Liebe Freunde des OSM,
heute möchte ich euch mal auf eine Abenteuerreise mitnehmen, die sich von der doch zum Teil recht gehaltvollen, vielleicht auch heftigen Kost der vergangenen Wochen ein wenig ablenkt. Ich sagte ja schon verschiedentlich, dass ich auch Abenteuergeschichten nicht abgeneigt bin, und meiner Ansicht nach ist eine solide Adresse für solche Werke der amerikanische Bestsellerautor Clive Cussler. Ihr werdet im Rezensions-Blog noch häufiger von ihm hören, da ich seine Werke gern lese.
Natürlich mag man einwenden, sie seien manchmal ziemlich seicht, gelegentlich reichlich an den Haaren herbeigezogen, auch kann man sich echauffieren über die Baustruktur der Geschichten, aber das Konzept an sich hat durchaus seine Stärken: Man nehme eines oder mehrere Geheimnisse der Vergangenheit, mische sie mit einer Thrillerhandlung, humorvollen und unverwüstlichen Protagonisten und koche daraus eine interessante Story zusammen. Das ist der Kern seines Erfolgsrezepts.
Als Clive Cussler sich anschickte, auch Coautoren zu beschäftigen, wich er ein wenig von dem seit Jahrzehnten verfolgten Pfad der NUMA ab, der National Underwater and Marine Agency, die in den meisten seiner Werke die zentrale Rolle spielt. Am stärksten ist er meiner Ansicht nach mit der Erfindung von Sam und Remi Fargo von dieser Spur abgewichen, als er sich mit dem Autor Grant Blackwood zusammentat.
Ich entdeckte die Fargos im Jahre 2011, unmittelbar nach dem Erscheinen des ersten Bandes, und ich sollte bald erkennen, dass Blackwood einen Vertrag über drei Werke unterschrieben hatte, die inzwischen alle in deutscher Übersetzung vorliegen. Ich las sie der Reihenfolge nach und werde sie hier im Abstand von ein paar Wochen auch vorstellen (darum die Ziffer im Titel – sie verweist auf mehrteilige Werke und wird euch später den Überblick erleichtern).
Neugierig war ich auf die Fargos natürlich auch deshalb, weil sie passionierte Schatzsucher sind… und gute dazu, wie ich entdecken konnte. Folgt mir direkt ins Abenteuer:
Das Gold von Sparta
(OT: Spartan Gold)
von Clive Cussler & Grant Blackwood
Blanvalet 37683
512 Seiten, TB
München, Juni 2011
Aus dem Englischen von Michael Kubiak
ISBN 978-3-442-37683-4
Die menschliche Geschichte ist voll von Geheimnissen und Schätzen, die irgendwann einmal spurlos verschwunden sind. Jedermann hat davon schon von Kindesbeinen an gehört, gelesen oder Filme darüber gesehen. Und in vielen Heranwachsenden schlummert der Wunsch, selbst einmal Entdecker solcher Schätze zu sein, die lange verschollen waren. Und manche von ihnen reifen tatsächlich zu Findern derartiger Kostbarkeiten. Entweder im ehrlichen Business, dann kennt man sie als Archäologen oder Historiker… oder aber sie verschreiben sich dem Beruf des Schatzsuchers.
Sam und Remi Fargo sind letzteres. Durch harte Arbeit zu Wohlstand gekommen, haben sie ihre vielseitigen Talente und Leidenschaft für die Vergangenheit zu einem zeitfüllenden Hobby gemacht. Zusammen mit einer Reihe von guten Freunden ist das Ehepaar immer wieder einmal in Indiana Jones-Manier in Abenteuer verstrickt, wenn sie auf die Fährte von Schätzen geraten. Diesmal aber stolpern sie in ein wirklich verwirrendes Abenteuer.
Während sie in einem Sumpfgebiet des US-Bundesstaates Delaware eigentlich nach dem Schatz von Martha Cannon suchen1, findet Sam unerwartet etwas, was man hier generell nicht annimmt: ein Miniatur-U-Boot der Nazis, das seit den Endtagen des Krieges hier mitsamt Ein-Mann-Besatzung auf Grund liegt. Bei dem Toten befindet sich eine Ledertasche, in der eine Weinflasche liegt, die dem Aussehen nach auch schon recht antik zu sein scheint. Auf dem Boden der leeren Flasche ist ein Symbol eingraviert, das wie eine Biene aussieht. Und dieses Symbol haben die beiden kürzlich schon einmal gesehen – nämlich bei ihrem Freund, dem Antiquitätenhändler Ted Frobisher, der den Splitter einer solchen Flasche kürzlich ins Internet gestellt hat.
Irgendwem scheint dieses Glasteil so wertvoll zu sein, dass er Frobisher kurzerhand entführt und beinahe umbringt. Sam und Remi können das gerade noch verhindern, kollidieren aber auf diese Weise mit einem Mann namens Archipow und seinem Auftraggeber Hadeon Bondaruk (auf dem Klappentext falsch geschrieben, aber „Hadeon“ ist ja auch ein ausgefallener Name). Bondaruk, Drahtzieher der ukrainischen Mafia und Sammler von Antiken, schreckt vor brutaler Gewalt nicht zurück, um diese Flaschen in seinen Besitz zu bekommen. Erst mit etwas Verzögerung lüften die Fargos zumindest einen Zipfel des Geheimnisses: die beiden Flaschen gehören zu einem Satz von zwölf legendären Weinflaschen, die einstmals Napoleon Bonaparte anfertigen ließ. Und die Etiketten der Flaschen sind zugleich Schlüssel für eine Schatzsuche. Das tritt dann erst mit Verzögerung zutage.
Auch wenn das Ziel der Suche für die Fargos nicht bekannt ist, haben sie mit Bondaruks Häschern schon so viel Scherereien gehabt, dass sie sich recht bald entschließen, dem Ukrainer den Schatz nicht zu überlassen, worin auch immer er bestehen mag. So beginnt eine weiträumige „Schnitzeljagd“, die vor gut zweihundert Jahren ihren Anfang nahm und die Fargos und ihre Verfolger mal auf die Bahamas bringt, dann in einen unterirdischen Fluss, nach Monaco, nach Elba, auf verwitterte Friedhöfe, auf die französische Gefängnisinsel Chateau d’If, in ein Schmugglerlabyrinth unter der Felsküste der Krim, in den Süden Deutschlands, auf eine Toteninsel nahe Venedig und schließlich an einen lebensgefährlichen Ort, wo ein sagenhafter Goldschatz verborgen wurde…
Mit dem Schatzsucher-Ehepaar Sam und Remi Fargo geht nach Dirk Pitt, Kurt Austin und Juan Cabrillo die vierte Gruppe von Helden an den Start, für deren Karrierebeginn der Schriftsteller und Abenteurer Clive Cussler gesorgt hat. Diesmal hat die Handlung aber nichts mit der NUMA zu tun, die sonst in den Cussler-Romanen zentral bedeutsam ist. Diese Abwechslung von der Meeresforschung und damit verknüpften Abenteuergeschichten und historischen Abenteuern tut aber richtig gut.
Bei diesem Roman ist festzuhalten, dass das gesamte Werk unübersehbar die Handschrift des Navyveterans Grant Blackwood trägt. Wie Cussler-Romane aussehen, weiß ich nun wirklich zur Genüge, und dieser unterscheidet sich an sehr vielen Stellen gründlich davon. Allerdings in angenehm positivem Sinne. Während viele der jüngeren Cussler-Romane durch haarsträubende Logikfehler, halsbrecherische Action und historische Ungenauigkeiten unangenehm aufzufallen pflegen, ist das hier nicht der Fall.
Eher das Gegenteil ist der Fall: Während Sam und Remi angenehm sympathisch und humorvoll herüberkommen (auch wenn man leider ihr Alter nie erfährt; meiner Schätzung nach sind sie Mitte bis Ende Vierzig, kaum viel älter), fällt ebenfalls auf, dass die in Cussler-Romanen häufig vertretene Anwendung brutalster Gewalt hier auf ein Minimum reduziert wird. Viel eher im Vordergrund stehen die Vermittlung von historischen Fakten und das raffinierte, verwinkelte Ausknobeln eines wirklich vertrackten historischen Rätsels. Gewürzt mit exotischen Schauplätzen, abenteuerlichen Wendungen und manchmal ziemlich haarsträubenden Aktionen kommt man sich tatsächlich als Leser einmal mehr so vor, als läse man einen Indiana Jones-Roman. Damit ist nicht gesagt, dass die Geschichte langweilig wird, ganz im Gegenteil. Ich habe den letzten Teil – und damit beziehe ich mich auf die rund 250 letzten Seiten – in einem Rutsch gelesen, was bis tief in die Nacht dauerte. Klares Qualitätssiegel, das mache ich sonst selten.
Wer sich also auf intelligente Weise kurzweilig den Tag (oder auch mehrere, wenn man das Vergnügen so lange strecken kann) verbringen möchte, kann sich kaum eine schönere Form als die Lektüre dieses Romans vorstellen. Dass das Lektorat dann in der hinteren Hälfte des Buches etwas „schwächelte“ und diverse Schnitzer erlaubte, trübt das Vergnügen nur unwesentlich. Da wird etwa Adolf Hitlers „Berghof“ bei Berchtesgaden einfach zur „Berghütte“ (das hätte Kubiak wirklich wissen können), oder man ertappt den Perserkönig Xerxes beim Bau von „Landbrücken“ – was natürlich nicht geht, weil das geologische Strukturen sind. Gemeint war in diesem Fall eine Schiffbrücke. Manchmal gehen Namen durcheinander, da wird dann schon aus einer Evelyn auf derselben Seite „Emily“, oder die Schlacht von Platää wird zu „Plataea“ (was eventuell eine legitime Schreibweise sein könnte)… aber, wie gesagt, das ist nicht wirklich ein Problem.
Ein wenig schade ist gegen Schluss, dass Bondaruks Persönlichkeit etwas sehr verharmlost wird, wodurch er an Glaubwürdigkeit verliert. Aber da man sich als Leser schon fast 500 Seiten weit bestens amüsiert und unterhalten hat und es hier zudem noch mit einem Romanerstling zu tun hat, kann man das vermutlich verschmerzen.
Da ich weiß, dass es wenigstens noch einen zweiten Roman mit den Fargos geben wird, bin ich jetzt schon neugierig auf den Folgeband, in dem Blackwood aus den wenigen Schwächen des vorliegenden Werkes wahrscheinlich gelernt haben wird. Das verspricht doch ein interessantes, packendes zweites Abenteuer. Wer weiß, womit die sympathischen Fargos es da zu tun bekommen werden. Ich bin gespannt…
© by Uwe Lammers, 2011
Ihr merkt, ich war in sehr aufgeräumter und generöser Laune, als ich diese Rezension bald nach der Lektüre verfasste. Weil sich die Geschichte einfach gut liest. Und mit wem es die Fargos im zweiten Blackwood-Roman zu tun bekamen, das lest ihr hier in drei Wochen.
Ich hoffe, ihr seid neugierig auf den Roman geworden, er lohnt die Lektüre wirklich. Damit möchte ich für den Moment das Rezensionsbuch wieder schließen und euch auf den kommenden Mittwoch vertrösten, wo die Reise durch die gelesene Literatur weitergehen wird.
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.
1Das erkläre ich jetzt nicht weiter, der Interessierte sei auf NATIONAL GEOGRAPHIC oder Google verwiesen, wo man gewiss fündig wird, was Martha Cannon angeht.