Die meisten interessanten Gespräche muss man immer dann abbrechen, wenn sie am schönsten werden… und manchmal ist eine ablaufende Parkuhr daran schuld. So ging es mir am 8. Februar bei meinem ersten Arbeitstreffen mit Corinna Rindlisbacher von www.ebokks.de, also der Begegnung, die dabei half, mein erst erstes E-Book auf den Weg zu bringen, das E-Book „Hinterlassenschaften“, das seit dem 12. Februar 2013 auf Amazon.de zum Download bereit steht.
Wir hatten uns auf diese Weise bei leckerem schwarzem und grünem Tee schon ein paar Stunden lang den Kopf heiß geredet, Fragen des Marketings erörtert, Flyerentwürfe diskutiert, potentielle Titelbilder für weitere E-Books angeschaut und vieles weitere mehr… da kam schließlich nach fast vier Stunden Diskussion, die uns wahrlich nicht lang wurde, die Frage auf ein sehr interessantes Terrain.
Auf einmal ging es um Kreativität.
Ich denke, den Ausgangspunkt machte die interessante Frage, ja, die Paradoxie, dass Corinna, wiewohl eher der Kürze verhaftet als der Ausführlichkeit und dem Wortreichtum, sich an einem Romanskript versucht hatte… und dann angesichts der zahllosen gut gefüllten Geschichtenordner in meinem Schreibdomizil wieder einmal darüber staunte, wie leicht es mir doch falle, „einfach so“ Geschichten zu entwickeln und niederzuschreiben.
Nun hat natürlich jeder Kreative seine ganz eigenen Rezepturen, das ist allgemein bekannt. Ich skizzierte Corinna, ausgehend von meinen eigenen Erfahrungen, das „Kochrezept“, nach dem ich üblicherweise arbeite. Brieffreunde, die mich schon lange kennen, werden einen Teil der folgenden Argumentation vertraut finden. Für meinen hübschen Gast war das Neuland.
Ich erzählte vom „Strom der Bilder“.
Wenn ich kreativ werde, muss ich mich „in“ einer Szene wiederfinden. Es ist nötig, dass ich den Protagonisten über die Schulter schauen kann, während sie ihre Abenteuer erleben, manchmal stecke ich auch sinnbildlich in ihrem Kopf oder in den Köpfen mehrerer Personen zur gleichen Zeit, was dann heftige Blendenwechsel im Erzählfluss verursachen kann und in der Regel die Dramatik der beschriebenen Szene deutlich beschleunigt. Ich ging dabei aus von einer Szene, die mir jüngst durch den Kopf gejagt war, früh morgens um etwa 3 Uhr, am 6. Februar 2013, also nicht eben lange her.
Seit vielen Jahren wusste ich von der so genannten „Anthrazitlegion“, einer militärischen Eliteeinheit von skrupellosen Ermittlern in den Streitkräften der Allianz des Lichts, und ich wusste, irgendwann in der nahen Zukunft würden sie in der Galaxis Twennar auftauchen, beim Volk der Yantihni, um dort zu ermitteln. Sie sind als Teil der OSM-Serie Oki Stanwer und das Terrorimperium (TI), die es seit dem 6. März 2013 als E-Book gibt. Aber der „Strom der Bilder“ hatte mir noch nicht gezeigt, wie das vonstatten gehen würde.
An diesem Morgen des 6. Februar 2013 änderte sich das, und zwar so nachhaltig, dass ich mich im Aktionsgebiet 33 wiederfand, in der Galaxis Carwen, auf einem mondgroßen, künstlichen Habitat namens Guryesh-7. Dorthin wurde das reptiloide Volk der Guyaniden vor Jahrzehnten evakuiert, und hier fand nun ein Schnellzugriff durch die Ermittler der Anthrazitlegion statt. Binnen von drei Stunden war eine Person getötet worden, eine weitere schwer verletzt, Dutzende niedergeschossen oder inhaftiert, eine Karriere zerstört und ein Krimineller dingfest gemacht worden.
Ich war platt und zugleich total begeistert. Nichts von all diesen Dingen hatte ich vor dem 6. Februar 2013 jemals zu Gesicht bekommen (naja, die Galaxis Carwen kannte ich ein bisschen, aber sonst…). So läuft das in meiner Kreativität. Das ist intuitives Schreiben in reinster Form.
Intuitives Schreiben… das heißt zumeist: kein Plan, keine Kapitelaufteilung, keine klare Rollenfestlegung der Personen, kaum Charakterisierungskarten für die Individuen, keine Klischees, einfach reine, wilde, rohe Schreibenergie, die sich authentisch auf dem Papier bzw. auf dem Bildschirm austobt.
Manche Schreiber finden so etwas bestürzend, Angst einflößend, unkontrollierbar. Sie neigen dazu, Strukturen zu ersinnen, sich vorher zu überlegen, wie viele Kapitel ihre Geschichte hat, wann welche Person mit welcher Rollenverteilung auftaucht, wie sie agiert, welche Intentionen sie hat und was für ein Schicksal die Person erleiden wird… und das alles möglichst noch, ehe allzu viele Zeilen auf dem Papier stehen.
Solche Literaten schreiben ihre Geschichten im Grunde zweimal. Der eigentliche Innovativitätsakt ist derjenige des Planens, das Schreiben danach wird mitunter zur reinen „Technik“ degradiert, zu dem Teil der Aktivität, die weniger Freude bereitet, ja, manchmal gar als Qual, „Haft am Schreibtisch“ oder dergleichen bezeichnet wird. Ich kenne einen Freund, der Schriftsteller ist und sich mir in sehr ähnlichen Worten einmal über sein Schreiben ausließ. Und ja… wiewohl ER damit Geld verdiente und ich eben nicht, trotz alledem BENEIDETE er mich kurioserweise um die Leichtigkeit, mit der ich schrieb. Ich glaube nicht, sehr zu übertreiben, wenn ich sage, dass da Bewunderung mit im Spiel war.
Doch ich sollte auch so ehrlich sein, zu sagen, dass das intuitive Schreiben manchmal auch sehr anstrengend sein kann, aus zwei Gründen. Ich habe beide Zustände oft genug durchlebt und werde das auch in Zukunft tun, darum glaubt mir, Freunde, hier spricht jemand aus Erfahrung:
Zum einen ist solch ein „Strom der Bilder“ oder „Bilderfluss“, wie ich das nenne, eine sehr störrische Sache. In der oben erwähnten Episode währte der „Schreibflow“ gerade einmal 5 Seiten lang. Dann versiegte er, und ohne „Bilder“ können nun einmal keine weiteren Seiten entstehen, sie würden erzwungen werden, und ich bin sicher, man sähe es ihnen an. Ein Arbeiten nach striktem Zeitplan wird auf diese Weise fast unmöglich. Es kann manchmal – ungelogen – JAHRE dauern, ehe Geschichten soweit dem Kulminationspunkt nahe kommen, dass sie vollendet werden können. Da muss man dann Geduld entwickeln (die ich als Historiker glücklicherweise in reichem Maße besitze).
Zweitens aber, und das ist noch wesentlich anstrengender, verpflichten die Bilder zur bildgetreuen Abbildung im Text. In der Regel ist das unproblematisch, aber es kann… ja, gelegentlich kann es zu Situationen kommen, wo es mir wirklich außerordentlich schwer fällt, das, was ich im „Strom der Bilder“ sehe, dann auch niederzuschreiben, weil mir das, was ich sehe, so sehr widerstrebt.
Nein, es war kein wirkliches Vergnügen, den Untergang des Planeten Tuwihry zu beschreiben (vgl. beizeiten den Roman Verderben auf Tuwihry, 2007), weiß Gott nicht! Es war alles andere als witzig, zu sehen und beschreiben zu müssen, wie die menschlichen Siedler des Planeten Hamilton ums Leben kamen, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen (vgl. beizeiten den Roman Mein Freund, der Totenkopf, 2010). Und manche Schicksale, die ich „sehe“, sind durchweg qualerfüllt. Ich denke hier nur exemplarisch an den Feuerspürer Shorex’uss (1999ff., dessen Erlebnisse zum Teil auf der Homepage des Science Fiction Clubs Baden-Württemberg (SFCBW) nachzulesen sind).
Viele Orte im OSM befinden sich eben in einem Kriegszustand, und Krieg ist für niemanden witzig, schon gar nicht dann, wenn man wie ich in Nahaufnahme Teil davon wird und diese Rolle nicht wechseln kann.
Dennoch… die positive Seite der Kreativität, die ich auf diese Weise intuitiv auslebe, wiegt diese schrecklichen und belastenden Details vollkommen auf: das permanente Fieber des Entdeckens, Forschens, die Aufregung, fremde Welten zu betreten, neue Völker und ihre bisweilen kuriosen Sitten und Gebräuche kennenzulernen… um keinen Preis der Welt möchte ich das missen!
Mag die Kreativität also auch ein zweischneidiges Schwert sein – ich rate jedem, der das Feuer des Schreibens in sich lodern fühlt, nicht auszuweichen, nicht den Löscheimer zu nehmen, sich sinnbildlich „die Birne vollzusaufen“, um die Bilder zu ertränken… nehmt sie so, wie sie sind, und schreibt! Das sagte schon der selige Ray Bradbury: „Eine gute Idee sollte uns zusetzen wie ein bettelnder Hund. Wir dagegen dürfen ihr nicht zusetzen, sie mit Intellekt glätten, sie in den Dämmerschlaf dozieren, sie mit tausend analytischen Kniffen töten.“ (nachzulesen in Bradburys faszinierendem Essay „Auf den Schultern von Giganten“, 1965!).
Recht hatte der Mann! Selbst wenn er auf völlig andere Weise schrieb als ich – von ihm kann man auch heute noch viel lernen. Und wer immer als intuitiver Schreiber diese Zeilen lesen mag, wird mir vielleicht Recht geben: es gibt, wenn man das vermag, keine schönere Methode, die Welt zu entdecken. Die, die wir kennen und jene, die wir nur im Geiste bereisen können. Aber es ist unsere Verpflichtung, diese Welten aus dem Gehäuse des Kopfes zu befreien und allgemein zugänglich zu machen.
Soviel für heute zum Thema der Kreativität (das, weil unerschöpflich, zweifellos noch öfter wiederkehren wird).
Oki Stanwers Gruß, euer
Uwe Lammers