Polizisten Noel McLeod und anderen Freunden ist er auf spiritueller Ebene Anführer eines „Jäger“-Trupps, einer sogenannten Jagdloge, die Verbre­chen auf astraler Ebene aufspürt und die Urheber ihrer gerechten Strafe zuführt – wobei man sie nicht als Rächergruppe verstehen sollte. Vielmehr setzen sie ihre Fähigkeiten dazu ein, die Straftäter durchaus der irdischen Gerechtigkeit zuzuführen. Aber manchmal ist die feinstoffliche Welt eben schneller, wie man an Loch Ness im Fall der Feen deutlich zu spüren bekommen hat.

Bei seinen spirituellen Aktivitäten kommt es gelegentlich vor, dass Adam Talen­te entdeckt.

Ein solches Talent ist der Zeichner und Maler Peregrine Lovat, der über die ge­spenstisch scheinende Gabe verfügt, nicht nur die Gegenwart zu sehen und zeichnen zu können, sondern er fühlt und sieht auch die spirituelle Vergangen­heit, frühere Inkarnationen – und er ahnt gelegentlich den Tod voraus. Es ist al­lein Adam Sinclair zu verdanken, bei dem Peregrine Rat und Hilfe sucht, dass er nicht den Verstand verliert.

Schließlich wurden Adam, Peregrine und Noel durch eine Grabschändung in eine magische Intrige hineingezogen. Hinter dem Raub magischer Reliquien und der Auferweckung des toten Zauberers Michael Scot steckte die sogenannte „Loge der Luchse“, ein schwarzer Orden, der vor fünfzehn Jahren einmal mit der Jagdloge, der inzwischen Adam vorsteht, zusammengestoßen ist. Allerdings dachten Adam und seine Freunde immer, die Luchse seien damals ausgelöscht worden.

Dies war ein folgenschwerer Irrtum, wie die dramatischen Ereignisse um die Feenfahne und das Zauberbuch Michael Scots zeigten.1 Und leider ist mit der Vernichtung des Feindtrupps die Gefahr noch lange nicht beseitigt. Ganz im Ge­genteil – jetzt fängt das Drama eigentlich erst richtig an!

Eine blutige Mordserie, der nun schottische Freimaurer zum Opfer fallen, stellt Noel McLeod – Mitglied von Adams Jagdloge und zugleich Freimaurer! – vor enorme Probleme. Die Opfer werden ganz offensichtlich rituell hingeschlachtet, und alles scheint darauf hinzudeuten, dass der Ritualmordcharakter von jeman­dem verübt wird, der selbst Freimaurer ist. Folgerichtig tauchen in der Presse immer öfter diffamierende Bemerkungen über Freimaurerei auf, und selbst die polizeiliche Ermittlungsarbeit ist davon getrübt. Bedeutet das alles nun, der manchmal finster umwitterte Ruf der Freimaurer sei gerechtfertigt, übt die Ge­heimgesellschaft unter dem Deckmantel der Lauterkeit schwarze Magie aus? Oder was genau geschieht hier?

Adam Sinclair, der sich Peregrines seherischen Talents bedient, kommt rasch zu einer anderen Überzeugung – er hält diese Attentate für Anschläge der Loge der Luchse, deren Mitglieder sich aber vollständig zu tarnen verstehen. Der Sinn dieser Aktionen erschließt sich allerdings so schnell nicht.2

Glücklicherweise kennen die Schwarzmagier Adam und seine Freunde nicht bzw. täuschen sich über den Charakter ihrer Begabungen hinweg – denkt der Adelige. Leider irrt er sich gleich in mehrfacher Hinsicht. Während er vermutet, die Gegenseite tappe hinsichtlich der Identität ähnlich im Dunkeln wie er selbst, unterschätzt er seine Feinde schmählich. Erst als auf McLeod ein magisches, perfides Attentat verübt wird, eine Freimaurerloge förmlich explodiert, wobei es Dutzende von Opfern gibt, und Adam Sinclair schließlich selbst beinahe bei einem Unfall ums Leben kommt, beginnt er endlich zu verstehen: seine Feinde sind zum einen viel zahlreicher, als er gefürchtet hat, sie schrecken zweitens nicht vor rein physischer Gewalt, Sabotage und Mord zurück, und drittens ist der Kleinkrieg gegen ihn und seine Freunde einfach nur eine Art von Neben­kriegsschauplatz.

Denn in den schottischen, verschneiten Bergen wird im Unterschlupf der Luchs-Loge ein uraltes Grauen heraufbeschworen, das vor fünfzig Jahren beinahe schon die Welt vernichtet hätte. Diesmal könnte es gelingen, wenn nicht ein Wunder geschieht…

Wenn man schwer beschäftigt ist und dennoch einen so dicken Roman binnen fünf Tagen liest, so muss er spannend sein. Und fürwahr – das ist er! Mit die­sem Buch haben die beiden Autorinnen einen richtigen okkulten Thriller ge­schrieben, der dennoch der schönen Bestandteile nicht entbehrt: liebevoll ge­zeichnete, vielseitige und humorvolle Persönlichkeiten; kluge Individuen auf beiden Seiten des Schlachtfeldes; beeindruckende Panoramen und detailge­treue Wiedergabe gediegener schottischer Lebenswelt und ein angenehmes Einfühlen in Rituale und Atmosphäre aller Handlungsschauplätze (mit einer Ausnahme, dazu gleich mehr). Man hat nirgendwo das Gefühl, dass die Autorin­nen durch einen Teil der Geschichte hasten, nur um Seiten zu füllen. Ob sie die Traditionen der Tempelritter (der modernen, wohl verstanden!) aufleben las­sen, ob sie die Initiation Peregrine Lovats beschreiben, ob sie die Riten der Frei­maurer skizzieren – all das tun sie mit voller Energie.

Mit angenehmer Intensität erfüllen sie selbst diejenigen Charaktere mit pulsie­rendem Leben, die wenige Seiten später auf schreckliche Weise hingemetzelt werden. Das ist ein Talent, das nicht jeder Schriftsteller besitzt. Wer darüber verfügt, kann unzweifelhaft spannendere Romane schreiben als derjenige, der seine Nebendarsteller recht schnell durch die Art und Weise seiner Beschrei­bung als solche „outet“.

Die sinistre Energie, mit der die Loge der Luchse und ihre Intrigen dargestellt werden, lässt den Leser wie in den besten Thrillern a la Robert Ludlum oder Jon Land (gemeint sind die frühen Romane Lands3) zittern und eine Seite nach der nächsten verschlingen. Ein ausgesprochen positiver Aspekt, wie ich sagen muss. Das zudem nur sehr zögernde Aufhellen der wahren Pläne der Luchse sorgt für ein weiteres Spannungsmoment.

Ein wenig nachteilig, um zu den etwas trübenden Momenten des Buches zu kommen, wirkt sich hierbei allerdings aus, dass Adam Sinclair und seine Freun­de so lange ausdrücklich im Düstern tappen. Die strukturelle Analogie zum ers­ten Band ist wirklich sehr stark. Vorteilhaft ist in diesem Buch jedoch, dass die „Gegnerseite“ deutlich stärker und personalisierter in Erscheinung tritt, diffe­renzierter und vertiefter dargestellt wird und sich so ein wenig aus dem Kli­schee des ersten Teils löst.

Teilweise zumindest. Denn die Wendung, die der Roman im hinteren Drittel nimmt, ist doch wenigstens für mich als Zeithistoriker ziemlich… gewöhnungs­bedürftig. Hier schlägt amerikanische Naivität in voller Stärke durch, fürchte ich, und da wird eine propagandistisch gut verkäufliche Idee wesensfremd in das Buch gedrückt und dann nicht mal konsequent bis zum Schluss durchgehalten.

Man mag ja über die Mission des Führer-Stellvertreters Rudolf Heß während des Zweiten Weltkriegs verschiedenerlei Ansicht sein, aber das, was hier ausge­breitet wird, ist, mit Verlaub, nichts anderes als hirnrissig und geeignet, einen wichtigen Teil des Romans zu entwerten. Nur gut, dass der Rest so packend und liebevoll gemacht ist – da kann man über diese gedankliche Entgleisung den Kopf schütteln und ihn schnell vergessen.

Außerdem darf man sich auf den dritten Band freuen, in dem, wie zu erwarten steht, der Kampf Adam Sinclairs mit der „Loge der Luchse“ vollendet werden wird. Nicht umsonst hat der zweite Band wie schon der erste ein unvollkomme­nes Ende. Es bleibt also spannend…

© by Uwe Lammers, 2008

Wer jetzt übrigens mit diesem Wermutstropfen, den ich zum Schluss andeute­te, nicht viel anfangen kann, der muss sich nicht grämen. Menschen, die über die jüngste Zeitgeschichte nicht allzu viel wissen, werden wahrscheinlich in ih­rem Lesedrang und ihrer Begeisterung kaum beeinträchtigt werden.

Wie die Geschichte mit Adam Sinclair und seinen Freunden dann ausgeht, lest ihr in drei Wochen an dieser Stelle. In der kommenden Woche machen wir eine Zeitreise der ganz besonders gruseligen Art und in eine Science Fiction-Welt, die bislang noch nie adaptiert worden ist… vielleicht deshalb, weil sie den ulti­mativen Schrecken enthält, der auf samtweichen Roboterpfoten herangeschli­chen kommt und uns unwiderstehlich unterwirft.

Wovon ich hier so kryptisch rede? Nun, das erfahrt ihr im Blogbericht der kom­menden Woche. Da geht es um einen Klassiker der Science Fiction-Literatur, der sehr zu Unrecht völlig vergessen ist.

Schaut rein, und ihr erfahrt mehr.

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Vgl. Katherine Kurtz & Deborah Turner Harris: „Der Adept“, 1999.

2 Nun, für den Leser schon, aber die Protagonisten um Adam Sinclair tappen doch bemer­kenswert lange im Dunkeln – länger als der Leser jedenfalls. Das kann manchmal schon et­was ungeduldig machen.

3 Beispielsweise „Omega-Kommando“ oder „Die Macht der Zehn“.

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