Liebe Freunde des OSM,
heute bereisen wir mal wieder ein neues, bislang im Rahmen des Rezensions-Blogs nicht beleuchtetes Terrain, nämlich das der Fantasy im weitesten Rahmen, durchmischt mit eindeutigen Horror-Einflüssen. Der Verfasser, Robert E. Howard, ist aus Fantasykreisen wohl bekannt, beispielsweise als Erschaffer des Barbaren Conan. Er hat aber auch andere Werke verfasst, die weniger bekannt sind. Die unten vorgestellte Storysammlung entführt euch in diesen Bereich der Howardschen Prosa, die nicht ohne Reiz ist, wie eine eigene Lektüreerfahrung schnell zeigt…
Das Ungeheuer aus dem Sumpf
(OT: Black Canaan)
von Robert E. Howard
Terra Fantasy Band 84
162 Seiten, TB (antiquarisch)
April 1981
Aus dem Amerikanischen von Klaus Mahn
Der Amerikaner Robert E. Howard gilt in Fantasy-Kreisen als einer der Begründer der modernen Fantasy, und das ist zweifellos gerechtfertigt. Als Schöpfer solcher Figuren wie Conan, Kull von Valusien, Red Sonya und anderen hat er das Genre in der Frühzeit des 20. Jahrhunderts geprägt wie kaum ein anderer, und durch diverse Epigonen und Verfilmungen, die auf seinen Stoffen basierten, durch Comicadaptionen und ähnliches hat sich sein Ruhm bis ins 21. Jahrhundert verlängert.
Allerdings wäre es unfair, Howard allein auf die Fantasy zu beschränken. Seine schriftstellerischen Fähigkeiten dehnten sich durchaus auch auf gänzlich andere Gebiete aus, und gelegentlich gab es Crossovers, also Vermischungen von Genres. In seinen historischen Geschichten gibt es unübersehbare Fantasy-Anleihen, und ebenso gilt das für seine Horrorgeschichten. Die Freundschaft mit dem Großmeister des Horrors, Howard Phillips Lovecraft aus Providence, Rhode Island, trug hier reichliche Früchte, die unbändige, abenteuerlustige Phantasie Howards ergänzte das, und der sprachgewaltige Stil, der seine Geschichten selbst heute noch so lebendig und plastisch werden lässt, so banal vielleicht manchmal der Plot auch sein mag, tat sein Übriges.
Im Pabel-Verlag erschienen in den 70er Jahren dreizehn Werke und Storysammlungen mit Geschichten Howards in der Terra Fantasy-Reihe (sie wurde 1982 eingestellt).1 Doch wurden dort im Wesentlichen nur die Fantasy- und die historischen Abenteuer aufgelegt. Der vorliegende Band war ursprünglich für die VAMPIR HORROR-Reihe geplant2, doch bevor er in Druck gehen konnte, kam das Aus für die Reihe. So verfielen die Herausgeber darauf, den Band in der Terra Fantasy-Reihe zu publizieren, damit die redaktionelle Arbeit des Perry Rhodan-Autors Klaus Mahn (alias Kurt Mahr, wie sein dortiges Pseudonym lautete) nicht umsonst war.
Diese Storysammlung umfasst 8 Geschichten sehr unterschiedlicher Qualität, die zum Teil zu einem Zyklus um die Familie Kirowan gehören, von denen aber nur eine, „Der Dämon des Ringes“ jemals zu Howards Lebzeiten publiziert wurde (1934). Die Titelstory selbst, das längste Werk der Anthologie, fand in Howards Todesmonat Juni 1936 den Weg zu den Lesern. Alle restlichen Stories und teilweise fragmentarische Werke in der Sammlung sind posthum publizierte Werke.
In „Das Ungeheuer aus dem Sumpf“, die in einer fiktiven Gegend im Süden der USA namens Kanaan spielt – der Zeithorizont dürfte etwa das späte 19. Jahrhundert sein – , geht es um eine finstere, magische Intrige, die von einem Schwarzen namens Saul Stark ausgeht und die Vormacht der Weißen in der Region brechen soll. Der Held der Geschichte, der junge, dynamische Kirby Buckner, wird aus New Orleans zurück in die Heimat gerufen, um das Verderben aus dem Sumpf aufzuhalten, allerdings gehört dieser Ruf in die Heimat mit zu der Falle, die ihn und alle anderen ins Verderben locken soll…
„Delenda est“ kündet schon durch seinen lateinischen Titel an, dass sie im Altertum spielt. Hier vermischt sich reale Geschichte um die Vandalen im Mittelmeer, römische Geschichte und Geisterstory. Dem Vandalenführer Geiserich erscheint während einer Überfahrt über das Mittelmeer ein unheimlicher Besucher, der sich aber weigert, seinen Namen zu nennen. Und er kündet ihm von Verrat in den eigenen Reihen…
„Der Dämon des Ringes“ ist eine vergleichsweise schlichte Geschichte: Durch einen Zufall findet John Kirowan heraus, dass sein nun seit einem Jahr verheirateter Freund Gordon der festen Überzeugung ist, seine Frau Evelyn wolle ihn töten. Sie habe es drei Mal in der letzten Zeit versucht, und er ist der finsteren Überzeugung, dies geschehe deswegen, weil er selbst möglicherweise die Reinkarnation seines Urgroßvaters sei, Sir Richard Gordon von Argyle, der damals seine Frau ermordet habe. Zwar ist es, wie der in den magischen Wissenschaften bewanderte Kirowan herausfindet, durchaus so, dass Evelyn Mordversuche unternommen hat, aber es hat damit eine ganz andere Bewandtnis…
In „Das Haus unter den Eichen“ kommen die Protagonisten James Conrad und John Kirowan auf der Suche nach der Muse des völlig aus der Familie geschlagenen Dichters Justin Geoffrey einem Ort auf die Spur, der nicht ganz von dieser Welt ist. Wer immer sich dorthin begibt, zu diesem „Haus unter den Eichen“, wird von Einflüssen aus einer anderen Dimension heimgesucht. Und dabei bleibt es durchaus nicht bei bösen Träumen oder mystischen, solcherart inspirierten Dichtungen…
„Der Todestraum“ ist vermutlich eher ein Fragment, aufgrund seiner Kürze und brüsken Direktheit liegt das nahe: Der Abenteurer John Murken hat in Indien ein traumatisches Erlebnis gehabt. Auf der Suche nach einem verborgenen Schatz wurde er von seinen Helfern betrogen und in einer Höhle allein mit einer Schlange zurückgelassen, die ebenso wie er auf raffinierte Weise gefesselt war, aber im Laufe der Zeit imstande sein würde, ihn zu erreichen und damit zu töten. Zwar konnte er dieser Falle entkommen, aber seit jüngster Zeit träumt er immer öfter genau von dieser Situation, und in jedem Traum kommt ihm der Kopf der Schlange näher…
„Dermods Fluch“ zählt wieder zum Kanon der Kirowan-Geschichten und spielt diesmal in Irland, der ursprünglichen Heimat der Kirowans, wo der gemütskranke Protagonist heimkehrte, um seine Seele ein wenig zu kurieren. Doch hier stolpert er mitten über einen Fluch seiner Familienvergangenheit, der ihn um ein Haar ins Verderben reißt…
„An der Schwarzen Küste“ weist starke Einschläge von Lovecrafts Cthulhu-Mythos auf. Der Erzähler und seine Frau Gloria fliegen mit einem kleinen Flugzeug von Manila nach Guam, kommen dort aber nicht an. Stattdessen müssen sie vor einer steilen schwarzen Küste notlanden und können sich ans Ufer retten. Auf den ersten Blick scheint diese menschenfeindliche Landschaft leer und kahl, aber das täuscht. Es existiert hier Leben, intelligentes Leben, fremdartiger und unmenschlicher, als man sich das jemals vorstellen konnte…
Die letzte Story, „Die unter den Gräbern hausen“ gehört wieder zu den Kirowan-Stories, und wer die ganze Storysammlung gelesen hat, wird begreifen, dass sie deplatziert ist und eher an den Anfang der Storysammlung gehört hätte. Sie ist unzweifelhaft auch früher geschrieben als etwa „Das Haus unter den Eichen“. Der alte Job Kiles stört seine Freunde O’Donnell und James Conrad mit der alarmierenden Nachricht auf, sein vor Wochen verstorbener, nichtsnutziger Bruder Jonas, der auf eigenen Wunsch in dem abgelegenen Grabmal auf den Hügeln beerdigt worden sei, sei wieder am Leben und damit unzweifelhaft ein Vampir. Job Kiles will ihn deshalb auf die einzige Weise töten, die sich für einen Vampir geziemt – nämlich mit einem Pflock, den er durchs Herz treibt. Aber dazu kommt es nicht… es ist alles viel schlimmer, denn die Freunde entdecken hinter dem Grabmal eine geheime Tunnelanlage, und was dort lebt, ist weitaus grässlicher als alles, was sie sich vorstellen können…
Die Storysammlung ist wirklich sehr durchmischt, was ihre inhaltliche Ausrichtung angeht. Während die kürzeren Geschichten eher banal anmuten, was ihren Inhalt angeht, so fallen die längeren doch durch eine detailreiche Ausgestaltung auf, die ihre Vorbilder nicht verleugnen kann. So findet man bei der Haus-Geschichte Anklänge an William Hope Hodgsons „Haus an der Grenze“, bei der Schwarzen Küste deutliche Anleihen bei Lovecraft, und die Titelgeschichte sowie die Delenda-est-Story zehren vom historischen Flair. In der Titelstory fällt allerdings unangenehm der rassistische Jargon auf, den die einen zeithistorisch nennen mögen, heutzutage finde ich es aber beunruhigend, in einer Geschichte von Schwarzen durchweg als „Nigger“ zu sprechen.
Aus den meisten Ideen hätte man natürlich noch sehr viel mehr herausholen können, aber der Grund, warum dies nicht geschah, lag in Howards frühem Tod 1936, der für die Fantasy jener Zeit ein herber Verlust war. Aus diesem Grund sollte man an die Werke nicht jenen Qualitätsstandard anlegen wie an die Geschichten, die Howard zu Lebzeiten veröffentlichte. Daran können sie begreiflicherweise nicht anknüpfen. Ansonsten lohnt die Storysammlung sich durchaus zur Wiederentdeckung, nicht nur für Howard-Fans, sondern auch für solche, die sich vielleicht vorstellen könnten, welche zu werden…
© by Uwe Lammers, 2009
Man kann also sagen, was man möchte – mit Robert Howard habe ich wieder mal einen Autor aus dem Dämmer des Halbvergessens gerissen, der eine Neuentdeckung durchweg lohnt. Wer aufgrund meiner obigen, vor sechs Jahren geschriebenen Zeilen neugierig geworden ist, der möge dieses Werk antiquarisch suchen.
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.
1 Es handelt sich dabei um folgende Bände: TF 3 Herrscher der Nacht, TF 11 Degen der Gerechtigkeit, TF 17 Rächer der Verdammten, TF 23 Krieger des Nordens, TF 28 Kull von Atlantis, TF 29 Herr von Valusien, TF 37 Horde aus dem Morgenland, TF 42 Die Bestie von Bal-Sagoth, TF 50 Geister der Nacht, TF 55 Gespenster der Vergangenheit, TF 75 Der Dolch mit den drei Klingen, TF 77 Im Land der Messer und TF 80 Der Schatz der Tataren. Davon kann man als Rezension nachlesen die Betrachtung über das Buch Horde aus dem Morgenland, einmal in BWA 276 (September 2006), ein zweites Mal in HISTORIKERZEIT 2 (November 2006).
2 Dort erschienen von Howard die Storysammlung VH 52 Das Haus des Grauens und die Story „Die Stunde der Abrechnung“ in VH 42.