Liebe Freunde des OSM,
einmal tief durchatmen. Es gilt, ein Abenteuer zu schildern, wie es selbst mir selten widerfahren ist… vielleicht niemals zuvor. Ich kann mich jedenfalls spontan nicht daran entsinnen. Ich sagte im vergangenen Teil dieser Artikelserie, in dem ich das Jahr 1999 fertig besprach (Wochen-Blog 72), dass das Jahr 2000 beinahe jenes Jahr war, wo alles entgleiste, was ich gegenwärtig in Arbeit hatte: die in Planung befindliche Magisterarbeit, mein Studium, haarscharf auch der OSM selbst. Wer Letzteres für eine arge Übertreibung hält, dem kann ich jetzt schon verraten, dass ich anno 2000 lediglich 13 OSM-Werke schrieb! Das ist der historische absolute Tiefststand bis dahin gewesen (aber die Talsohle, die ich mir noch nicht mal vorstellen konnte, sollte im Jahr 2001 kommen).
Also, wie ich schon andeutete… alles begann ganz harmlos.
Das Jahr 2000 fing damit an, dass ich mir von irgendwoher eine üble Erkältung einfing, die mich mit wahnsinnigen Kopfschmerzen plagte und dazu zwang, ein paar Krankheitstage einzulegen. Am 14. Januar beschloss ich, weil ich nicht mal mehr klar denken konnte, Zuflucht in einem heißen Bad zu suchen. Und wie das meist so bei mir ist, nehme ich da was zu lesen mit.
Nur was sollte ich bei so einem schmerzenden Schädel wohl mitnehmen? Auf keinen Fall etwas Anspruchsvolles, soviel war mir klar, darauf konnte ich mich nicht konzentrieren. Aber vielleicht etwas leichte, romantische Kost… ich hatte im vergangenen Jahr auf dem Wühltisch den ersten Band der so genannten „Highland-Saga“ von Diana Gabaldon zu fassen bekommen, in der es im Kern darum ging, dass eine Ärztin des 20. Jahrhunderts ins 18. Jahrhundert verschlagen wird und dort in eine abenteuerliche Liebesgeschichte verwickelt wird.
Klang entspannend genug, dachte ich. Das Buch „Feuer und Stein“ hatte zwar fast 800 Seiten Umfang und war – im Gegensatz zu den heutigen dickleibigen Schinken – wirklich eng bedruckt mit Text, aber vielleicht war es ja tatsächlich leichte Kost. Dicke Bücher haben mich noch nie geschreckt…
In Wahrheit war es weniger leichte Kost als vielmehr Sprengstoff.
Sprengstoff und Suchtstoff.
Ich übertreibe nicht einen Moment lang, wenn ich sage, dass ich ungeachtet meines physischen Zustandes an diesem Roman regelrecht festklebte. Ich übertreibe auch nicht, wenn ich sage, dass ich 50 Seiten am Stück las. Und ich übertreibe erst recht nicht, wenn ich zugebe, dass dabei das Badewasser kalt wurde und ich es kaum spürte. Das war mir noch nie passiert.
Ich las dieses Buch in fünf Tagen rasant durch. Und es war echt mein Glück, dass ich den zweiten Teil „Die geliehene Zeit“ (knapp 1000 Seiten! Wieder engbedruckt!) bereits geschenkt bekommen hatte. Ich las sofort am 19. Januar darin weiter und war am 22. Januar (!) fertig. Dummerweise hatte dieses Buch einen wirklich üblen Cliff-hanger, der es unbedingt erforderlich machte, dass ich den dritten Teil, „Ferne Ufer“ (knapp 1100 Seiten!) am 24. Januar kaufte, auch wenn ich kaum Geld hatte. Das war, klares Junkie-Verhalten, ein absolutes Muss. Und am 27. Januar (!) war das Buch ebenfalls verschlungen. Anders kann man das nicht nennen.
Und ich denke, es war „Ferne Ufer“, das meinen Kreativdynamo dann wirklich auf Touren brachte. Warum? Nun, die Ingredienzen stimmten einfach: Claire Beauchamp (bzw. Randall bzw. Fraser… die Leser werden verstehen, warum alle diese Namen stimmen) reist darin ein weiteres Mal in die Vergangenheit, und es verschlägt sie unter anderem auf ein Schiff der britischen Marine und in die Karibik.
Karibik.
Archipel.
Man erinnere sich daran, dass ich zu dieser Zeit in dem dritten Archipel-Roman „Christinas Schicksal“ steckte und irgendwie das dumpfe Gefühl hatte, er würde sehr viel länger und emotional wesentlich heftiger werden als alle bisherigen Werke, die ich geschrieben hatte.
Gabaldons Zyklus war wie ein Ölguss ins Feuer, das bestreiten zu wollen, wäre albern. Mit einem Mal begriff ich nämlich, dass auch lange, ja, auch sehr lange Geschichten einfach phantastisch mitreißend sein konnten. Die 300-Seiten-Beschränkung der bisherigen Archipel-Romane war also durchweg künstlich. Sie konnten auch länger werden. Damit fiel die erste Schranke, und „Christinas Schicksal“ erwies sich als die Nagelprobe.
Zudem wurde mir klar, dass es durchaus möglich war, mit einer Liebesgeschichte einen Roman zu füllen, und dass mir das nach der aktuellen Lektüre auch nicht mehr unmöglich sein würde. So begann der erwähnte Archipel-Roman zu wuchern und zu wuchern. Bis Juli 2000 steht darum die Arbeit an diesem Werk stets im Zentrum meiner kreativen Aktivitäten für das Jahr 2000 (und das, obwohl ich im Mai von einer üblen Sehnenscheidenreizung geplagt wurde!). Tatsächlich fertig stellen konnte ich den Roman dann erst am 19. Juli 2000… bei Seite 1134.
Kein Witz.
Und es gab dabei zwei Probleme, die ebenso wenig ein Witz sind und mich wirklich völlig aus der Spur warfen: zum einen war die Handlung des Romans nicht fertig. Ich hatte „Christinas Schicksal“ in der Aporie enden lassen müssen, weil ich einfach fix und alle war, kreativ völlig ermattet. Die Geschichte musste noch weiter erzählt werden, aber ich hatte echt keine Kraft mehr. Das war mir so noch nie widerfahren.
Zweitens aber, und das war noch verheerender: am 3. Juli 2000, also gut zwei Wochen, ehe ich „Christina“ abschließen konnte, wurde ich völlig unerwartet von einem neuen Bilderstrom heimgesucht. Diesmal fand ich mich in einem Urwald wieder und war anfangs ziemlich desorientiert… das wurde noch schlimmer, als ich den Weg eines kleinen Mädchens von vielleicht zehn oder elf Jahren verfolgte, das in atemloser Panik durch den Wald stürmte und durch irgendeinen Schock die Sprache verloren zu haben schien.
Ich hatte noch nie eine Geschichte aus einer Kinderperspektive geschrieben, aber hier war sie… unaufhaltsam wie ein Erdrutsch. Und ich steckte mittendrin. Binnen weniger Tage begann ich zu verstehen, wo ich mich befand und wer das Mädchen war, aber das machte die Sachlage absolut nicht einfacher. Seither pflege ich zu sagen, die Kleine habe mich einfach über den Haufen gerannt, und das ist nicht so weit von der Realität entfernt, wie es vielleicht klingt.
Ich war – fast ist man versucht zu sagen: natürlich – wieder einmal im Archipel. Der Handlungsort war das wilde Hinterland der Archipel-Hauptinsel Coorin-Yaan, an deren Küste ich die legendäre Metropole Asmaar-Len wusste. Und das Mädchen trug den Namen Rhonda.
Ihr mögt jetzt vielleicht sagen – inwiefern soll ein kleines Mädchen von 11 oder 12 Jahren imstande sein, meine Welt zum Entgleisen zu bringen (und genau das sollte haarscharf im Jahre 2001 vermieden werden, aber wirklich nur haarscharf)… tja, aber wer so redet, kennt dieses Mädchen eben nicht. Rhonda ist echt eine vollkommen vereinnahmende kleine Naturgewalt, ein cleveres Kind mit fantastischen Kenntnissen und einer unersättlichen Neugierde auf genau die Dinge, die mich am Archipel früher immer schon interessiert hatten… und nun hatte ich sie auf dem Hals. Sowohl Rhonda als auch all diese Rätsel, sie hatten mich am Haken, wenn man so will.
Ich kam also, wiewohl ziemlich ermattet, aus dem Archipel dennoch nicht heraus. Da erwies es sich als regelrechter Segen, dass ich Anfang 2001 wenigstens den Chefredakteursposten des SFCBW abgeben konnte. Zu diesem Zeitpunkt befand ich mich (Ende 2000) schon 610 Seiten tief in dem Roman „Rhondas Weg“ und mitten in Asmaar-Len, im so genannten Garten der Neeli und in derart konfusen sozialen Netzwerken, dass ich genau wusste: was mir bei „Christina“ noch leicht gefallen war, würde hier so nicht zu bewältigen sein. „Rhonda“ würde ein Roman werden, gegenüber dem „Christina“ zu einer Art von Präludium verkümmerte.
Ich behielt Recht – doch davon berichte ich dann, wenn ich über das Jahr 2001 schreibe.
Natürlich arbeitete ich im Jahr 2000 auch noch am OSM, allerdings, wie oben schon angedeutet, mit sehr gedrosselter Leistung. Den Anfang machte KONFLIKT 28 „Oki Stanwer – Der Siegeljäger“, wo ich mit Band 26 „UFO-Alarm in Nevada“ den nächsten Abenteuertopos in die Serie einbrachte. Da tummelten sich also schon Kreuzritter, Zeitreisende, Gestaltwandler, und nun also auch noch Außerirdische? Wildes Garn, musste ich konstatieren. Das wurde noch sehr viel haarsträubender. Im Februar landete ich bereits in Band 30 der Serie, „Mysterium der MASKEN“ und erlebte mit, wie Klivies Kleines buchstäblich atomisiert wurde.
Brachte ihn das um? Nein.
Hey, wir reden hier von KLIVIES KLEINES!
Es passierte etwas sehr viel Haarsträubenderes, er stieß nämlich bei der sich nun anschließenden Odyssee auf ein sehr vertrautes Wesen, das sich aber unglaublich verwandelt hatte, auf „DIE GRALSHERRIN“ (DSj 32, März 2000).
Parallel dazu tauchten Bruchstücke weiterer Archipel-Geschichten auf, die aus Nebeninformationen des Rhonda-Romans kondensierten. Ich sah im Mai den alten Historiker des Archipels, Olongis Na-Kere, der versucht haben sollte, die Rätsel der Us’sheleyaa-Kultur aufzuklären, deren Ruinen die Archipel-Inseln sprenkelten. Eine Idee waberte durch meinen Kopf, die mit der Liebesgöttin des Archipels, Neeli, zu tun hatte. Aber nichts davon ließ sich gescheit über die Fragmentversion hinaus konkretisieren. Rhonda riss mich immer wieder fort. Ich kam daher auch im OSM nicht auf einen grünen Zweig.
Ich versuchte im August noch, an KONFLIKT 24 „Oki Stanwer – Der Neutralkrieger“ weiterzuschreiben, doch eher halbherzig. Das OSM-Fragment „Neu-Babylon“ wurde etwas ausgedehnt… und ich begann endlich mit den ersten Arbeiten an meiner Magisterarbeit (September), für die ich umfangreiche, monatelange Archivrecherchen anstellen musste. Doch auch hier erwies sich Rhonda als vollkommener Bremsschuh. Ich kam auf keinen grünen Zweig, weil mir ständig dieses unglaubliche Mädchen durch die Gedanken fuhr, ganz zu schweigen von ihren Freundinnen und dem Haushaltspersonal im Garten der Neeli.
Im Prinzip steckte ich in mehreren Fulltime-Jobs fest… und derjenige, der mich am stärksten beanspruchte, war nicht die Magisterarbeit, auch nicht der OSM, sondern tatsächlich „Rhondas Weg“. Und wohin das dann im Jahr 2001 führte, davon erzähle ich beim nächsten Mal.
Ich glaube, ihr könnt gespannt darauf sein, Freunde.
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.